Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.10.09

Nichtanwendungserlass für das Zugangserschwerungsgesetz

Der in den Koalitionsverhandlungen vereinbarte Kompromiss zu den Netzsperren, wonach für die Dauer von einem Jahr nur gelöscht und nicht gesperrt werden soll, soll offenbar über einen Anwendungserlass geregelt werden, der dem BKA aufgibt, keine Sperrlisten zu erstellen und solche Listen auch nicht weiterzuleiten.

Es handelt sich dabei um eine rechtsstaatlich äußerst fragwürdige Lösung, weil es nicht Sache der Exekutive ist, über die Anwendung eines Gesetzes zu entscheiden. Es gilt hier der Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Gerade derartige Lösungen sind der Grund dafür, dass die Position des Parlaments immer stärker geschwächt wird und die Gewaltenteilung zunehmend ins Wanken gerät. Das gibt Anlass zur Besorgnis, die weit über den konkreten Fall der Netzsperren hinausreicht.

Nachdem das BKA als Behörde an die Gesetze gebunden ist, ist es auch verpflichtet, mit Inkrafttreten des Zugangserschwerungsgesetzes nach dessen § 1 Sperrlisten zu erstellen. Ein Nichtanwendungserlass der dem BKA aufgibt, genau das nicht zu tun, ist deshalb rechtswidrig.

Auch wenn man das erzielte Ergebnis begrüßt, kann man nicht nicht darüber hinwegsehen, dass es nicht mit rechtsstaatlich einwandfreien Mitteln erreicht werden soll.

posted by Stadler at 07:50  

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  1. In der Tat: ich halte das vorgehen aus Perspektive der Gewaltenteilung auch für äußerst bedenklich: Die Regierung darf nicht einfach beschließen, rechtsstaatlich zustande gekommene Gesetze einfach nicht zu exekutieren. Müssen wir jetzt FÜR das Zugangserschwerungsgesetz Stellung nehmen, um hier nicht einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen?

    Comment by Henning Ernst Müller — 16.10, 2009 @ 08:41

  2. Die Herren reden Unsinn. Einen Automatismus gibt es nach dem ZugErschwG nicht. In § 1 Abs. 2 ZugErschwG steht vielmehr eine mit einem Beurteilungsspielraum (unbestimmter Rechtsbegriff "erfolgversprechend") versehene Einschränkung, die jetzt mit dem einjähigen Prüfauftrag konkretisiert wird.

    Comment by Johannes — 16.10, 2009 @ 08:51

  3. @Johannes:
    Starke Worte. Mir zu unterstellen, Unsinn zu reden ist eine Sache, aber einem gestandenen Hochschulprofessor?

    Ihr Einwand ist aber auch sachlich falsch. Sie verwechseln wohl zunächst Ermessen und Beurteilungsspielraum.
    "In § 1 Abs. 1 heißt es: "Das Bundeskriminalamt führt eine Liste (…) Es stellt den Diensteanbietern (…) täglich zu einem diesen mitzuteilenden Zeitpunkt eine aktuelle Sperrliste zur Verfügung."

    Das ist eine rechtlich gebundene Entscheidung, von Ermessen keine Spur. Das wird durch die Worte "führt" und "stellt" rechtstechnisch deutlich zum Ausdruck gebracht.

    § 1 Abs. 1 besagt also, dass das BKA Sperrlisten erstellen muss und diese auch weiterzuleiten hat. An dieser Stelle gibt es keinen Handlungsspielraum.

    § 1 Abs. 2 regelt dann nur noch die Modalitäten nach denen Inhalte auf die Sperrliste kommen. An dieser Stelle werden auch – wie so oft – unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet, deren Auslegung durch das BKA aber gerichtlich voll überprüfbar ist.

    Comment by Pavement — 16.10, 2009 @ 09:09

  4. Was Sie (und der Herr Professor [für Strafrecht!]) schreiben, ist leider immer noch falsch.

    Ohne Prüfung des "Erfolgversprechens" gibt es überhaupt keine Sperrliste.

