Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.9.09

Ist das Live-Twittern aus dem Gerichtssaal erlaubt?

Auf Twitter – wo auch sonst – gab es gerade die Diskussion, ob das Twittern direkt aus dem Gerichtssaal gegen § 169 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) verstößt. Die Vorschrift verbietet Ton-, Film- und Rundfunkaufnahmen von öffentlichen Gerichtsverhandlungen.

Andererseits dürfen öffentliche Gerichtsverhandlungen von Journalisten und interessierten Bürgern besucht werden, die sich sich dort Notizen machen und anschließend über die Verhandlung berichten dürfen. Das ist in jedem Fall unstreitig. In dieser traditionellen Variante findet freilich keine Liveberichterstattung statt.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war gerade in den letzten Jahren von der Tendenz geprägt, das Verbot des § 169. S 2 GVG eher eng zu interpretieren und das öffentliche Informationsinteresse stärker zu gewichten. Rechtsdogmatisch betrachtet ist auch der Grundsatz zu beachten, dass Ausnahmevorschriften – und eine solche ist § 169 S. 2 GVG – eng auszulegen sind. Eine Textberichterstattung direkt aus dem Gerichtssaal z.B. via Twitter stellt keine Ton- oder Filmaufnahme dar, Twitter ist kein Rundfunkmedium.

Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass eine Live-Berichterstattung via Twitter nicht gegen § 169 S. 2 GVG verstößt. Die Frage ist freilich bisher nicht diskutiert worden und damit letztlich noch offen.

posted by Stadler at 11:30  

Keine Kommentare

  1. Twittern mag nicht verboten sein, ist aber an einigen Gerichten technisch unmöglich. Ich hatte im letzten Jahr das zweifelhafte Vergnügen, in Hamburg zu einer Strafsache auszusagen. Beim Betreten des Gebäudes musste ich durch eine Sicherheitsschleuse, wurde nach Metall durchsucht, und meine Jacke und meine Tasche wurden durchleuchtet. Alles, was Batterien oder Akkus enthielt, musste ich bis zum Verlassen des Gebäudes hinterlegen.

    Comment by KiGaNa — 14.09, 2009 @ 11:52

  2. Das Problem ist wohl auch, dass sämtliche Gesetze noch aus einer Zeit stammen, in der es noch kein Internet bzw. Geräte, die eine solche Live-Berichterstattung überhaupt erst ermöglichen, gab. Da müsste wohl so manches Gesetz mal textlich aktualisiert werden.

    Comment by Timo — 14.09, 2009 @ 11:53

  3. Habe ich noch nicht erlebt. Aber die Intensität der Sicherheitskontrollen ist an deutschen Gerichten sehr unterschiedlich.

    Comment by Pavement — 14.09, 2009 @ 11:56

  4. In Bielefeld werden alle Handys beim Betreten einkassiert die eine Kamera beinhalten. Heute also quasi alle.

    Der Laptop mit dem UMTS Stick ginge …

    Comment by flo — 14.09, 2009 @ 12:50

  5. Ich denke, wenn es auch nicht verboten ist, so sollte es doch verboten sein.

    Der Grund ist folgender: eine life-Berichterstattung per Twitter könnte Zeugen beeinflussen. Und das ist in meinen Augen der Sinn der besagten Regelung.

    Comment by flippah — 14.09, 2009 @ 15:39

  6. Wie flippah richtig bemerkt ist die Möglichkeit der Zeugenbeeinflussung sicherlich der Knackpunkt. In Sitzungspausen und nach Ende der Sitzung ist vermutlich nichts dagegen einzuwenden in Kurz- oder Langform zu berichten, das wäre analog der "old world".

    Comment by Kaboom — 14.09, 2009 @ 16:25

  7. Es geht aber nicht nur um den Sinn der Regelung, sondern zunächst um die Feststellung, dass die Textberichterstattung, auch wenn sie in Echtzeit erfolgt, keine Ton- und Filmaufnahme ist.

    Man müsste also die Vorschrift schon erweiternd auslegen, um Twitter einbeziehen zu können. Und diese weite Auslegung halte ich angesichts des Ausnahmecharakters der Norm für schwierig.

