Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.8.11

Brauchen wir eine differenzierte Betrachtung zur Vorratsdatenspeicherung?

Netzpolitiker der SPD fordern eine differenzierte Herangehensweise bei der Vorratsdatenspeicherung und haben einen entsprechenden Musterantrag für den Bundesparteitag vorbereitet. Diese Kompromisslinie, die maßgeblich auf Alvar Freude zurückgehen dürfte – und von diesem auch schon länger vertreten wird – wird in der Netz-Community auf wenig Gegenliebe stoßen. Der erste Rant zum Thema ist deshalb auch schon da und er kommt, wenig überraschend, von Fefe, der den seit Tagen offen im Netz stehenden Musterantrag, seiner verschwörungstheoretischen Neigung nachgebend, übrigens für einen Leak hält.

Weshalb ich diesem Ansatz einer Vorratsdatenspeicherung light skeptisch gegenüberstehe, auch wenn sie verfassungsrechtlich machbar ist, habe ich vor längerer Zeit schon erläutert.

Was ist also jetzt von diesem neuen SPD-Musterantrag zu halten? Wenn man die Speicherung von Verkehrsdaten (z.B. IP-Adressen) erlauben, ihren Abruf aber nur bei schweren Straftaten (Katalogtaten des § 100a StPO) ermöglichen will, muss man sich zuerst fragen, welche Straftaten man damit aufklären kann und will. Eine Frage, die leider zu wenig gestellt wird.

IP-Adressen spielen im Bereich der Schwerstkriminalität praktisch keine Rolle, auch wenn gelegentlich etwas anderes behauptet wird. Denn es gibt in diesem Bereich ganz andere Möglichkeiten, den Ermittlern stehen eine Fülle von Befugnissen der TK-Überwachung zur Verfügung. Im Fällen von Katalogstraftaten besteht daher auch kaum ein praktisches Bedürfnis für den Abgleich von IP-Adressen. Den Hauptanwendungsfall bilden vielmehr Betrugsstraftaten, Urheberrechtsverletzungen und Äußerungsdelikte (Beleidigung, Verleumdung). Das ist auch naheliegend, wenn man sich die Frage stellt, welche Erkenntnisse man aus der Verknüpfung einer IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber gewinnen kann.

Die Speicherung speziell von IP-Adressen ist deshalb ermittlungstechnisch nur im Bereich der Massenkriminalität sinnvoll. Im Bereich der Schwerstkriminalität spielt sie keine nennenswerte Rolle.

Die SPD-Netzpolitiker haben auf der Suche nach einem vermeintlich sinnvollen Kompromiss wenig Sinn für die Realitäten der Strafverfolgung bewiesen. Ein Vorschlag, der gerade aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden keine relevante Verbesserung bringt, aber dennoch beträchtlich in Grundrechte eingreift, kann auch kaum als differenzierter  Ansatz betrachtet werden.

Mich erinnert diese Kompromisssuche der SPD eher an diejenige beim Zugangserschwerungsgesetz. Die Netzpolitiker der SPD haben ganz offensichtlich wenig aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.

posted by Stadler at 23:02  

26.8.11

Das BKA und die Hysterie

Daran, dass der Präsident des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke selten sachlich argumentiert, aber dennoch von Teilen der Politik Ernst genommen wird, habe ich mich gewöhnt, ebenso wie an den Umstand, dass Ziercke Bürgerrechtlern Hysterie vorwirft, während er gleichzeitig Ängste schürt.

Dass er flankierend eine gezielte Irreführung betreibt, muss aber immer und immer wieder deutlich angesprochen werden.  Ziercke behauptet nach einem Bericht von Heise-Online zum wiederholten Male, dass man schwerste Straftaten im Internet mit klassischen polizeilichen Ermittlungsmethoden nicht mehr aufklären könne, weshalb es bei schweren Straftaten wie Kinderpornografie oder im Kampf gegen den internationalen Terrorismus möglich sein müsse, auf Verbindungsdaten mindestens sechs Monate zurückzugreifen.

