Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.8.11

Two Tribes

Markus Hündgen (Videopunk) schreibt auf Hyperland über einen „Glaubenskrieg der Digitalwelten“. Der Beitrag stützt sich im Wesentlichen auf Thesen von Peter Kruse. Ob die bewusste Anlehnung an das Werk von H.G. Wells „Krieg der Welten“ den (politischen) Konflikt zwischen den „Digital Natives“ und den „Digital Immigrants“ tatsächlich zutreffend umschreibt, war die erste Frage, die ich mir bei der Lektüre des Textes gestellt habe. Dass Kruse dieses gegensätzliche Begriffspaar durch „Digital Residents“ und „Digital Visitors“ ersetzen will, kann man zumindest als sinnvollen Ausgangspunkt betrachten.

Bereits die Gegenüberstellung der vermeintlichen Plattitüden “Freiheit statt Angst” und “Das Internet ist ein rechtsfreier Raum“ ist allerdings schwer nachvollziehbar. „Freiheit statt Angst“ ist ein Kampagnen- und Demonstrationsmotto, während die beschwörende Forderung, die im übrigen „Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein“ lautet und keineswegs „Das Internet ist ein rechtsfreier Raum“, eher unter die Rubrik der politischen Schimären fällt.

Zwei weitere Thesen Kruses finde ich dann allerdings geradezu verstörend.

Die erste lautet, dass beide Seiten dasselbe persönliche Wertesystem hätten. Das halte ich für eine grandiose Fehleinschätzung. Denn die Diskussion zwischen Netzaktivisten und innen- und sicherheitspolitischen Hardlinern ist nichts weiter als die Fortsetzung eines Jahrhunderte alten Konflikts zwischen freiheitlichen Kräften einerseits und totalitären Bestrebungen andererseits. Dieser Konflikt wird durch die technologische Entwicklung der letzten zwanzig Jahre in beide Richtungen wieder befeuert. Einerseits bieten technische Errungenschaften auch immer neue (technische) Möglichkeiten der Überwachung. Weil innenpolitische Hardliner permanent einen Kontroll- und damit Machtverlust fürchten, lautet ihre Forderung deshalb stets, dass alles, was technisch möglich ist, grundsätzlich auch gemacht werden müsse. Auf der anderen Seite eröffnet das Internet bisher ungeahnte Möglichkeiten der Kommunikation und Vernetzung, was zum Aufkommen einer digitalen Bürgerrechtsbewegung geführt hat und Anlass zu der Hoffnung gibt, dass gänzlich neue zivilgesellschaftliche Strukturen entstehen könnten. Zumindest ist das Internet, wie Rigo Wenning es gerne formuliert, eine große Tröte mit deren Hilfe man sich Gehör verschaffen kann. Das Netz hat die politischen Spielregeln jedenfalls bereits insoweit verändert, als Netzaktivisten mittlerweile in der Lage sind, politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Was dabei allerdings ganz deutlich wird, ist, dass innenpolitische Hardliner und freiheitlich gesinnte Netzbürger für ganz unterschiedliche Grundwerte und Überzeugungen stehen und eintreten.

Die zweite diskussionsbedürftige These Kruses lautet, dass diejenigen, die mehr auf Kontrolle setzen, an die Kraft und Intelligenz des Individuums glauben, während die Digital Residents auf die Intelligenz der Masse vertrauen würden. Das ist Ausdruck einer monokausalen Betrachtung, die die tatsächlichen Verhältnisse nicht abbildet.

Diejenigen, die sich für Freiheit einsetzen, sind sehr häufig sogar extreme Individualisten – was mir in gewisser Weise auch zwangsläufig erscheint – während diejenigen, die auf mehr staatliche Kontrolle hoffen, oftmals klassische Herdentiere sind. Die anderslautende These Kruses scheint mir stark von der Vorstellung einer Schwarmintelligenz geprägt zu sein. Damit lassen sich bis zu einem gewissen Grad Phänomene wie Wikipedia und GuttenPlag erklären. Die digitale Bürgerrechtsbewegung ist aber gerade deshalb erfolgreich, weil es ihr – allerdings nicht immer – gelingt, einen Haufen Individualisten zusammenzubringen, die sich zumindest punktuell dann wie ein Schwarm verhalten. Hieraus resultiert eine besondere Dynamik, allerdings auch ein besonderes Spannungsverhältnis, das sich dann auch immer wieder in mehr oder minder heftigen internen Auseinandersetzungen entlädt. Denn Individualisten bleiben Individualisten, auch wenn sie kurzzeitig und punktuell als Schwarm agieren. Und gerade wenn das passiert, entsteht eine enorme Kraft, der die Politik häufig nichts entgegenzusetzen hat und die sie oftmals nicht versteht und deshalb für unberechenbar hält.

