Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

24.10.14

Wenn der Staat zu Straftaten anstiftet

Der verdeckte polizeiliche Ermittler, der einen nicht Tatverdächtigen zu einer Straftat verleitet, war in rechtsstaatlicher Hinsicht seit jeher umstritten. Während der BGH früher dazu tendierte in solchen Fällen einen Strafausschließungsgrund zu bejahen, geht die neuere deutsche Rechtsprechung überwiegend davon aus, dass ein solcher Täter verurteilt werden kann und die Verleitung zur Tat durch einen Polizeibeamten lediglich im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen ist.

Zu Unrecht, wie der Europäische Gerichsthof für Menschenrechte (EGMR) gestern entschieden hat (Az.: 54648/09).

Die strafgerichtliche Verurteilung eines zunächst Unverdächtigen, der erst durch einen Poliziebeamten zu einer Straftat angestiftet worden ist, verstößt nach der Entscheidung des EGMR gegen Art. 6 Abs. 1 der MRK (Recht auf ein faires Verfahren). Der EGMR betont, dass Art. 6 Abs. 1 es verbietet, Beweismittel zu verwerten, die auf einer polizeilichen Anstiftung zu Straftaten beruhen.

Dem Betroffenen nutzt die Entschädigung die der EGMR jetzt zugesprochen hat freilich wenig, denn er hat seine Strafe abgesessen. Die deutschen Gerichte werden ihre Rechtsprechung jetzt allerdings überdenken und ändern müssen. Der Kollege Udo Vetter hat zum Thema ebenfalls gebloggt.

posted by Stadler at 14:28  

24.7.14

Polen hat die CIA bei der Verschleppung von Terrorverdächtigen unterstützt und die Menschenrechtskonvention verletzt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Polen wegen verschiedener Verletzungen der Menschenrechtskonvention im Zusammenhang mit der Verschleppung von zwei Terrorverdächtigen durch die CIA verurteilt (Urteile vom 24.07.2014, Az.: 7511/13 und 2876111/11). Die beiden Kläger waren von der CIA im Jahre 2002 in ein Geheimgefängnis in Polen verschleppt worden. Sie wurden dort gefoltert und schließlich nach Guantanamo verbracht, wo sie bis heute ohne Verfahren einsitzen.

Die beiden Kläger wurden, nachdem sie von der CIA nach Polen geflogen worden waren, dort von einem Fahrzeug, das von den polnischen Behörden zur Verfügung gestellt worden ist, abgeholt und in ein Trainingslager des polnischen Geheimdienstes gebracht. Während ihres mehrmonatigen Aufenthalts in Polen, wurde den Klägern jeglicher Kontakt zu ihren Familien und zur Außenwelt sowie eine medizinische Versorgung verwehrt. Zudem wurden die beiden Kläger in dem Geheimgefängnis systematisch gefoltert. Die Folterpraktiken sind in dem Urteil des EGMR ausführlich beschrieben.

Beide Kläger wurden im Juni und September 2003 aus Polen wieder ausgeflogen und dann z.T. über mehrer Zwischenstationen letztlich nach Guantanamo Bay verbracht. Beide Kläger waren zwischenzeitlich von der CIA auch nochmals jeweils in ein EU-Mitgliedsstaat (Litauen und Rumänien) verschleppt worden.

Nach den beiden Urteilen des EGMR hat der polnische Staat gegen das Verbot der Folter (Art. 3 MRK), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 MRK), gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 MRK), gegen das Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 MRK) und gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 MRK) verstoßen. Der EGMR sieht die aktive Beteiligung polnischer Behörden an den massiven Menschenrechtsverletzungen der CIA als erwiesen an.

Nach der Lektüre dieser Urteile fällt es mir schwer, Polen und vor allen Dingen die USA weiterhin als demokratische Rechtsstaaten zu betrachten.

Die Entscheidungen zeigen außerdem in bedrückender Art und Weise auf, für welches Leid und Unrecht Geheimdienste verantwortlich sind.