Diese Aussagen sind gleich in mehrfacher hinsicht falsch und stehen z.T. auch in Widerspruch zu eigenen Veröffentlichungen des BKA. Wenn man auf die Polizeiliche Kriminalstatistik – auf deren begrenzte Tauglichkeit ich mehrfach hingewiesen habe – zurückgreift, dann zeigt sich, dass die Aufklärungsquote bei Internetstraftaten nach wie vor über dem Durchschnitt liegt. Davon, dass Internetstraftaten nicht mehr aufklärbar seien, kann also gar keine Rede sein. Außerdem ist selbst das BKA der Ansicht, dass ein Zusammenhang zwischen Aufklärungsquoten und Vorratsdatenspeicherung nicht nachweisbar ist. Auf der Website des BKA kann man hierzu folgendes lesen:

Aufklärungsquoten der PKS können also weder als Argument für noch gegen Mindestspeicherfristen herangezogen werden

Vielleicht sollte Herr Ziercke einfach die Veröffentlichungen seines eigenen Hauses aufmerksamer verfolgen.

Wenn man mit Beamten des BKA spricht – ich hatte im letzten Jahr Gelegenheit dazu – ist im Zusammenhang mit Internkriminalität primär von der Bekämpfung von Betrugsstraftaten die Rede. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn nach der PKS sind mehr als 80 % der Internetdelikte Betrugsfälle. Davon spricht Ziercke allerdings nicht.

Wenn der BKA-Präsident redlich argumentieren würde, so müsste er sagen, dass man mit der Vorratsdatenspeicherung die Hoffnung verbindet, zusätzlich eine gewisse – allerdings eher geringe – Anzahl von Betrugsdelikten aufzuklären. Stattdessen polemisiert er und redet ständig von schwersten Straftaten und von Terrorismus. Denn nur wenn es drastisch genug ist, kann man die Bevölkerung von der Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung überzeugen. Denn wer wird es schon für sinnvoll und angemessen halten, die Telekommunikationsverbindungsdaten sämtlicher Bürger für 6 Monate auf Vorrat zu speichern, wenn damit allenfalls – und selbst dies ist ungewiss – eine Handvoll Betrugsdelikte zusätzlich aufgeklärt werden können. Genau diese Diskussion wäre aber zu führen.

posted by Stadler at 10:42  

31.5.11

Die Mär von der Terrorismusbekämpfung

Richard Gutjahr hat kürzlich einen vielbeachteten Blogtext mit dem Titel „Die Anti-Terror-Lüge“ veröffentlicht. Soweit sich neben den zustimmenden auch kritische Stimmen zu Wort gemeldet haben, beißen diese sich an Missverständnissen oder Ungenauigkeiten im Detail fest, ohne sich mit der eigentlichen Kernaussage Gutjahrs zu beschäftigen.

Anlass des besagten Blogbeitrags war eine Podiumsdiskussion die von Gutjahr moderiert wurde und auf der u.a. der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, der Vize-Präsident des BKA Jürgen Stock und der Verfassungsrichter Peter M. Huber kontrovers diskutiert haben. Das Thema lautete: Datensammelwut vs. Datenschutz – Brauchen wir eine neue Datenschutzpolitik? In der Diskussion ging es zunächst primär um das Für und Wider der Vorratsdatenspeicherung. Die sog. Anti-Terror-Gesetze wurden nur am Rande erwähnt.

Auffällig war – und dies dürfte Gutjahr zu dem Titel „Die Anti-Terror-Lüge“ veranlasst haben – dass Jürgen Stock vom BKA sich sogleich für ein altbekanntes Argumentationsmuster entschieden hat. Zur Rechtfertigung der Vorratsdatenspeicherung  hat der Vizepräsident des Bundeskriminalamts nämlich ohne große Umschweife darauf verwiesen, dass diese zur Bekämpfung des Terrorismus, der Kinderpornographie und der organisierten Kriminalität erforderlich sei. Eine Argumentation die so vorhersehbar wie falsch ist.

