Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.5.12

Wirkungsvolle Filesharing-Abmahnungen?

Rechtsanwalt Clemens Rasch, einer der BigPlayer im Geschäft der Filesharingabmahnungen, spricht gegenüber SPON von „Wirkungswellen“ die seine Abmahntätigkeit auslöst und behauptet, die u.a. von seiner Kanzlei ausgehenden Massenabmahnungen würden eine generalpräventive Wirkung entfalten, die  in Deutschland stärker sei als in den meisten anderen europäischen Ländern. Deshalb sei die Zahl der illegalen Downloads in Großbritannien auch 40-mal so hoch wie in Deutschland. Jetzt bin ich mir zwar nicht sicher, ob für die Argumentation des Kollegen Rasch dasselbe Milchmädchen Pate stand wie bei der Musikindustrie, halte dies allerdings für naheliegend.

Denn der Pro-Kopf-Umsatz den die Musikindustrie erzielt, ist in Großbritannien deutlich höher als in Deutschland. Wenn es tatsächlich stimmt, dass das Filesharing der Musikindustrie Milliardenverluste beschert und gleichzeitig in Großbritannien 40-mal so viel Filesharing betrieben wird wie in Deutschland, stellt man sich zwangsläufig die Frage nach dem logischen Bruch in der Argumentation von Rasch und der Musikindustrie. Oder ist das Filesharing vielleicht gar nicht der Umsatzkiller als der er immer dargestellt wird, sondern sind die Ursachen doch andere und eventuell vielschichtiger?

Es wäre in der Tat äußerst hilfreich, diese Frage umfassend wissenschaftlich zu untersuchen, um zu klären, ob die Argumente, mit denen die Musikindustrie seit mehr als 10 Jahren erfolgreich Lobbyismus betreibt, am Ende gar falsch oder zumindest deutlich übertrieben sind.

posted by Stadler at 20:12  

11 Comments

  1. Evtl. sowas:
    http://www.scribd.com/doc/93891327/Hammond-File-Sharing-Leak

    Comment by Wolfgang Oesterle-Imbery — 23.05, 2012 @ 20:26

  2. Vielleicht liegt es daran, dass in U.K. alles doppelt soviel kostet wie bei uns? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die ganzen Downloader den ganzen Müll kaufen würden, den sie kostenlos runterladen?

    Comment by Star Buck — 23.05, 2012 @ 22:47

  3. Dia Hammond-Studie von North Carolina State University ist nur die neueste in einer ganzen Reihe von Untersuchungen.

    Hier eine aus Berlin aus dem Jahr 2006:
    http://edoc.hu-berlin.de/conferences/culturalindustries/handke-christian/PDF/handke.pdf

    und eine aus dem UK aus dem Jahr 2009:
    http://www.ipsos-mori.com/researchpublications/researcharchive/2355/Pirates-are-prime-prospects-for-music-and-video.aspx

    Comment by Dreizack — 24.05, 2012 @ 01:08

  4. @ 2

    Doppelt so teuer? Top-Seller Music:
    1 – BRD + 24,9%
    2 – BRD + 28,4%
    3 – BRD + 31,7%
    4 – BRD + 42,9%
    5 – BRD + 7,0%
    6 – BRD + 26,1%
    [………..]

    Comment by Shual — 24.05, 2012 @ 07:09

  5. Kollege Lampmann hat hier etwas zu deinem Artikel geschrieben, was mich wiederum zu diesem Artikel inspirierte.

    Vielleicht melden sich ja noch mehr Kollegen zu Wort?

    Comment by RA Sebastian Dosch — 24.05, 2012 @ 14:47

  6. „Wirkungswellen“ können ohne vernünftige Timeline in Bezug auf Wanderungsbewegungen nicht wirklich analysiert werden.