posted by Stadler at 10:14  

13 Comments

  1. Ich verfolge ich seltsamen Kruse-Thesen über Aufschaukelung, Resonanzen etc. schon länger. Wer sich erntshaft mit Netztheorie oder um es tiefer zu hängen mit Phänomenen im Netz beschäftigt, reibt sich immer wieder verwundert die Augen, wie eine dermaßen differenzierte Nutzung der technischen Plattformen Internet und Web in so wenige Kästchen gezwängt werden kann. Gerade vor dem Hintergrund, dass viele Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen einen sehr verschiedenen Gebrauch des Webs realisieren.

    Dieser Text hat den besonderen Vorzug, zu offenbaren, dass es wahrscheinlich darum geht, Menschen, die nicht webaffin sind in wenigen Sätzen zu erklären, was eigentlich noch keiner so richtig überschauen kann. Denn immer dann, wenn das Thema Internet im politischen Feld auftaucht, so wie jetzt im Kontext Oslo oder früher in anderen Kontexten, erscheint irgendwo ein Interview oder eine Rede von Kruse und er bügelt eine vielgestaltige Entwicklung auf zwei Falten, die er oft auch noch mit pseudowissenschaftlichem Jargon begründet.

    Ich halte es für grob fahrlässig, dass solcherart Vereinfacher den Politkern und anderen Entscheidern die weitläufige und variantenreiche Welt im Web runterbrechen – mit den entstellenden folgen, die u.a. hier skizziert werden.

    Comment by Wittkewitz — 3.08, 2011 @ 10:31

  2. Danke. Kurse hantiert mit sehr vagen Begriffen und kann keine Begründung für seine Thesen anbieten. Die Methodik mag von der Datenerhebung bis zur Auswertung der Werte & Haltungen der Befragten in Orndung sein, jede Erklärung ist aber spekulativ. Und vor allem ist sie
    – zutiefst apolitisch, weil sie die zugrundeliegenden Haltungen zu Freiheit, Fortschritt, Technologie etc ignoriert.
    – ein unnötige Polarisierung der Diskussion, die Demarkationslinien sind an anderen Stellen.

    Comment by Christoph Kappes — 3.08, 2011 @ 10:52

  3. Ich habe ansonsten ja auch großen Respekt vor Kruse, aber die Unterstellung, Netzaktivisten und Innenpolitiker hätten dieselbe Wertvorstellung ist doch sehr weit hergeholt.

    Ob Herr Kruse sich da nicht eine heile Welt herbeiwünscht die es so nicht gibt, nie gab und vermutlich auch nie geben wird?

    Comment by Jan — 3.08, 2011 @ 11:40

  4. In einem Punkt hat Kruse recht. Auf beiden Seiten (als würde eine zweiertige Logik hier ausreichen, man verzeihe mir also die Vereinfachung) gibt es einen gemeinsamen „Wert“, und der heißt: „Ich habe Recht.“

    Durch seine Beiträge schafft es Kruse gegenüber beiden Seiten affirmativ zu sein. Er erzählt seinem Publikum, was es hören will. Die einen macht er zu Residents und verleiht ihnen damit einen schmeichelhaften Status, den anderen bietet er sich als Reiseführer an. Das alles verpackt in spektakuläre Visualisierungen, die den einen Anerkennung, Relevanz und Größe suggerieren, während er gleichzeitg die Kontrollphantasien der anderen Seite bedient. Da muss man erstmal drauf kommen.

    Comment by Sascha Stoltenow — 3.08, 2011 @ 11:58

  5. @Sascha Stoltenow
    Dass beide Seiten für sich reklamieren Recht zu haben, ist das Wesen fast aller Kontroversen. Kruse versucht möglicherweise gegenüber beiden Seiten affirmativ zu sein, aber die Frage ist doch, ob ihm das gelungen ist.

