Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

24.6.09

Jörg Tauss und die SPD

„Tauss rechnet mit der SPD ab“ titelt nun sogar „tagesschau.de“ nachdem der zur Piratenpartei übergetretene Bundestagsabgeordnete in einem Beitrag auf „abgeordnetenwatch.de“ mit der Partei der er fast 40 Jahre lang angehört hatte, hart ins Gericht gegangen war.

Tauss wörtlich:

„Diese Mischung aus Borniertheit, Uninformiertheit, technischem Desinteresse, der guten Absicht, wenigstens „etwas“ zu tun, Angst vor der BILD- Zeitung etc. führte dazu, dass man weder die Expertenmeinungen noch die Meinungen von 134.000 Petentinnen und Petenten wenigstens in ihrer Mischung zur Kenntnis nahm oder nimmt. Weil es aber doch irgendwie seit ein paar Tagen komisch läuft, gründet man jetzt mit Brigitte Zypries wenigstens nachträglich noch einen Arbeitskreis.“

Die Zustandsbeschreibung seiner Ex-Partei könnte kaum treffender sein. Und die breite Ablehnung die der SPD mittlerweile aus der Netz-Community entgegenschlägt, dürfte diese Partei ungleich härter treffen als die Union. Denn es gab nicht wenige, die sich von der SPD schlicht mehr erwartet und erhofft hatten.

Jörg Tauss war einer der wenigen Abgeordneten, bei denen man den Eindruck hatte, dass sie im Internetzeitalter angekommen sind. Tauss wurde allerdings aufgrund des gegen ihn erhobenen Verdachts des Besitzes und des Sichverschaffens von kinderpornograpfischen Schriften sowohl innerhalb der SPD als auch von den Medien stigmatisiert. Viele vermuten dahinter auch weiterhin eine politische Intrige, was mir nicht abwegig erscheint.

Tauss gibt an, er hätte selbst recherchiert, weil er den offiziellen Angaben des BKA und anderer Behörden nicht getraut hat.

Eine erhebliche Portion Misstrauen gegenüber dem BKA ist sicherlich angebracht, wenn man sich vor Augen führt, mit welch tendenziösem Zahlenmaterial z.B. die Gesetzesbegründung zum Zugangserschwerungsgesetz arbeitet. Und um beim Beispiel des Zugangserschwerungsgesetzes zu bleiben. Wie wäre denn beispielsweise der Fall zu bewerten, in dem ein Abgeordneter geleakte ausländische Sperrlisten absurft, um sich ein Bild davon zu machen, wieviele der dort gesperrten Inhalte tatsächlich kinderpornografischer Natur sind und iwe hoch die Quote zu Unrecht gesperrter Sites ist? Nach der Einschätzung deutscher Staatsanwälte wäre das vermutlich strafbar. Aber ist diese Einschätzung korrekt? Kann es nicht vielmehr notwendig sein, dass sich ein Abgeordneter auch aus illegalen Quellen informiert, um sich zu bestimmten Fragen und Themen eine unabhängige Einschätzung bilden zu können?

Wenn die Angaben von Jörg Tauss sachlich zutreffend sind, dann gibt es Grund darüber zu diksutieren, ob dieses Verhalten einem Abgeordneten nicht erlaubt sein muss.

posted by Stadler at 16:10  

7 Comments

  1. Ein Abgeordneter, dem strafrechtlich die Überprüfung der Behauptung eines Exekutivorgans verboten wird, ist als Kontrollorgan nicht sonderlich viel wert. Es gehört zu seinem Verfassungsauftrag, auch die Tätigkeit der anderen Gewalten im Auge zu behalten und ihre Tätigkeit zu prüfen.

    Die Frage ist wohl weniger, ob dies erlaubt sein muss, sondern vielmehr, ob nicht bestimmte Dokumentationspflichten bzgl. des dienstlichen Bezugs zu fordern sind. Hier könnte man für die Zukunft ein Mindestmaß an Dokumentation fordern; aktuell sehe ich jedoch nichtmals eine solche Anforderung.

