Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.10.09

Der Gerichtsstand ist fliegend

Das Internet macht das möglich, was Juristen gerne als Forum-Shopping bezeichnen und was einzelne Gerichte mittlerweile als rechtsmissbräuchlich ansehen.

Es geht darum, dass bei Rechtsverstößen, die über das Internet begangen werden, häufig Gerichte angerufen werden, bei denen man auf eine günstige Entscheidung hofft, oder die sich sehr weit entfernt vom Sitz des Beklagten befinden, die aber ansonsten keine Nähe zur Sache oder den Parteien aufweisen. Möglich ist das deshalb, weil die Rechtsprechung davon ausgeht, dass ein Gerichtsstand überall dort begründet ist, wo das rechtsverletzende Angebot bestimmungsgemäß abrufbar ist.

Ein derartiges Vorgehen sehen mittlerweile einzelne Gerichte unter gewissen Umständen als rechtsmissbräuchlich an. So z.B. das OLG Brandenburg in einer aktuellen Entscheidung vom 17.09.2009 (AZ: 6 W 141/09).

Es gibt freilich andererseits auch Gerichte, die eine eigene Zuständigkeit bereits dann bejahen, wenn selbst nach den Kriterien des sog. fliegenden Gerichtsstands kein Anknüpfungspunkt ersichtlich ist. So geschehen unlängst beim Landgericht Köln (Az.: 84 O 135/09) das sich zuständig fühlt für ein Telefonat mit (angeblich) wettbewerbswidrigem Inhalt, wobei von den beiden Gesprächspartnern der eine im Südwesten und der andere im Nordosten der Republik sitzt. Ein Bezug zu Köln besteht also nicht ansatzweise. Der Antragsteller hat zwar zur Begründung der Zuständigekeit vorgetragen, dass die Gefahr bestehe, dass von den Antragsgegnern auch jemand in Köln angerufen werden könnte (Erstbegehungsgefahr), ohne aber näher zu erläutern, aus welchen Gründen er Anlass für diese Annahme hat. Bin doch sehr gespannt, was man mir in der mündlichen Verhandlung hierzu erzählen wird.

posted by Stadler at 11:00  

Keine Kommentare

  1. Man muss als Rechtsanwalt (auch auf der Passivseite!) und Mandant sehr dankbar sein, dass es den fliegenden gerichtsstand gibt: Nur dieses Instrument gewährleistet die Qualität der Rechtsprechung, da es die Anrufung spezialisierter Gerichte ermöglicht. Das dümmliche Missbrauchsgeschrei ist eine Erfindung von Kollegen, die (gut) davon leben, "Abmahnopfer" zu vertreten und hin und wieder vor Dorfgerichten einen Erfolg erzielen. In den wenigen begründeten Missbrauchsfällen geht dies in Ordnung.
    Wie auch Mitglieder des 1. Zivilsenats am BGH und der Richterbund schon geäußert haben, sind gesetzgeberische Bestrebungen zur Abschaffung des fliegenden gerichtsstands nicht wünschenswert. Er sollte vielmehr auch auf nicht-deliktische Ansprüche erweitert werden, der "alte" Wohnsitzgerichtsstand ist nicht mehr zeitgemäß und opfert die Spezialiserung der Gerichte einer Interessenjurisprudenz.

    Comment by Anonymous — 9.10, 2009 @ 11:24

  2. #1, Anonym: Das widerspricht IMHO schon dem Grundsatz, daß man sich seinen Richter eben nicht selbst raussuchen darf. Dieser Grundsatz gilt auch für Beleidigte durch Blog-Kommentare und für die Content-Industrie (Musik, Film etc.).

    Daß LG und OLG in Hamburg beispielsweise besonders gern einseitig gegen Blogger und Forenbetreiber (bezüglich Mithaftung bei evtl. rechtswidrigen Kommentaren Dritter) entscheiden, ist ja nun wirklich nichts Neues, dazu genügt es, ein wenig auf Heise mitzulesen.

    Comment by Sabine Engelhardt — 9.10, 2009 @ 12:18

  3. Ein "Grundsatz, daß man sich seinen Richter eben nicht selbst raussuchen darf", existiert aber nicht. Das Prozessrecht postuliert für unerlaubte handlungen exakt das Gegenteil.

    Comment by Anonymous — 9.10, 2009 @ 12:26

  4. Bin gespannt, wann das BVerfG endlich mal dazu was sagen wird.

    Wenn der Gesetzgeber eine Spezialisierung der Gerichte will, muß er das selbst festlegen. Lieber Anonym, schauen Sie doch zur Abwechslung einfach mal ins Grundgesetz.

    Comment by JensMueller — 9.10, 2009 @ 13:57

  5. Ok, welcher Artikel?

    Comment by Anonymous — 9.10, 2009 @ 14:17

  6. @anonym (Kommentar #1)

    Der Fliegende Gerichtsstand gründet auf den Ort der angegriffenen Tat, nicht auf Auswahl des Spezialisten. Dies ist allenfalls ein erfolgbegünstigender Nebeneffekt (z. B. Landgericht Hamburg).

    Also ist dieses Argument zur Verteidigung des Fliegenden Gerichtsstands sachwidrig.

    Comment by Wolf-Dieter — 9.10, 2009 @ 16:03

  7. Mir gruselt vor einem nur für nordtibetanische via Internet, mit Ausnahme Mails, begangene Wettbewerbsverstöße zuständigem LG Brüssel. Fakt ist aber, dass es hüben wie drüben Beteiligte gibt, die ungeachtet der Frage nach der Richtigkeit ihr Heil in genehmer Richterschaft suchen. So geht es eigentlich auch nicht.
    Unter Umständen wäre die Einrichtung von Rechtsentscheiden (s. Mietrecht, alter Rechtszustand) eine vermittelnde Lösung.

    Comment by Anonymous — 9.10, 2009 @ 21:40

  8. Art. 101 Absatz 1 Satz 2, evtl. auch Absatz 2 GG.

    Comment by JensMueller — 12.10, 2009 @ 20:41

  9. ok sie haben gewonnen, sie verfassungsfuchs

    Comment by Anonymous — 12.10, 2009 @ 22:36

  10. @ #1 (Anonym): Ich halte es für ziemlich gewagt, dem beklagten Rechtsverletzer "Dankbarkeit" nahezulegen, wenn er 800km von seinem Sitz gerichtlich gehört wird, weil er das Glück hat, dass der Prozeßbevollmächtigte seines Klägers seinen Sitz zufällig gegenüber dem angerufenen Gerichtes hat.

    Es ist im Übrigen nicht im Ansatz tragfähig, die Privilegierung (!) des § 32 ZPO damit zu begründen, dass ein "Dorfgericht" nicht interessengerecht über eine spezielle Materie entscheiden könne. Glauben Sie im Ernst, nur weil der Amts- oder Landrichter in Hamburg oder Berlin entscheidet, tut er das mehr oder weniger motiviert bzw. interessengerecht als sein Kollege in einem anderen Bezirk, nur weil er häufiger mit ähnlich gelagerten Fällen zu tun hat?

    Dümmlich wird es, wenn Sie den § 12 ZPO für nicht zeitgemäß erklären. Lesen Sie doch vielleicht noch einmal zum Thema actor sequitur forum rei.

    Kollegiale Grüße,
    RA Sauter

    Comment by Anonymous — 13.01, 2010 @ 08:34

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