Untersuchung des MPI zum Nutzen der Vorratsdatenspeicherung
Der CCC hat ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht geleakt, das zu dem Ergebnis gelangt, dass durch das Fehlen einer Vorratsdatenspeicherung keine Schutzlücken entstehen.
Die Studie geht der Frage nach, ob es zu praktischen Problemen im Bereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung kommt, wenn Telekommunikationsverkehrsdaten nicht auf Vorrat gespeichert werden.
Dass das bereits im Juli 2011 fertiggestellte Gutachten, das im Auftrag des Bundesamts für Justiz (!) erstellt worden ist, bisher nicht den Weg in die Öffentlichkeit fand, ist wenig überraschend. Denn das Ergebnis ist nicht erfreulich für die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung.
Eine der Schlussfolgerungen der Untersuchungen lautet:
Der Diskussion zu Nutzen und Konsequenzen der Vorratsdatenspeicherung kann entnommen werden, dass geeignete Daten, die zu einer quantitativen Überprüfung der Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärungsquote führen könnten, bislang nicht erfasst werden, und im Übrigen auch nicht systematisch erfasst werden sollen.
Ausweislich der Untersuchung gibt es keine Erkenntnisse über einen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Terrorbekämpfung.
Zentral erscheinen mir außerdem folgende Erkenntnisse der Untersuchung zu sein:
Betrachtet man insbesondere das Jahr 2008, in dem Vorratsdaten grundsätzlich zur Verfügung standen, so kann für keinen der hier untersuchten Deliktsbereiche eine mit der Abfrage zusammenhängende Veränderung der Aufklärungsquote im Hinblick auf das Vorjahr oder den Folgejahren 2009/2010 beobachtet werden.
Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.
Auch wenn die Studie darauf hinweist, dass eine zuverlässige Einschätzung durch das Fehlen systematischer empirischer Untersuchungen erschwert wird, muss jedenfalls nach dem derzeitigen Stand davon ausgegangen werden, dass es keine fundierten und allgemeingültigen Erkenntnisse gibt, die den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung belegen.
Was mich außerdem erschüttert, ist der Umstand, dass die Bundesregierung diese Untersuchung offenbar ganz gezielt verheimlicht, während parallel Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung, allen voran der Bundesinnenminister, ganz vehement weiter öffentlich behaupten, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig und ihre Ablehnung sei verantwortungslos. Wir erleben hier einmal mehr, wie der Bürger systematisch belogen und hinters Licht geführt wird.
Die Nichtveröffentlichung dieser Studie kann man getrost auch als politischen Skandal betrachten, der zeigt wie dringend notwendig Transparenz ist. Solange Transparenz durch Organisationen wie den CCC hergestellt werden muss, weil die Bundesregierung eine gezielte Politik der Desinformation betreibt, läuft ganz grundlegend etwas falsch in diesem Staat.
Vor zwei Monaten habe ich auf einer Podiumsdiskussion des AK Vorrat u.a. mit zwei Europaabgeordneten über Sinn und Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung diskutiert.
Von den Abgeordneten wurde die Einschätzung vertreten, dass man über die Aufhebung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung reden müsse, sollte die Kommission im Rahmen der laufenden Evalierung keine stichhaltigen Belege dafür liefern können, dass die Speicherung von TK-Verkehrsdaten auf Vorrat tatsächlich zu nachweisbaren Ergebnissen bei der Verbrechensbekämpfung geführt hat.
Dieser Punkt ist nunmehr belegbar erreicht, weshalb die Studie des MPI auch eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Europaparlament darstellt.
Update: Kaum ist der Leak des CCC raus, äußert sich auch das BMJ zu der Studie. ;-) Die Position der Justizministerin, die sich wacker gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung stemmt, wird durch die Untersuchung ohnehin gestärkt.
Sorry, aber bei der Frau BMinJ habe ich nicht gerade den Eindruck, dass sie die Studie „ganz gezielt“ verheimlichen würde, wenn sie ihr in irgendeiner Form nützt. Das BAJ untersteht schließlich ihrem Ministerium.
Comment by klabauter — 27.01, 2012 @ 09:45
Mit wundert nur, dass es dann solange gedauert hat, bis man mit dieser Studie an die Öffentlichkeit gegangen ist.
Comment by Stadler — 27.01, 2012 @ 14:06
Mich wundert auch, dass es so extrem lange gedauert hat, die Studie zu veröffentlichen. In der Ausgabe von Juli 2011 steht ja auch noch drin, dass das die zweite erweiterte Fassung wäre. Also wird uns das Ergebnis noch länger verheimlicht.
Es ist ein Skandal, dass öffentlich bezahlte Arbeit nicht öffentlich zugänglich gemacht wird. Es zeigt, dass überhaupt kein Wille zur Transparenz vorherrscht. Es ist doch lächerlich, dass wir CCC oder wikileaks losschicken müssen, um rauszubekommen, was mit unserem Geld gemacht wird.
Das wirft ein ganz böses Licht auf die Akteure. Offenbar hat auch SLS ihre Spielchen mit uns getrieben. Seit Monaten weiss sie, dass das Geschwätz von Uhl, dem Lobbyisten für seine rechte Schnüffelsoftware, dessen Bande auf Betreiben von Tauss aus dem Gebäude des Bundestages rausgeworfen wurde, jede empirische Relevanz fehlt.
