Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

7.5.13

Urteil „Metall auf Metall II“ des BGH zum Sound-Sampling

Der BGH hat kürzlich zum zweiten Mal über ein Sample, das der Musikproduzent Moses Pelham einem Stück der Band Kraftwerk (Metall auf Metall) entnommen hatte, entschieden (Urteil vom 13.12.2012, Az.: I ZR 182/11 – Metall auf Metall II).

Die erste Entscheidung Metall auf Metall hat auch in der Diskussion um ein Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse eine erhebliche Rolle gespielt.

Zusammenfassend lässt sich die Rechtslage zum Sampling nach den beiden Entscheidungen des BGH so zusammenfassen:

Bereits die Entnahme kleinster Tonfetzen einer Musikaufnahme verletzt das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers. Diese Handlung kann u.U. aber als freie Benutzung der Tonaufnahme in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 1 UrhG zulässig sein. Das wiederum gilt aber nur dann, wenn es einem durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten nicht möglich ist, eine eigene Tonaufnahme herzustellen, die dem Original bei einer Verwendung im selben musikalischen Zusammenhang aus Sicht des angesprochenen Verkehrs gleichwertig ist.

Wesentlich erscheint mir insoweit folgende Passage der Urteilsbegründung:

Schutzgegenstand des § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG ist nicht der Tonträger oder die Tonfolge selbst, sondern die zur Festlegung der Tonfolge auf dem Tonträger erforderliche wirtschaftliche, organisatorische und technische Leistung des Tonträgerherstellers (BGH, GRUR 2009, 403 Rn. 13 – Metall auf Metall I, mwN). Wer auf einem fremden Tonträger aufgezeichnete Töne oder Klänge für eigene Zwecke verwenden möchte, ist deshalb – soweit diese keinen Urheberrechtsschutz genießen – aus rechtlichen Gründen nicht daran gehindert, sie selbst einzuspielen (BGH, GRUR 2009, 403 Rn. 17 – Metall auf Metall I, mwN).

Die Fortentwicklung des Kunstschaffens kann durch die Ausübung des Tonträgerherstellerrechts daher nur behindert werden, wenn eine Reproduktion der Tonaufnahme aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist. Ist eine Reproduktion der Tonaufnahme möglich, ist eine Beeinträchtigung der kulturellen Fortentwicklung grundsätzlich ausgeschlossen und eine Einschränkung des Tonträgerherstellerrechts durch das Recht zur freien Benutzung nicht gerechtfertigt.

Wenn ein durchschnittlicher Musikproduzent die relevante Tonfolge selbst einspielen kann, ist ein Sampling unzulässig. Andererseits stellt die Entscheidung klar, dass diese Form der Reproduktion durch Neueinspielung eines Teils einer Musikaufnahme auch nicht verboten werden kann, solange der entnommene kleine Teil für sich genommen keinen Urheberrechtsschutz genießt.

Im konkreten Fall war der BGH dann allerdings der Meinung, dass das Sample nicht erforderlich war, weil Moses Pelham die verwendete Sequenz aus Metall auf Metall auch selbst hätte produzieren können.

posted by Stadler at 15:24  

6.5.13

Pressefreiheit auch für Leserkommentare?

Vor gut zwei Wochen habe ich mit der Kollegin Nina Diercks auf dem For..Net-Symposium über das Thema „Pressefreiheit in Online-Foren“ diskutiert. Hintergrund war eine Beschlagnahme bei der Augsburger Allgemeinen, durch die die Staatsanwaltschaft den Namen eines anonym postenden Kommentarschreibers ermitteln wollte. Die Diskussion zwischen Nina und mir lässt sich beim Campusradio der Uni Passau nachhören.

Mittlerweile ist der Beschluss des Landgerichts Augsburg, durch den die Rechtswidrigkeit des Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Augsburg festgestellt wurde, auch offiziell veröffentlicht. Das Landgericht Augsburg hat bereits die Meinungsäußerung für zulässig gehalten, aber ausdrücklich betont, dass sich die Augsburger Allgemeine im Hinblick auf die Nutzerkommentare nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen kann und damit auch nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach der Strafprozessordnung.