    VOR der großen Abmahnwelle der Container-Abmahnindustrie wurde anhand des Systems des P-Abmahners KuW fest gestellt:

    „Statistischer Hinweis: Herr B.: ‚Als kleine Randbemerkung möchten wir auch noch erwähnen, dass die Zahl der Verletzer, seit dem Beginn unserer Rechtsverfolgung um über 50 % abgenommen hat.‘

    Diese Ansicht ist bei Überprüfung in den einschlägigen p2p-Portalen definitv falsch. Das Angebot von Titeln mit Titel-Kennung „M.“ ist seit September 2007 um bis zu 75% zurück gegangen. Die Aktivitäten durch filesharer auf den Titeln um durchschnittlich 20%. Seit September 2007 werden jedoch die Titel der Firma M. in erhöhtem Umfang ohne Titel-Kennung „M.“ in den Portalen angeboten, während die Aktivitäten deutlichst steigen.

    Zieht man nun die logische Komponente in Herrn Bs. [falscher] Aussage in Betracht hat sich trotz sicher vorhandener Abschreckungsmomente die Zahl der Verletzer allein im p2p-Bereich verdoppelt anstatt halbiert. Insofern würde sich bei entsprechend gesteigerten Umfang der Protokollierung durch die beauftragte Überwachungsfirma ein kräftiger Zuwachs zusätzlich zur bereits prognostizierbaren Verdopplung des ersten Jahres ergeben.“ [21.07.2008]

    Comment by Shual — 24.05, 2012 @ 17:46

  7. Und noch was…. beachtlich ist auch der Systemumbau bei Rasch selbst.

    Nachdem die Zeiten der Massentitelverfolgung um war, ging man dazu über Albenabmahnungen zu schreiben. Es folgte schließlich der Gang in die „Containerabmahnung“. Es wäre längst der Gang in die „Filehoster-Abmahnung“ erfolgt, wenn …

    dieses ein lukratives und einfach zu erledigendes Geschäft gewesen wäre.

    Nur weil dem Rasch die Abmahnmöglichkeiten ausgehen, heißt dass nicht das ein Song weniger im Internet illegaler Weise verbreitet wird. Sich die Situation schön zu reden bringt nichts…

    Comment by Shual — 24.05, 2012 @ 17:55

  8. … nach den letzten zwei sehr konkreten Beiträgen von @Shaul schweife ich ab …

    „Die Ursachen sind vielschichtiger.“ Das zeigen die bereits jetzt vorliegenden Untersuchungen. Ich zitiere aus dem oben verlinkten Beitrag von Christian Handke ausgehend von Feststellungen, die durchaus im Sinne der Musikindustrie sind (meine Übersetzung):

    In vielen Märkten trifft der Aufschwung des nicht-authorisierten Kopierens mit einer Verlangsamung der Verkäufe für authorisierten Kopien zusammen. … Diese Übereinstimmung ist besonders auffallend im deutschen Markt. (S.8)

    Die meisten aufwändigen empirischen Beiträge … finden, dass File-sharing eine nachteilige Wirkung auf Plattenverkäufe hatte. (S.11)

    Es gibt drei unerwartete Beobachtungen in der Zeit der Rezession (bis 2005 d.Ü.): erstens in Deutschland ist die Anzahl der Plattenfirmen schnell gewachsen und zweitens sind viele kleine Firmen auf dem Markt erschienen. Drittens, sowohl in Großbritannien wie in Deutschland hat die Anzahl von neuen CD in voller Länge zugenommen. (S. 24)

    Blackburn (A Study of Online Piracy) findet, dass Verkäufe von bisher sehr bekannten Künstlern abgenommen haben … während File-sharing anscheinend die Plattenverkäufe bisher unbekannter Künstler ankurbelt. (S.24-25)
    [Anm.d.Ü.: die aktuelle Hammond-Studie kritisiert Blackburn, der nur Verfügbarkeit und nicht wirkliche Popularität untersucht hatte.]