Den Betroffenen nutzt die Entscheidung des EGMR zunächst wenig, denn sie sitzen weiterhin in Guantanamo ein. Beide Kläger erhalten je 100.000 EUR Schadensersatz und der eine Kläger zudem 30.000 EUR Kostenerstattung vom polnischen Staat. Dem Gerichtshof gebührt Respekt, dass er Pflöcke einschlägt gegen die menschenunwürdige und rechtsstaatswidrige Behandlung von (angeblichen) Terrorverdächtigen durch die US-Behörden und ihre Helferstaaten.

posted by Stadler at 14:31  

9.7.14

RTL hat mit einer Folge der „Super Nanny“ gegen die Menschenwürde von Kindern verstoßen

Das Verwaltungsgericht Hannover hat mit Urteil vom 08.07.2014 (Az.: 7 A 4679/12) eine Klage des Fernsehsenders RTL gegen eine Beanstandungsverfügung der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) abgewiesen. Die NLM hatte eine Folge der Fernsehreihe „Die Super Nanny“ beanstandet, weil in der Sendung gegen die Menschenwürde der in der Folge dargestellten Kinder verstoßen worden ist, insbesondere gegen die Rechte eines Vierjährigen. In der Pressemitteilung des VG Hannover heißt es hierzu:

Entgegen der vorausgegangenen Prüfentscheidung der FSF verstößt die Ausstrahlung der beanstandeten Sendefolge der Reihe „Die Super Nanny“ nach Auffassung der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover auch tatsächlich gegen die Menschenwürde der in der Sendung gezeigten Kinder, insbesondere des im Zeitpunkt der Ausstrahlung 4jährigen Sohnes. Deshalb ist in dem streitbefangenen Bescheid von der NLM zu Recht ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV festgestellt worden.

In der Fernsehsendung wird ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben, in dem die erziehungsberechtigte Mutter gegen das einfachgesetzlich von § 1631 Abs. 2 BGB garantierte Recht ihrer Kinder auf gewaltfreie Erziehung sowie das Verbot körperlicher Bestrafungen, seelischer Verletzungen und anderer entwürdigender Maßnahmen verstößt. Es werden neben zahlreichen Beschimpfungen und Bedrohungen der Mutter gegen ihre schutzbefohlenen Kinder insgesamt 10 Gewalthandlungen gezeigt, die teilweise bis zu 3mal wiederholt werden (= 4mal dargestellt) und auch in einem sogenannten „Teaser“ als für die Sendung werbendem Vorspann in schneller Schnittfolge eingebunden sind. Insgesamt sind in unterschiedlicher Schnittfolge 22 Gewalthandlungen der – nach dem Inhalt der Sendung – therapiebedürftigen Mutter zu sehen. 14 dieser Gewaltszenen richten sich gegen den damals 4jährigen Sohn, der in insgesamt 9 Szenen weint bzw. sich über Schläge beklagt. Die ebenfalls geschlagene 3jährige Tochter weint in 3 Szenen. Auch der u.a. geschlagene 7jährige Sohn beklagt sich im Gespräch mit Frau Saalfrank über fortgesetzte Schläge.

In dem streitbefangenen Bescheid der NLM wurde ein Verstoß gegen die Menschenwürde der gezeigten Kinder u.a. aufgrund der Vielzahl der dargestellten Gewalt- und Leidensbilder sowie der mehrfachen Wiederholung dieser Szenen und deren Verwendung in dem sogenannten „Teaser“ festgestellt. Das Verwaltungsgericht beanstandet diese Wertung nicht.

