Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.2.13

Anordnung einer DNA-Analyse bei einem 14-jährigen wegen eines Knutschflecks

Es gibt Fälle, bei denen man erst einmal schlucken muss. Über einen solchen Fall hat das Bundesverfassungsgericht gerade im Rahmen einer äußerst knapp begründeten Eilanordnung entschieden.

Der im Tatzeitpunkt 14-jährige Beschwerdeführer hatte eine 13-jährige Klassenkameradin am Hals geküsst, wodurch ein deutlich sichtbarer Knutschfleck entstand und dem Mädchen darüber hinaus mehrfach mit den Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen. Der 14-jähtige wurde deshalb vom Amtsgerichts Arnstadt wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verwarnt. Ihm wurden 60 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt. Feststellungen dazu, ob das Verhalten auf gegenseitiger Zuneigung beruhte und einvernehmlich erfolgte, hat das Gericht offenbar nicht getroffen.

Im Anschluss hat das Amtsgericht Erfurt aufgrund dieser Verurteilung gemäß § 81g StPO die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen des Jugendlichen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters angeordnet, mit dem Ziel, diese Daten in die DNA-Analysedatei, die beim BKA geführt wird, einzustellen.

Diese Anordnung hat das BVerfG jetzt vorläufig mit Beschluss vom 23.1.2013 (Az.: 2 BvR 2392/12) gestoppt. Das Gericht wird über die Frage, ob die Anordnung die Grundrechte des Jugendlichen verletzt, endgültig im Rahmen der von dem Jugendlichen erhobenen Verfassungsbeschwerde entscheiden.

Dieser Fall zeigt zunächst eine Problematik des deutschen Sexualstrafrechts auf, die vielen Menschen nicht bewusst sein dürfte. Denn auch einvernehmliche Jugendsexualität ist nach § 176 StGB als sexueller Missbrauchs von Kindern strafbar, wenn der eine 13 Jahre alt ist und damit als Kind gilt und der andere 14. Die Vorschrift des § 176 StGB bestimmt nämlich eine absolute Grenze für den sexualbezogenen Kontakt einer strafmündigen Person – also einer Person ab 14 Jahren – mit einer Person unter 14 Jahren. In der rechtswissenschaftlichen Literatur ist aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz z.T. aber gefolgert worden, dass die Staatsanwaltschaft einstellen müsse, wenn der „Täter“ nur geringfügig älter ist als das Kind und der Kontakt einvernehmlich war (vgl. Fischer, Strafgesetzbuch, § 176, Rn. 33).

Vielleicht nimmt sich das BVerfG auch dieser in der Praxis durchaus bedeutenden Frage an, denn die Pönalisierung jugendtypischer Sexualkontakte kann nicht die Aufgabe des Strafrechts sein.

Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, ob man eine solche ohnehin äußerst fragwürdige Verurteilung anschließend noch mit einem deutlich drastischeren Grundrechtseingriff verknüpfen kann, nämlich der Anordnung einer sog. DNA-Identitätsfeststellung nach § 81g StPO, samt Speicherung der erhobenen Daten beim BKA in der sog. DNA-Analyse-Datei.

Auch wenn sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Eilentscheidung noch zurückhaltend geäußert hat, wird man letzteres wohl als evident unverhältnismäßig ansehen müssen, zumal im konkreten Fall auch zweifelhaft sein dürfte, dass die sonstigen Voraussetzungen von § 81g StPO tatsächlich vorliegen.

Max Steinbeis hat es im Verfassungsblog so formuliert: „Strafjustiz, mir graut wieder mal vor Dir.“ Dem kann ich mich hier nur anschließen.

posted by Stadler at 15:41  

16 Comments

  1. In der Schweiz gilt das Schutzalter bis 16 Jahre und wenn einer (oder beide) jünger sind, gibts eine Mindestaltersdifferenz von drei Jahren damit das strafbar ist:

    http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a187.html

    Comment by SJ — 6.02, 2013 @ 16:36

  2. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass offensichtlich nicht geklärt ist, ob es sich um einvernehmliche sexuelle Handlungen handelte oder nicht, finde ich diese Beurteilung bestenfalls vorschnell. Eine durch Saugen bei einem Kuss hervorgerufene Hautrötung und das Betatschen der Geschlechtsteile (immerhin?) oberhalb der Kleidung unter „Jungens sind nun einmal so“ abzubuchen, erschiene mir etwas zu einfach. Und ja: der Gedanke, dass jemand, der mit 14 in dieser Weise übergriffig wird, es mit 16 oder 18 nicht beim Betatschen belässt, liegt so fern nun wahrlich nicht.