Die Entscheidung des Landgerichts (Beschluss vom 19.03.2013, Az.: x Qs 151/13) ist insoweit aber sehr oberflächlich gehalten und setzt sich auch mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend auseinander. Die entscheidende Passage des Beschlusses lautet:

Eine Beschlagnahmefreiheit der im Beschluss genannten Daten gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO besteht nicht, da der Beschwerdeführerin kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. §§ 160 a Abs. 2, 53 Abs. 1 S.1 Nr. 5 StPO zusteht.

Zwar unterfällt die Beschwerdeführerin als Herausgeberin einer Zeitung grundsätzlich dem Schutzbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO. Jedoch ist dieser Schutzbereich gemäß § 53 Abs. 1 S. 3 StPO nur dann eröffnet, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialen für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Zwar sind in einer Zeitung gedruckte Leserbriefe nach ständiger Rechtsprechung dem redaktionellen Bereich zuzuordnen (BVerfG 36, 193, 204).

Dies gilt aber nicht für Beiträge von Nutzern in einem Onlineforum. Eine redaktionelle Überarbeitung, die die Zuordnung von Leserbriefen zum redaktionellen Bereich einer Zeitung begründet, findet in den Fällen der Einstellung eines Beitrags in ein Onlineforum gerade nicht statt. Vielmehr erfolgt die Einstellung eines solchen Beitrags durch den Nutzer selbst, ohne dass eine Überarbeitung durch die Redaktion oder eine Prüfung der Einträge vor Veröffentlichung erfolgt. Eine vom Gesetz gem. § 53 Abs. 1 S. 3 StPO geforderte „Aufbereitung“ der Onlinebeiträge findet daher gerade nicht statt.

Mit dieser Auslegung verkennt das LG Augsburg Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit. Bereits die Annahme, die Leserkommentare seien nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen, ist fehlerhaft. Es ist nämlich gerade eine redaktionelle Entscheidung und Maßnahme, ob man als Zeitung im Anschluss an die Veröffentlichung von Artikeln auf der Website der Zeitung eine Kommentarfunktion eröffnet, die es den Lesern erlaubt, den Artikel unmittelbar zu kommentieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutzbereich der Pressefreiheit zudem über den redaktionellen Teil hinaus unter gewissen Voraussetzungen auch auf den Anzeigenteil erstreckt und hierzu ausgeführt:

Das Grundrecht der Pressefreiheit umfaßt, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen (BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Wenn die Presse ihren Lesern Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil, ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt und die Leser auf diese Weise über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen informiert, so gehört dies zu den herkömmlichen und typischen Presseaufgaben.

Dadurch wird deutlich, dass auch die unveränderte Weitergabe von Meinungen zu den typischen Aufgaben der Presse gehört und eine redaktionelle Bearbeitung – die ja bei Anzeigen nie stattfindet – gerade keine Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs der Pressefreiheit ist.

An anderer Stelle wird das BVerfG noch deutlicher und führt aus:

Eine Unterscheidung zwischen geschützten und nicht geschützten Teilen einer Zeitung läßt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erkennen. Das Grundrecht schützt den gesamten Inhalt eines Presseorgans (vgl. BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Das folgt schon daraus, daß zur Pressefreiheit nicht nur die Bestimmung des Inhalts einer einzelnen Ausgabe oder des Themas eines einzelnen Artikels, sondern erst recht die Grundentscheidung über Ausrichtung und Gestaltung des Publikationsorgans insgesamt gehört.

Die Unterscheidung zwischen einem geschützten und nicht geschützten Teil der Onlineausgabe einer Zeitung, die das Landgericht Augsburg versucht zu treffen, ist also bereits als solche nicht statthaft. Die Eröffnung einer Kommentarfunktion gehört zu den Grundentscheidungen des Publikationsorgans über Ausrichtung und Gestaltung der Zeitung.