Nach Auffassung der Kammer verbietet die Menschenwürde der beteiligten Kinder vielmehr das wiederholte Darstellen einzelner an ihnen begangener Gewalthandlungen und insbesondere die Zusammenstellung einzelner dieser Handlungen in einen „Teaser“, um Zuschauer anzulocken. Aus dem Gesamtzusammenhang der Sendung folgt zudem, dass 9 Gewalthandlungen der Mutter von dem Aufnahmeleiter hingenommen wurden und erst eine in Gegenwart von Frau Saalfrank von der Mutter begangene 10. Gewalthandlung zu einem Einschreiten geführt hatte. Die Präsenz des Aufnahmeteams bei 9 Gewalthandlungen ohne Einschreiten muss nach Auffassung des Verwaltungsgerichts den Kindern als ein „Ausgeliefertsein“ nicht nur gegenüber der therapiebedürftigen Mutter, sondern auch gegenüber dem Aufnahmeteam vorgekommen sein. Deshalb erkennt auch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen die Menschenwürde der Kinder, der nicht durch das erkennbare erziehungspädagogische Ziel der Sendung, die Situation der Familie positiv zu verändern, gerechtfertigt wird.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

posted by Stadler at 08:58  

17.9.12

Die Diskussion um ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“

Die politische Diskussion über ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“ treibt seltsame Blüten. Während die Union die Aufführung des Films in Deutschland – wobei unklar ist, ob es überhaupt eine Langversion gibt – verbieten möchte, sehen SPD und Grüne dafür keine rechtliche Handhabe.

Bemerkenswert hierzu ist beispielsweise die Aussage des CDU-Innenpolitikers Bosbach gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:

Wir haben es hier nicht mit einer Rechtslücke zu tun, denn sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Kunstfreiheit gelten nicht schrankenlos.

Dass diese Aussage nicht so ganz richtig ist, zeigt bereits ein einfacher Blick ins Grundgesetz. Die Meinungsfreiheit unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, während die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Kunstfreiheit ein vorbehaltloses Grundrecht darstellt. Einschränkungen ergeben sich hier nur aus der Verfassung selbst.

Ob also ein Verbot einer Filmvorführung in Betracht kommt, ist höchst zweifelhaft, denn dies würde im konkreten Fall sowohl einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wie auch das der Kunstfreiheit darstellen. Und die Hürden für die Rechtfertigung eines derartigen Eingriffs sind hoch. Marc Liesching vertritt im Beck-Blog die Ansicht, dass ein polizeirechtliches Einschreiten aufgrund allgemeiner polizeirechtlicher Gefahrenabwehr-Bestimmungen im konkreten Einzelfall bei angekündigten öffentlichen Filmvorführungen nicht ganz ausgeschlossen ist. Die Frage ist aber dann, welche Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage im konkreten Einzelfall gegeben sind.

Im Beck-Blog diskutiert Henning Ernst Müller einen Verstoß gegen § 166 StGB, dessen Bejahung ich nach Ansicht des Films bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung für nur schwer vertretbar halte. Der Film skizziert den Islam als eine gewalttätige und blutrünstige Religion und die Hauptfigur, die wohl den Propheten darstellen soll, zusätzlich als lüstern. Der Trailer enthält außerdem auch Elemente schlechten Klamauks. Insgesamt wirkt der Film auf mich, gemessen an der öffentlichen Empörung, eher harmlos und billig. Dass man mit einem derart plumpen Machwerk so provozieren kann, ist nur dadurch zu erklären, dass die Aufregung geschürt und gesteuert ist. Und gerade diesen Umstand kann man bei der rechtlichen Bewertung nicht außer Acht lassen.

posted by Stadler at 21:28  

27.8.12

Wären die Mitglieder von Pussy Riot auch in Deutschland hinter Gittern gelandet?

Man hat in den letzten Wochen immer wieder mal die Ansicht gehört, dass den Mitgliedern der russischen Punkband Pussy Riot wegen derselben „Tat“ auch in Deutschland eine Haftstrafe gedroht hätte, weshalb die Aufregung über die russische Justiz heuchlerisch sei.

In dieses Horn bläst nun auch der Strafverteidiger und emeritierte Strafrechtsprofessor Klaus Volk. In einem Beitrag für die SZ schreibt Volk in Bezug auf die Rechtslage wörtlich:

Drohen einem dafür zwei Jahre Freiheitsstrafe? Nein – sondern bis zu drei.

