Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.7.09

FAZ zu Netzsperren: Die Internetgemeinde ist keinem Argument zugänglich

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 05.07.09 (Nr. 27, S. 3) arbeitet sich ein gewisser Markus Wehner an der Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz ab.

Im letzten Absatz des leider nicht online erhältlichen Beitrags, fasst der Autor seine Haltung wie folgt zusammen:

„Was auffällt, ist die Schlagseite der Debatte. Weder Kinderschutzvereine noch Wissenschaftler, noch Rechtsphilosophen sind zu hören. Die Parteien haben das Thema zu den Akten gelegt. Kritiker in der SPD, wie Böhning, versuchen, mit der Initiative „Piraten in der SPD“ ein Abwandern der Internetgeneration zu verhindern. Dominiert wird die Debatte von den Wortführern der „Szene“, die Argumenten nicht zugänglich ist. Dialog ist nicht gefragt. „Sie sitzen im Baumhaus“, sagt ein Abgeordneter. „Da darf kein Erwachsener hoch.“

Wenn man das liest, fragt man sich als jemand, der sich mit dem Thema seit Jahren beschäftigt, welche Debatte dieser Journalist eigentlich verfolgt hat.

Es hat, entgegen der Annahme von Herrn Wehner, unter (erwachsenen) Rechtswissenschaftlern, Juristen und Technikern eine sehr intensive Diskussion zu dieser Frage gegeben, die keineswegs beendet ist. Die überwiegende Mehrheit der juristischen und technischen Experten steht dem Gesetz kritisch bis ablehnend gegenüber. Lediglich beispielhaft möchte ich dazu auf die Stellungnahmen der Sachverständigen Bäcker, Sieber und Frey im Rahmen der Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages und auf das Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages verweisen. Es ist Herrn Wehner offenbar entgangen, dass sich der Bundestag über den Rat der überwiegenden Mehrzahl der Sachverständigen hinweggesetzt und ein Gesetz verabschiedet hat, das die Experten mehrheitlich als verfassungswidrig einstufen. Möglicherweise passt diese Tatsache aber einfach auch nicht in das journalistische Konzept des Herrn Wehner.

Die Parteien haben das Thema ebenfalls noch nicht zu den Akten gelegt. Speziell in der SPD wird vielmehr weiterhin diskutiert. So hat z.B. der im Artikel zitierte Verhandlungsführer der SPD-Fraktion Dörmann Interessierte für den 23.07.09 zu einer Diskussion der Pro- und Contra-Argumente eingeladen.

Und was die Dialogfähigkeit der Netzgemeinde angeht, muss der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen werden, dass das Gespräch mit der Politik bis zu dem Zeitpunkt gesucht worden ist, zu dem feststand, dass die Regierungsfraktionen sich auf eine Zustimmung zum Gesetzesentwurf verständigt hatten.

Man könnte den Artikel von Markus Wehner als tendenziös und sachlich falsch bezeichnen. Möglicherweise ist aber auch nur sein Standort unterhalb des Stammtisches schlecht gewählt. Von einem derart ungünstigen Blickwinkel aus, kann man schnell dem Glauben verfallen, ein Baumhaus sehen zu können. Vielleicht ist es aber auch nur Qualitätsjournalismus á la FAZ 2009.

posted by Stadler at 20:48  

9 Comments

  1. Habe den Artikel leider (noch) nicht gelesen. Aber interessant ist ja durchaus, dass wir keinerlei Argument zugänglich seien. Habe letzte Woche mit Herrn Wehner telefoniert, aber von kritischer Nachfrage / Rückfrage seinerseits war da nichts zu hören.
    Mir ist vor allem in Erinnerung, dass er sehr leise war weil er wohl das Mikro seines Headsets gerne etwas verschoben hatte und ich ihn immer wieder bitten musste, lauter und/oder ins Mikro zu reden …

    Comment by Alvar Freude — 6.07, 2009 @ 20:59

  2. Jener Markus Wehner, von dem auch der Artikel "Bundestagswahl: Piraten mit Potential" stammt?

    http://www.faz.net
    /s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1
    /Doc~E66C9A8FC059748C189F36150B6515113
    ~ATpl~Ecommon~Scontent.html

    Dem scheint so einiges zu entgehen, wie z.B. auch, dass es schon diverse Forderungen nach Ausweitungen gab:
    "Die 'Piraten' behaupten […] die Sperren würden zukünftig auf andere Teile des Netzes ausgedehnt. […] Belege für diese Behauptungen fehlen allerdings."

    Comment by Rochus — 6.07, 2009 @ 21:32

  3. Wundere mich das solche Herren nicht begreifen, das Sie mit solch schlecht recherchierten Artikeln auch Ihre journalistische Reputation verspielen, Google vergisst nichts.
    Tja, bleibt wohl nur noch: Heiraten.
    Hat er halt davon.

    Comment by Anonymous — 6.07, 2009 @ 22:00

  4. Man kann doch von einem 40-jährigen Geisteswissenschaftler, dessen Ausbildung darin bestand, sich durch Moskauer Archive zu wühlen, nicht erwarten, dass er sich mit so komplizierten Dingen wie DNS-Servern, IP-Namensauflösungen und anderem Zeuchs beschäftigt, das sowieso nur die Fachleute vom BKA verstehen.

    Da fragt man lieber die Abgeordneten seines Vertrauens, denn die sind wirklich wichtig, und wissen, was Sache ist. Und entscheiden ausserdem vielleicht in der nächsten Legislaturperiode, ob nicht eventuell "Qualitätsjournalismus" ein schützenswertes "Kulturgut" ist, welches mit einem Leistungsschutzrecht "bewahrt werden" muss (frei nach Burda).