    Comment by Stadler — 3.08, 2011 @ 12:32

  6. Herr Kruse spricht anscheinend eher über die Auseinandersetzung zwischen „Politischen Hardlinern“ und „Netzaktivisten“ denn über die Konflikt zwischen digitalen „Besuchern“ und „Einwohnern“. Diese Gruppen sind nicht deckungsgleich, auch wenn eine Tendenz in Richtung der vorgenommen Trennung erkennbar ist.

    Des Weiteren scheint die Behauptung, diese Gruppen (warum eigentlich immer gleich „Schwarm“? Eine Gruppe von Leuten, die sich mit einem gemeinsamen Interesse zusammentut ist doch noch lange kein Schwarm…) hätten ein einheitlich Wertesystem eher auf die Erkenntnis zu fußen, dass sie außerhalb des Netzes immer noch zur gleichen Gesellschaft gehören. „Kindesmißbrauch ist schlecht“ und „Terroranschläge sollten nicht vorkommen“ als gemeinsamer Nenner eines vermeintlichen Wertesystems ist doch etwas dünn.

    Nicht zuletzt interessant ist die Aussage dass ein Einfordern von bzw. Einstehen für den Datenschutz im Internet ein Zeichen von Kontrollverlust sei.

    Herr Kruse erinnert mich ein wenig an den „Hooligan-Forscher“ Gunter Pilz, der seit Jahren die Funktionsweise von Fangruppierungen im Fußball zu erklären sucht und dort ähnlich interessante Behauptungen in ähnlich interessanten Zusammenhängen aufstellt.

    Comment by TillEh — 3.08, 2011 @ 12:37

  7. 1.) Wir brauchen Vereinfacher, weil nicht jeder in der Lage ist (aus zeitlichen, ökonomischen oder intellektuellen Gründen) eine ganze Studie zu lesen und zu verstehen. Wenn sie so vereinfachen können, dass es trotzdem noch korrekt ist: wunderbar. Davon gibt es aber wenige.

    2.) @Christoph Kappes: Ich verstehe nicht, warum Du so auf Daten und Fakten abfährst. Ich glaube, dass Kruse eher qualitativ forscht als quantitativ. Und: Alle (wissenschaftlichen) Erkenntnisse sind Thesen und gelten solange, bis sie jemand widerlegt hat.

    3.) Kruse meint glaub ich mit „demselben Wertesystem“ unser christlich-westliches Wertesystem: Niemanden soll Unrecht widerfahren, niemand soll leiden, niemand soll bestohlen werden, keiner darf jemanden anderen ein Unrecht zufügen.

    Die Frage ist: Wie setzt man das durch? Und da gibt es – das stimmt – seit Jahrhunderten grundsätzlich verschiedene Ansätze.

    Die einen gehen vom aufgeklärten Menschen aus, der selbstbestimmt und mündig dem kategorischen Imperativ folgt.

    Die anderen gehen mit Rousseau und meinen: Jeder Mensch ist dem anderen ein Wolf und daher muss man die Menschen bitte bestmöglichst kontrollieren und fremdbestimmen, sonst läuft das menschliche Zusammenleben ins Chaos.

    Ich denke, nichts anderes wollte Kruse eigentlich sagen. Und ich gebe ihm Recht.

    Comment by Daniel Bröckerhoff — 3.08, 2011 @ 13:32

  8. Nur ein paar Anmerkungen zu den Missverständnissen, die häufig auftreten, sobald der Name „Kruse“ irgendwo fällt:

    – Kruse forscht mit wissenschaftlichen Methoden der Psychologie. Wer seine Methodik kritisiert, sollte sich bewusst sein, dass er damit zugleich einen ganzen Wissenschaftszweig kritisiert. Kann man machen. Dann sollte man sich aber in der Materie auskennen. Sonst wird man nicht ernst genommen. Man sollte z.B. genauestens wissen, was qualitative und quantitative Datenerhebung ist und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile benennen können.

