Identifizierende Berichterstattung verbieten?
Henning Ernst Müller, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Regensburg, schlägt in einem Beitrag für die LTO vor, die identifzierende Berichterstattung über Fälle „willkürlicher Mehrfachtötungen“ gesetzlich zu verbieten.
Gemeint ist damit die Berichterstattung über sog. Amokläufe unter namentlicher Nennung des Täters einschließlich der Bild- und Filmberichterstattung über die Person des Täters. Müller geht davon aus, dass weltweit unter Kriminologen und Kriminalpsychologen Einigkeit darüber besteht, dass solche Anschläge verknüpft sind mit dem Bestreben der Täter, von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.
Vor diesem Hintergrund schlägt Müller vor, Redakteure und Verlagsverantwortliche per Strafandrohung daran zu hindern Namen und Bilder derartiger Tatverdächtiger zu verbreiten.
Ein durchaus interessanter Vorschlag, der möglicherweise aber mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch des EGMR zur identifizierenden Berichterstattung über Straftaten in Konflikt steht. Denn die Rechtsprechung geht davon aus, dass über schwere Straftaten und/oder Täter die Personen der Zeitgeschichte sind, auch identifizierend berichtet werden darf. In diesen Fällen fällt die Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Täters einerseits und der Meinungs- und Pressefreiheit andererseits regelmäßig zugunsten der Berichterstattung aus.
Wie das Bundesverfassungsgericht ein derartiges Gesetz bewerten würde, ist ungewiss.. Der Gesetzgeber würde damit nämlich Art. 5 GG aus Gründen der Gefahrenabwehr generalpräventiv einschränken, um seine Bürger vor Tätern zu schützen, die erst wegen der zu erwartenden Berichterstattung über ihre Person zur Tat animiert werden. Vermutlich würde das Ergebnis dieser Grundrechtsabwägung auch stark davon abhängen, wie gut die Grundthese Müllers wissenschaftlich erhärtet ist. Eine spannende Frage.
Werden die Täter durch solche Berichterstattung nicht sogar berühmt gemacht? Fühlen sie sich nicht fast schon wie Helden? Ruft das nicht Nachahmer hervor, die auch auf eine „Killing-Spree“ gehen, nur um genauso berühmt zu werden wie dieser Täter?
Ich finde diese Heroisierung der Täter in den Medien einfach grenzwertig. Man kann ja berichten, aber muss man groß Bilder von ihm zeigen? Muss der echt auf allen Sendern immer wieder gezeigt werden? Ich finde das widerlich.
Natürlich wird eine andere Berichterstattung die Gewalt nicht eindämmen, meine Befürchtungen sind die Nachahmer, die auch einmal ihre 15 Minuten Ruhm haben wollen und diesen Weg einschlagen.
Dieser Täter ist ja auf frischer Tat ertappt worden, aber was passiert, wenn Verdächtige von großen Zeitungen mit großen Buchstaben zu Tätern gemacht und groß mit Bildern vorgestellt werden, durfte man hier in Deutschland miterleben. Fast hätten Leute mit geringem IQ einen Unschuldigen gelyncht.
Einfach die Bilder weglassen und trocken über die Tat berichten. Bei Selbstmord scheint es doch einen Kodex zu geben, dass darüber nicht berichtet werden soll (leider gibt es auch hier zu viele Ausnahmen).
Comment by JS — 30.07, 2012 @ 17:50
Falsch Wagoni Herr Müller. Es sollte in der Presse einen solchen Codex geben, genauso wie sich die ö.r. Sender weigern über die Tour de Pharmacie zu berichten. Das sind Entscheidungen die kann man Presserechtlich nicht festlegen sondern kann sie höchstens den ethischen Grundsätzen beifügen und vorschlagen. Breivik nur mit schwarzen Balken, keine Bilder vom Prozess oder nur verpixelt, das wäre eine Lösung. Ich denke viele der Täter denken nicht an die publicity sondern wollen nur genug Schaden anrichten bevor sie sich selber entleiben.
Wer also überlebt= kein Bild= einverstanden, aber nicht per Lex, sondern nach der gleichen Ethik mit der verstümmelte leichen auch nicht gezeigt werden.
Comment by Dr.Ückeberger — 30.07, 2012 @ 18:07
Ich meine, das Informationsbeduerfnis der Buerger sollte damit abgedeckt sein, dass ueber die Tat ansich berichtet wird.
Wie der Taeter nun aussieht, ob zu welcher Schule er gegangen ist und welches sein Lieblingsrestaurant ist, befriedigt hoechstens die Sensationsgeilheit einiger weniger und ist unter Voyeurismus einzuordnen.
Auch ergibt sich durch die Abbildung und haarkleine Beschreibung des Taeters keine groessere Sicherheit fuer die Buerger, mit den Faellen zur Ausnahme, in denen der Taeter fluechtig ist.
Gefuehlt war die anonyme Berichterstattung lange Zeit die Norm, erst in den letzten Jahren, unter wachsender US-Amerikanisierung unserer Medien faellt mir identifizierende Berichterstattung auf.
