OLG Nürnberg ordnet Wiederaufnahme an: Mollath kommt sofort frei
Das OLG Nürnberg hat heute einen Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 24.07.2013 aufgehoben und die Wiederaufnahme des Strafverfahrens gegen Gustl Mollath angeordnet. Der Vorsitzende des Senats hat außerdem die unverzügliche Entlassung Mollaths aus der Unterbringung verfügt.
Das Oberlandesgericht hat nur einen einzigen Wiederaufnahmegrund bejaht, nämlich den der unechten Urkunde und sich deshalb mit den weiteren Aspekten erst gar nicht beschäftigt. Hierzu wird in der Pressemitteilung des Gerichts ausgeführt:
Der Senat stützt seine Entscheidung auf § 359 Nummer 1 der Strafprozessordnung (StPO). Danach ist die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens zulässig, wenn eine in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten vorgebrachte Urkunde „unecht“ ist. Unecht ist eine Urkunde dann, wenn sie auf einen Aussteller hinweist, von dem die Erklärung tatsächlich nicht stammt.
Als solche im juristischen Sinne „unechte Urkunde“ wertet der Senat ein ärztliches Attest vom 3. Juni 2006. Dieses Attest wurde zwar von einem approbierten Arzt verfasst und ausgestellt, der zudem die zugrunde liegende Untersuchung persönlich durchgeführt hatte. Das Attest selbst nennt aber nur den Namen der Praxisinhaberin, so dass der Eindruck entstand, diese gebe ihre eigenen Feststellungen wieder. Durch übermäßige Vergrößerung der Urkunde könne zwar festgestellt werden, dass der Unterschrift ein Vertretungshinweis („i.V.“) beigefügt war. Auf dem Attest in Originalgröße sei dieser Zusatz aber weder für den Senat noch ? soweit ersichtlich ? für die Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren erkennbar gewesen.
Zwar ist es in verschiedenen Rechtsbereichen zulässig, dass der Vertreter eine von ihm ausgestellte Urkunde sogar mit dem Namen des Vertretenen unterschreibt, wenn dieser damit einverstanden ist. Dann muss nicht einmal auf die Vertretung hingewiesen werden. Anders sei dies ? so der Senat ?, wo nicht geschäftliche Erklärungen abgegeben werden, sondern jemand seine höchstpersönlichen Wahrnehmungen wiedergibt. Bei solchen Erklärungen könne es keine zulässige Stellvertretung geben. So liege der Fall hier. Das Attest sei daher im Sinne des § 359 Nr. 1 StPO „unecht“.
Wegen der Bedeutung des Attests für die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung sei eine Auswirkung dieses Umstandes auf die Ausgangsentscheidung nicht auszuschließen.
Da schon dieser Wiederaufnahmegrund durchgreift, kam es auf andere in den Wiederaufnahmeanträgen genannte Gesichtspunkte nicht mehr an.
Dies deckt sich mit meiner Einschätzung, dass das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahme zu Unrecht versagt und auch die fragliche Urkunde zu Unrecht als echt bewertet hat.
Das Strafverfahren muss jetzt nochmals von vorne beginnen und kann grundsätzlich natürlich auch mit einer Verurteilung Mollaths enden.
Nachdem sich das Landgericht Regensburg vier Monate Zeit gelassen hat, konnte das OLG in weniger als zwei Wochen entscheiden. Das ist auch deshalb erfreulich, weil der Freiheitsanspruch von Mollath eine zügige Entscheidung erforderte. Dem OLG Nürnberg saß vermutlich aber auch das Bundesverfassungsgericht im Nacken. Dieses hätte voraussichtlich im August zwar nicht über die Frage der Wiederaufnahme, sondern nur über die Fortdauer der Unterbringung entschieden. Wenn Mollath allerdings erst aufgrund einer Entscheidung aus Karlsruhe freigekommen wäre, hätte sich die bayerische Justiz damit vollends blamiert. Ich möchte nicht ausschließen, dass auch dieser Umstand den Senat zu einer zügigen Entscheidung veranlasst hatte.
Update vom 07.08.2013:
Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist mittlerweile auch im Volltext verfügbar.
Etwas vorschnell hatte ich gestern behauptet, Gustl Mollath könnte in dem jetzt neu aufzurollenden Strafverfahren auch verurteilt werden. An dieser Stelle muss ich mich korrigieren. Manchmal hilft auch der berühmte Blick ins Gesetz. § 373 Abs. 2 StPO enthält nämlich ein Verbot der Schlechterstellung in den Fällen, in denen nur der Verurteilte oder zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme beantragt hat. Das frühere Urteil darf dann in Art und Höhe der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil des Verurteilten geändert werden. Die Besonderheit besteht im Fall Mollath jetzt darin, dass er in dem ersten Verfahren ja wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde.
Da das Gesetz eine Schlechterstellung im Rechtsfolgenausspruch verbietet, bedeutet das, dass Mollath jetzt zwar im Schuldspruch formell verurteilt werden könnte, dass aber die Rechtsfolge einer Geld- oder Freiheitsstrafe nicht verhängt werden darf, egal welche Erkenntnisse das Verfahren liefert. Mollath kann also in dem neuen Verfahren nicht bestraft werden. Hierauf weist Henning Ernst Müller im Beck-Blog zu recht hin. Er könnte allenfalls erneut nach § 63 StGB unterbracht werden. Das dürfte aber angesichts dessen, dass die siebenjährige Unterbringung kaum verhältnismäßig war und eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit allein wegen einer Tat, die über 10 Jahre zurückliegt, kaum mehr prognostiziert werden kann, äußerst unwahrscheinlich sein.