Das Bundesverfassungsgericht macht zudem deutlich, dass auch die Entscheidung über die anonyme Wiedergabe von Zuschriften Dritter in den Schutzbereich der Pressefreiheit fällt:

Darin ist auch die Entscheidung eingeschlossen, ob Zuschriften von Dritten in die Publikation aufgenommen werden. Geschützt sind daher nicht nur eigene Beiträge der Herausgeber oder redaktionellen Mitarbeiter. Der Schutz der Pressefreiheit umfaßt auch die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, die sich nicht beruflich im Pressewesen betätigen.

e) Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt schließlich auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl. BVerfGE 60, 234 [239 f.]). Zur Form gehört es auch, ob die Veröffentlichung eines Beitrags mit oder ohne Autorenangabe erfolgt. Soweit die Anonymität den Zweck hat, Autoren vor Nachteilen zu bewahren und der Zeitung den Informationsfluß zu erhalten, fällt ins Gewicht, daß sich die Pressefreiheit auch auf das Redaktionsgeheimnis sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant erstreckt (vgl. BVerfGE 20, 162 [176]).

Das Landgericht Augsburg setzt sich mit der zitierten Rechtsprechung des BVerfG nicht ansatzweise auseinander und kann allein deshalb nicht überzeugen.

posted by Stadler at 14:28  

4.5.13

Bundesrat will beim Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken Nachbesserungen

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken soll nach dem Willen des Bundesrates an einigen Stellen nachgebessert werden.

Zu den eher fragwürdigen Änderungsvorschlägen des Bundesrates gehört es, die sog. Button-Lösung sowie die Belehrungspflichten im Fernabsatz auch auf Unternehmen auszuweiten. Hierzu sollen in § 312 g Abs. 2 und Abs. 3 BGB die Wörter „Verbraucher“ durch die Wörter „Kunde“ ersetzt werden. Das ist bereits deshalb nicht sachgerecht, weil das gesamte Fernabsatzrecht originäres Verbraucherrecht darstellt. Die umfangreichen Informationspflichten sind letztlich nur im Kontext der Notwendigkeit der Einräumung eines Widerrufsrechts sinnvoll und würden im Verkehr zwischen Unternehmen beide Vertragspartner nur behindern.

Der Bundesrat möchte im Urheberrecht außerdem den fliegenden Gerichtsstand abschaffen für Klagen, die sich gegen natürliche Personen richten, die urheberrechtliche Werke oder durch verwandte Schutzrechte geschützte Leistungen nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwenden. Hierzu soll folgender § 104a in das UrhG eingefügt werden:

§ 104a

Örtliche Zuständigkeit

(1) Für Klagen wegen Urheberrechtsstreitsachen gegen eine natürliche Person, die urheberrechtliche Werke oder durch verwandte Schutz- rechte geschützte Leistungen nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwendet, ist das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat. Hat der Beklagte keinen Wohnsitz, ist sein inländischer Aufenthaltsort maßgeblich.

(2) § 105 bleibt unberührt.

Das wäre sicherlich sinnvoll, zumal sich die Filesharingklagen derzeit auf einige wenige Amtsgerichte in Deutschland konzentrieren, derzeit vor allem München und Hamburg, die besonders rechteinhaberfreundlich entscheiden und zu denen die Beklagten oftmals durch die ganze Republik anreisen müssen.

Der Bundesrat bittet außerdem darum, zu prüfen, in welcher Form durch eine Änderung von § 101 Absatz 2 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) künftig sichergestellt werden kann, dass der darin normierte Auskunftsanspruch auf Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß beschränkt bleibt. Hintergrund ist eine aktuelle Rechtsprechung des BGH, die für die Providerauskunft keine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß mehr erfordert.

Der Bundesrat möchte außerdem den Streitwert für Unterlassungs- und Beseitigungsanspruche gegenüber natürlichen Personen die urheberechtliche Werke nicht für ihre gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit verwenden und nicht bereits wegen eines Anspruchs desselben Rechteinhabers zur Unterlassung verpflichtet sind, auf EUR 500,- und nicht wie von der Bundesregierung geplant auf EUR 1.000,- begrenzen.