    Abschließend (für heute) … zwei Beobachtungen aus meinem eigenen Umfeld, also mit keinem Anspruch der Wissenschaftlichkeit:

    1. Großbritannien lebt seit Jahrzehnten mit einem Copyright-Gesetz, das kein Recht auf Privatkopie kennt. Es gab immer massenhaft Verletzungen des Gesetzes: Radio aufnehmen, Kassetten und CD kopieren, Format-Shift … alles illegal aber nicht verfolgt. Die aktuelle Situation ist die Fortsetzung davon. Die deutsche Musikindustrie würde sagen: Gerade deswegen sollten die Übertretungen des Gesetzes verfolgt werden. In GB ist der gesellschaftliche Frieden (noch) ein viel zu hohes Gut, um den Lobbyisten nachzugeben.

    2. Junge Leute in beiden Ländern geben ihr Geld für andere Sachen aus als vor zehn Jahren: Computer, Spielkonsolen, Spiele (!), echte (!) Markenklamotten und das ist auch ein Faktor in dieser Gleichung. Hier ein Artikel aus dem Technology Blog der Guardian zu diesem Thema …
    http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2009/jun/09/games-dvd-music-downloads-piracy

    Comment by Dreizack — 24.05, 2012 @ 18:11

  9. Jugendliche haben kein Geld mehr für CDs DVDs und Kino weil sie alle noch auf Jahre an die Kanzleien abstottern müssen, was ihnen an Forderungen mit der Abmahnung zugestellt wurde.

    Diese jugendlichen werden sicherlich nicht die Rente derer Zahlen wollen, die ihnen so übel mitspielen. Könnte ich mir so vorstellen, dass das in späterer Zukunft nicht ohne Folgen bleiben wird.

    Mit beispielhaften Grüßen,
    yt

    Comment by yt — 25.05, 2012 @ 07:53

  10. @9: … und in Großbritannien, wo es angeblich 40-mal soviele Downloads gibt wie bei uns? Dort können überhöhte Forderungen aus Abmahnungen als Erklärung nichts taugen und auch in Deutschland stellt sie die Ursachenkette auf den Kopf.

    Aber, dass den Jugendlichen die Lust auf Konsum der Produkte der Abmahner vergeht mag zum Teil schon stimmen, auch wenn dieses Wochenende wieder Millionen in die Kinos zum neuesten Film von Sony pilgern werden. Filesharing wird in beiden Ländern die Gewinne kaum schmälern.

    Comment by Dreizack — 25.05, 2012 @ 12:02

  11. Hieß es nicht mal, dass Filesharer sogar die besten Kunden sind?

    Manchmal wird man aber auch als ehrlicher Kunde allein gelassen. Da kauft man vor Jahren ein Spiel und möchte es mal wieder spielen. Und was passiert? Es funktioniert nicht. Vielleicht liegt es auch am neuen System. Ins Internet geschaut, ob es ein Patch gibt. Mit dem Hersteller in Verbindung gesetzt. Keine Antwort.
    Tja, dann mal auf Warez-Seiten und in einschlägige Foren geschaut. Voila, dort gibt es auch für neuere Systeme eine funktionierende Spielversion. Und nun? Was soll man machen? Das Spiel habe ich schon bezahlt. Darf ich jetzt die funktionierende Version, die es nirgends legal zu erwerben gibt, illegal runterladen? Oder muss ich mir einen alten Computer zulegen, nur um dieses eine Spiel spielen zu können?

    Was will ich sagen? Der Kunde ist schon lange kein König mehr. Er ist eine Milchkuh, die Milch geben aber sonst die Klappe halten soll.
    Gute Spiele, Musikalben und Filme werden sich immer gut verkaufen, auch wenn sie in Filesharing-Netzwerken getauscht werden.

    Und wie wirkt sich eigentlich der Gebrauchtmarkt auf die Verkaufszahlen aus? Wenn ich ein Gebraucht-Album kaufe, hat die Musikindustrie trotzdem nur ein verkauftes Album auf der Habenseite.
    Die knappen Kassen in vielen Familien führt doch auch dazu, dass vermehrt Gebrauchtwaren gekauft werden. Wäre das nicht auch eine Erklärung für den Rückgang der Verkaufszahlen?

    Comment by J. S. — 25.05, 2012 @ 12:42

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