Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.2.12

Das Bundesverfassungsgericht zur Volksverhetzung

Ein gestern veröffentlichter Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.11.2011 (Az.: 1 BvR 461/08) durch das ein Strafurteil gegen einen (Neo-)Nazi aufgehoben wurde, hat ein kleines Rauschen im Blätterwald verursacht. Die Frankfurter Rundschau und SPON haben berichtet und Heribert Prantl schreibt in der Süddeutschen gar, das BVerfG würde damit der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung still und leise den Garaus machen.

So sehr ich Prantl ansonsten schätze, aber dieser Kommentar von ihm bewegt sich in juristischer Hinsicht deutlich neben der Spur.

Was war geschehen? Ein Anhänger des nationalsozialistischen Gedankenguts hatte einem Gastwirt eine Mappe übergeben, deren Inhalt das BVerfG folgendermaßen umschreibt:

(…) Informationsmaterial in Form von zwei Redemanuskripten („Trauermarsch anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs“ und „Trauermarsch anlässlich des 60. Jahrestages der Zerstörung Würzburgs“), die der Beschwerdeführer in der Vergangenheit öffentlich gehalten hatte, sowie jeweils eine Kopie mehrerer Aufsätze des „Kampfbundes gegen Unterdrückung der Wahrheit in Deutschland“, darunter „Die Geschichtslüge des angeblichen Überfalls auf Polen im Jahre 1939“ und „Über die verantwortlichen Staatsmänner, die den Zweiten Weltkrieg verursachten und die ihn zu verhindern suchten“. Im erstgenannten Aufsatz wird unter anderem im Zusammenhang mit dem Holocaust behauptet, es sei wissenschaftlich erwiesen, dass es keine Gaskammern für Menschen gegeben habe. Im zweitgenannten Aufsatz wird der Holocaust an den Juden als „Zwecklüge“ bezeichnet.

Das Landgericht, dessen Urteil das BVerfG aufgehoben hat, hat den Beschwerdeführer nach § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 5 StGB wegen Verbreitung von Schriften, die den Holocaust leugnen verurteilt.

Wer einen Kommentar zum StGB aufschlägt, kann dort nachlesen, dass die Weitergabe von Schriften an einzelne, bestimmte Personen selbst dann noch kein Verbreiten darstellt, wenn diese Weitergabe zum Zwecke der Veröffentlichung geschieht. Gemessen daran, war die strafgerichtliche Verurteilung falsch, weil die Gerichte den Begriff des Verbreitens äußerst weit ausgelegt haben, um den wie es hieß glühenden Verfechter der nationalsozialistischen Ideologie verurteilen zu können.

Das BVerfG macht also zunächts nichts weiter, als eine Entscheidung zu korrigieren, die bereits nach dem Strafgesetzbuch falsch ist. Weil das Gericht aber keine Superrevisionsinstanz ist und einer Verfassungsbesschwerde nur dann stattgeben kann, wenn eine spezifische Grundrechtsverletzung vorliegt, musste es entscheiden, dass diese Überdehnung des Straftatbestands der Volksverhetzung den Beschwerdeführer gleichzeitig in seinem Recht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Das Bundesverfassungsgericht bleibt hierbei argumentativ zunächst auf seiner bisherigen Linie und betont, dass die Leugnung des Holocausts allein für sich betrachtet nicht dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfällt. Das Gericht führt dann aber weiter aus, dass die den Holocaust leugnenden Ausführungen untrennbar mit Meinungsäußerungen verbunden sind.  In der „Geschichtslüge des angeblichen Überfalls auf Polen im Jahre 1939“ sieht das Gericht primär ein Bestreiten der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verbunden mit der Behauptung des Beschwerdeführers,  dass dies eine Lüge der Nachkriegsgeneration sei.

Diese Differenzierung überzeugt nicht wirklich, denn sie zeigt, dass man die Leugnung historischer Fakten durchaus noch als von der Meinungsfreiheit geschützt ansieht, solange nicht der Holocaust (alleine) geleugnet wird. Würde man die Leugnung des Holocausts allerdings ebenfalls als vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst ansehen, dann hätte man als Verfassungsgericht ein enormes Problem diesen Eingriff nach Art. 5 Abs. 2 GG als verfassungsrechtlich gerechtfertigt anzusehen. Denn dann würde sich das Gesetz, insbesondere § 130 Abs. 3 StGB, gegen eine ganz bestimmte Meinung richten und wäre damit kein allgemeines Gesetz mehr. Weil man also die Strafbarkeit der sog. „einfachen Ausschwitzlüge“ nicht als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit bewerten will, aber ansonsten in diesem Bereich offenbar bemüht ist, die Strafbarkeit nicht zu weit ausufern zu lassen, vollzieht man in Karlsruhe manchmal Spagate, die rechtsdogmatisch schwer nachvollziehbar sind.

