Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

5.9.12

Notice And Take Down auch für Europa?

Die EU-Kommission hat gerade ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Etablierung eines Notice-And-Take-Down-Verfahrens – sie nennt es notice & action – durchgeführt. Hintergrund sind Überlegungen, in Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie eine Regelung über ein formalisertes Notice-And-Take-Prozedere, offenbar nach dem Vorbild des amerikanischen DMCA, aufzunehmen.

Der Digital Millennium Copyright Act (DMCA)  sieht ein sog. Notice-And-Take-Down-Verfahren vor, das einen Hoster vollständig aus der Haftung für eine Urheberrechtsverletzung entlässt, sofern er auf einen entsprechenden Hinweis hin den beanstandeten Content umgehend vom Netz nimmt. Wozu das führt, zeigt ein aktueller Berichts von Heise-Online.

Wenn man Hoster und Portalbetreiber gesetzlich ermuntert, möglichst zügig zu löschen, sobald auch nur eine Löschaufforderung eines (vermeintlich) Verletzten vorliegt, dann muss das zwangsläufig dazu führen, dass in großem Maße gerade auch solche Inhalte gelöscht werden, die in Wirklichkeit keinerlei Rechte verletzen.

Denn der Hoster oder Portalbetreiber hat in vielen Fällen überhaupt keine Möglichkeit zu überprüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt. Und es ist auch die Frage, ob das überhaupt seine Aufgabe sein kann.

Mit diesem Problem bin ich in meiner anwaltlichen Beratungspraxis fast jede Woche konfrontiert und zwar manchmal aus dem Blickwinkel eines Portalbetreibers und ein andermal mal aus Sicht desjenigen, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt. Zumeist geht es hier gar nicht um Fragen des Urheberrechts, sondern um äußerungsrechtliche Auseinandersetzungen.

Der BGH hat für solche Fälle faktisch bereits eine Art Notice-And-Take-Down-Verfahren postuliert und damit möglicherweise eine Rechtsfortbildung betrieben, die ihm nicht zusteht.

Nach meiner (rechtspolitischen) Einschätzung, sollte ein Hoster oder Portalbetreiber überhaupt nur dann Content seiner Nutzer/Kunden löschen, wenn ihn ein Gericht oder eine Behörde förmlich dazu verpflichtet hat, oder wenn eine für jedermann offensichtliche Straftat vorliegt. Dass die Klärung von oftmals schwierigen Sach- oder Rechtsfragen durch ein Gericht erfolgt und nicht einem Provider oder Portalbetreiber überlassen werden kann, ist nicht zuletzt auch ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Mit einem Notice-And-Take-Down-Verfahren werden ohne Beachtung des Rechtswegs nämlich rechtliche Fakten geschaffen, die in nicht wenigen Fällen auf eine nicht hinnehmbare Informationsunterdrückung hinauslaufen.

Das deutsche und europäische Recht sind von dieser Betrachtungsweise allerdings noch weit entfernt und es hat auch nicht den Anschein, als würde die Kommission in diese Richtung marschieren wollen.

posted by Stadler at 21:53  

5 Comments

  1. Was soll mir der letzte Satz sagen?

    – Die EU-Kommission erhebt ein Konsulationsverfahren zur Etablierung von DMCA.
    – BGH hat … faktisch bereits eine Art Notice-And-Take-Down-Verfahren postuliert

    Dazu kommt, dass die Störerhaftung Provider „ermuntert“ oder zwingt Inhalte ohne Gerichtsbeschluss zu löschen.

    Sowohl Kommission als auch die deutsche Politik marschieren offenbar genau in die Richtung, die Dein Artikel korrekt aufzeigt und die Du mit dem letzten Satz gleich wieder relativierst.

    Seltsam oder (m)ein Missverständnis?

    Comment by Joachim — 6.09, 2012 @ 11:19

  2. Der letzte Satz bezieht sich auf den Absatz davor.

    Comment by Stadler — 6.09, 2012 @ 12:23

  3. Stimme dem Artikel grundsätzlich zu. Die Lösung ist aber einfach: Dass a) die „Notices“ öffentlich sind (damit die Öffentlichkeit es mitbekommt) und b) Widerspruch eingereicht werden kann, bevor der TakeDown vorgenommen wird (anders als bei den Google DMCA Notices in den USA).

    Comment by Björn — 7.09, 2012 @ 14:22

  4. http://www.scribd.com/doc/105300053/Eu-Konsultation-Take-Down-Notices

    Comment by Jens — 8.09, 2012 @ 14:27

  5. @Björn (3)
    Öffentliche Notices sind ideale Hinweise auf illegale Inhalte, die nach deinem Vorschlag auch noch online bleiben bis Widerspruch eingereicht wurde. Folgt man deinem Vorschlag, so kann der Schaden massiv werden.

    Ich denke, Hoster können und sollten bei Vertragsverletzung durch den Kunden Inhalte löschen, folglich in gewissen Rahmen auf „Notices“ mit „Take Down“ reagieren. Doch der Verursacher ist nicht automatisch der Hoster. Er ist weder Zensor noch über die Pflichten eines Bürgers hinaus verantwortlich für Inhalte Dritter. Bei Strafdaten sind Polizei und Staatsanwaltschaft und Gerichte zuständig.

    Anders gesagt: ich halte Stadlers Einschätzung für korrekt. Sein letzter Satz zeigt im Kontext eine echte Bedrohung für Recht, Demokratie und Meinungsfreiheit auf.

    Comment by Joachim — 10.09, 2012 @ 10:41

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