Interessanterweise wird hier in der Begründung von erstattungsfähigen Anwaltskosten von 155,30 Euro und bei einem Streitwert von EUR 500 von Anwaltskosten von 83,54 Euro gesprochen. Allein das zeigt mir, dass der Gesetzgeber die Thematik nicht ausreichend durchdrungen hat. Nachdem bei Abmahnungen in Filesharingfällen der Abmahnende in aller Regel zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, ist die Mehrwertsteuer nicht erstattungsfähig. Die korrekten Beträge lauten demgemäß EUR 130,50 und EUR 70,20.

Den Ansatz als solchen kann man durchaus begrüßen, wenngleich natürlich klar sein muss, dass damit eine generelle Bagetellisierung von Urheberrechtsverletzungen im privaten Bereich einhergeht, was vermutlich aber auch sinnvoll ist.

Den Gesetzesentwurf der Bundesregierung hatte ich hier bereits besprochen und kritisiert.

posted by Stadler at 21:53  

2.5.13

BVerfG: Kein Anspruch auf Videoübertragung im NSU-Prozess

Der Landshuter Anwaltskollege Ernst Fricke wollte als freier Journalist und Onlinejournalist – wie es in der Pressemitteilung des BVerfG – heißt, über den NSU-Prozess berichten. Weil das neue Verfahren zur Zuteilung von Plätzen für die Medien keine Kontingente für freie und Online-Journalisten vorgesehen hat, hat sich Fricke gegen die Verfügung des Vorsitzenden gewandt und beantragt, ihm einen Platz zur Verfügung zu stellen, hilfsweise eine Videoübertragung in einen Nebensaal des Gerichts durchzuführen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 01.05.2013 (Az.: 1 BvQ 13/13) abgelehnt. Zur Begründung führt das BVerfG aus:

Eine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb gemäß Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist nach seinem Vorbringen offensichtlich nicht gegeben. Bei der Verteilung knapper Sitzplätze hat der Vorsitzende des jeweiligen Spruchkörpers einen erheblichen Ermessensspielraum. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dessen Anordnungen nur dahingehend, ob sie Verfassungsrecht verletzen und insbesondere, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <97 f.>). Es ist dagegen nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, eine Verteilungsentscheidung des Vorsitzenden umfassend und im Einzelnen darauf zu überprüfen, ob die beste Verteilmodalität gewählt worden war (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. März 2008 – 1 BvR 282/01 -, NJW-RR 2008, S. 1069). Ein Anspruch auf Bild- und Tonübertragung der Verhandlung in einen anderen Saal des Gerichts lässt sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht herleiten (BVerfGE 87, 331 <333>).

Es handelt sich immerhin schon um die 3. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Streit um die Presseplätze beim NSU-Verfahren, ohne, dass die Hauptverhandlung dort überhaupt begonnen hätte.

posted by Stadler at 14:47  

2.5.13

Verstoßen die Drosselpläne der Telekom gegen das Fernmeldegeheimnis des TKG?

Die Telekom hat vor gut einer Woche angekündigt, auch für Festnetzinternetzugänge Volumenbeschränkungen („integrierte Highspeed-Volumina“) einzuführen, mit der Folge, dass der Internetanschluss nach dem Verbrauch eines bestimmten Datenvolumens erheblich gedrosselt werden soll.

Nach aktuellen Pressemeldungen hat Niek Jan van Damme, Vorstandsmitglied der Telekom AG und Sprecher der Geschäftsführung der Telekom Deutschland GmbH, erklärt, man sei offen für Gespräche mit Marktgrößen wie YouTube. Wenn diese Anbieter direkt an die Telekom bezahlen, sei es denkbar, dass die Nutzung solcher Dienste das Datenvolumen der Nutzer/Kunden nicht aufbrauchen. Praktiziert wird dieses System von der Telekom bereits aktuell im Mobilfunkbereich für den Musikstreamingdienst Spotify.

Diese Aussage und Ankündigung wirft rechtliche Fragen auf, die über das hinausgehen, was aktuell rechtspolitisch unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert wird.

§ 88 TKG regelt das (einfachgesetzliche) Fernmeldegeheimnis, das Absatz 1 der Vorschrift wie folgt definiert:

Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.

