Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.6.09

Die Schimäre vom Subsidiaritätsprinzip und andere Irrtümer

Die Pressemitteilung der SPD zum Sperrgesetz klingt beeindruckend. Wieder einmal hat man es der CDU und eigentlich allen gezeigt, sich auf voller Linie durchgesetzt und man höre und staune, das Subsidiaritätsprinzip im Gesetz verankert.

Dumm ist nur, dass sich die CDU ebenfalls zufrieden zeigt und im Netz großer Aufruhr herrscht. Der Wortlaut der Pressemitteilung, wonach nur dann gesperrt werden darf, wenn eine Löschung nicht erfolgreich bewerkstelligt werden kann, entspricht nicht so ganz dem Gesetzeswortlaut, aber die Schönfärberei gehört nunmal zum politischen Geschäft. Dass sich die Behauptung einer Verankerung des Subsidiaritätsprinzips bei näherer Betrachtung als Schimäre erweist, lenkt aber auch nur davon ab, dass bereits die grundsätzliche Weichenstellung dieses Gesetzes falsch ist.

Der Zugangsprovider hat keinen Zugriff und keine physisch-reale Möglichkeit auf Inhalte einzuwirken. Er bildet deshalb von vornherein den falschen Anknüpfungspunkt für die Kontrolle des Contents. Man hat bei der SPD, von der Union ganz zu schweigen, nach wie vor den Gesamtkontext noch nicht erfasst. Der eigentlich relvante Aspekt wird andernorts z.T. unter dem Schlagwort der Netzneutralität diskutiert.

Im Kern geht es darum, dass man einen TK-Dienstleister, der eine rein technische und neutrale Leistung erbringt, nicht für die Kontrolle von Inhalten heranziehen darf, weil dies zwangsläufig eine Manipulation technischer Abläufe mit sich bringt. Der Zugangsprovider muss nämlich technische Internet-Standards und Normen manipulieren, er wird gezwungen, in die Architektur des Netzes einzugreifen, um das zu erreichen, was der Staat von ihm verlangt. Es ist deshalb vernünftig zu fordern, dass sich der Staat jeglicher Manipulation technischer Standards und Normen zu enthalten hat.

Die grundsätzliche Weichenstellung ist aber auch deshalb falsch, weil das Gesetz in Wahrheit die Verbreitung kinderpornografischer Schriften fördert, anstatt wie beabsichtigt, den Zugang zu ihnen zu erschweren. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich, dass sich die politisch Verantwortlichen nicht mit den bisherigen Sperrbemühungen in Deutschland („Düsseldorfer Sperrungsverfügungen“) und deren Auswirkungen befasst haben. Die Düsseldorfer Sperrungsanordnungen haben seinerzeit im Jahre 2002 diejenigen Websites, die Gegenstand der Sperrung waren, überhaupt erst bekannt gemacht und dafür gesorgt, dass die Zugriffe auf diese Seiten deutlich zunahmen. Derselbe Effekt ist auch hier zu erwarten. Die geheim zu haltenden Sperrlisten werden sehr schnell auf Wikileaks auftauchen, ohne, dass das BKA dies verhindern kann und damit eine Navigationshilfe für Pädophile und auch Neugierige bilden. Auf der Stopp-Seite des BKA werden ohnehin nur die Dümmsten landen, denn diese simple technische Manipulation, die den Providern abverlangt wird, kann jedes Kind im Handumdrehen umgehen.

Es wäre gerade deshalb so wichtig, eine breite gesellschafts- und rechtspolitische Diskussion zu führen, wie dies der Sachverständige Sieber in der Expertenanhörung im Bundestag auch gefordert hat. Warum sich die SPD wieder einmal von der Union treiben lässt, ist unklar. Die Politik hat die vielen Facetten dieser Thematik jedenfalls noch nicht einmal angekratzt und die meisten Abgeordneten haben schlicht keine Ahnung von den möglichen Auswirkungen ihres Abstimmungsverhaltens.

Aber eines möchte ich hier ganz deutlich sagen. Die Abgeordneten, die dem Gesetz zustimmen, werden damit faktisch die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte fördern und damit das Gegenteil dessen erreichen, was sie vermutlich wollen. Gleichzeitig wird eine Struktur etabliert, die als Zensur-Infrastruktur zumindest tauglich ist und wegen des als Overblocking bezeichneten Effekts werden zudem eine ganze Menge legaler Inhalte in Mitleidenschaft gezogen werden.

Und auch wenn manche es als Formalität betrachten – die es nicht ist – aber dem Bund fehlt schlicht die Gesetzgebungskompetenz, worauf in der Sachverständigenanhörung auch sehr deutlich hingewiesen wurde.

posted by Stadler at 21:11  

11 Comments

  1. Du hast geschrieben, dass die Sperrlisten wohl ganz schnell bei wikileaks auftauchen werden.
    Allerdings:
    "[..]oder deren
    Zweck darin besteht, auf derartige
    Telemedienangebote zu verweisen (Sperrliste)."

    Unter den ersten zehn Domains, die gesperrt werden, wird wikileaks mit Sicherheit dabei sein.

