Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

8.6.10

Die Datensammler vom BKA

Der Kollege Vetter ereifert sich – nicht ganz zu Unrecht – über eine Verordnung der Bundesinnenministeriums, die den schönen Namen „Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen“ trägt und die gerade die Zustimmung des Bundesrats erhalten hat.

Wer verstehen will, worum es geht, muss zunächst die §§ 8 und 9 des BKAG lesen, denn diese Vorschriften bilden nach § 7 Abs. 6 BKAG die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung.

Ich muss gestehen, dass ich die Vorschrift des § 8 BKAG heute zum ersten Mal lese und ich muss weiter gestehen, dass ich speziell § 8 Abs. 2 BKAG auch nicht verstehe. Die Vorschrift lautet:

„Weitere personenbezogene Daten von Beschuldigten und personenbezogene Daten von Personen, die einer Straftat verdächtig sind, kann das Bundeskriminalamt nur speichern, verändern und nutzen, soweit dies erforderlich ist, weil wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß Strafverfahren gegen den Beschuldigten oder Tatverdächtigen zu führen sind.“

Weitere personenbezogene Daten – also über Abs. 1 hinaus – dürfen dann gespeichert werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass gegen Beschuldigte oder Tatverdächtige ein Strafverfahren zu führen ist. Man möchte doch meinen, dass bei Beschuldigten und Tatverdächtigen regelmäßig Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens besteht, im Falle von Beschuldigten muss sogar schon ein Ermittlungsverfahren bestehen, weil dieses Verfahren den Beschuldigtenstatus überhaupt erst begründet.

Was unter weitere personenbezogene Daten zu verstehen ist, besagt das Gesetz nicht, sondern überlässt es vielmehr dem Verordnungsgeber. Ob das allerdings der Vorgabe der sog. Wesentlichkeitstheorie entspricht, die besagt, dass der Gesetzgeber das Wesentliche selbst zu regeln hat und nicht der Exekutive überlassen darf, wird man bezweifeln dürfen.

Ein Blick in § 2 der Verordnung offenbart allerdings ein weiteres Problem. Denn dort wird keineswegs nur die Art der Daten näher bestimmt, wie der Titel der Verordnung vorgibt. Vielmehr wird der Kreis der Betroffenen Personen erheblich erweitert. Die Verordnung spricht von „Beziehungen zu Personen“ und „Gruppenzugehörigkeit“, von „Gefährdern“ und „relevante Person“.

Bei der Lektüre dieser Begriffe muss ich spontan an Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ denken. Wer also in irgendeiner Beziehung zu einem Tatverdächtigen steht oder nur derselben Gruppe (Sportverein, Stammtisch?) angehört, kann auf diesem Umweg in einer Datei des BKA landen. Und relevant wird im Zweifel jede Person sein, die die Ermittlungsbehörden, aufgrund welcher absurden Umstände auch immer, für relevant erachten. Wenn man sich den uferlosen Katalog des § 2 der Verordnung ansieht, muss man ohne weiteres zu der Schlussfolgerung gelangen, dass diese Vorschrift von seiner gesetzlichen Ermächtigungsnorm nicht gedeckt ist.

Und der gesetzlichen Regelung selbst, insbesondere § 8 Abs. 2 BKAG, mangelt es nicht nur an der erforderlichen Normklarheit. Die Regelung wonach bei Beschuldigten Grund zur Annahme bestehen muss, dass gegen sie ein Strafverfahren geführt wird, stellt eine Tautologie dar.

posted by Stadler at 08:00  

11 Comments

  1. „Man möchte doch meinen, dass bei Beschuldigten und Tatverdächtigen regelmäßig Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens besteht, im Falle von Beschuldigten muss sogar schon ein Ermittlungsverfahren bestehen, weil dieses Verfahren den Beschuldigtenstatus überhaupt erst begründet.“

    Das ist – wie leider so manche Stellungnahme zu dieser Verordnung – so nicht richtig, auch wenn ich kein Fürsprecher der Sicherheits-Datensammelwut deutscher Behörden bin.

    Es gibt aber Konstellationen, in denen z.B. ein Beschuldigter keinem Strafverfahren ausgesetzt ist. Man findet so einen Fall z.B. in den §§153c, f I StPO.

    Ansonsten bitte meinen etwas umfassenderen Kommentar eben via Facebook beachten.