Allein deshalb wird aus diesem Einzelfall aber noch keine Grundsatzentscheidung und eine Abkehr von der Strafbarkeit der öffentlichen Leugnung des Holocausts begründet die Entscheidung schon gar nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich ein Urteil eines Strafgerichts korrigiert, das bereits nach den Vorgaben des Strafgesetzbuches falsch war. Es möchte offenbar nicht, dass man Leute, nur weil man sie als glühende Nazis betrachtet, schneller verurteilt als andere. Das ist im Grundsatz zu begrüßen, denn es ist sicherlich die Aufgabe des Gerichts, der Entstehung eines Gesinnungsstrafrechts vorzubeugen.  Dazu hat das Gericht allerdings einen Argumentationsansatz bemüht, den man im Lichte der eigenen Rechtsprechung des Senats kritisch hinterfragen kann.

Der Fall ist aber, entgegen der Meinung Heribert Prantls, nicht von allgemeiner Bedeutung und ändert nichts daran, dass die öffentliche Leugnung des Holocausts in Deutschland grundsätzlich strafbar ist.

posted by Stadler at 17:22  

10 Comments

  1. Danke für die Klarstellung! Verboten ist nicht eine Meinung, sondern nur eine Art ihrer Kommunikation.

    Comment by Erbloggtes — 23.02, 2012 @ 17:33

  2. nach bverfge 124, 300 braucht es doch in der richtung kein allgemeines gesetz mehr

    Comment by Aruj — 24.02, 2012 @ 10:23

  3. @1 Die Meinung ist nicht verboten, sondern die Verbreitung. Dabei ist das Kolportieren eben nicht unbedingt verbreiten. Hätte er die Paphlete ist Internet gestellt, sähe die Sache anders aus. Wie Herr Stadler richtig bemerkt hat, benötigt das BverfG eben einen Kunstgriff, um daraus eine verfassungsrechtliche Angelegenheit machen zu können.

    Meine unbescheidene Meinung.

    Comment by eborn — 24.02, 2012 @ 15:31

  4. Das ist ja richtig spanned, Thomas, wie willst Du denn die Aeusserung einer (haesslichen) Meinung aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausnehmen? Was der hier sonst hochgelobte Fischer in seinem Kommentar schreibt ist eher in Richtung Prantl, mag es auch von der Entscheidung nicht gestuetzt werden.

    Anyway, ich habe mir jetzt auch mal eine nach Ansicht der lokalen „Volksfront“ „geschichtsverfaelschende Nazi-Demo“ selber angesehen, die in 30 Meter Entfernung vor meiner Haustuer stattfand, weshalb ich mich relativ unbeschwert als Anwohner durch die diversen Polizeiketten durchbewegen konnte. Seitdem glaube ich, dass die Ausgrenzerei das eigentliche Problem ist. Wenn wir offen mit den Nazis reden wuerden ohne uns zu ekeln waere das Phaenomen, soweit es um Politik geht, schnell vorbei. Es sind naemlich nur wenige Dinge, die so extrem sind, dass sie im Rahmen dessen, was in einer demokratischen Gesellschaft erlaubt sein muss, nicht mehr akzeptabel sind. Wir duerfen vor allem nicht vergessen, dass Deutschland nach 33 nicht von Poebelhaufen regiert wurde, sondern von Ministerialraeten.

    Es geht in erster Linie um Provokation, der Rest ist eher duerftig, ein falsch verstandener Souveraenitaetsbegriff etc. Die lokalen „Nazis“, die sich hier dafuer halten, lieben uebrigens Einstein, „sowas ist doch wohl egal“, und haben auch einen Neger in der Truppe.

    Was die „Nazis“ machen ist jedenfalls in der Hauptsache das was im Mittelalter das „Austreten“ genannt wurde. Der fuer sie ganz selbstverstaendliche Abschied vom staatlichen Gewaltmonopol. Dieses im Kern typische Verhalten von „Bauernluemmeln“ wird durch die Verbindung mit politischen Inhalten eher verharmlost. Es ist das eigentlich Schlimme, was mit dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Vor allem gibt es kein gutes und schlechtes „Austreten“.