Wenn man mit Beamten des BKA über die Vorratsdatenspeicherung spricht, wozu ich beim Netzpolitischen Kongress der Grünen Gelegenheit hatte, dann ist zumeist die Rede davon, dass aufgrund des fehlenden Ermittlungsansatzes IP-Adresse Betrugsstraftaten, und die Fälle des Phishing – man spricht im Behördenjargon von Identitätsdiebstahl – nicht mehr aufzuklären seien. Ein Blick in die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatisitik bestätigt dies. Ca. 82 % der Internetdelikte sind Betrugsstraftaten, wobei die Aufklärungsquote, auch ohne Vorratsdatenspeicherung, deutlich höher ist, als im Offline-Bereich.

Die Anti-Terror-Lüge besteht also u.a. darin, dass die Vorratsdatenspeicherung mit der angeblichen Notwendigkeit der Bekämpfung des Terrorismus begründet wird, obwohl man weiß, dass sie im Kern anderen Zwecken dient.

Auf der besagten Podiumsdiskussion hat der Vizepräsident des BKA auf die Frage, ob man sich auch bei den Anti-Terror-Gesetzen vom Gesetzgeber noch Erweiterungen wünsche, übrigens geantwortet, dass das Amt diesbezüglich derzeit keine konkreten Wünsche habe. Was wiederum Peter Schaar zu der Bemerkung veranlasst hat, dass in diesem Bereich ohnehin schon alle Wünsche erfüllt worden seien.

Noch ein paar Anmerkungen zu den sog. Anti-Terrorgesetzen, über deren Evaluierung ich kürzlich bereits gebloggt hatte. Die Anti-Terror-Gesetze haben vor allen Dingen zusätzliche Eingriffsbefugnisse zugunsten der Geheimdienste und des BKA geschaffen. Diese zusätzlichen Befugnisse sind aber keineswegs auf die Bekämpfung des Terrorismus beschränkt.
Aufgrund der Anti-Terror-Befugnisse, wurden nach einem Bericht der Bundesregierung z.B. auch die Anschlussinhaber zu 40 IP -Adressen ermittelt, weil sie „völkerverständigungswidrige Musiktitel“ im Internet zum Download angeboten haben. Eine so verstandene Terrorismusbekämpfung erweist sich also als ein sehr weites Feld.

In diesem Bereich muss man außerdem wissen, dass die Dienste insgesamt über mehr Überwachungsbefugnisse verfügen, als die regulären Polizei- und Sicherheitsbehörden. Da dies zu einer stärkeren Gefährdung der Grundrechte führt,  müssten sie eigentlich auch einer stärkeren Kontrolle unterliegen. Das Gegenteil ist allerdings der Fall. Die richterliche und auch parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit der Dienste schwankt von magelhaft bis nicht vorhanden. Der Gesetzgeber schafft damit praktisch rechtsfreie Räume in denen die Dienste unkontrolliert agieren können.

Wenn man die anderen neuen Eingriffsbefugnisse, die der Gesetzgeber in den letzten 10 Jahren geschaffen hat – die allerdings nicht alle der Überprüfung durch das BVerfG standgehalten haben – hinzu zählt, ergibt sich unter dem Strich eine bedenkliche Beschneidung der Bürgerrechte. Diese Entwicklung wird verstärkt durch Maßnahmen auf europäischer Ebene wie z.B. dem Swift-Abkommen, das den USA den Abruf von Bankdaten europäischer Bürger erlaubt.

Wer vor diesem Hintergrund einem Autor wie Richard Gutjahr eine ungenaue oder gar falsche Darstellung vorwirft, muss sich die Frage stellen, wie man dann das nennen soll, was der Innenminister so von sich gibt.

posted by Stadler at 11:52  

19.3.11

Funktioniert „Löschen statt Sperren“ jetzt endlich auch beim BKA?