    Und natürlich ist das ein klarer Fall, in dem die Gerichte – die in der konkreten Konstellation natürlich nie angerufen werden (von wem auch?) – einen Beurteilungsspielraum anerkennen würden.

    Comment by Anonymous — 16.10, 2009 @ 09:28

  5. Ich finde das Vorgehen insgesamt sehr ärgerlich.

    Wenn ein Gesetz inhaltlich falsch ist, dann muss es beseitigt und nicht durch irgendwelche Spitzfindigkeiten umgangen werden.

    Um dem BKA zu sagen, dass es versuchen soll illegale Webseiten löschen zu lassen und die Täter zu verfolgen, braucht man das Gesetz nicht.

    Ich bezweifle sogar, dass man dazu überhaupt eine zusätzliche Arbeitsanweisung braucht.

    Außerdem: was soll das für ein Gesetz sein, bei welchem sich die Verwaltung nach eigenem Ermessen aussuchen kann ob sie es umsetzt oder nicht? Man sollte es wohl besser umtaufen in Zugangssperrenermächtigungsgesetz.

    Comment by Anonymous — 16.10, 2009 @ 10:14

  6. Die Auslegung unbestimmer Rechtsbegriffe ist voll justitiabel. Lediglich das Ermessen ist eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar.

    Comment by Pavement — 16.10, 2009 @ 10:49

  7. Bislang ist nicht bekannt gegeben worden, mit welchem "trick" die ausführung des Gesetzes faktisch verzögert wird. Die pauschale Angabe, das Gesetz werde dann einfach ein jahr lang nicht exekutiert, ist aus den genannten gründen höchst problematisch. Ein "Trick" könnte – insofern stimme ich Johannes und Anonymus 1 zu – darin bestehen die "angemessene Zeit" in § 1 Abs.2 auf 12 Monate auszudehnen. Das widerspricht zwar dem ursprünglichen Gesetzeszweck Danach wäre nämlich die "angemessene Zeit" für erfolgversprechende Löschversuche sicherlich eher kurz zu bemessen, vielleicht in Tagen oder maximal Wochen, da ja laut Angaben der Politiker unbedingter und sofortiger Handlungsbedarf bestand. Aber – insofern trifft sicherlich die Einschätzung zu: wo kein Kläger, da kein Richter – so kann man es machen. Herrn Stadlers und mein (demokratietheoretischer und rechtsstaatlicher) Einwand trifft dennoch zu.

    Comment by Henning Ernst Müller — 16.10, 2009 @ 13:19

  8. "wo kein Kläger, da kein Richter" – wer wäre denn legitimiert, gegen einen Nichtanwendungserlass zu klagen?

    Comment by Anonymous — 16.10, 2009 @ 14:38

  9. @Anonym

    Niemand müsste klagen. Das BKA, das von Anfang an für die Internetzensur war, könnte trotz des Koalitionsbeschlusses Sperrlisten erstellen, und diese trotzdem an die ISPs weiter geben, deren Zensurinfrastruktur ja angeblich schon mitten im Aufbau sei und die ohnehin schon "freiwillig" die Zensurverträge mit von der Leyen unterschrieben haben. Sie würden dann einfach geltendes Recht anwenden, und niemand könnten ihnen was.

    Comment by Stefan — 16.10, 2009 @ 16:03

  10. @Stefan: nicht wer müsste, sondern wer könnte war meine Frage. Auch nicht gegen das Gesetz, sondern gegen eine eventuelle Nichtanwendungsverfügung.

    Comment by Anonymous — 16.10, 2009 @ 16:53

  11. Ich versteh das mit der Exekutive immer noch nicht. Die Exekutive ist doch die ausführende Gewalt, also kann die ausführende Gewalt doch entscheiden, wie sie Gesetze auszuführen pflegt. Das ist doch gerade Sinn der Gewaltenteilung.

    Falls das BKA also der Regierung unterstellt ist, dann sehe ich da kein Problem.
    Kann mich da jemand aufklären?