Comment by Oliver — 30.07, 2012 @ 18:13
Klar. Wer braucht schon Pressefreiheit.
Comment by code — 30.07, 2012 @ 19:23
Man kann es schon gar nicht mehr hören und lesen, was sagt das BFG dazu ? Wenn eine qualifizierte Mehrheit demokratisch gewählter Abgeordneter ein Gesetz beschließt, ist das zu respektieren. Die Abgeordneten können auch die Verfassung ändern, das BFG kannn nicht solange befragt werden, bis uns die Urteile passen.
Und zu dem konkreten Fall: Es würde ja in den meisten Fällen ausreichen, wenn die ‚Schweigepflicht‘ bis zu einem ordentlichen Prozessbeginn gilt. Dann ist der zeitliche Abstand in der Regel so groß, dass der journalistische Shitstorm mindestens mit einer fundierten Berichterstattung um die Wette läuft, wenn nicht schon vorbei ist.
Comment by Dietmar Kuschel — 30.07, 2012 @ 21:31
Wenn das Verhalten der „Presse“ bei der Geiselnahme von Gladbeck, ethischen Grundsätzen gefolgt wäre, hätte es möglicherweise 2 Tote weniger gegeben!
Wenn der Kameramann in Vietnam die Kamera aus gemacht hätte, würden wir das Kopfschuss Foto nie gesehen haben, es wäre vielleicht nie zum Schuss gekommen! Ich kann zig weitere Beispiele angeben. Es gibt Grenzen bei denen die „Pressefreiheit“ ein begründetes „Ende“ haben kann.
Ich bin Journalist….für mich gibt es Grenzen, für andere gelten diese eben nicht…
Comment by Dr.Ückeberger — 30.07, 2012 @ 22:09
Hrm. Interessanter Vorschlag, aber mögliche Nachahmungstäter sind auch mit einem solchen Gesetz nur eine Google-Suche nach dem Schauplatz in internationalen Medien von identifizierender Berichterstattung entfernt. Ob das was bringt?
Comment by Johannes — 31.07, 2012 @ 01:20
Hatten sich nicht diverse Münchener Zeitungen aus ähnlichen Gründen darauf verständigt, nicht mehr über U-Bahn-Selbstmorde zu berichten?
Comment by Hardy — 31.07, 2012 @ 09:17
Sehr geehrter Herr Stadler,
das BVerfG hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob eine identifizierende Berichterstattung aus präventiven Gründen verboten werden darf. Die bisherigen Entscheidungen ergingen zur ganz anderen Frage, ob das Persönlichkeitsrecht (des Beschwerdeführers) eine Identifizierung ausschließen kann. Wenn sich eine Mehrheit für so ein solches Gesetz findet, hätte ich keine Angst vor dem BVerfG:
1. Auch andere gesetzliche Einschränkungen der Presse (etwa Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 48 JGG) werden verfassungsrechtlich von niemandem angezweifelt.
2. Auch andere strafrechtliche Eingriffe in Grundrechte werden mit präventiver Begründung als verfassungsgemäß angesehen, obwohl ihre kriminologisch-wissenschaftliche Grundlage alles andere als erhärtet ist (zB. „Einstiegsdroge Cannabis“). Insoweit hat das BVerfG dem Gesetzgeber schon häufig ein relativ breites Ermessen bzw. eine Einschätzungsprärogative eingeräumt.
Besten Gruß
Henning Ernst Müller
Comment by Henning Ernst Müller — 31.07, 2012 @ 11:10
Ich bin dagegen das zu verbieten. Ich finde das einen guten Indikator dafür, wie geistig Reif unsere Gesellschaft ist, und wie Verantwortungsbewusst die einzelnen Medien.
Comment by Martin — 31.07, 2012 @ 12:45
Sehr geehrter Herr Prof. Müller,
das ist mir klar. Ich dachte, ich hätte ausreichend deutlich genmacht, dass es hier natürlich um eine andere Abwägung geht, als die zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht. Gleichwohl ist die Rechtsprechung des BVerfG in der Tendenz äußerst meinungsfreundlich.
Comment by Stadler — 31.07, 2012 @ 16:05
@Martin
Daß unsere Gesellschaft nicht wirklich reif ist, belegt die hohe Zahl von Trittbrettfahrern und Nachahmungstätern, die auf so eine Tat hin folgen.
Und die Medien mögen zwar auf ihre Pressefreiheit pochen, unterwerfen diese jedoch immer ökonomischen und auch politischen Präferenzen. Die Bild ohne skandalöse, tragische oder hetzerische Schlagzeile wäre kaum denkbar, oder?
Natürlich ist das nicht ok – aber wie will man es verhindern? An den Pressekodex hält sich heutzutage kaum noch ein Medium. Es geht um Geld, Einschaltquote und Auflage. Saubere Berichterstattung stört da nur, weil der Kunde Emotionen statt Fakten will – womit wir wieder bei der Gesellschaft wären. Ein Teufelskreis, der nur mit guter Bildung und der Ausbildung zum Selberdenken gebrochen werden könnte.
Comment by Dr. Who — 7.08, 2012 @ 11:41