Diese Aussage ist zumindest für den Nichtjuristen irreführend, denn Volk vergleicht letztlich das konkrete russische Strafmaß (2 Jahre Freiheitsstrafe) mit dem deutschen Strafrahmen, der in § 167 StGB korrekt und vollständig lautet:

…wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Dieser Strafrahmen bedeutet in der deutschen Strafrechtspraxis für einen Ersttäter – eine Strafbarkeit unterstellt – eine Geldstrafe die im Regelfall deutlich unterhalb von 90 Tagessätzen liegt. Eine Freiheitsstrafe – noch dazu ohne Bewährung – hätte den mutigen Frauen von Pussy Riot in Deutschland realistischerweise also nicht gedroht. Eine sachgerechte Gegenüberstellung hätte das russische Strafmaß zu der in Deutschland typischerweise zu erwartenden konkreten Strafe ins Verhältnis setzen müssen.

Bei der Frage, ob dieses Verhalten in Deutschland tatsächlich (auch) strafbar wäre, scheint sich Volk nicht ganz sicher zu sein, meint aber, der unbestimmte Rechtsbegriff des beschimpfenden Unfugs in § 167 StGB  müsse nach dem Verständnis der Religionsgemeinschaften von „grob ungehörig“ ausgelegt werden.

Ein Blick in die zwei gängigsten deutschen Kommentare zum Strafgesetzbuch bringt in der Tat wenig Aufklärung. Es wird dort primär auf eine Definition des Reichsgerichts (!) Bezug genommen, wonach die Verübung beschimpfenden Unfugs in einem grob ungehörigen Verhalten besteht, das die Missachtung der Heiligkeit des Ortes in besonders roher Weise zum Ausdruck bringt. Ergänzend steht dort noch, dass das Rauchen oder starke Lärmen in Kirchen diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Verübung beschimpfenden Unfugs hat also weder die Gerichte noch die Rechtswissenschaftler in der Vergangenheit nennenswert beschäftigt, was stets eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Es könnte also durchaus sein, dass der eine oder andere deutsche Strafrichter ein ähnliches Verhalten mit einer Geldstrafe belegt hätte.

Andererseits ist bei der Auslegung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe immer auch die Wertung der Grundrechte zu beachten. Und diesem Umstand misst Klaus Volk eventuell zu wenig Gewicht bei. Denn der Auftritt Pussy Riots beinhaltete nicht nur eine klare Kritik am russischen Präsidenten Putin, sondern zudem an der Wahlkampfhilfe der russisch-orthodoxen Kirche für Putin. Wenn man also den Kern der Aussage Pussy Riots freilegt, dann stößt man auf eine kritische, politische Äußerung, die sich auch ganz direkt gegen die Rolle der Kirche im russischen Wahlkampf richtet.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine derartige Kritik, die inhaltlich nach unseren Maßstäben zweifelsfrei von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wegen ihrer Form als beschimpfender Unfug im Sinne des StGB betrachtet werden kann. Wir kennen bei der Auslegung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit eigentlich eine ganz ähnliche Abgrenzung, nämlich die zwischen (unzulässiger) Schmähkritik und zulässigem Werturteil. Wäre es Pussy Riot also primär darum gegangen, eine Glabensgemeinschaft zu schmähen und verächtlich zu machen, dann wäre auch nach deutschem Recht eine Verurteilung vermutlich gerechtfertigt. Weil aber hier die politische Meinungsäußerung im Vordergrund stand und keineswegs die Missachtung der Religionsstätte, müsste das Urteil eines deutschen Strafgerichts bei richtiger Wertung auf Freispruch lauten.

posted by Stadler at 17:09  

3.4.12

EGMR zur „negativen Meinungsfreiheit“

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich heute (Urteil vom 03.04.2012, Az.: 41723/06) mit der Frage der negativen Meinungsfreiheit („negative right to freedom of expression“) befasst.