    Comment by Malte S. — 24.06, 2009 @ 16:35

  2. Sorry Leute, aber Eure "Tauss in geheimer Mission"-Revolverpistole wird allmählich unfreiwillig komisch. Eine isoliertere Meinung ist mir selten untergekommen. Und Stadler, Ihre Tauss-Propaganda nervt ehrlich gesagt auch langsam. Bei Fragen zur aktuellen Sicherheitspolitik bedarf es ganz sicher nicht auch noch obsoleter Verschwörungstheorien zu irgendwelchen "Intrigen", wo doch Tauss seine Verfehlungen öffentlich längst eingeräumt hat. Dass er sie anders bewertet, als es der Rest der juristischen Fachwelt tut, ist sein gutes privates Recht – wollen wir doch einfach abwarten, bis er vorbestraft ist.
    Ich kann jedenfalls keine Notwendigkeit erkennen, dieses schwebende Verfahren bei jeder Gelegenheit in Tauss-günstiger Weise thematisieren zu wollen, wo doch die Rechtslage völlig eindeutig ist.
    Auch ein Beschuldigter kann durchaus von Zeit zu Zeit (oder sogar ständig) intelligente Äußerungen zu wenig intelligenten Netzsperren von sich geben. Darin liegt für mich kein Widerspruch, es rechtfertigt aber auch nicht die beständigen Versuche, strafbewehrtes Handeln nachträglich legitimieren und Tauss ernsthaft als so eine Art selbsternannten KiPo-Undercover-Agent stilisieren zu wollen. Lachnummer pur, BKA-Tendenzen hin oder her. :D

    Comment by Colombé — 24.06, 2009 @ 17:30

  3. @Colombé:
    Sorry, aber konstruktive Kritik geht für mich anders.

    Ich habe mir nur die Frage gestellt, wie der Sachverhalt, so wie Tauss ihn schildert, juristisch zu bewerten ist. Wenn mir jemand was ohne Begründung von einer eindeutigen Rechtslage erzählt, so ist das allein Anlass genug zu zweifeln.

    Comment by Pavement — 24.06, 2009 @ 18:23

  4. Die SPD in Gestalt von Münte schlägt zurück.
    http://twitter.com/muentefering/status/2309988645

    Comment by Verschlusssache — 24.06, 2009 @ 19:16

  5. Sorry, dass ich jetzt überall meinen Senf zu Taussens Aussagen im Netz hinterlasse, aber irgendwie bin ich ziemlich emotional in dieser Sache.

    Tauss sagt, es läge daran, dass die MdBs keine Ahnung vom Internet hätten. Nun, ich habe auch keine, aber kann dennoch halbwegs erkennen, dass die Sperren ein Problem sind.

    Es ist doch nicht schwer, in der Betrauung des BKA als Kontrollbehörde des Netzes ein Problem zu sehen. Dazu muss ich nicht ein Jota technischen Verstandes besitzen. Es ist ebenso simpel, solche Vorstöße wie die von Thomas Strobl vorauszusehen.

    Wenn dort Ahnungslosigkeit herrscht, dann bezüglich der Bürgerrechte an sich und ihrer Gefährdungen. Das ist das tieferliegende Problem. Denn schließlich haben sie seit Otto Schilys Zeiten noch alles durchgewunken in dieser Richtung.

    Es ist ja nicht so, dass da nicht auch jüngere Leute in der SPD-Fraktion säßen. Sie sind nicht alle völlig blöd, was das Netz angeht. Aber sie begreifen nicht die Dimensionen ihres Tuns, falls sie je ernsthaft darüber nachgedacht haben.

    Comment by Milo — 25.06, 2009 @ 21:57

  6. Begreifen nicht die Dimension ihres Tuns? Wohl wahr. Man ist in der SPD ja sogar recht stolz, dass man mit dem ZugErschwG die verfassungswidrigen Verträge der von der Leyen wenigstens etwas abgemildert habe.

    Comment by Anonymous — 26.06, 2009 @ 00:26

  7. Genau das scheint mir das eigentliche Problem zu sein: Sie begreifen nicht die Dimensionen ihres Tuns.

    Die Internetgemeinde fällt zum Teil auch auf sich selbst herein, wenn sie stets die technische Ahnungslosigkeit der Politik beklagt. Sie erklärt dann die Netzzensur zu einem Spezialthema. Das ist es aber nicht. Es gibt seit vielen Jahren einen allgemeinen Trend zur Abschaffung der Bürgerrechte.

    Man muss genau dies thematisieren, sonst bleiben die Zensurgegner in der Internet- und Computerfreak-Ecke. Als diese Exoten sind sie keine bedeutsame Wählergruppe. Aber die Abschaffung von Bürgerrechten an sich betrifft schon erheblich mehr Menschen.

    Comment by Milo — 26.06, 2009 @ 09:27

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