    Comment by Pirat4KA — 16.06, 2009 @ 23:05

  2. So what? Eine Sperre, die man natürlich einfach umgehen kann :)

    Wie man es dreht und wendet … der Gesetzesentwurf ist so ein Ausbund an Inkompentenz und Realitätsverweigerung, dass man die Abgeordneten der Großen Koalition (und zur Sicherheit einige der angeblichen Oppositionsparteien) einweisen sollte. Das ist schon krankhaft, wie hier an Halbwahrheiten und balnken Lügen festgehalten wird …

    Comment by Harzzach — 16.06, 2009 @ 23:39

  3. Das hindert ja trotzdem niemanden daran, diese Seiten dennoch aufzurufen. Aus Deutschland über alternative DNS-Server aber vor allem aus dem Ausland, für das die Listen ja auch einsehbar werden.

    Comment by Anonymous — 16.06, 2009 @ 23:40

  4. Endlich! Wir geben ja auch keine Liste mit Drogenhändlern an Taxifahrer, damit diese ihre Kunden da nicht mehr hinfahren.

    Comment by Anonymous — 17.06, 2009 @ 00:22

  5. Einige Provider manipulieren derzeit schon DNS, die technischen Argumente ziehen da also nicht mehr wirklich. Kabel Deutschland, T-Online und andere zeigen eine eigene Werbeseite (bei Kabel Deutschland ist es ein US Anbieter der diese betreibt) bei nicht existierenden Domains. Teilweise wurde wohl auch schon google auf ne andere IP umgebogen. Technisches Argument zieht wohl nicht, wenn die Provider eh schon aus Profitgründen manipulieren. Mal abgesehen davon dass diese sich auch nicht wirklich gegen andere Dinge gewehrt haben…

    Hoffen wir dass das Gesetz vom Bundesverfassungsgericht zügig kassiert wird, es sollte hierbei auch noch einmal genau umrissen werden was die Pflichten von Kommunikationsanbietern sind.

    Ich werde jetzt meinen Abgeordneten anschreiben, ich glaube im Telefonbuch stehen noch Nummern von Pädophilen, Drogendealern und schlimmeren ;)

    Comment by Nils — 17.06, 2009 @ 05:21

  6. In diesem Zusammanhang würde ich auch noch gern an das zur Zeit so beliebte Märchen vom "Internet als Rechtsfreiem Raum" erinnern.

    Ich nehme an, dass "die da oben" sehr wohl die Diskussionen der letzten Jahre mitbekommen haben über entsprechende Urteile, da sie zum Teil (z.B. bei Verleumdungsklagen) durchaus auch betroffen waren.

    Das als Tatsache angenommen kann die schon beinahe rituelle Wiederholung der Lüge vom rechtsfreien Raum nur noch Absicht sein – lächerliches Scheinargument als Teil einer mehr als jämmerlichen Strategie.

    Und wie sogenannte Killerspiele über solche an sich schon simplen DNS-Sperren gesperrt werden sollen (ein vorschlag aus der CDU), ist mir mehr als rätselhaft bzw. zeigt nur ein weiteres Mal die fundamentale Inkompetenz…

    Comment by Anonymous — 17.06, 2009 @ 10:46

  7. Eine Sperre, die sich dermaßen leicht umgehen läßt, ist natürlich keine "geeignete Maßnahme".
    Das wird unseren "Experten" der Regierung auch irgendwann aufgehen und den Weg zur Einführung wirksamerer und wesentlich einschneidenderen Techniken ebnen.

    Comment by Blacky — 17.06, 2009 @ 11:47

  8. Tja, und jetzt? Das Kind fällt nicht in den Brunnen, nein, es wird geworfen. Die Sperren sind politisch gewollt. Der unheilige Zweck wird uns sicherlich noch um die Ohren fliegen. Aber was tun gegen politische Willkür und Korruption? Welche Mittel liegen denn noch bereit, ausser dem Protest (von dem sich die Regierenden ja bereits äußerst unbeeindruckt zeigten)?

    Comment by Tin-Man — 17.06, 2009 @ 14:30

  9. Wenn im Iran 100 000 westmedienwirksam protestieren ist das Protest, aber die 130 000 beispielsweise der Onlinepetition sind ein Witz im Gegensatz zu den Stimmen des Wahlviehs. Erst wenn wir zu 500 000 oder so protestieren und die Menge an Personen die Wahlquote einer "Volkspartei" überschreitet, dann ist es soweit. Das aktuell ist doch nur der "Aufstand einer Minderheit", die aktuell doch bereits schon als Pädokriminelle beschimpft wird.

    Comment by PZK — 17.06, 2009 @ 22:24

  10. Die sichere Funktion ist doch einfach: Am Tage der Inbetriebnahme der Sperre wird die dt. Bischfskonferenz alle dt. Gläubigen bitten, die Internetsperre in ihre Gebete einzuschließen.

    Bei so viel Bitten kann Gott, der Herr doch ein Wunder nicht verweigern.

    Und zur Not beschließt der Bundestag ein Internetsperren-Wunder-Erzwingungsgesetz (InterSperrWuErzwingG).

    Comment by Anonymous — 18.06, 2009 @ 08:42

  11. "Anonym (16. Juni 2009 23:40) meinte…
    Das hindert ja trotzdem niemanden daran, diese Seiten dennoch aufzurufen. Aus Deutschland über alternative DNS-Server …"

    Vorsicht, von der Leyen in einer Diskussion mit Heine: "Wer die Stoppseite zu umgehen versucht, macht sich bewusst strafbar, weil er dann aktiv nach Kinderpornografie sucht."

    Comment by DietmarF — 26.06, 2009 @ 00:21

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