Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.6.11

Netzneutralität gesetzlich verankern?

Anlässlich der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) wird aktuell die Diskussion geführt, ob man das Prinzip der Netzneutralität gesetzlich verankern sollte. Gefordert wird dies insbesondere von der SPD und den Grünen.

Mir fällt in der Diskussion, gerade auch mit Juristen, immer wieder auf, dass es zum Thema Netzneutralität zwei Diskussionsebenen gibt, die munter vermischt werden, was dazu führt, dass über ganz unterschiedliche Dinge diskutiert wird, obwohl alle von Netzneutralität reden.

Die einen verstehen Netzneutralität im rein wirtschaftlichen Sinne dahingehend, dass den Carriern und Providern aufgegeben werden soll, alle Daten gleichberechtigt zu behandeln und zu transportieren. Damit würde eine Priorisierung, die manchen Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen vorschwebt, gesetzlich unterbunden.

Die andere Diskussionsebene ist bürgerrechtlicher Natur und betriftt die Frage staatlicher Eingriffe in technische Abläufe. Beispielsweise Access-Sperren, wie sie in Diktaturen aber auch vereinzelt in europäischen Staaten zum Einsatz kommen, erfordern technische Maßnahmen, die eine Manipulation technischer Abläufe beinhalten. Die Palette reicht hier von der sog. DNS-Sperrung über Proxy-Server-Lösungen bis hin zum Konzept der Deep-Packet-Inspection. Der Staat verpflichtet hierbei technische Dienstleister dazu, bestimmte technische Standards zu manipulieren, um Datenströme bzw. Nutzeranfragen umzuleiten.

Die aktuelle Diskussion um die Novellierung des TKG betrifft letztlich nur den wirtschaftlichen Aspekt der Netzneutralität. Das wird leider aber auch in der politischen Diskussion vermischt, wie beispielsweise der Antrag der Fraktion der Grünen im Bundestag zeigt.

Aus meiner Sicht wäre vorrangig die bürgerrechtliche Diskussion zu führen, die mit der Forderung verbunden werden müsste, dass der Staat keine Maßnahmen – wie Netzsperren – anordnen darf, die technische Dienstleister verpflichten, Daten- oder Nutzerströme künstlich umzuleiten.

Ob allerdings die aktuell diskutierte Verankerung der wirtschaftlichen Netzneutralität im TKG wirklich sinnvoll und notwendig ist, halte ich zumindest für diskutabel. Es erscheint mir nachvollziehbar und entspricht auch gängiger Praxis, dass ein Provider für einen besonders schnellen Internetzugang von seinem Kunden höhere Entgelte verlangt. Aus dem gleichen Grund halte ich es für wirtschaftlich nachvollziehbar, wenn Provider für die Nutzung besonders traffic-intensiver Dienste höhere Entgelte beanspruchen. Eine Priorisierung stellt also nicht per se eine Diskriminierung dar, nur weil für eine intensivere Nutzung mehr Geld verlangt wird . Wenn man das bereits als diskriminierend betrachtet, dann würde das auf die früher durchaus übliche volumenabhängige Abrechnung auch zutreffen.

Wer Netzneutralität in einem solchen wirtschaftlichen Sinne gesetzlich festschreiben will, muss genau erklären, wie eine solche Regelung konkret ausgestaltet sein soll, um nicht über das Ziel hinaus zu schießen. Derzeit mangelt es vor allem an einer ausreichend klaren Definition des Begriffs der Netzneutralität. Die Kritik der SPD, dass im Gesetzestext das Wort Netzneutralität noch nicht einmal vorkommt, ist vor diesem Hintergrund schwer verständlich. Solange man keine exakte Legaldefinition gefunden hat, ist es sicherlich besser, den Begriff nicht als Rechtsbegriff zu etablieren, weil man damit wiederum nur Auslegungsspielraum in alle Richtungen schaffen würde.

posted by Stadler at 14:06  

11 Comments

  1. Es wäre eigentlich gar nicht schwierig, wenn nicht ständig bestimmte Parteien in der Debatte absichtlich die Begriffe verwischen würden. Das Kernthema ist die inhaltsneutrale Abrechnung.

    Okay: 5 GiB kosten 10 EUR – egal, was drin ist.
    Nicht okay: 5 GiB Tagesschau kosten 5 EUR, 5 GiB Youtube kosten 40 EUR – obwohl der Provider exakt die selbe Leistung erbringt.

    Ob man das explizit gesetzlich erwähnen muss, bezweifle ich allerdings auch. Meiner Ansicht nach ergibt es sich bereits durch Anwendung des Fernmeldegeheimnisses. Wenn dem Provider absolut verboten ist, nachzuprüfen, ob ich Tagesschau oder Youtube gucke, kann er auch nicht danach abrechnen, und das dürfte es sein. Dem widersprechende AGB sind unwirksam. Das müsste man bloß konsequent durchsetzen und nicht schüchtern mit Bußgeldern sein.