    Da sind dann auf der einen Seite die potentiellen Geldgeber (aka Gesetzgeber) und auf der anderen Seite das böse, Inhalte klauende Internet.

    Deswegen liefert man doch lieber völlig unvoreingenommenen und objektiven "Qualitätsjournalismus" ab (Merkmale: 1. in der FAZ; 2. nicht im Internet) und klärt alle Leute über 40, die tatsächlich noch Zeitungen lesen, darüber auf, dass das Internet nicht nur ein Hort des Verbrechens, sondern noch dazu gefüllt mit kindischen Aktivisten ist, die sich in Baumhäusern schmollend jedem anspruchsvollen Diskurs verweigern. Und während sich der Qualitätsjournalist vergeblich bemüht, zum Baumhaus aufzusteigen, fällt ihm auf, dass er an dem Ast, auf dem er sitzt, lieber nicht sägen sollte.

    Ein Hoch auf den Qualitätsjournalismus. Man kann ihn nicht nur lesen, sondern sogar Spargel darin einwickeln.

    Comment by _Flin_ — 6.07, 2009 @ 22:04

  5. Nachdem ich nun den kompletten Artikel gelesen habe wundert mich dort einiges durchaus.
    Da sind aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, da wird indirekt eine Nähe zu Kinderpornos konstruiert, eine Haltung beschrieben, nach der die Sperrgegner Kriminalität im Internet befürworten würden. Und dann die Unterstellung, Sperr-Gegner seien alles Veschwörungstheoretiker. Interessanterweise habe ich alle diese Punkte im Gespräch mit ihm angesprochen und widerlegt.

    Letztendlich gibt es zwei Möglichkeiten: entweder hat Markus Wehner nichts verstanden, oder er verfälscht absichtlich und bewusst, um seine eigene vorgefasste Meinung nicht aufgeben zu müssen.

    Normalerweise unterstelle ich niemandem Absicht, wenn etwas nicht auch mit Dummheit oder Unwissenheit zu erklären ist. Aber hier bin ich mir ehrlich gesagt nicht mehr so sicher …

    Comment by Alvar Freude — 6.07, 2009 @ 23:06

  6. "Sie sitzen im Baumhaus", sagt ein Abgeordneter. "Da darf kein Erwachsener hoch."

    Ich komme mit meinen greisenhaften 42 gar nicht mehr runter. :)

    Gut, daß mich diese unverschämte Gutsherrenart endlich mal wieder politisch ambitioniert hat.

    "… das zeigt wieder einmal, daß die Regierenden jeglichen Respekt vor dem Souverän des Staates, dem Volk, verloren haben.
    Und sie werden ihn wohl erst wiedererlangen, sobald sie Angst vor ihm haben.

    Schade. Respekt wäre uns lieber gewesen." (Georg Schramm)

    Comment by Anonymous — 7.07, 2009 @ 09:57

  7. Man kann sich wirklich nur wundern. Ich finde das sowas gar nicht mehr unter "Falschrecherche" laufen darf. Das ist meines Erachtens schon Vorspiegelung falscher Tatsachen, Unterstellung, und eine Art Verurteilung. Ist das Internet so kompliziert, dass da wirklich kein "normaler" Mensch mehr durchsteigt?
    Ich kann doch auch in einer Stadt nicht jede Gasse absperren, weil da mal jemand überfallen wurde. Und schon recht kann ich (als deutscher Polizist) nicht Gassen in New York sperren, nur weil mir jemand sagt, da werden Drogen verkauft! Wie viele Leute wohnen in der Gasse? Wie viele Leute können so keinen Besuch mehr empfangen? Guckt doch mal nach bei Strato.de oder 1und1.de! Die werben mit "Nur 25 Kunden pro Server!". Das heißt, wenn einer von 25 Kinderpornos ins Internet stellt, sind 25 Seiten gesperrt! Das können Schäden in extremen Ausmaßen werden! Ich will mal sehen wie die Bundesregierung da "Schadensersatz ausschließen will".
    Liebe Richter in Karlsruhe, und den sonstigen Bundesgerichten! LAST DAS NICHT ZU!

    Comment by Christoph Englich — 7.07, 2009 @ 11:36

  8. Schlimmer Artikel von Herrn Wehner. Aber das "Baumhaus" ist auch eine Folge der Verengung des Themas Bürgerrechte auf das Internet. Die ganze Internetfolklore führt eben auch dazu, dass man von außen wahrgenommen wird als eine Gruppe von Exoten.

    Comment by Milo — 8.07, 2009 @ 10:46

  9. Ja, sieht denn keiner, wohin das alles führen soll? In den zu blockenden Seiten werden willkürlich Altersgrenzen eingeführt, so dass z. B. http://www.taz.de ab 16(!) war, während die Oben-ohne-Frauen auf bild.de ohne Begrenzung zugänglich waren. Das Gesetz dient einzig und allein dazu, kritischen Journalismus und Meinungsfreiheit einzudämmen, um mit den massenkompatiblen Medien (ZDF, ProSieben/Sat1/Vox/Kabel1, Premiere und BR3) ein ganzes Volk einer Gehirnwäsche zu unterziehen und freie Quellen der Meinungsäusserung versiegen zu lassen. Stattdessen wird über Formalitäten des Gesetzes diskutiert, anstatt dass der Inhalt, dessen Auswirkungen und die zukünftigen Möglichkeiten des Gesetzesausbaus angeprangert werden. Dass diese Gehirnwäsche real ist, zeigt dieser Beitrag aus ZAPP:
    http://www.youtube.com/watch?v=Sj6hK-Kummk

    Comment by Anonymous — 22.07, 2009 @ 11:54

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