    Comment by Jens Ferner — 8.06, 2010 @ 08:30

  2. Heise hat hierüber berichtet:
    http://tinyurl.com/2uzms8o

    Für mich die Schaffung eines „Freibriefes“, wirklich jeden in irgendeine – auch noch zu schaffende – Datei einordnen zu können. Völlig unkontrolliert und unbeobachtet. Das BKA ist ein Schritt weiter in den Bestrebungen, das deutsche FBI zu werden doer schlimmer, die universelle Überwachungsbehörde.
    Ich befürchte, dass die Verordnung in den Tagesthemen – gewollt – untergeht. Hier müsste mal richtig getrommelt werden. Vielleicht klagt ja jemand.

    Comment by GustavMahler — 8.06, 2010 @ 09:17

  3. @Jens Ferner: Da muss ich leider widersprechen. Meine Aussage ist in dieser Form richtig. Die §§ 153 ff. regeln nur die Fälle, in denen von einer strafgerichtlichen Verfolgung von Straftaten abgesehen wird. Ein Ermittlungsverfahren ist da aber vorausgegangen. Beschuldigter im Sinne der StPO ist nur der Tatverdächtige gegen den das Verfahren als Beschuldigter geführt wird (BGH).

    Comment by Stadler — 8.06, 2010 @ 10:24

  4. Es gibt ja auch noch den § 8 Abs. 5 BKAG:

    „Personenbezogene Daten sonstiger Personen kann das Bundeskriminalamt in Dateien speichern, verändern und nutzen, soweit dies erforderlich ist, weil bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden.“

    Da steht nichts mehr davon drin, dass der Betroffene Beschuldigter oder Verdächtiger sein muss. Es kommt nur auf eine Zukunftsprognose an. Diese kann natürlich mit allem möglichen gerechtfertigt werden (Teilnahme an einer Demo, kritische Äußerungen). Die Einschränkung „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ ist wenig wert, da für das BKA praktisch alles Straftaten von erheblicher Bedeutung sind.

    Comment by Udo Vetter — 8.06, 2010 @ 10:53

  5. Seltsam ist auch die Verwendung der Termini „speichern, verändern und nutzen“. Üblicherweise werden Daten erhoben, verarbeitet und genutzt. Das Erheben ist also offenbar nicht mit einbezogen, vielmehr scheinen die Daten schon vorzuliegen, werden aber in eine gemeinsame Datei aufgenommen. Inwiefern die gespeicherten Daten vom BKA verändert, also inhaltlich umgestaltet werden können, ist mir zudem schleierhaft.

    Comment by Duke — 8.06, 2010 @ 11:35

  6. Unglaublich, wie viele personenbezogene Daten, unter anderem auch (im Hinblick auf die politische Motivation) besondere personenbezogene Daten dort gespeichert werden und wer darauf alles zugreifen kann. Mit den Grundprinzipien, die im Datenschutz gelten oder der Beachtung von Persönlichkeitsrechten hat das wenig zu tun. Vor allem, wenn man sich die Konsequenzen einer solchen Speicherung für den jeweils Betroffenen vor Augen führt. Siehe hierzu auch http://www.datenschutzbeauftragter-info.de/alles-was-recht-ist-die-verbunddatei-gewalttaeter-sport/

    Comment by Datenschutzbeauftragter INFO — 8.06, 2010 @ 17:35

  7. @6:

    Was derzeit abgeht ist in der Tat mehr als äußerst bedenklich. In fast schon regelmäßiger Unverschämtheit wird eins der -in meinen Augen- wichtigsten Grundprinzipien des Datenschutzes mit Füßen getreten: Datensparsamkeit! Daß zudem weder eine Verhältnismäßigkeit noch Zweckmäßigkeit erkennbar ist, ist dabei ja fast schon -traurigerweise- nebensächlich…

    Sollten wir nicht aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben? Sind wir („unsere Generation“) nicht sogar in der Pflicht, allein aus Verantwortung für unsere Kinder und Kindeskinder, gegen solch eine Mißachtung unserer Persönlichkeitsrechte vorzugehen?

    Immerhin kennen wir doch alle das Ergebnis einer aufoktruieren „StaatsSICHERHEIT“ führen kann.

    Provokativ-sarkastisch: Gegen die BRD 2.0 (mit den heutigen technologischen Möglichkeiten) war die DDR ein Freizeitcamp und George Orwells „1984“ Lach- und Sachgeschichten…

    Da hatte übrigens der (vermutliche) Urheber des folgenden Zitates, Benjamin Franklin, bereits im 18. Jhd. einen beachtlichen Weitblick:

    „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen – der wird am Ende beides verlieren“

    @Th. Stadler, Udo Vetter oder andere, die sich mit Gesetzen auskennen:
    Als Laie, der quasi im „Selbststudium“ versucht das ein oder andere Gesetz nachzuvollziehen, fand ich in den meisten Gesetzen immer irgend einen Paragraphen der quasi kurz den Sinn und Zweck erläutert, wie beispielsweise im Fall UrhG, der § 11.