    Comment by Heikor — 24.02, 2012 @ 23:28

  5. Das Verfassungsgericht sollte sich endlich dazu durchringen, das Leugnungsgesetz ganz zu kippen.

    Es verkennt, daß man auch über Tatsachen verschiedene Meinungen haben kann. Nämlich immer dann, wenn der Äußerer das Ereignis nicht selbst wahrgenommen hat. Denn ob vorliegende Indizien ausreichen, um auf ein bestimmtes Ereignis zu schließen, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.
    Nur dann, wenn jemand das Ereignis unmittelbar selbst wahrgenommen hat, und gegenteiliges behauptet, liegt eine falsche Tatsachenbehauptung vor.
    Bei historischen Ereignissen handelt es sich immer um eine Meinungsäußerung.

    Verfassungsgerichte anderer Länder haben solche Gesetze bereits für verfassungswidrig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht sollte jetzt kein Problem mehr damit haben, dem zu folgen.

    Comment by Stefan — 2.03, 2012 @ 23:09

  6. Man kann es eben alles nicht so einfach kippen.
    Es geht um die Staatsraison, die aber an allen Enden kracht.

    Was hat denn Demokratie mit Europa zu tun und so weiter. Ist es uebertrieben, von und so weiter zu reden? Die Realitaet ist jedenfalls das Gegenteil der schoenen Reden nach 45. Und wenn ich mir anhoeren muss, dass Sigmar Gabriel Westerwelle die Zurueckhaltung im Buergerkrieg in Libyen vorwirft, bekomme ich Angst vor der EU-Armee, ueber die dann das EU-Parlament wachen soll. Pipedreams.

    Alles ganz schoen durcheinander, umso wichtiger ist die identitaetstiftende Abgrenzung gegen Leute, die mit der regierenden Partei zwischen 33 und 45 allerdings nichts zu tun haben und beim besten Willen allenfalls Suendenboecke sind, sich in dieser Rolle aber offenbar ganz wohl fuehlen.

    Wir muessen und nur abgewoehnen, hier an das Unrecht zu glauben. Siehe Fischer.

    Comment by Heikor — 13.03, 2012 @ 08:40

  7. „Verfassungsgerichte anderer Länder haben solche Gesetze bereits für verfassungswidrig erklärt.“

    Das Armeniengesetz ist gekippt worden. In Frankreich. Ist ja vielleicht doch ein Unterschied, ob man die Fakten anerkennt und ueber die Bewertung streitet oder die Fakten leugnet und dadurch die Opfer beleidigt, wenn man das Beleidigung nennt und nicht zum allgemeinen Lebensrisiko zaehlt. Es ist jedenfalls politisch aeusserst primitiv gedacht, in dieser Richtung herumzuforschen. Man sollte lieber in der anderen Richtung forschen und sich die Ministerialraete und Ministerien ansehen. Wo die Drecksarbeit an Sekretaewrinnen delegiert wurde. Von hergebrachten Berufsbeamten, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.

    Comment by Heikor — 13.03, 2012 @ 08:47

  8. „Denn ob vorliegende Indizien ausreichen, um auf ein bestimmtes Ereignis zu schließen, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.“

    Genau das ist der Kern des Schwachsinnes!

    Es geht nicht um strafrechtliche Verantwortung und in Dubio pro reo, sondern um Geschichte. Mit dieser Tour hat David Irving um 1975 angefangen, als er behauptete, Hitler habe nichts gewusst, weil man es nicht beweisen koenne. Es gibt in der Geschichte keine Beweisregeln.

    Comment by Heikor — 13.03, 2012 @ 08:51

  9. Vielleicht sollte man — gegen Fischer und Co — sagen, dass wir uns selbst beleidigen. Denn Israelis ist es voellig egal, was Deutsche ueber den Holocaust sagen. „Du willst Dich wohl fuer den Holocaust entschuldigen“… Der Iron Dome ist wichtiger.

    Comment by Heikor — 13.03, 2012 @ 08:56

  10. Das Strafrecht schuetzt hier also die eigenen politische Kultur und die ist meines Erachtens nicht mehr schuetzenswert. Jedenfalls nicht so. Sigmar Gabriel wuenscht man sich doch in die Hoelle!

    Die politische Kultur ist nach buergerlichem Verstaendnis auch keine Angelegenheit des Staates, sondern der Gesellschaft.

    Die Grundbegriffe stimmen nicht mehr.

    Comment by Heikor — 13.03, 2012 @ 09:08

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.