Ein Hoschulprofessor der Universität Göteborg wollte feststellen lassen, dass die Herausgabe von von ihm stammenden Forschungsergebnissen an andere Wissenschaftler u.a. sein Recht auf negative Meinungsfreiheit verletzt. Hintergrund war eine Geheimhaltungsverpflichtung, die der Professor gegenüber den Eltern der an seiner Studie beteiligten Kinder abgegeben hatte. Durch die Herausgabe musste der Wissenschaftler sein Geheimhaltungsversprechen brechen. Der EGMR hat entschieden, dass die Herausgabe der Forschungsergebnisse durch die Universität weder die Rechte des Wissenschaftlers aus Art. 8 MRK auf Achtung der Vertraulichkeit von Informationen noch das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 10 MRK) verletzt.

Der Gerichtshof hat es ausdrücklich offen gelassen, ob ein Recht auf negative Meinungsfreiheit überhaupt anzuerkennen ist und hat darauf hingewiesen, dass man diese Frage in einem geeigneten Fall klären müsse. Im vorliegenden Fall hält er aber das Recht auf Meinungsfreiheit gar nicht für betroffen. Auch den vom Kläger angestellten Vergleich zum Informantenschutz von Journalisten hielt der Gerichtshof nicht für zutreffend.

 

 

posted by Stadler at 17:55  

16.2.12

Free Hamza Kaschgari

Die Geschichte des saudi-arabischen Journalisten und Bloggers Hamza Kasshgari ist erschütternd und zeigt, wie wenig die Menschenrechte in einem Staat gelten, der von der westlichen Welt immer noch hofiert wird und an den Deutschland Panzer liefert.

Der junge Blogger hatte Anfang Februar auf Twitter einige Mohammed-kritische Tweets abgesetzt, die eher philosphisch-zweifelnd klangen als agitatorisch. Aber nachdem in Saudi-Arabien weder die Meinungs- noch die Religionsfreiheit Beachtung findet, brach gegen den jungen Mann etwas los, das man bei uns vermutlich einen Shitstorm nennen würde. Als ein Scheich vom saudischen König forderte, Kaschgari wegen Abkehr vom islamischen Glauben – worauf in Saudi-Arabien die Todesstrafe steht – verhaften zu lassen, versuchte der Blogger zu fliehen. Er wurde allerdings in Malaysia festgenommen und nach Saudi-Arabien abgeschoben, wo er derzeit inhaftiert ist. Ob Interpol an der Verhaltung des Bloggers beteiligt war, ist umstritten. Nach Informationen von Amnesty International soll gegen Kaschgari und weitere Personen, die ihn auf Twitter unterstützt haben, ein Strafverfahren eingeleitet werden.

Auf Facebook hat sich zwischenzeitlich eine saudische Hetzseite gebildet, auf der die Bestrafung des Bloggers wegen Beleidigung des Propheten gefordert wird. Auch Twitter scheint in der Angelegenheit eine eher unrühmliche Rolle zu spielen, denn der Twitter-Account Kaschgaris ist mittlerweile gesperrt worden.

Die Bundesregierung täte gut daran, die Unterstützung von Diktaturen wie Saudi-Arabien einzustellen und die Einhaltung fundamentaler Menschenrechte wie Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit in aller Deutlichkeit einzufordern. Ich frage mich auch, warum der Fall Kaschgari nicht eine ähnliche internationale (politische) Empörung ausgelöst hat, wie seinerzeit bei Salman Rushdie.

Amnesty International ruft dazu auf, sich schriftlich an den saudischen König, das Innenministerium oder die Botschaft Saudi-Arabiens zu wenden und die bedingungslose Freilassung Kaschgaris zu fordern.