    (Soweit es sich tatsächlich um einverständliche sexuelle Handlungen gehandelt hat, bedarf es allerdings fraglos keiner weiteren Worte mehr dazu.)

    Comment by -thh — 6.02, 2013 @ 18:45

  3. Tatsächlich verliert das BVerfG keine Worte zur Einvernehmlichkeit, und die Ursprungsentscheidung ist nicht bekannt. Deshalb ist doch davon auszugehen, dass die Ursprungsentscheidung nicht von Einvernehmlichkeit ausgeht, zumal diese offenbar trotz eines rechtsmittelfreudigen Verteidigers rechtskräftig geworden ist.

    Comment by Hans — 6.02, 2013 @ 18:58

  4. Ich finde die Frage der Einvernehmlichkeit nicht so relevant, wie sie hier gemacht wird. Denn wären beide dem Schutzalter entwachsen oder gar volljährig, würde ein solcher Übergriff bereits kaum eine Speicherung der DNA nach sich ziehen (davon gehe ich aufgrund der verhältnismäßig geringen Schwere des mögliches Vergehens mal aus. oder liege ich da falsch?).

    Strafverschärfend hat sich hier (scheinbar?) vor allem der Tatbestand des „Kindesmißbrauchs“ ausgewirkt.

    Comment by yoyo — 6.02, 2013 @ 21:35

  5. Einvernehmlich war es wohl nicht, wenn die VB zur Begründung anführen muss: „die Handlungen aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung beruht hätten“ (II. 2 der BVerfG-Entscheidung)….

    Comment by klabauter — 6.02, 2013 @ 23:01

  6. Ob die Handlungen einvernehmlich waren oder nicht lässt sich aus der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen. Im Zweifel würde ich, auch aus meiner Lebenserfahrung heraus, annehmen, dass es anderenfalls nicht zu einem solchen „Knutschfleck“ gekommen wäre. Es ist gut möglich, dass das Gericht sich damit begnügt hat festzustellen, dass der Beschuldigte über und das Opfer unter 14 Jahre alt ist. Die Einwilligung des Opfers ist dann nämlich irrelevant.

    Comment by Saimoen — 7.02, 2013 @ 11:15

  7. Sehe ich dass richtig:
    Wenn zwei 13 jährige rum machen ist alles gut. Ein Jahr später sind beide 14 und dürfen auch rummachen. Irgentwo dazwischen haben beide den 14. Geburtstag und zwischen diesen Geburtstagen dürfen sich die Beiden nicht anfassen, weil der Ältere dadurch zum perversen Kinderschänder wird und die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommt.
    Na super …

    Comment by Piffy — 7.02, 2013 @ 13:26

  8. Gerade schrieb zum gleichen Artikel hier im Gesichtsbuch: Es ist skandalös für die Justiz, die ja eigentlich nur nach den Vorgaben des Gesetzgebers handelt, also die Beschlüsse der heutigen Politiker umsetzt, die großenteils damals zur 68-Generation gehörten. Sie standen einst auf, um gegen den alten Mief und die verkorkste Sexualmoral von Kirche und der Gesellschaft aufzubegehren. Und genau diese 68er hatte ein paar Jahre ihren höllischen Spaß und trat dann wieder in die Fußstapfen Ihrer Eltern und Großeltern und sie haben die heutige Gesellschaft wieder um vierzig Jahre rückversetzt.
    Erst unterdrückte die Kirche jedwede Art von nichtehelicher Sexualität und jetzt fühlt sich der Staat dazu berufen der Kirche nachzuahmen und in den Betten seiner Bürger rumzuschnüffeln und deren Praktiken gesetzlich zu bestimmen. SCHANDE, SCHANDE und nochmals SCHANDE! Damit muß langsam Schluß sein und wird es auch, denn am 13.3.2013 werden wir mit einer neuen bundesweiten Vereinigung dagegen massiv und öffentlich aufbegehren!!!
    Rosa von Zehnle.

