Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.9.14

Die aktuelle Debatte über die Störerhaftung ist eine Scheindebatte

Seit Jahren wird darüber diskutiert, dass die sog. Störerhaftung die Entwicklung offener und öffentlicher W-LAN-Netze verhindert. Denn die Betreiber eines solchen Netzes haben häufig Angst davor, für Rechtsverletzungen in Haftung genommen zu werden, was den Aufbau derartiger Netze hemmt. Diese Bedenken kenne ich auch aus der Beratungspraxis. Derzeit denken immer mehr Kommunen darüber nach, zumindest an zentralen Plätzen ihrer Gemeinden ein offenes, für jedermann zugängliches W-LAN zu eröffnen. In diesbezüglichen Beratungsgesprächen ist die Gefahr einer Haftung für Rechtsverletzungen der Nutzer immer wieder Thema.

Die Bundesregierung hat zu diesem Problemkreis nunmehr einen Gesetzesentwurf angekündigt, der noch nicht vorliegt und dessen Reichweite auch noch nicht gänzlich klar ist. Die rechtspolitische Diskussion hierzu ist allerdings in vollem Gange, wie aktuelle Beiträge bei den Grünen und bei netzpolitik.org zeigen. Die Kritik entzündet sich daran, dass die Bundesregierung die Störerhaftung angeblich nur für kommerzielle W-LANs abschaffen will, was Ulf Buermeyer vor einigen Wochen bei netzpolitik.org bereits thematisiert und kritisiert hatte.

Der Gesetzesvorschlag auf den die Grünen und netzpolitik.org verweisen, erscheint mir allerdings ebenfalls das Problem zu beinhalten, dass man ihn am Ende auch dahingehend auslegen kann, dass Betreiber privater W-LANs nicht erfasst werden.

Darüber hinaus stellt sich aber ganz allgemein die Frage, ob die Störerhaftung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des BGH überhaupt noch das Problem darstellt oder ob hier nicht mittlerweile eher eine Scheindiskussion geführt wird.

Der BGH geht jedenfalls bei privaten W-LANs derzeit davon aus, dass zunächst eine Vermutung dahingehend besteht, dass der Anschlussinhaber der Rechtsverletzer ist. Hier hilft eine Abschaffung der Störerhaftung nicht, denn was der BGH hier postuliert ist eine originäre Haftung des Anschlussinhabers als Täter/Verletzer und keine abgeleitete Haftung als Störer. Auch die Vorschrift des § 8 TMG – deren Erweiterung aktuell diskutiert wird – könnte, egal in welcher Fassung, hieran nichts ändern, weil die dortige Haftungsprivilegierung sich immer nur auf die Durchleitung fremder Informationen bezieht.

Die vom BGH postulierte Vermutung führt dazu, dass der Betreiber eines privaten W-LANs im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Prozess Umstände darstellen muss, aus denen sich ergibt, dass er nicht der originäre Rechtsverletzter ist, sondern, dass ein Dritter seinen Internetzugang für eine Rechtsverletzung missbraucht hat. Die konkreten Anforderungen an diese sekudäre Darlegunglast waren lange Zeit äußerst umstritten, eine gewisse, aber keinesfalls anschließende Klärung, hat die BearShare-Entscheidung des BGH gebracht.

Zur Rechtssicherheit würde es beispielsweise beitragen, wenn der BGH endlich einmal einen Fall zu entscheiden hätte, in dem ein Hotelier oder Gastronom für Urheberrechtsverletzung von Gästen in Anspruch genommen worden ist. Die Tendenz in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung geht in solchen Fällen nämlich eindeutig dahin, derartige Betreiber, die ein W-LAN für ihre Gäste öffnen, nicht haften zu lassen. Denn in diesen Fällen kann die vom BGH postulierte Vermutung von vornherein nicht eingreifen, weil es sich nicht um ein vom Anbieter (Gastwirt) eigengenutztes W-LAN handelt.