Auch wenn in den letzten Tagen schon viel über den Fall Kaschgari berichtet und gebloggt wurde, ist es mir doch ein Anliegen, das Thema auch in diesem Blog aufzugreifen.

posted by Stadler at 15:48  

15.2.12

Verurteilung wegen homophober Hate-Speech keine Verletzung der Menschenrechtskonvention

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat – allerdings mit beachtlichen Sondervoten über die e-comm ausführlich berichtet – die Verurteilung wegen der Verteilung homophober Flugblätter an einer Schule durch den schwedischen Obersten Gerichtshof nicht beanstandet (Urteil vom 09.02.2012, Az.:  1813/07). Die Verurteilung verletzt damit Art. 10 MRK (Freiheit der Meinungsäußerung) nicht.

Die Beschwerdeführer hatten an einer schwedischen Schule Flugblätter der rechtsgerichteten „Nationell Ungdom mit folgendem Inhalt verteilt:

“Homosexual Propaganda (Homosexpropaganda)

In the course of a few decades society has swung from rejection of homosexuality and other sexual deviances (avarter) to embracing this deviant sexual proclivity (böjelse). Your anti-Swedish teachers know very well that homosexuality has a morally destructive effect on the substance of society (folkkroppen) and will willingly try to put it forward as something normal and good.

— Tell them that HIV and AIDS appeared early with the homosexuals and that their promiscuous lifestyle was one of the main reasons for this modern-day plague gaining a foothold.

— Tell them that homosexual lobby organisations are also trying to play down (avdramatisera) paedophilia, and ask if this sexual deviation (sexuella avart) should be legalised.”

Die Beschwerdeführer wurden von schwedischen Strafgerichten deshalb wegen Agitation gegen eine nationale oder ethnische Gruppe verurteilt, ein Straftatbestand, der mit der deutschen Volksverhetzung vergleichbar sein dürfte.

Die Beschwerdeführer sahen sich dadurch in ihrer Meinungsfreiheit verletzt und haben den EGMR angerufen.

Der EGMR hat zunächst einen Eingriff in das Recht auf Meinungsfreiheit durch die Entscheidung der schwedischen Strafgerichte bejaht und anschließend die Frage gestellt, ob dieser Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen ist.

Der Gerichtshof betont, dass der Inhalt des Flugblattes diskriminierend ist und die Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung einer Diskriminierung  wegen der Rasse, Herkunft oder Hautfarbe gleichsteht. Der Gerichtshof hebt außerdem hervor, dass die Flublätter in einer Schule in die Spinde der Schüler gelegt wurden, weshalb diese keine Möglichkeit gehabt hätten, die Flublätter abzulehnen. Berücksichtigt hat der Gerichtshof ferner den Umstand, dass die Beschwerdeführer selbst nicht Schüler dieser Schule waren und zu der Schule auch selbst keinen freien Zugang hatten.

Wären die Fluglätter also offen auf der Straße an jedermann verteilt worden, hätte der EGMR wohl anders entschieden. Vor dem skizzierten Hintergrund erscheint mir das Urteil des Gerichtshofs differenziert und sachgerecht.

posted by Stadler at 18:02  

21.1.12

Meinungsfreiheit auch für Neonazis

Man darf das „BRD-System“ als verkommen bezeichnen und im Hinblick auf den NS-Widerstandskämpfer Georg Elser die Ansicht vertreten: „Mörder unschuldiger Menschen können keine Vorbilder sein!“.

Das Amtsgericht Hechingen und das OLG Stuttgart sahen darin eine Verunglimpfung des Staates nach § 90 a I 1 StGB und haben die Verantwortliche eines entsprechenden Flugblatts verurteilt.

Diese Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.11.2011  (Az.: 1 BvR 917/09) wegen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 GG aufgehoben. Das Bundesverfassungsgericht zeigt einmal mehr schulmäßig auf, wie die Gerichte im Rahmen der sog. Wechselwirkungslehre grundrechtseinschränkende Strafvorschriften ihrerseits wiederum im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit auszulegen haben.