TK-Diensteanbietern wie der Telekom ist es nach § 88 Abs. 3 TKG ausdrücklich

untersagt, sich oder anderen über das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes ihrer technischen Systeme erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt oder den näheren Umständen der Telekommunikation zu verschaffen. Sie dürfen Kenntnisse über Tatsachen, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, nur für den in Satz 1 genannten Zweck verwenden.

Wenn die Telekom allerdings die Nutzung bestimmter Dienste / Inhaltsangebote wie YouTube oder Spotify von dieser Volumenbegrenzung ausnimmt, dann setzt das voraus, dass die Telekom das Internetnutzungsverhalten jedes einzelnen Kunden genau aufzeichnet und auch ermittelt, welche Websites und Inhaltsangebote der Kunde im einzelnen aufruft und welches Datenvolumen hierbei anfällt. Anders lässt sich nämlich nicht bestimmen, ob und in welchem Umfang der Telekomkunde priviligierte Dienste wie Spotify nutzt.

Damit verschafft sich die Telekom Kenntnis vom Inhalt und den näheren Umständen der Telekommunikation. Die Telekom wird nun damit argumentieren, dies sei für die geschäftsmäßige Erbringungen ihrer TK-Dienste erforderlich. Aber lässt sich diese Ansicht wirklich vertreten? § 88 Abs. 3 TKG normiert grundsätzlich ein sog. Kenntnisnahmeverbot des TK-Dienstleisters. Würde man sich nun auf die Argumentation der Telekom einlassen, dann hätte es der TK-Anbieter beliebig in der Hand, dieses gesetzliche Kenntnisnahmeverbot zu umgehen. § 88 Abs. 3 TKG wäre weitgehend ausgehöhlt. Das entspricht aber gerade nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

Und hier sind wir dann auch beim Aspekt der Netzneutralität angelangt. Man wird es der Telekom grundsätzlich nach geltendem Recht nicht verbieten können, Flatrates durch Volumentarife zu ersetzen, bzw. ab einem gewissen Volumen zu drosseln. Was § 88 TKG allerdings verbietet, ist die vollständige inhaltliche Analyse des Internetnutzungsverhalten der Kunden, mit dem Ziel einzelne Internetdienste zu priviligieren. Für die Erbringung der TK-Dienstleistung ist es nicht erforderlich zu analysieren, ob der Kunde YouTube oder Spotify nutzt.

Nach meiner Einschätzung verstößt damit bereits das, was die Telekom im Mobilfunk aktuell im Hinblick auf Spotify macht, gegen § 88 TKG.

 

Update vom 04.05.2013:
Die Kritik hier in den Kommentaren und ein Artikel bei Golem veranlassen mich zu einem Update, um meine Position nochmals zu verdeutlichen.

Ein Telekom-Sprecher wird bei Golem folgendermaßen zitiert:

Der Vorwurf ist Unsinn. Um Managed Services zu realisieren, müssen Sie nicht die Inhalte des jeweiligen Datenpaketes kennen. Managed Services können beispielsweise über einen separaten Datenstrom – wie bei Entertain – realisiert oder indem die Datenpakete markiert werden.

Diese Reaktion offenbart ein grundlegendes Missverständnis von Inhalt und Umfang des Fernmeldegeheimnisses. Für eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses ist es nicht erforderlich, vom Inhalt der Kommunikation Kenntnis zu nehmen. Es genügt vielmehr, wenn von den näheren Umständen der Kommunikation Kenntnis genommen wird. Zu diesen näheren Umständen gehört auch die Erfassung der Zieladresse einer Internetkommunikation oder die Markierung von Datenpaketen, die der Kunde angefordert hat. Weil Provider das natürlich öfters machen und es in gewissem Umfang auch notwendig ist, von den näheren Umständen eines Kommunikationsvorgangs Kenntnis zu nehmen, erlaubt § 88 Abs. 3 TKG dies unter der Voraussetzung, dass das für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste einschließlich des Schutzes der technischen Systeme erforderlich ist.

Und genau damit ist die entscheidende Frage formuliert. Ist die Bevorzugung einzelner Dienste und die damit einhergehende Notwendigkeit der Kenntnisnahme von den näheren Umständen von Kommunikationsvorgängen tatsächlich erforderlich?

posted by Stadler at 10:18  
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