Blogbeiträge der Grünen und der Linken sowie Medienberichte legen nahe, dass auch das BKA im Januar 2011 eine Löschquote von 99 % (vier Wochen nach Versand entsprechender Löschaufforderungen) im Zuge der Evaluierung des Zugangserschwerungsgesetzes erreicht hat.

Wenn man sich das Berichtsschreiben des Bundeskriminalamts an das BMI vom 22.02.2011 – das mir vorliegt – ansieht, so lässt sich dieser Schluss anhand der vom BKA gelieferten Zahlen und Daten allerdings nicht eindeutig ziehen. Das Grundproblem der Darstellung des BKA besteht darin, dass die tabellarische Statistik nur darstellt, wie viele der Webseiten eine Woche nach Versand einer Löschmitteilung noch online waren. Im Januar 2011 waren danach 68 % der kinderpornografischen Websites nach einer Woche gelöscht, im Dezember 2010 waren es 79% im November 2010 83 %. Im Januar 2011 hatte das BKA 143 kinderpornografische Websites ermittelt, im Dezember 2010 waren es 98 und im November 111.

Die Statistik des BKA macht leider keine Angaben darüber, wie viele dieser Webseiten nach zwei, drei und vier Wochen noch online bzw. gelöscht sind, obwohl das BKA immer dann, wenn eine Löschung nicht erfolgt ist, weitere Mahnschreiben versendet. Insoweit sollte man eigentlich auch diesbezüglich eine konkrete statistische Auswertung erwarten dürfen. Die unzureichende statistische Darstellung durch das BKA ist möglicherweise politisch gewollt, weil man ansonsten tatsächlich einräumen müsste, dass sich die Löschquote stark der 100% Marke annähert, womit jegliche Rechtfertigung für Netzsperren entfallen würde.

Das Bundeskriminalamt weist im Text seines Schreibens für den Berichtszeitraum Januar 2011 allerdings darauf hin, dass in zehn Fällen eine zweite, in drei Fällen eine dritte und in einem Fall eine vierte Mahnung versandt worden ist, wobei insoweit eine Rückmeldung noch aussteht. Hieraus haben die Grünen und die Linken dann die Schlussfolgerung gezogen, dass nur noch die zuletzt angemahnte Website am Netz verblieben ist, woraus sich die Annahme einer Löschquote von 99 % ergibt. Das kann zwar durchaus so sein, ergibt sich aber wie gesagt nicht eindeutig aus den Angaben des BKA und ist deshalb ein Stück weit spekulativ.

Es ist aber ersichtlich so, dass zumindest in den letzten Monaten bereits nach einer Woche 2/3 – 3/4 der beanstandeten Seiten gelöscht waren und, dass es in den Folgewochen dann, wegen des erneuten Nachfassens des BKA ,stets zur Löschung weiterer Seiten kommt, weshalb die Löschquote mittlerweile beträchtlich ist.

Man kann also nach einem Jahr der Evaluierung selbst anhand der Zahlen des BKA feststellen, dass es keinesfalls tausende kinderpornografischer Websites im Netz gibt, sondern – mit gewissen Schwankungen – immer nur etwas über 100 und, dass die Löschquote sehr hoch ist.

Dennoch gibt es Unionspolitiker, die dasselbe Zahlenmaterial für die Behauptung nutzen, der Löschansatz hätte sich als Flop erwiesen. Die Begründung hierfür lautet, dass die Jahresbilanz des BKA ergebe, dass 39 Prozent aller registrierten Kinderpornoseiten trotz Löschersuchens des BKA an die zuständigen Stellen nach einer Woche immer noch im Netz zu finden waren und, dass nach der Jahresbilanz des BKA die Löschversuche der Behörde im Vorjahr damit nur in sechs von zehn Fällen erfolgreich waren.

Der erste Teil dieser Aussage stellt eine Verzerrung der Statistik dar, während der zweite Teil der Aussage als gänzlich falsch bezeichnet werden muss.