    Comment by Rosa von Zehnle — 8.02, 2013 @ 00:37

  9. Wenn bei den sexuell verwirrten pfarrern auch so ein geschiss gemacht wuerde waere das ja nicht schlechtda passiert leider nichts obwohl es sich dabei nicht um einvernehmlichkeit handelt

    Comment by andy — 8.02, 2013 @ 08:02

  10. Da lobe ich das Jahr 1970, als Kinder sich noch ohne diesen Verbrecher-Staat ungehemmt knutschen konnten.

    In diesem Land ticken Leute durch.

    Der Gesetzgeber, die Juristen, spielen sich zunehmend als Volkserzieher auf.

    Es widert einen an.

    Comment by Rudolf — 8.02, 2013 @ 14:35

  11. Ich finde die Argumentation einiger Kommentatoren, insbesondere auf anderen Blogs wesentlich bedenklicher, als ein überzogenes Rechtssystem. Dieses tritt erst dann in Aktion, wenn es von für sich „relevanten“ Aspekten erfährt (wo kein Kläger ….).

    Zeugt es nicht von erheblicher sozialer Inkompetenz, wegen jedes „Fliegenschisses“ die Juristen anzurufen, anstatt eine einvernehmliche (ja, dieses Adjektiv hat neben der Sexualität auch noch andere Bedeutungen) Lösung zu finden? Ist das Rechtssystem nicht ein Spiegel der Gesellschaft? Unter diesem Aspekt würde ich Max Steinbeis‘ Formulierung (“Strafjustiz, mir graut wieder mal vor Dir.”) als treffend, jedoch nicht als umfassend bewerten.

    Comment by Ricard — 9.02, 2013 @ 10:56

  12. „Minima non curat praetor“ – Wenn sich der Fall wirklich so abgespielt hat, wie er in den Medien rüberkommt (Knutschfleck, harmloses „rummachen“), dann war das Vorgehen nicht nur lebensfremd, sondern auch grob unverhältnismäßig; die Strafprozessordnung sieht hier genügend Wege vor, um flexibel und verhältnismäßig zu reagieren. Wie schrieb doch Thoma so treffend „Er war ein vorzüglicher Jurist und auch sonst von mäßigem Verstande“.

    Comment by ulpian — 9.02, 2013 @ 13:41

  13. Der Bf. ist nicht, jedenfalls nicht primär, wegen eines Knutschflecks verurteilt worden, sondern weil er nach den Feststellungen des Gerichts mehrfach gegen den Willen des Opfers in den Vaginalbereich einer 13jährigen gegriffen hat.

    Dass gleiche mehrere Jurablogger, so auch dieser, meinen, das in der Überschrift und in der Deduktion auf eine Art einvernehmliche Knutscherei reduzieren zu können, kann uns nur komplett fassungslos zurücklassen.

    Comment by Katharina — 11.02, 2013 @ 23:58

  14. @Katharina:
    Im Beschluss des BVerfG steht wörtlich:
    „und ihr darüber hinaus mehrfach mit seinen Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen“.

    Ein „gegen den WIllen“ suche ich vergeblich. Zu der Frage der Einvernehmlichkeit hat das Ausgangsgericht gerade keine Feststellungen getroffen.

    Bitte sachlich bleiben.

    Comment by Stadler — 12.02, 2013 @ 19:10

  15. @ Stadler: Dass der Bf. in der Vb. vortragen lässt, die Handlungen hätten „aus seiner Sicht“ auf gegenseitiger Zuneigung beruht, lässt sehr wohl auf gegenteilige Feststellungen des AG schließen; lt. Presseberichten hat sich auch die jetzige Prozessbevollmächtigte des Bf. in diesem Sinne geäußert.

    Comment by Katharina — 12.02, 2013 @ 19:17

  16. @Katharina: Nein, sondern eher darauf, dass das AG dazu gar keine Feststellungen getroffen hat.

    Nachdem das BVerfG aber ausdrücklich darauf hinweist, dass die Entscheidungen des AG und des LG Erfurt zur Frage der Einvernehmlichkeit bzw. gegenseitigen Zuneigung keine Feststellungen enthalten, gehe ich davon aus, dass es auch so ist.

    Das BVerfG wörtlich:
    „Da die im Tenor bezeichneten Entscheidungen des Amtsgerichts Erfurt und des Landgerichts Erfurt zu diesen besonderen, im Rahmen einer Entscheidung nach § 81g StPO möglicherweise relevanten Umständen keinerlei Ausführungen enthalten, können der Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht von vornherein die Erfolgsaussichten abgesprochen werden.“

    Comment by Stadler — 12.02, 2013 @ 21:12

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