Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.3.13

Können Gerichtsverhandlungen in einen weiteren Saal übertragen werden?

Das Oberlandesgericht München steht wegen der geringen Anzahl von Saalplätzen für Journalisten beim NSU-Prozess und der Raumplanung massiv in der Kritik.

Mehrere bekannte Juristen wie der Strafrechtler Claus Roxin oder der ehemalige Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem haben gefordert, das Gericht möge die Verhandlung einfach in einen weiteren Saal übertragen, um die Teilnahmemöglichkeiten für Journalisten auszuweiten.

Das hält das Gericht aber für rechtlich nicht zulässig. In einer Pressemitteilung vom 26.03.2013 heißt es dazu:

Die Übertragung der laufenden Hauptverhandlung in einen anderen Raum kann aus Rechtsgründen nach deutschem Recht nicht umgesetzt werden. Eine derartige Übertragung würde eindeutig gegen § 169 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes verstoßen, worauf der Präsident des Oberlandesgerichts München in seinem Statement vom 15.03.2013 bereits ausdrücklich hingewiesen hat.

So eindeutig wie das OLG München tut, ist es jedenfalls nicht. § 169 S. 2 GVG verbietet nur Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung. Es muss also die Frage geklärt werden, ob eine rein gerichtsinterne Übertragung einer öffentlichen Vorführung gleichkommt, oder nicht einfach so zu betrachten ist, als hätte man einen größeren Saal gewählt. An dieser Stelle ist sicherlich auch zu berücksichtigen, dass das BVerfG in der Tendenz eher dazu neigt, die Vorschrift des § 169 S. 2 GVG im Interesse der Öffentlichkeit eng auszulegen.

Der Medienrechtler Christian von Coelln pflichtet laut FAZ dem Oberlandesgericht München bei und hält  Ton- und Bildübertragungen in einen anderen Sitzungssaal für rechtswidrig, weil der Vorsitzende Richter dort nicht die Ordnung aufrecht erhalten könne. Diese Haltung erscheint mir in Zeiten in denen der Gesetzgeber – allerdings nur für das Zivilverfahren – in § 128a ZPO bereits eine Gerichtsverhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ermöglicht, eher fragwürdig zu sein.

Auch die Angst, dass mit der Zulassung einer solchen gerichtsinternen Übertragung ein Revisionsgrund geschaffen werden könnte, ist übertrieben. Denn der mögliche Verstoß gegen § 169 S. 2 GVG stellt keinen absoluten Revisonsgrund dar, was bedeutet, dass das Revisionsgericht feststellen müsste, dass das Urteil gerade auf dem Rechtsverstoß beruht, es also bei korrekter Gesetzesanwendung anders ausgefallen wäre.

Das OLG München hätte sich also hier durchaus etwas flexibler und pragmatischer verhalten können. Der rechtliche Spielraum dafür ist vorhanden.

posted by Stadler at 16:14  

17 Comments

  1. Man bekommt den Eindruck, dass das Gericht angesichts der jahrelangen, wiederholten Pannen bei den Ermittlungsbehörden in Sachen „NSU“ jetzt betont überkorrekt arbeiten will.

    Comment by Wolfgang Messer — 28.03, 2013 @ 16:34

  2. Mal ’ne blöde Fragen. Können die nicht einfach noch zwei Stühle dabei stellen?

    Comment by Oliver — 28.03, 2013 @ 16:49

  3. @Oliver: Wenn die jetzt damit anfangen, zwei weitere Stühle hinzustellen, kommen sofort zehn andere, die auch noch einen Stuhl haben wollen. Geht also nicht. Eine Übertragung in einen Nachbarsaal wäre also besser.