Wenn man die Tabelle des BKA betrachtet, dann sind im Zeitraum vom Januar 2010 bis Januar 2011 tatsächlich im Durchschnitt nach einer Woche lediglich 58 % der beanstandeten Websites gelöscht gewesen. Mit dieser Durchschnittsangabe blendet man allerdings aus, dass sich diese Quote gerade in den letzten drei Monaten deutlich erhöht hat (siehe oben), was dafür spricht, dass die Löschbemühungen zunehmend besser greifen. Die weiterer Behauptung des CDU-Politikers Krings, die Löschbemühungen des BKA seien nur in sechs von zehn Fällen erfolgreich, ist allerdings gänzlich falsch, weil sie den Erfolg der weiteren Mahnungen des BKA, die nach Ablauf einer Woche verschickt werden, gänzlich unberücksichtigt lässt.

Wenn eco also angibt, nach ihren Erkenntnissen seien in 2010 84% nach einer Woche, 91% nach zwei Wochen und schlussendlich 99,4% der kinderpornografischen Websites gelöscht worden, dann steht das zumindest nicht in Widerspruch zu den Zahlen des BKA der letzten Monate.

Es gibt allerdings Datenjongleure, die aus politischen Gründen etwas anderes Glauben machen wollen.

posted by Stadler at 13:46  

9.1.11

Daten auf dem Silbertablett

Der Umstand, dass Twitter kürzlich Nutzerdaten – vor dem Hintergrund von Ermittlungen gegen Wikileaks-Chef Assenge – an die US-Regierung herausgegeben hat, wird gerade intensiv diskutiert. Es scheint hierbei offenbar die Ansicht vorzuherrschen, derartiges sei in Deutschland nicht oder nur erschwert möglich.

Dass das ein Irrglaube ist, legt der Kollege Vetter in seinem Blog anschaulich dar. Diese Einschätzung entspricht auch meiner Erfahrung. Seit vielen Jahren liefern Provider und Portalbetreiber den Ermittlungsbehörden oftmals ohne großen Widerstand alle möglichen Daten auf Anfrage hin. Das Spektrum reicht von Bestandsdaten bis hin zu konkreten Kommunikationsinhalten. Oft genug werden hierbei durch die Behörden auch die gesetzlichen Vorgaben nicht beachtet. In vielen Fällen genügt faktisch ein Fax einer Polizeidienststelle oder KPI mit einer „Auskunftsanfrage“ und die Behörden bekommen die gewünschten Daten auf dem Silbertablett. Eine gewisse Erschwernis dieser zum Teil rechtswidrigen Praxis ist nun dadurch eingetreten, dass viele Provider und Portalbetreiber IP-Adressen nicht mehr oder nur nur noch sieben Tage speichern und danach keine Auskunft mehr erteilen können, weil die gewünschten Daten nicht mehr vorhanden sind. Der Grund hierfür ist übrigens nicht der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung, sondern der Druck der von den Datenschutzbehörden ausgeht. Ein Umstand, der auch in der aktuellen Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung zu wenig beachtet wird. Die (politische) Diskussion müsste eigentlich konkret das Spannungsverhältnis von Datenschutz und staatlichem Sicherheitsinteresse beleuchten. Diese Diskussion scheint aber politisch nicht erwünscht zu sein.

Ich habe vor einiger Zeit mal einen ISP vertreten, der eine formlose Anfrage des Bundeskriminalamts auf dem Tisch hatte, zu einer IP-Adresse die „Bestandsdaten“ eines Kunden zu liefern. Der Provider hat die Herausgabe verweigert und gab dem BKA die Rückmeldung, dass man mit der ermittelnden Staatsanwaltschaft im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben natürlich kooperieren würde, aber für eine Beantwortung dieser formlosen Anfrage keine rechtliche Verpflichtung erkennen könne. Der Provider hat von dem Vorgang nie wieder etwas gehört, weder das BKA noch eine Staatsanwaltschaft ist je wieder bei dem ISP vorstellig geworden.