Was ist das für eine Exekutive, die von alleine nicht aus dem Knick kommt, sondern immer erst wach wird, wenn der Bürger drängelt (ich will ja gar nicht wieder von dem rechtswidrigen Verhalten von SLS anfangen, die sich geweigert hat bestehende Gesetze einzuhalten, obwohl Heckmann ihr klar gemacht hat mit Gutachten, dass es dafür keinen Ermessensspielraum gibt)? Langsam fühle ich mich von der FDP verarscht.
Comment by Wolfgang Ksoll — 27.01, 2012 @ 14:22
Es ist etwas faul im Staate Deutschland.
Und das ist historisch gesehen ein völlig normaler Zustand. Leider.
Wir werden von Schildbürgern regiert.
Comment by Marta — 27.01, 2012 @ 14:23
Dazu passend ein Artikel von Frau Hammer auf telepolis, der die Befürworter der VDS mit Messies vergleicht: jeder Joghurtbecher, jedes kaputte Elektrogerät wird aufgehoben weil es vielleicht nochmal nützlich sein könnte.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36281/1.html
mfg.de
Comment by DerExperte — 27.01, 2012 @ 16:24
„Mit wundert nur, dass es dann solange gedauert hat, bis man mit dieser Studie an die Öffentlichkeit gegangen ist.“
@RA Stadler: Folgt man ihrer Einschätzung, dass es überraschend sei, dass das Gutachten nicht den Weg an die Öffentlichkeit fand, kommt man zu dem Ergebnis, dass Frau LS einen völligen Ausschluss einer VDS ausschließt und sich auf das exakte Maß einer anlassbezogenen VDS festgelegt hat.
Andernfalls wäre es schwer nachvollziehbar, warum sie das Gutachten zur Stärkung ihrer Position nicht bereits vor Monaten veröffentlicht hat.
Hier stellt sich eine interessante Frage nach den Beweggründen der Frau Ministerin.
Comment by tigerente1982 — 27.01, 2012 @ 17:09
Wer braucht noch die VDS wenn die Daten so oder so da sind?
http://www.malte-spitz.de/blog/4853937.html
Blöde Debatte :(
Comment by Gast — 27.01, 2012 @ 18:16
„Wer braucht noch die VDS wenn die Daten so oder so da sind?“
Das Zugangserschwerungsgesetz ist nach intensiver Debatte auch wieder verschwunden und die CDU, CSU, FDP, SPD haben ihre Meinung um 180 Grad gedreht. Debatten können unheimlich nützlich sein. Insbesondere wenn sie nicht nur von 600 irrlichternden Nichtwissenden geführt wird, sondern auch vom Bürger mit.
Man kann den Telekomikern auch das exzessive Speichern verbieten. Alkohol am Steuer ist auch verboten, auch wenn es immer wieder besoffene Autofahrer gibt. Wir erkennen es einfach nicht fatalistisch als normal an. Dein Link ist Teil der Debatte ;-)
Comment by Jan Dark — 27.01, 2012 @ 18:23
„Man kann den Telekomikern auch das exzessive Speichern verbieten.“
Ach ja? Wielange werden wir bei diesem Ex-Staatskonzern auf datensparsames Arbeiten noch warten dürfen?
„Datenschutz vernichtet Arbeitsplätze!“ höre ich sie schreien.
Ich erinnere mich noch an die Bewegtbilder aus dem 1&1 Rechenzentrum – wenige Minuten nach dem BVG Urteil zur VDS. Hach war das eine Freude!
Comment by Gast — 27.01, 2012 @ 18:40
@Jan Dark:
Weil mit der Vorratsdatenspeicherung noch längere Speicherdauern verbunden sind.
Zur aktuellen Speicherpraxis der TK-Anbieter hatte ich schon vor Monaten was gebloggt. Mich haben die Erfahrungen, die Malte jetzt gemacht hat, deshalb nicht wirklich überrascht.
Comment by Stadler — 27.01, 2012 @ 20:07
Sag mal, kann es sein dass deine Mailadresse @cplus nicht mehr funktioniert? Wie kann man dich denn sonst erreichen? Schick mir doch mal ne Mail wenn du magst.
Gruß,
Max
Comment by daMax — 27.01, 2012 @ 20:17
@Stadler
Ja, auf dem Waschzettel des LKA Bayerns standen ja auch die unterschiedlichen Speicherdauern der Telekomiker. Aber sie sind ja nicht mehr so notwendig wie früher.
Die vielen Flatrateverträge machen Speichern überflüssig. Wir können ohne Probleme bei Flatrates den Einzelverbindungsnachweis gesetzlich verbieten.
Bei den Standortdaten beim Mobilfunk können wir problemlos eine Anonymisierung vorschreiben. Zur technischen Optimierung brauchen wir keine personenbezogenen Daten.
Ich könnte mir eine Experimentierklausel im BKA-Gesetz vorstellen und dann zwingend vorschreiben, dass wir im Sozialgesetzbuch es Geld und Gesetz nur für empirisch nachgewiesene Wirkungsweise von Maßnahmen gibt.
Mir müssen davon wegkommen, ständig irgendwelche Forderungen von Rechtsextremen abwehren zu müssen (der auch noch zusätzlich Lobbyist ist für Überwachungselektronik wie Tauss gezeigt ist) und den Ermittlungsbehörden Beweispflicht aufgeben für ihre Maßnahmen. Das würde auch Ziercke ruhiger machen, der von Milliardenmärkten bei der Kinderpornografie halluziniert hat.
Wir sollten die NAZI-Morde zum Anlass nehmen, Beweispflicht einzuführen. Offenbar haben die Maßnahmen des Schily-Jahrzehnts überhaupt keinen Nutzen bei der Terrorbekämpfung gebracht.
Comment by Jan Dark — 27.01, 2012 @ 20:39