    Comment by Maik — 9.06, 2011 @ 14:18

  2. Voll d’accord – aber das wissen wir ja beide voneinander spätestens seit der Enquete :-)

    Nur ein Aspekt geht immer wieder unter: Manch ein Provider nutzt schlichte Marktmacht und mischt sich in die Kundenbeziehungen seiner Wettbewerber ein. Er verlangt Geld für die Annahme bestimmter Daten, also für etwas, dessen kostenlose Annahme das Wirtschaftsmodell des Internet von Anfang an war („Peering“).

    Da ist ein Problem. Es verzerrt möglicherweise den Markt stark und trägt zur Oligopolbildung bei. Daher verstehe ich es sehr gut, wenn ich lese, dass der eine oder andere fordert, man möge regulatorisch das Peering verpflichtend machen für Unternehmen mit großer Marktmacht.

    Ich bin allerdings immer noch dagegen, einfach weil ich gegen Regulierung jedweder Art misstrauisch bin. Zuviel Regulierung schadet mehr, als sie nützt.

    Das Internet wird übrigens ständig unterschätzt :-) – schließlich ist es gegen den Widerstand jener Telekom-munikationsunternehmen entstanden, die heute vom Kuchen nicht genug abbekommen können.

    Comment by SvB — 9.06, 2011 @ 14:24

  3. dazu hat Kristian Koehntopp einige sehr interessante und schlaue Gedanken (alle 3 Teile lesen!):
    http://blog.koehntopp.de/archives/2936-Netzneutralitaet-was-ist-okay-und-was-ist-es-nicht.html

    Aus seinen Ideen folgt auch, dass beide Aspekte (technisch und bürgerrechtlich) eng verbunden sind. Wenn die ISPs nämlich zur Priorisierung in die Pakete reingucken müssen|können|dürfen, fällt der neutrale „Providerstatus“ (reine Transportfunktion) aus dem TMG in sich zusammen und die Verordnung von Netzsperren fällt wesentlich leichter — eben weil die ISPs ja im Prinzip wissen, was drin steckt und nicht nur blind Pakete befördern … und genau das will ja niemand, der Wert auf sein GG legt.

    Comment by ths — 9.06, 2011 @ 14:30

  4. @Maik: Wenn ich etwas „nicht ok“ finde, dann mache ich mit dem entsprechenden Unternehmen keine Verträge. Mache ich es doch, bin ich ja offensichtlich einverstanden.

    Man kann übrigens schnell herausbekommen, ob jemand YouTube schaut, ohne das Fernmeldegeheimnis in irgendeiner Form zu verletzen. Umgekehrt ist es klar, daß das, was heute bereits verboten ist, nicht nochmal verboten werden muss, da sind wir wieder beieinander.

    Comment by SvB — 9.06, 2011 @ 14:31

  5. Die Gefahr, um die es sich doch bei der „wirtschaftlichen“ Seite der Netzneutralitaet dreht ist doch die digitale Wegelagerei/Erpressung der Netzbetreiber: „Liebes Unternehmen X, wenn Du uns nicht extra Geld gibst, so bremsen wir Dein Angebot bei unseren Kunden so aus, dass Du Schaden nimmst!“. Ohne Netzneutralitaet muss ich als Betreiber eines Internetangebots eben damit rechnen, dass die Netzbetreiber mir drohen, mich auszubremsen, wenn ich kein Schutzgeld bezahle. Und zwar unabhaengig davon, wieviel und was fuer Traffic ich verursache. Es geht nicht darum, dass viel Traffic, grosse Bandbreite, geringe Latenz oder sowas teuer sein duerfen, sondern es geht darum, einzelne Anbieter diskriminieren zu koennen.

    Comment by Robert — 9.06, 2011 @ 15:25

  6. Der Punkt, den Robert anspricht, ist genau der, warum es sich eben nicht um zwei parallele, sondern um ein und dasselbe Thema handelt. Wer anfängt manche Inhalte bevorzugt zu transportieren, der kann halt auch irgendwann mal andere so langsam transportieren, dass sie nicht mehr ankommen. Dann ist der Inhalt genauso zugriffsgesperrt für den Kunden wie auf jede andere Weise.

    Ein wirklich zugkräftiges Argument für die Wirtschaftlichkeit eines Internets mit verschiedenen Geschwindigkeiten hat mich übrigens noch nicht erreicht.

    Wenn es kleinere Datenmengen gibt, die angeblich nicht so zeitkritisch sind, dann besteht auch kein großer Aufwand sie gleichberechtigt zu transportieren, da sie am Gesamzvolumen jedes Benutzers ja nicht soviel ausmachen. Wenn sie aber am Gesamtvolumen des Kunden doch viel ausmachen, aber trotzdem an sich kleine Mengen sind, dann hat der Kunde wohl sehr viele dieser kleinen Mengen und sie scheinen für ihn dann doch wichtiger zu sein. Alles andere (Downloads oder Streams einzeln bevorteilen/benachteiligen) kann der Kunde auch bequem selbst regeln; die Werkzeuge dafür sind ausgereift und kinderleicht zu bedienen.