    Comment by Frank — 28.03, 2013 @ 16:51

  4. Danke für die Erörterung, die überzeugend demonstriert, dass das Wort „eindeutig“ eindeutig falsch ist. Dem Laien fällt auf, dass die Begriffe „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen“ aus § 169 S. 2 GVG nicht ganz klar sind. Ist mit „Film“ etwa der Verbreitungsweg Kino gemeint, oder das Material Film (Zelluloidfilm)? „Rundfunk“ ist ziemlich eindeutig definiert: § 2 RStV 13: „Rundfunk ist ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst; er ist die für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen.“ Wenn da bloß „Hörfunk- und Fernsehaufnahmen“ stünde, wäre klar, dass lediglich Aufnahmen zum Zwecke des Rundfunks unzulässig wären.

    Völlig unklar ist mir jedoch, was man mit dem Widerspruch anfängt, dass die Verhandlung nach § 169 S. 1 GVG „öffentlich“ ist, aber nach § 169 S. 2 GVG die „Veröffentlichung ihres Inhalts […] unzulässig“ ist. Irritierend an § 169 S. 2 GVG ist auch bereits, dass die bereits Aufnahmen aufgrund ihrer Zwecke unzulässig sind, nicht etwa die Realisierung der Zwecke (der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung).

    Mein Bild von Bayern besagt, dass man dort stets lautstark auf Vorschriften verweist, dann aber jede Vorschrift mit den Worten „passd scho“ ignoriert wird, wenn gewünscht.

    Comment by Erbloggtes — 28.03, 2013 @ 16:58

  5. Update: Na immerhin macht das OLG jetzt den Platztausch unter den Journalisten möglich, meldet der BR.

    Comment by Wolfgang Messer — 28.03, 2013 @ 18:04

  6. Wie wäre es denn, wenn die öffentlich-rechtlichen Medienvertreter einfach mal auf 36 ihrer 39 Plätze verzichten? Dann könnten wohl genug nachrücken, dass auch ein paar zu spät gekommenene türkische Medien berücksichtigt wären.

    Dass die Öffentlich-Rechtlichen 39 von 50 Plätzen in Beschlag nehmen kann m.E. ohnehin nur als GEZ-Gebührenverschwendung angesehen werden.

    Comment by Dante — 28.03, 2013 @ 18:08

  7. Sehenden Auges das Risiko eines (immerhin relativen) Revisionsgrunds eingehen? Bei diesem Verfahren? Absurd.

    Comment by Jens — 28.03, 2013 @ 18:09

  8. Ich sehe es einmal ausnahmsweise wie Jens: Als Richter würde ich – bei diesem Verfahren – auch nicht sehenden Auges das Risiko eines relativen Revisionsgrunds eingehen wollen. Und auch Dante hat vollkommen Recht, wenn es stimmt, dass die Öffentlich Rechtlichen 39 von 50 Plätze inne haben. Auch die Öffentlich Rechtlichen repräsentieren den deutschen Staat und in gewisser Weise die Zivilgesellschaft hier. Ein Verzicht zugunsten ausländischer Berichterstatter wäre m.E. ein richtiges Zeichen.

    Comment by BrainBug2 — 28.03, 2013 @ 19:23

  9. Nur mal so als Anmerkung: Eine „Übertragung“ ist ja auch etwas anderes als eine „Aufnahme“. Wenn von der Übertragung in ienen zweiten Saal keine dauerhafte Kopie („Mitschnitt“) angefertigt wird und diese Übertragung auch nur auf den zweiten Saal beschränkt ist, ist es doch nicht gleichzusetzen mit einer Rundfunkübertragung.

    Comment by JanWo — 28.03, 2013 @ 20:29

  10. Warum müssen diverse ARD-Anstalten vertreten sein? Reicht es nicht, wenn der BR einen Journalisten schickt und Sender wie der NDR, MDR, SWR, WDRmrtc. dessen Bericht ausstrahlen, sofern sie das unbedingt für regionale Sendungen müssen? Es wird doch eh in der Tagesschau breit getreten werden, in den Regionalnachrichten braucht man eigentlich keine Berichterstattung. M. E. ist die Entsendung mehrerer Journalisten der ARD-Anstalten Gebührenverschwendung.