    Comment by Arne — 17.10, 2009 @ 01:55

  12. Ja, gerne: die Legislative macht die Gesetze, die von der Exekutive ausgeführt werden. Die Verwaltung (=Exekutive) kann nicht einfach Gesetze außer Kraft setzen, indem sie sie nicht mehr anwendet. Wenn die frühere Mehrheit des Bundestages ein Gesetz beschlossen hat, muss dieses auch von einer späteren Regierung, die von einer anderen Mehrheit getragen wird, ausgeführt werden. Wenn sie das nicht will, muss eben die neue Bundestagsmehrheit ein neues Gesetz beschließen.

    Comment by Henning Ernst Müller — 17.10, 2009 @ 10:54

  13. @Johannes:
    Auch eine leere Liste ist eine Liste – aber eine, die eben leer ist. Das dürften zumindest die Informatiker so sehen, in der Software-Entwicklung ist das üblich.
    Sprich: nach dem Gesetz müsste/könnte das BKA eben eine leere Liste an die Provider weitergeben. Diese müssten die Infrastruktur aufrecht erhalten und wissen u.U. ja noch nicht mal, wie groß die Liste ist bzw. was drauf steht (was auch bedenklich ist, aber das ist eine andere Sache).
    Zumal ja, wie hier angemerkt wurde, der Anwendungserlass jederzeit geändert werden kann. Und wenn dann die Übergangsfrist vorbei ist …

    Also: wir werden uns das Ergebnis (den Erlass) noch genau anschauen müssen.

    Comment by Alvar Freude — 18.10, 2009 @ 12:22

  14. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist ungültig wegen Verstoßes gegen das "Zitiergebot" aus Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 GG.

    Hä, was ist los?

    Ja, kannst Du glauben, mussu gucken hier: http://vorratsdatenspeicherung.wordpress.com

    Versteh ich nicht!

    Du nicht sprechen deutsch?

    Doch, is mir aber zu juristisch, da muss ich erst meinen Anwalt fragen.

    Und, was hatter jesacht?

    Äh, stimmt schon, krieg ich aber nich durch, weil das keinen interessiert und ich kein Geld habe um Recht zu bekommen.

    Stimmt Dich das nicht bedenklich?

    Nö, wieso, ich weiß eh, dass die alle machen was sie wollen.

    Stimmt Dich das nicht bedenklich?

    Nö, ich mach ja auch, was ich will!

    Wirklich?

    Na ja, eigentlich nicht, aber was soll ich denn machen?

    Mach Dich schlau!

    Wo denn?

    Mussu gucken hier: http://verfassungsschutz.wordpress.com

    Versteh ich nicht!

    Du nicht sprechen deutsch?

    Doch, is mir aber zu juristisch, da muss ich erst meinen Anwalt fragen.

    Und, was hatter jesacht?

    Äh, ich soll dolle auffe Straße gehn und die böse Regierung bitten, es mir ein bisschen leichter zu machen, weil Recht kriegt man hier eh nich.

    Doof oder?

    Ja, aber was soll ich denn machen?

    Comment by Bürgerinitiative für Verfassungsschutz — 18.10, 2009 @ 16:35

  15. Ich frage mich, wie ein "Nichtanwendungserlass", überhaupt aussehen soll. Der Erlass müsste m.E. durch das Innenministerium erfolgen. Welcher Innenminister, und dies traue ich nicht einmal Dr. Schäuble zu, wird die nachgeordneten Behörde (BKA)anweisen, ein vom Parlament beschlossenes Gesetz nicht umzusetzen. M.E. wäre dies einmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte.

    Im Grundstz würde dies bedeuten, dass ein jeder Minister nach Gutdünken entscheiden kann, ob er Gesetze beachtet, oder nicht.

    Viel spannender sehe ich die Frage, ob sich Herr Köhler dazu entschliesst, das Gesetz überhaupt zu unterschreiben. Neben schon von Dr. Max Stadler (FDP) und Experten angemerkten verfahrensrechtlichen Problemen steht auch noch die jüngste Äusserung von Dr. Schäuble im Raum, wonach das Gesetz handwerkliche Fehler birge und vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahlen zu sehen ist.

    Comment by Anonymous — 21.10, 2009 @ 16:49

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