Das Gericht führt speziell zur Auslegung von Staatsschutzdelikten wie § 90 StGB aus:

Bei Staatsschutznormen ist dabei besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik auf der einen Seite und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung auf der anderen Seite zu unterscheiden, weil Art. 5 Abs. 1 GG gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet.

Die „Verkommenheit des BRD-Systems“ lässt das Gericht allerdings auch deshalb durchgehen, weil diese Aussage nicht die Kernthese des Flugblatts darstellt und die hohe Schwelle einer Gefährdung des Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder der Funktionsfähigkeit seiner staatlichen Einrichtungen nicht überschritten ist.

posted by Stadler at 13:16  

20.1.12

EGMR stärkt Berichterstattungsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich wegen eines Verstoßes gegen Art. 10 MRK (Meinungsfreiheit) verurteilt (Urteil vom 10.01.2012, Az.: 34702/07).

Hintergrund war eine Presseberichterstattung des Standard über staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Verantwortliche der Bank Hypo Alpe Adria. Der Artikel befasste sich u.a. mit einem Bereichsleiter der Bank, Christian Rauscher, weil dieser vom Vorstandschef der Bank Wolfgang Kulterer und dem damaligen Landeshauptmann Kärntens Jörg Haider als Alleinverantwortlicher eines erheblichen Spekulationsverlusts benannt worden war.

Rauscher sah sich durch die Nennung seines Namens in dem Beitrag in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und verlangte nach § 7a des österreichischen Mediengesetzes eine Geldentschädigung von der Zeitung. Die Vorschrift sieht vor, dass im Falle der Bekanntgabe der Identität einer Person unter  gewissen Voraussetzungen ein Anspruch auf Geldentschädigung besteht. Im konkreten Fall hatte das OLG Wien eine Entschädigung von EUR 5.000 zugesprochen.

Darin hat der EGMR eine Verletzung von Art. 10 MRK gesehen. Der Gerichtshof erläutert zunächst, dass es im konkreten Fall nicht entscheidend darauf ankommt, ob Christian Rauscher eine Person des öffentlichen Lebens (Public Figure) ist, oder von sich aus die Öffentlichkeit gesucht hat. Dies ist nach Ansicht des EGMR nur einer von mehreren zu beachtenden Aspekten. Wesentlich ist nach Ansicht des Gerichtshofs das öffentliche Interesse an der Berichterstattung. Insoweit hätte das nationale Gericht den Presseartikel in seiner Gesamtheit würdigen müssen. Der Artikel erläutert, dass der Bankchef und Jörg Haider versuchen, die Verantwortung für einen Spekulationsverlust der Bank allein dem Bereichsleiter Rauscher anzulasten. Bei einer derartigen Berichterstattung sind nach Ansicht des EGMR Namen, Personen und persönliche Beziehungen und Verflechtungen von erheblicher Bedeutung. Der EGMR führt hierzu aus:

The article’s focus is instead on the extent to which politics and banking are intertwined and on the political and economic responsibility for the bank’s enormous losses. It mentions that Mr Haider, who himself also represented the Land as a shareholder and performed a supervisory function at the bank, and Mr Kulterer from the bank’s executive board, were trying to put the blame on the claimant and in this context refers to his father, member of the Socialist Party and former member of the regional government, thus hinting at motives of party politics. Names, persons and personal relationships are clearly of considerable importance in this sphere. It is difficult to see how the applicant company could have reported on these issues in a meaningful manner without mentioning the names of all those involved, including the claimant (see, mutatis mutandis, Flinkkilä and Others, cited above, § 85, where the Court also considered that the disclosure of the identity of the person concerned had a direct bearing on matters of public interest). That distinguishes the present case from a case in which the Court declared inadmissible the complaint by the publisher of an Austrian news magazine, which had been ordered to pay compensation for having disclosed the name of a police officer at an early stage of criminal proceedings against him. The Court found in that case that the disclosure of the police officer’s name did not add anything to the information already given in the article.

(via e-comm)

posted by Stadler at 10:49  
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