    Comment by Pavement — 14.09, 2009 @ 16:37

  8. Vielleicht hilft bei der Beantwortung der m.E.berechtigten Frage, ob das Live-Twittern erlaubt sein _soll_ , eine nähere Beleuchtung der Hintergründe des Verbots gemäß § 169. S 2 GVG weiter. Mich würde interessieren, ob es einen Kommentar zu dieser Rechtsnorm gibt, der das erläutert.

    Bei Twitter wurde ebenfalls die Frage gestellt, warum dieses Verbot überhaupt besteht, bei einer öffentlichen Verhandlung, an der theoretisch doch jeder teilnehmen dürfe.

    Ich könnte mir vorstellen, dass Sinn und Zweck des Verbots der Schutz höherer Rechte und Güter ist, z.B. die der am Verfahren beteiligten Personen.

    Twitter ist kein Rundfunkmedium, gleichwohl können die dort veröffentlichten Aussagen unmittelbar und auch über einen längeren Zeitraum von jedem beliebigen Internetnutzer sowohl verbreitet als auch eingesehen werden, sofern der Account nicht geschützt ist.
    Im aktuellen Fall ist davon auszugehen, dass die Beklagte mit dieser Form der Berichterstattung einverstanden war.
    Sie ist aber nur eine der am Verfahren Beteiligten.

    In diesem Zusammenhang scheint mir auch der Hinweis wichtig zu sein, dass mit solchen Veröffentlichungen immer eine besondere Verantwortung des Verfassers verbunden ist, für die er im Zweifel einstehen muss.
    Mit dem öffentlichen Versenden seiner "Nachrichten" auf diesem Medium wird auch eine Bereitschaft dazu deutlich signalisiert.

    Comment by Cara — 14.09, 2009 @ 17:41

  9. Twitter kein Rundfunkmedium?!

    Schnell geschrieben, aber vielleicht zu schnell gedacht…

    Fraglos ist Twitter eine point-to-multipoint-Kommunikation…

    Comment by Bredow — 14.09, 2009 @ 21:45

  10. @Bredow: Doch, ich habe drüber nachgedacht. Twitter ist Rundfunk im Sinne der brechtschen Radiotheorie und evtl. sogar im verfassungsrechtlichen Sinne. Im einfachrechtlichen Sinne ist Twitter kein Rundfunk, sondern ein Telemediendienst.

    Comment by Pavement — 15.09, 2009 @ 10:38

  11. @Cara:
    Der Sinn und Zweck ist es, einen von äußeren Einflüssen unbeeinträchtigten Verfahrensablauf zu gewährleisten und auch die Persönlichkeitsrechte der Verfahrensbeteiligten zu schützen.

    Man muss den S. 2 aber im Kontext des S. 1 beleuchten und sehen, dass es sich um eine Ausnahmevorschrift zum Grundsatz der öffentlichen Verhandlung darstellt.

    Die öffentliche Verhandlung gehört zu den Grundpfeilern einer demokratischen und rechtsstaatlichen Justiz. Nur in Diktaturen finden Gerichtsverhandlungen im Geheimen statt. Deshalb ist es auch verfassungsrechtlich geboten, dass über Gerichtsverhandlungen berichtet werden darf, durch Leute, die als Zuhörer im Saal sitzen.

    Deswegen meine ich, dass die Ausnahmevorschrift des S. 2 auch eng auf Ton- und Bildaufnahmen zu beschränken ist und eine Textberichterstattung – sei es auch in Echtzeit – nicht erfasst.

    Es geht aber hier immer um eine Abwägung, also eine Wertung. Und bewerten kann man Dinge unterschiedlich. Man kann das natürlich auch anders sehen.

    Comment by Pavement — 15.09, 2009 @ 10:48

  12. Der Sinn und Zweck des § 169 S. 2 GVG, die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung auf die Saalöffentlichkeit zu beschränken, erfasst auch Live-Twittern. Es handelt sich um eine Lücke der Regelung, die dem Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Regelung nicht präsent war. Die Vorschrift könnte dementsprechend analog angewandt werden. Jedenfalls im Wege der Sitzungspolizei wäre ein Twitter-Verbot durchsetzbar.

    Es sei denn natürlich, man nimmt eine komplett gegensätzliche Position ein, die Art. 5 I GG deutlich höher gewichtet als dies von der derzeitigen h.M. vorgenommen wird.