    Comment by M. Boettcher — 28.03, 2013 @ 21:16

  11. @M.Boettcher:
    wenn man so argumentiert kann man durch geringfügige Erweiterung auch gleich auf exakt einen (freien?) Journalisten beschränken – alle anderen sollen gefälligst dessen Bericht übernehmen, mehr wäre ja Platz- und Geldverschwendung.

    Im Übrigen sehe ich @Dante in der Liste, die der Spiegel veröffentlicht hat [1], nur die folgenden ÖR-Medien: BR, NDR, SWR, BLR, MDR, DLF, WDR, ZDF. Dafür neben RTL auch RTL Niederlande. Hürriyet ist auf Platz 18 der Nachrücker, das heisst sogar wenn sich die ÖR auf exakt einen Platz beschränken würden wären die Nachrückerei deutlich vor ihr zu Ende. 39 ÖR-Plätze kann auch gar nicht sein, wenn von 50 Plätzen schon 23 an (für mich erkennbare) Zeitungen und Zeitschriften gehen…

    Neulich im Radio hat auch jemand die Auffassung vertreten, dass alle die am Auswahlverfahren teilgenommen haben, sich durch diesen (Verwaltungs?)akt einen Rechtsanspruch erworben haben, ggf. in dieser Reihenfolge nachzurücken bzw. bei zusätzlichen Plätzen diese belegen dürfen. Ein paar wenige zusätzliche Stühle würde also nichts helfen, und dass 18 Stühle mehr im Raum Platz haben ist dann doch eher zweifelhaft.

    Die „Ausländische Presse“ wurde auch nicht ausgesperrt, „Niederlande Dagblad und De Telegraaf“ hat es neben RTL Niederlande ja geschafft.

    [1] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/zschaepe-prozess-diese-medien-haben-einen-festen-platz-im-gerichtssaal-a-891193.html

    Comment by Engywuck — 28.03, 2013 @ 23:44

  12. Jedenfalls ist es erschreckend wie schon jetzt die Politik und Presse auf das Verfahren Einfluss nehmen will. Gewaltenteilung wird zum Fremdwort.
    Sonderrechte für Türken sind wir ja tagtäglich gewohnt also wird es auch dieses mal eine Sonderlösung geben.
    Alles ist bereit für den Schauprozesses des Jahrhunderts.

    Comment by Native — 29.03, 2013 @ 02:01

  13. Für einen rechtlich nicht beschlagenen Mitbürger ist es absolut unverständlich, wo der Unterschied liegen soll zwischen mehr Journalisten im eigentlichen Gerichtssaal (falls er mehr fassen sollte) und der Übertragung in einen anderen Saal.
    Die Journalisten im einen hören und sehen genauso zu wie die im anderen.
    Sollten die Journalisten im zweiten Saal eine Orgie feiern wollen,was aber nicht zu erwarten steht, so wird das die Verhandlung sicher nicht stören, da keiner was davon mitbekommen würde. Insofern erscheint das Ordnungs-Argument fragwürdig.
    Auch rein technisch müsste man nicht von „Aufnahmen“ ausgehen, wenn man das Ton- und Bildmaterial einfach streamt. So wie bei der Videoanlage an der Haustür. Man sieht und hört wer da ist, aber es wird nichts aufgenomen. Wie schon oben gesagt, einfach zusehen und -hören.

    Comment by Manfred — 29.03, 2013 @ 13:03

  14. Dies war eine öffentliche Verhandlung und keine unter Ausschluss der Öffentlichkeit, richtig?

    Wenn eine Live-Übertragung in einen Nachbarraum ohne (Daten-)Aufzeichnung bereits als „Aufzeichnung“ und „öffentliche Vorführung“ bereits auf eine geschlossene Gruppe im Sinne einer „inneren Öffentlichkeit“ eng ausgelegt wird, dann sind logischerweise demnach auch Verstärker-Mikrofone/Lautsprecher innerhalb eines Gerichtssaals illegal, da das Publikum innerhalb des Gerichtssaales bei einer öffentlichen Verhandlung selbst eine „innere Öffentlichkeit“ darstellt.

