Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

31.7.14

Wann sind Boykottaufrufe von der Meinungsfreiheit gedeckt?

Die an eine Sparkasse gerichtete Aufforderung eines Verbraucherverbandes, das Girokonto eines Inkassounternehmens zu kündigen, das sich durch die Geltendmachung von Forderungen bewusst an der Durchsetzung eines auf systematische Täuschung von Verbrauchern angelegten Geschäftsmodells des Auftraggebers beteiligt, stellt keinen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

So lautet der Leitsatz einer BGH-Entscheidung vom 06.02.2014 (Az.: I ZR 75/13), die jetzt auch im Volltext vorliegt. Der BGH weist zunächst darauf hin, dass die Aufforderung an eine Sparkasse, das Girokonto eines Unternehmens zu kündigen, einen tatbestandsmäßigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt. Insoweit ist § 823 Abs. 1 BGB allerdings ein offener Tatbestand, was bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens nicht indiziert ist, sondern vielmehr eine umfassende Interessen- und Güterabwägung stattzufinden hat.

Im konkreten Fall bewertet der BGH die Aufforderung zur Kündigung und Sperrung des Girokontos als eine durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung. Und die Begründung hierfür ist beachtenswert. Der BGH geht nämlich davon aus, dass bei einem Boykottaufruf, der nicht eigenen wirtschaftlichen Zielen dient, sondern der Sorge um Belange der Allgemeinheit geschuldet ist, vieles dafür spricht, dass der Schutz der Meinungsfreiheit Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Unternehmens hat. Hierbei sei aber noch zu berücksichtigen, welcher Mittel man sich bedient. Grundsätzlich muss sich der Aufrufende auf die Mittel des geistigen Meinungskampfs beschränken und darf keine sonstigen Macht- oder Druckmittel einsetzen. In dem Urteil heißt es hierzu:

Ob der in der Untersagung eines Boykottaufrufs liegende Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt ist, hängt von einer Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen ab. Wesentlich sind zunächst die Motive und damit verknüpft das Ziel und der Zweck des Aufrufs. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG regelmäßig Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten. Schließlich müssen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich zu billigen sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung Nachdruck verleihen sollen und die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen.

posted by Stadler at 12:23  

2 Comments

  1. Schon erstaunlich: Jeder Jurastudent im zweiten Semester kennt die Lüth-Entscheidung des BVerfG. Aber in der Entscheidung des OLG kam weder diese Entscheidung vor noch das BVerfG noch überhaupt das Grundgesetz. Die OLG-Richter waren völlig eingesponnen in die wettbewerbsrechtliche Dogmatik.

    Comment by OG — 31.07, 2014 @ 13:39

  2. Im Hinblick auf die Lüth-Entscheidung, ist vorliegend nicht einmal eine öffentliche Bitte/Aufforderung ergangen. Das ganze kann man auch als gutgemeinten Rat an die Sparkasse auffassen. Es ist mir wirklich nicht begreiflich, wie man hier auf eine unerlaubte Handlung schließen kann. In D muss man leider immer mehr aufpassen, was man sagt und schreibt. Ein Glück das sich der BGH überhaupt damit beschäftigt hat. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie viele solcher dämlichen Entscheidungen von Berufungsgerichten mangels Streitwerthöhe nicht zur Revision kommen.

    Comment by M — 31.07, 2014 @ 19:01

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