Die meisten Anbieter sind allerdings nicht so widerspenstig, sondern kooperieren bereitwillig mit den Behörden. Zum Teil weil man glaubt, dazu stets verpflichtet zu sein, teils deshalb, weil man keinen Ärger mit der Staatsgewalt haben möchte.

Auch richterliche Beschlüsse über die Beschlagnahme von Kommunikationsinhalten gibt es in Deutschland sehr häufig und oftmals auch sehr zügig. Die Bedeutung des Richtervorbehalts wird insgesamt stark überschätzt.

posted by Stadler at 14:06  

26.10.10

Ausschussanhörung zu Netzsperren

Am gestrigen 25.10.2010 habe ich als Sachverständiger für den FoeBud an einer Anhörung des Unterausschusses Neue Medien des Bundestages zum Thema „Kampf gegen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Internet: technische und organisatorische Fragen“ teilgenommen. Meine schriftliche Stellungnahme ist online abrufbar.

Die Fraktionen von Grünen, SPD und Linken haben (jeweils eigene) Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht, die auf eine Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes gerichtet sind. Diese Gesetzesentwürfe werden nunmehr in den Ausschüssen behandelt, zuerst in dem für Neue Medien und anschließend noch im Rechtsausschuss.

In der zweieinhalbstünden Sachverständigenbefragung haben die anwesenden Experten fast einhellig die Ansicht vertreten, dass Netzsperren kein geeignetes Mittel sind, um kinderpornografische Inhalte im Netz zu bekämpfen. Weitgehend einig war man sich auch darüber, dass die Melde- und Löschkonzepte verbesserungsbedürftig sind und die direkte Kontaktaufnahme zu den hostenden Providern den größten Erfolg verspricht. Allein das BKA scheint weiterhin, allerdings nicht mehr mit derselben Vehemenz wie früher, Sperren zu befürworten. Eine gute Zusammenfassung der Anhörung findet sich bei Heise.

Als unbefangener Zuhörer konnte fast den Eindruck gewinnen, dass eigentlich alle im Bundestag vertretenen Parteien gegen Access-Sperren sind, nachdem selbst der Unionsvertreter MdB Thomas Jarzombek – der m.E. eine sehr konstruktive und kompetene Rolle gespielt hat – durchaus kritisch beim BKA nachgefragt hat und Zweifel erkennen ließ. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Zugangserschwerungsgesetz im letzten Jahr mit den Stimmen von Union und SPD beschlossen worden ist und in der Union nach wie vor eine Mehrheit für das Gesetz existiert.

Die schriftlichen Stellungnahmen aller Sachverständigen sind mittlerweile über den Server des Bundestages abrufbar, die Anhörung soll auch noch in Form eines Wortprotokolls und in voller Länge als Download verfügbar gemacht werden.

Update vom 27.10.10:
Die Anhörung ist jetzt über den Server des Bundestags abrufbar

posted by Stadler at 16:24  

21.10.10

BKA legt Evaluationsstatisitik zu „Löschen statt Sperren“ vor

Das Bundeskrimiminalamt hat eine „Evaluationsstatistik“ – es handelt sich bislang um eine schnöde, wenig aussagekräftiges Excel-Datei – vorgelegt, die nach Monaten aufgeschlüsselt, den Stand der Bemühungen nach dem Zugangserschwerungsgesetz darstellen soll, in anderen Staaten eine Löschung von Websites mit kinderpornografischen Inhalten herbeizuführen.