    Wo kann ich denn so etwas beim BKAG finden? Für mich liest sich das einfach wie eine Liste mit Sonderbefugnissen, welche sich gegen die Grundrechte des eigenen Volk auswirken können.
    Wie passt das zum Artikel 20 Absatz 3 GG?

    Sorry für die evtl. naive Frage, aber ich möchte ja gerne auch dazulernen.

    Danke und Gruß, Baxter

    Comment by Baxter — 8.06, 2010 @ 18:08

  8. Provokativ-sarkastisch: Gegen die BRD 2.0 (mit den heutigen technologischen Möglichkeiten) war die DDR ein Freizeitcamp und George Orwells “1984″ Lach- und Sachgeschichten…

    Solche Vergleiche sind nicht angebracht und verharmlosen in meinen Augen DDR-Unrecht. So einen Vergleich als argumentativ-rhetorische Keule einzusetzen ist sehr gefährlich, leitet in die Irre und führt die Diskussion insgesamt nicht weiter. Zudem setzt man sich der Gefahr der eigenen Unglaubwürdigkeit und Neigung zur Übertreibung aus.

    Ja, es geht um Datenschutz. Ja, das BKAG weckt Bedenken. Aber es ist auch nicht der Untergang des Abendlandes. Immerhin gibt es rechtsstaatliche Mittel, dieses Gesetz überprüfen zu lassen und freie Wahlen.

    Das musste mal gesagt werden. Und jetzt will ich von Stasi-Vergleichen nichts mehr hören.

    Comment by Duke — 8.06, 2010 @ 19:17

  9. 1. steht da extra „provokativ-sarkastisch“ vor dem provokativ-sarkastischen Kommentar und 2.: Sorry, ich hatte nicht die Absicht, eine Mauer zu errichten…

    Und 3. empfehle ich dir deinen Satz noch einmal durchzulesen: „Immerhin gibt es rechtsstaatliche Mittel, dieses Gesetz überprüfen zu lassen und freie Wahlen.“ Findest du den in sich stimmig? Freie demokratische Wahlen, aber dann selbst Gesetze überprüfen lassen – trotz existierender Verfassung, an die sich die zuvor frei gewählten Volksvertreter zu halten haben und auch einen Eid darauf geschworen haben. Ich weiß nicht, ob das dem Sinn der Sache entspricht, zumal die Rate der Verfassungsbeschwerden enorm angestiegen sein soll…

    Natürlich ist es gut möglich aber auch absolut OK, daß meine Sarkasmus im vorherigen Beitrag nicht jedermanns Sache ist. Jeder Jeck ist nun ‚mal anders… Eine Untertreibung und eine Verharmlosung, zum Beispiel, ist hingegen nicht unbedingt mein persönlicher Fall, aber gerade unterschiedliche Ansichten finde ich persönlich einer Diskussion förderlich.

    Das Recht seine Meinung frei äußern zu dürfen ist doch eine herrliche Sache.

    Das kann die Frau Zensursula bestimmt bestätigen…

    In diesem Sinne, Baxter

    Comment by Baxter — 8.06, 2010 @ 19:55

  10. Ja, „provokativ-sarkastisch“ hab ich gelesen, aber d.h. ja auch, dass Du zum Widerspruch reizen wolltest. Und der hat sich in mir geregt.
    Meinungsfreiheit ist toll – ich habe sie nämlich damit auch in Anspruch genommen. Ich denke, damit haben wir das eigentlich auch geklärt, oder?

    Immerhin gibt es rechtsstaatliche Mittel, dieses Gesetz überprüfen zu lassen und freie Wahlen.

    Ich bin froh, dass so eine Möglichkeit gibt. Leider ist der Gesetzgeber nämlich – was Du zu Recht kritisiert hast – immer seltener in der Lage (oder willens?), verfassungskonforme Gesetze zu verabschieden.

    Comment by Duke — 8.06, 2010 @ 21:57

  11. Sehe ich das richtig das man jetzt damit ganz einfach alles speichern kann, also z.B. DNA-Profile komplett und bis in alle Ewigkeit. Das ist ja praktisch

    Comment by mark — 9.06, 2010 @ 18:35

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