Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

24.8.09

Darf die Polizei bei Demonstrationen filmen?

Ein neues Urteil des Verwaltungsgerichts Münster, wonach die anlassunabhängige Videobeobachtung einer Demonstration durch die Polizei unzulässig ist, wurde in der Netzgemeinde mit Erstaunen und z.T. euphorisch aufgenommen.

Dabei bestätigt das Verwaltungsgericht nur das, was in der Rechtsprechung jahrzehntelang als Selbstverständlichkeit galt. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verbietet anlassunabhängige Filmaufnahmen bei Demonstrationen. Denn davon gehen Einschüchterungseffekte aus, die den Einzelnen u.U. von Vornherein davon abhalten können, von seinem Grundrecht Gebrauch zu machen.

Das Bundesverfassungsgericht hat u.a. wegen der weitreichenden Möglichkeiten von Filmaufnahmen, das neue bayerische Versammlungsgesetz vor einigen Monaten bereits im Eilverfahren gestoppt. Die Haltung des BVerfG ist insoweit klar und unmissverständlich:

„In Frage stehen Aufzeichnungen, die die gesamte – möglicherweise emotionsbehaftete – Interaktion der Teilnehmer optisch fixieren und geeignet sind, Aufschluss über politische Auffassungen sowie weltanschauliche Haltungen zu geben. Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Denn wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil die kollektive öffentliche Meinungskundgabe eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten demokratischen und freiheitlichen Gemeinwesens ist

Dass die Polizei seit Jahrzehnten versucht, diese Vorgaben zu umgehen, ist bekannt. Dass man Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die die Wirkung der Grundrechte zutreffend würdigen – und damit in einem Rechtsstaat eigentlich selbstverständlich sein sollten – bereits als ungewöhnlich empfindet, wirft ein seltsames Licht auf den Zustand unserer Demokratie und zeigt, wie stark die freiheitsfeindlichen Kräfte in Politik und Verwaltung die öffentliche Meinung prägen.

posted by Stadler at 14:20  

Keine Kommentare

  1. Gute Analyse!
    CK

    Comment by Anonymous — 24.08, 2009 @ 15:25

  2. Dem kann ich mich nur anschließen. Eine vortreffliche Analyse! :)

    Comment by Anonymous — 24.08, 2009 @ 18:51

  3. Wenn Sie nicht gerade die Tauss-Fahne hissen, sind Ihre Beiträge durchaus lesenswert.

    Comment by gonzo — 24.08, 2009 @ 19:47

  4. Ich war schon einmal bei einer Anti-Nazi-Demo in Augsburg (Bayern), da wurden von den Teilnehmenden der Zugang zur Auftaktkundgebung auf einem eigens abgesperrten Platz nur nach Vorzeigen eines Ausweises erlaubt – dabei wurden die Personalien mutmaßlich elektronisch erfasst.

    Comment by Anonymous — 24.08, 2009 @ 22:14

  5. trotzalledem eine gute Entscheidung und wieder ein Schritt zur Demoktraie… in diesen Zeiten ja nichts übliches.

    Comment by Damien — 24.08, 2009 @ 23:56

  6. Der Teufel steckt im Wörtchen 'Anlassunabhängig'.

    So ein Anlass ist im Zweifelsfall schnell erfunden. Auch nachträglich. Und schwupps ist all die Filmerei wieder legal. Augenwischerei.

    Comment by incognito — 25.08, 2009 @ 00:08

  7. ich find das einfach zu Kotzen (sorry), wie in unseren Zeiten mit Grundrechten umgegangen wird. Wie Entscheidungen der Gerichte einfach ignoriert werden und die Polizei immer Recht bekommt, wenn mal was angezeigt wird.

    Daher auch großes Lob für diesen Blog!

    Comment by saibot-blog — 13.09, 2009 @ 10:59

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