Nach der Forderung der Fraktion der Grünen sollte diese Statistik u.a. folgende Punkte beinhalten:

  • die Zahl der im Vormonat getätigten Unterrichtungen anderer Staaten
  • eine Auflistung der betroffenen Staaten (wie viele Fälle pro Staat im Monat)
  • die Zahl der erfolgten Rückmeldungen
  • der Inhalt der Rückmeldungen und Auskunft darüber, in wie vielen Fällen innerhalb welcher Frist eine Löschung geschah
  • eine Übersicht der BKA-seitig ermittelte Erkenntnisse über den weiteren Verbleib des betreffenden Materials, welche dem betroffenen Staat gemeldet wurde
  • die Zahl der monatlichen Unterrichtungen der Selbstregulierungsstellen sowie die Zahl der Rückmeldungen hierauf und deren Inhalt

Diesen Anforderungen genügt die Datei bislang nicht, es soll aber noch eine ausführliche Version geben.

Ob die Zahlen des BKA korrekt sind oder nicht, vermag ich nicht einzuschätzen. Die Zahlen machen aber einmal mehr deutlich, dass der Weg über die zuständigen ausländischen Behörden zu langwierig ist. Zielführend ist – wie zum Beispiel der AK Zensur mehrfach dargestellt hat – allein der direkte Weg über die Host-Provider.

Update vom 22.10.10:
Mittlerweile sind auch die monatlichen Evaluierungsberichte des BKA verfügbar.

posted by Stadler at 18:13  

27.8.10

Das BKA und die Netzsperren

Das BKA propagiert nach kurzer Atempause erneut ganz massiv die Einführung von Access-Sperren und damit die Anwendung des Zugangserschwerungsgesetzes.

Warum die zur Begründung angeführte Behauptung des BKA, das Löschen kinderpornografischer Websites würde international nicht funktionieren, falsch ist, erklärt Alvar Freude vom AK Zensur erneut in einer ausführlichen und lesenswerten Darstellung.

posted by Stadler at 21:04  

15.7.10

BKA fordert erneut Access-Sperren

Wenn Volksverdummung in Deutschland strafbäre wäre, dann müsste BKA-Präsident Ziercke erster Anwärter auf ein entsprechendes Ermittlungsverfahren sein, dicht gefolgt von Wolfgang Bosbach (CDU).

Nach einem Bericht der Berliner Morgenpost gibt es eine neue BKA-Studie, wonach das Löschen kinderpornografischer Seiten problematisch sei, weshalb, so die Forderung des Bundeskriminalamts, bis zur Löschung gesperrt werden müsse. In dem Artikel der Berliner Morgenpost vom 15.07.2010 heißt es wörtlich:

„Präsident Jörg Ziercke hatte mehrfach für Sperren im Internet plädiert, stößt mit dieser Ansicht aber auf den Widerstand bei der mitregierenden FDP, die Liberalität im Netz fordert. Das alleinige Löschen im Netz führt laut Ziercke nicht zum Verschwinden der schrecklichen Bilder aus dem Internet, weil die Produzenten stets über Kopien des Materials verfügen.“

Das was Ziercke als Sperren bezeichnet, ist mit dem Begriff der Access-Blockaden sicherlich zutreffender umschrieben, denn gesperrt wird bei dieser Vorgehensweise, mangels tatsächlicher Zugriffsmöglichkeit auf die Server, gar nichts. Die Inhalte bleiben bei dem Vorgehen das Ziercke fordert unverändert online. Wenn also im Hinblick auf die physikalische Löschung von Content beklagt wird, dass diese oft tagelang dauert, weil die Provider zu langsam reagieren oder Inhalte sich noch in Caches befinden, obwohl sie an der Quelle gelöscht wurden, dann sollte man betonen, dass die von Ziercke propagierten Access-Blockaden noch viel weniger leisten. Denn die Inhalte bleiben bei diesen „Sperren“ an ihrer Quelle unverändert und ununterbrochen online. Weil also die beste Lösung noch nicht zufriedenstellend funktioniert, kann das kein Grund sein, die deutlich schlechtere Lösung zu fordern. Vielmehr sollte man die Prioritäten richtig setzen und die erfolgversprechenden Konzepte optimieren. Ziercke geht es letztlich aber um etwas anderes, nämlich um eine Kompetenzerweiterung des BKA und die würde eine Anwendung des Zugangserschwerungsgesetzes gewährleisten.