Die gesetzliche Verankerung einer Haftungprivilegierung für Betreiber von Funknetzwerken, wie sie jetzt diskutiert wird, löst also das eigentliche Problem nicht. Denn das Problem hat der BGH längst auf die Frage reduziert, ob der Anbieter eines Internetzugangs die Rechtsverletzung selbst begangen hat oder nicht.

posted by Stadler at 10:34  

8 Comments

  1. Lieber Thomas,

    vielen Dank für den Beitrag, der die Debatte um einen wichtigen Hinweis ergänzt: In der Tat muss man sich auch mit der Vermutung beschäftigen, dass der Anschlussinhaber auch der Verletzer sei. Allerdings hast Du ja auf die Lösung auch gleich hingewiesen: Nach BearShare

    „… ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung … bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde …“

    (Quelle: http://www.internet-law.de/2014/06/filesharing-bearshare-entscheidung-des-bgh-im-volltext.html)

    Mit anderen Worten: In Fällen offener WLANs dürfte dem Anschlussinhaber unter diesem Aspekt letztlich kein Unheil drohen.

    Nach der (damit wohl erledigten) Verursacherhaftung kann den Anschlussinhaber aber immer noch die Störerhaftung für das Handeln Dritter treffen. Deswegen konzentriert sich die Debatte wohl zu Recht auf diesen Punkt.

    Ich teile zwar Deine Ansicht, dass es hier ermutigende Entscheidungen gibt. Nach wie vor ist aber keineswegs klar, dass Betreiber eines offenen WLANs unter diesem Aspekt nicht haften. Und wenn man sich dann überlegt, dass Abmahnungen oftmals nur ein Geschäft mit der Angst oder Unerfahrenheit der Abgemahnten sind, dann halte ich eine Regelung im Sinne des Digiges-Vorschlags nach wie vor für sinnvoll, einfach um hier Rechtsklarheit zu schaffen.

    Schließlich: Ich habe schon damals (siehe http://www.internet-law.de/2012/06/haftungsprivileg-fur-offene-w-lans.html) nicht verstanden, warum Du Dir nicht sicher bist, dass der Digiges-Text auch Private eindeutig erfasst. Denn es heißt doch in dem Digiges-Gesetzentwurf, dass der Ausschuss der Provider-Haftung

    „auch gewerbliche und nichtgewerbliche Betreiber von Funknetzwerken“

    umfasst. Klarer geht es meiner Meinung nach kaum, denn auch Private sind entweder gewerblich oder nichtgewerblich tätig und daher so oder so auf jeden Fall erfasst.

    Herzliche Grüße!

    Comment by @vieuxrenard — 3.09, 2014 @ 23:29

  2. Lieber Ulf,
    das Hauptproblem ist derzeit in der Praxis in nahezu allen Fällen die vom BGH postulierte Vermutung und die Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast. Wir sind uns einig, dass § 8 TMG nicht helfen kann, wenn man dem Betreiber des W-LANs eine eigene Rechtsverletzung unterstellt.

    Die Fälle, in denen es nach Verneinung einer Täterhaftung auf eine Störerhaftung hinauslaufen würde, werden nach meiner Einschätzung derzeit so gut wie nie vor Gericht gebracht. Denn die Abmahnkanzleien wissen auch, dass selbst rechteinhaberfreundliche Gerichte wie das AG München eine Störerhaftung des Vermieters für seine den Anschluss mitbenutzenden Mieter verneinen.

    Man kann m.E. auch der bisherigen Rspr. des BGH entnehmen, dass beispielsweise bei Hoteliers und Gastwirten eine Störerhaftung für Rechtsverletzungen der Gäste schwerlich in Betracht kommt. Abgemahnt werden diese Fälle dennoch weiterhin häufig, aber das würden sie vermutlich auch nach einer entsprechenden Klarstellung des § 8 TMG.

    Den großen Effekt einer gesetzlichen Regelung sehe ich – speziell im Lichte der aktuellen Rsprechung – deshalb nicht mehr.