    Comment by ElGraf — 16.09, 2009 @ 12:38

  13. @ElGraf:
    Ausnahmevorschriften sind generell nicht analogiefähig!

    Comment by Pavement — 16.09, 2009 @ 13:52

  14. Zeugen beeinflussen? Das kann ich jetzt auch schon, niemand hindert mich daran, mich reinzusetzen und später wieder aufzustehen und rauszugehen. Niemand hindert mich daran, mit einem Zeugen oder meinetwegen mit seiner Begleitperson zu sprechen oder zu telefonieren. Zeugen beeinflussen geht jetzt schon problemlos.

    Comment by Anonymous — 16.09, 2009 @ 20:21

  15. @Pavement:
    Ernsthaft: Wo steht das? Alles, was ich der Methodenlehre nach kurzer Recherche entnehmen kann, ist dass eine Ausnahme nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden darf, indem sie zur Regel wird .

    Im Übrigen: Wie definiert man eine Ausnahmevorschrift in diesem Sinn? § 169 S. 2 GVG könnte man ja auch gut und gerne so verstehen, dass er keine "Ausnahme" von S. 1 darstellt, sondern lediglich die "Öffentlichkeit" des S. 1 zur Saalöffentlichkeit konkretisiert. Ich gebe zu, diese Auslegung liegt nicht unbedingt nahe, aber ebensowenig lässt sich ein auf § 169 S. 2 GVG (analog) gestütztes Live-Twitterverbot durch ein lapidares "Ausnahmevorschriften sind generell nicht analogiefähig!" abbügeln.

    Comment by ElGraf — 17.09, 2009 @ 18:16

  16. @ElGraf:
    Früher war es verbreitete Lehrmeinung, dass Ausnahmevorschriften generell nicht analogiefähig sind. Das ist in dieser Absolutheit wohl nicht mehr herrschend. Gleichwohl ist es allgemeine Meinung, dass eine Analogie zu Ausnahmevorschriften nur in engen Grenzen in Betracht kommt. Maßgeblich ist aber immer der Sinn und Zweck der Norm.

    Und insoweit postuliert § 169 GVG den Grundsatz, dass Gerichtsverhandlungen öffentlich sein müssen. Das ist schlicht eine Anforderung an ein rechtsstaatliches Verfahren.

    Das Gesetz macht hiervon eine Ausnahme für Ton- und Filmaufnahmen. Unabhängig von der Analogiefähigkeit der Norm sehe ich hier auch keine sachliche Vergleichbarkeit des geregelten und des ungeregelten Falls. Es laufen eben keine Kameras oder Aufzeichnungsgeräte, wenn jemand via Handy oder Notebook twittert.

    Es macht sich jemand Notizen. Nur mit dem Unterschied, dass er sie nicht mehr in der Verhandlungspause an seine Redaktion weiterleitet, sondern gleich twittert.

    Wir sollten auch nicht vergessen, dass das BVerfG dazu neigt, die Vorschrift des § 169 S. 2 GVG sehr eng auszulegen. Auch angesichts dessen, ist für eine Analogie in Richtung Twitter o.ä. kein Raum.

    Comment by Pavement — 18.09, 2009 @ 09:31

  17. In der Tat ist – wenn überhaupt – dieser Unterschied, dass Informationen eben nicht in der Verhandlungspause weitergeleitet werden, sondern unmittelbar an die (potentiell) breite Öffentlichkeit gelangen, der entscheidende. Denn dadurch wird der Grundsatz der Saalöffentlichkeit durchbrochen. Ich gebe aber zu, dass die Meinung "Live-Twittern verstößt nicht gegen § 169 S. 2 GVG" im Prinzip überzeugend ist. Bleiben dann noch die Möglichkeiten der Sitzungspolizei.

    Comment by ElGraf — 18.09, 2009 @ 10:39

  18. Und wenn jetzt jemand – z.B. ein Journalist – während der laufenden Verhandlung den Saal verlässt und seine Redaktion anruft?

    Bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen braucht man aber einen Rechtsverstoß, der die Maßnahme rechtfertigt. Da drehen wir uns dann im Kreis.

    Comment by Pavement — 18.09, 2009 @ 10:51

  19. zu US-Law: http://twitter.com/margithohmann/status/2008699054

    Comment by Anonymous — 18.09, 2009 @ 22:09

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