Die in einem anderen Kontext getroffene Aussage von Michael Naumann, dass das grenzenlose Vertrauen ins BKA dem Menschenverstand widerspricht, beansprucht auch hier Gültigkeit.

posted by Stadler at 12:32  

8.6.10

Die Datensammler vom BKA

Der Kollege Vetter ereifert sich – nicht ganz zu Unrecht – über eine Verordnung der Bundesinnenministeriums, die den schönen Namen „Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen“ trägt und die gerade die Zustimmung des Bundesrats erhalten hat.

Wer verstehen will, worum es geht, muss zunächst die §§ 8 und 9 des BKAG lesen, denn diese Vorschriften bilden nach § 7 Abs. 6 BKAG die gesetzliche Grundlage dieser Verordnung.

Ich muss gestehen, dass ich die Vorschrift des § 8 BKAG heute zum ersten Mal lese und ich muss weiter gestehen, dass ich speziell § 8 Abs. 2 BKAG auch nicht verstehe. Die Vorschrift lautet:

„Weitere personenbezogene Daten von Beschuldigten und personenbezogene Daten von Personen, die einer Straftat verdächtig sind, kann das Bundeskriminalamt nur speichern, verändern und nutzen, soweit dies erforderlich ist, weil wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß Strafverfahren gegen den Beschuldigten oder Tatverdächtigen zu führen sind.“

Weitere personenbezogene Daten – also über Abs. 1 hinaus – dürfen dann gespeichert werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass gegen Beschuldigte oder Tatverdächtige ein Strafverfahren zu führen ist. Man möchte doch meinen, dass bei Beschuldigten und Tatverdächtigen regelmäßig Grund für die Einleitung eines Strafverfahrens besteht, im Falle von Beschuldigten muss sogar schon ein Ermittlungsverfahren bestehen, weil dieses Verfahren den Beschuldigtenstatus überhaupt erst begründet.

Was unter weitere personenbezogene Daten zu verstehen ist, besagt das Gesetz nicht, sondern überlässt es vielmehr dem Verordnungsgeber. Ob das allerdings der Vorgabe der sog. Wesentlichkeitstheorie entspricht, die besagt, dass der Gesetzgeber das Wesentliche selbst zu regeln hat und nicht der Exekutive überlassen darf, wird man bezweifeln dürfen.

Ein Blick in § 2 der Verordnung offenbart allerdings ein weiteres Problem. Denn dort wird keineswegs nur die Art der Daten näher bestimmt, wie der Titel der Verordnung vorgibt. Vielmehr wird der Kreis der Betroffenen Personen erheblich erweitert. Die Verordnung spricht von „Beziehungen zu Personen“ und „Gruppenzugehörigkeit“, von „Gefährdern“ und „relevante Person“.

Bei der Lektüre dieser Begriffe muss ich spontan an Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ denken. Wer also in irgendeiner Beziehung zu einem Tatverdächtigen steht oder nur derselben Gruppe (Sportverein, Stammtisch?) angehört, kann auf diesem Umweg in einer Datei des BKA landen. Und relevant wird im Zweifel jede Person sein, die die Ermittlungsbehörden, aufgrund welcher absurden Umstände auch immer, für relevant erachten. Wenn man sich den uferlosen Katalog des § 2 der Verordnung ansieht, muss man ohne weiteres zu der Schlussfolgerung gelangen, dass diese Vorschrift von seiner gesetzlichen Ermächtigungsnorm nicht gedeckt ist.

Und der gesetzlichen Regelung selbst, insbesondere § 8 Abs. 2 BKAG, mangelt es nicht nur an der erforderlichen Normklarheit. Die Regelung wonach bei Beschuldigten Grund zur Annahme bestehen muss, dass gegen sie ein Strafverfahren geführt wird, stellt eine Tautologie dar.

posted by Stadler at 08:00  
« Vorherige SeiteNächste Seite »