    Comment by Jens Leinenbach — 29.03, 2013 @ 13:30

  15. Die Argumentation mit § 128a ZPO erscheint mir nicht zielführend. Diese Norm trifft keine Regelungsentscheidung zur Öffentlichkeit des Prozesses, sondern nur dazu, wie die Prozessbeteiligten am Verfahren teilhaben und verhandeln können. Der Gedanke hieraus lässt sich deshalb noch nicht auf den Fall eines zu kleinen Saals anwenden. § 169 GVG hilft nicht viel für derartige Fälle großer medialer Aufmerksamkeit, sondern trifft nur eine Frage zum „Ob“ und nicht zum „Wie“ der Öffentlichkeit. Deshalb ist es auch sehr schwierig, jetzt nich eine vernünftige nachträgliche Regelung zu treffen, die alle zufrieden stellt.

    Comment by sebastian — 30.03, 2013 @ 13:16

  16. Guten Tag!

    Erstmal ist festzustellen, daß die Verhandlung im größten Saal des Gerichtes stattfindet. Es sind Sitzplätze für fünfzig Journalisten auf den Rängen vorhanden, das ist ausreichend. Wenn die türkische Presse nicht fähig ist, sich rechtzeitig anzumelden, ist das deren Problem. Man kann sich in den Zuschauerraum bemühen, aber dann muß man sich in die Reihe der Wartenden begeben, dazu sind diese Herrschaften anscheinend nicht bereit.

    Der Schauprozess (dazu komme ich gleich) ist nicht in externe Räume zu übertragen. Es handelt sich dort, entgegen der Annahme des Herrn Stadler, um eine öffentliche Veranstaltung außerhalb des Gerichtssaales. Wenn es nach dessen Argumenten geht, dann könnte man gleich ganze Hallen anmieten!

    Die Einmischung der Politik, zunehmend aus der Türkei, ist unerträglich und rechtswidrig! Mittlerweile fordern türkische Politiker reservierte Sitzplätze für deren Abgeordnete! Ein Unding, eine Frechheit.

    Die Würde des Menschen ist angeblich unantastbar. Das gilt auch für Straftäter! Als Strafverteidiger empfehle ich der Angeklagten, von diesem Prozess fernzubleiben bzw. bei Zwangsvorführung das Gericht zum Ausschluß von der Verhandlung zu zwingen.

    Es handelt sich um ein Schmierentheater, bei dem bereits jetzt das Urteil schon feststeht. Jeder Jurist weiß das, daher sollte sich die Angeklagte der geifernden Meute nicht mehr aussetzen. Ich erwarte von deren Rechtsbeistand volles Programm!

    Ich hoffe, dieses Theater, dieser Schauprozess mit seinen jetzt schon ekelhaften Auswirkungen, bleibt ein Einzelfall. Wir brauchen sowas in Deutschland nicht, das hatten wir vor 1945 und danach bei der RAF zu genüge!

    Der Gerichtssaal ist kein Zoo!

    Frohe Ostern!

    Comment by Strafverteidiger — 31.03, 2013 @ 11:47

  17. Frage an native:
    Was für Sonderrechte gibt es denn für Türken? Und wo bekommt man diese? Und warum habe ich (gehöre auch zu der Gruppe „Türken“) nie etwas davon mitbekommen?? Bitte um Auskunft, da ich auch in den Genuss dieser Sonderrechte kommen möchte!

    Und übrigens… dass „die Türken“ wieder einmal Sonderrechte bekommen, könnte ja vielleicht etwas damit zu tun haben, dass es in diesem Verfahren u.a. darum geht, dass acht dieser Türken von „den Deutschen“ abgeknallt wurden!

    Comment by Türke ohne Sonderrechte — 23.04, 2013 @ 23:09

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