    Comment by VonFernSeher — 9.06, 2011 @ 17:45

  7. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die LINKE die gesetzliche Verankerung nach bestimmten kriterien ebenfalls fordert: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/048/1704843.pdf

    Comment by Jörg Braun — 9.06, 2011 @ 18:48

  8. Hallo Thomas,

    eine weitere Ebene tut sich m.E. auf: Der „Clash der Kulturen“. Das Netz lebt(e) davon, dass alle Meinungen gleichberechtigt sind, alle Medien entsprechend auch und entsprechend alle Pakete. Die Netizens wehren sich mit aller Macht, dass Unternehmen diesen kulturellen Grundsatz über Bord werfen.

    Dieser kulturelle Unterschied ist auch ein Fundament der Opposition der Netizens gegen staatliche Einmischung in die Datenströme. Sie verstößt nach unserer Meinung gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.

    Beides wichtigere Güter als das Recht der Service Provider, Geld mit immer neuen Tricks zu scheffeln.

    Schönen Gruß
    Aleks

    Comment by Aleks A. — 10.06, 2011 @ 08:56

  9. Thomas, ich kann nicht so ganz zustimmen. Wenn eine wirtschaftlich motivierte Verletzung der Netzneutralität nicht erlaubt ist, dann sind staatliche Eingriffe in technische Abläufe nicht mit diesen Mitteln möglich. Die wirtschaftliche Komponente ist wenigstens notwendige Bedingung.

    Selbstverständlich ist ein höheres Entgelt für einen schnellen Internetzugang oder ein höheres Datenvolumen keine Verletzung der Netzneutralität. Selbst eine Priorisierung von benutzerdefinierten Übertragungsklassen stellt keine Verletzung dar. Eine Verletzung ist es, wenn Daten von Youtube oder Google extra kosten – egal ob Google oder der Kunde das bezahlen muss.

    Eine Priorisierung oder unerwartete Manipulation durch den Provider stellt sehr leicht eine Diskriminierung – oder soll man sagen eine Erpressung – dar. Provider könnten dem Einfluss von Interessengruppen oder Regierungen unterliegen.

    Eine Geldforderung durch den Provider muss einen gerechten Gegenwert bringen. Die Post kann schließlich auch nicht sagen, da würde ein Produkt der Firma xyz verschickt. Das kostet mehr – weil xyz massenhaft ihr Produkt verschickt. Die Post hat den Transport weder vom Absender oder Empfänger und schon gar nicht vom Packetinhalt abhängig zu machen. Vorsicht Glas – übersetzt vielleicht mit tolle Latenzzeit – das geht.

    Über die zusätzlichen Gefahren einer Verletzung der Netzneutralität für die Pirvatspäre, Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie, da sind wir uns wohl einig.

    Link: http://yuccatree.de/2010/08/google-jetzt-offiziell-evil-initiative-pro-netzneutralitat-gegrundet/

    Comment by Joachim — 10.06, 2011 @ 18:21

  10. Einen Punkt vermisse ich in der Diskussion. Es wird immer von Unternehmen gesprochen, die höhere Entgelte für die schnelle Weiterreichung der Daten zahlen sollen, wenn sie keinen Wirtschaftlichen Schaden tragen wollen. Aber es gibt genügend private und non-Profit Seiten. Und wer will für ein privates Projekt, in das er viel Zeit investiert noch extra Geld an die ISPs Abdrücken? Und nein, nicht alle sind so klein,das sie nur ein paar Mega- oder Gigabyte im Monat übertragen. Wenn man aber nicht zahlt und die Bandbreite zugunsten zahlender Anbieter begrenzt wird, springen vielleicht viele Besucher wegen langsamer Ladezeit wieder ab. faktisch kann man so ein Angebot dann einstellen. Das mag jetzt sehr nach Schwarzmalerei klingen, aber man muss einfach auch damit rechnen.

    Comment by Alex E. — 15.06, 2011 @ 11:40

  11. Die Probleme mit der Netzneutralität fangen dich schon mit so Dingen wie Providerhaftung an. Wenn den Providern hier schon die Pistole auf die Brust gesetzt wird, können sie doch gar nicht mehr anders als in den Netzverkehr einzugreifen. Die Provider sind bei der Einschränkung der Netzneutralität nicht die einzigen „Täter“, der Staat selbst mischt da ebenfalls mit. Will man die Provider nun zwingen den Netzverkehr „neutral“ zu behandeln bzw. auf die Werkzeuge zu verzichten, die die Ungleichbehandlung ermöglichen, und sie gleichzeitig für die transportierten Inhalte verantwortlich machen, schafft man ihnen eine unlösbare Aufgabe.

    Eine Partei immerhin berücksichtigt alle diese Punkte: http://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm#Teilhabe_am_digitalen_Leben ;)

    Comment by SD — 1.07, 2011 @ 18:11

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