    Comment by Stadler — 4.09, 2014 @ 08:42

  3. Wenn ich mir die obigen Texte durchlese, dann haftet anscheinend am besten niemand mehr, oder was? Also den General-Anon? Abgesehen davon, daß ich ein Ö-Wlan niemals nutzen oder anbieten würde, stellt sich doch die Frage, an wen sich Opfer von Internetkriminalität dann wenden können, an den heiligen Geist? Letztendlich hat der Anschlußeigentümer/Anbieter zu haften, und das ist auch gut so. Wer anderen einen Zugang zum Surfen anbietet, durch den die Nutzer Straftaten begehen können, hat das zu verantworten. Das gilt genauso hier in den Blogs. Wer das Posten zulässt, nicht unverzüglich für Ordnung sorgt, ist selber dran. Ich erkenne das Problem nicht, denn die Rechtslage ist gut, wie sie jetzt ist.

    Comment by Colin — 5.09, 2014 @ 14:14

  4. Zusatz:

    Hier sollte nicht bedauert werden, daß es rechtliche Umstände sind, die den Ausbau der Ö-Wlan hemmen, sondern eher darüber, welche Gefahren betehen, wenn man diesen Mist nutzt. Darüber habe ich noch nichts gelesen.

    Comment by Colin — 5.09, 2014 @ 14:39

  5. @Colin: Die Betreiber von Straßen haben für die Folgen darauf verübeter Kriminalität zu haften, genauso wie Betreiber von Gastronomie und Geschäften für ihre Geschäftsräume! Ach, wenn ein Einbrecher in deine Wohnung einbricht und dort ein Verbrechen begeht, dann hat er zu haften. Schließlich hättest du die Wohnung besser absichern können. Von Gästen die du reinlässt ganz zu schweigen! Wer anderen einen Zugang zu Räumen anbietet, durch den die Nutzer Straftaten begehen können, hat das zu verantworten.

    Comment by Peter — 5.09, 2014 @ 21:22

  6. @Peter

    Es muß immer Verantwortliche geben, wenn ein Dritter durch einen externen Internetanschluß Straftaten begeht. Wenn dem nicht so ist, stimmt mein Fazit vollständig, denn es haftet letztlich niemand, es ist ein Freibrief für alles. Das findest Du nur solange klasse, bis Du selber betroffen bist und niemanden straf- und zivilrechtlich belangen kannst. Ein Internet-Anschluß ist keine Straße, sondern er befindet sich in den Räumen des Anbieters, der dafür zu sorgen hat, daß von diesem keine Gefahr ausgeht. Um bei Deinen schrägen Beispielen zu bleiben: Ein Chemie-Unternehmen hat auch dafür zu sorgen, daß seine giftigen und explosiven Stoffe für Dritte nicht zugänglich sind, ansonsten haftet er auch strafrechtlich für die Schäden, die entstehen, zivilrechtlich sowieso. Ein Wlan-Betreiber, der alle Welt locker zum Surfen über seinen Anschluß einlädt, hat dafür zu sorgen, daß man die Straftäter später fassen kann. Da das oft genug unmöglich ist, finde ich es nur richtig, den Anbieter zur Rechenschaft zu ziehen für seine Fahrlässigkeit. Es gibt keinen Freibrief im Netz. Auch nicht mittels Tor und Freunden.

    Comment by Colin — 8.09, 2014 @ 17:37

  7. @Peter

    Als Info zu Deinem Straßenbeispiel sei Dir gesagt: Wer Eigentümer einer Straße ist, sie verrotten lässt und jemand verunfallt, dann haftet der Straßenbetreiber für die Schäden. Wenn ihm Vorsatz nachgewiesen werden kann, weil er jahrelang trotz Aufforderung nicht ausgebessert hat, ist er auch strafrechtlich verantwortlich, bis hin zur fahrlässigen Tötung.

    Comment by Colin — 8.09, 2014 @ 18:13

  8. @Colin: Die Strasse ist aber hier nicht die Ursache für die Verunfallung, sondern die vollkommen einwandfreie und gepflegte Strasse wird lediglich genutzt, um an einem anderen Ort eine Wand zu beschmieren. Es wäre übertrieben bzw. nicht angemessen, wenn man nun an jedem Zugangspunkt zur Strasse eine Kamera oder einen Polizisten aufstellt. In elektronischen Medien ist es sinniger, die Wand im Falle eines Falles halt abzuwischen.

    Comment by Ein Mensch — 20.09, 2014 @ 21:03

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