    – Natürlich interpretiert Kruse seine Forschungsergebnisse anschließend. Das ist die Essenz jeder Forschung. Diese Interpretationen sind dann aber eben keine „reinen Spekulationen“ mehr, sondern sie haben mehr Gewicht, weil sie auf handfesten Daten beruhen. Sprich: Man kann die Daten zwar anders interpretieren, sie aber nicht einfach ignorieren.

    – Es würde mich erstaunen, wenn Befürworter von mehr Datenschutz und Datenschutzskeptiker tatsächlich ein grundlegendes anderes Wertesystem haben würden.

    – Ein zentraler Punkt scheint mir der Begriff des „Kontrollverlusts“ zu sein: Kontrollverlust mag NIEMAND. Jeder Mensch will Herr seiner Selbst sein. Ansonsten wird Mensch psychisch krank. Das Problem ist nur: Kontrollverlust ist AUCH ein subjektives Erleben. Es gibt zwar klar festzumachende Faktoren, die Gefühle des Kontrollverlusts auslösen, aber jeder Mensch ist anders. Ein Gefangener – jemand also, dem weitgehend die Kontrolle über sein Leben entzogen ist – gewöhnt sich z.B. in einem bestimmten Maß an den Kontrollverlust. Objektiv ist der Kontrollverlust weiterhin da, aber subjektiv freut er sich über den täglichen Hofgang und hat sich irgendwie mit seiner Unfreiheit „arrangiert“ (um es mal in aller Kürze etwas plakativ auszudrücken.)

    Vielleicht wäre es also ein wichtiger Ansatzpunkt für weitere Diskussionen zu klären, was Beteiligte unter „Kontrollverlust“ verstehen und warum er ihnen wo und wann Sorgen macht oder keine Sorgen macht.

    Comment by Lucomo — 3.08, 2011 @ 14:24

  9. Herzlichen Dank für diese Analyse. Ich selbst habe den Text vor kurzem ebenfalls gelesen und mir ist besonders ein Satz aufgefallen:

    “Wem an einem stabilen Beziehungssystem, Dingen wie Datenschutz usw. gelegen ist, der wird im Internet nicht glücklich werden und mit heiligem Zorn dagegen angehen.”

    Ich denke auch hier liegt der Verfasser doch stark neben der Wirklichkeit. Als Beispiel nehme ich die Piratenpartei die sich massiv für den Datenschutz einsetzt und doch, wer will es bestreiten, stark im Internet verwurzelt ist und zu den Internet Natives zu zählen wäre.

    Comment by Teckpirat — 3.08, 2011 @ 15:07

  10. Das mit dem Wolf war, nein, nicht Kevin Kostner, sonderm Thomas Hobbes, nicht Rousseau. Das war der mit dem contrat social. Und wenn über Kruses Thesen nur Psychologen diskutieren dürfen, wird es ja bald ruhig um ihn.

    Comment by Sascha Stoltenow — 3.08, 2011 @ 23:46

  11. @Daniel, @lucomo:
    Auf welchen Ergebnissen beruht der Satz:
    „Die Politik muss, so wie es die Unternehmen schmerzhaft mussten, lernen, dass die klassischen Hierarchien nicht mehr überlebensfähig sind.“
    Das ist ja eine Sollensanforderung, erstens. Das ist zweitens vielleicht eine Interpretation, aber wovon? Was habe einige hundert qualitative Interviews für Unternehmensorganisation zuu bedeuten?
    Im übrigen, dafür kenne ich nun zuviele Unternehmen zu gut: Hierarchie gibt es überall und es gibt zusätzlich sicher informelle Strukturen, aber dieser Satz ist … (gelöscht).

    Comment by Christoph Kappes — 4.08, 2011 @ 13:44

  12. @Christopf Kappes: Es stimmt: Kruse sagt auch Dinge, die nicht von seinen Forschungsdaten gestützt werden. Z.B. vermute ich, dass er nicht extra eine Studie macht, um der Welt mitzuteilen, dass er Hunger hat.

    Ich denke jeder sollte selbst erkennen können, wo Kruse seine Forschungsdaten analysiert und interpretiert und wo er über andere Dinge spricht und fabuliert.

    @Sascha Stotenow: Richtig. NIEMAND darf über Psychologie sprechen. Ganz richtig erkannt. So war das gemeint, was ich sagen wollte. Wirklich. Gut aufgepasst…

    Comment by Lucomo — 4.08, 2011 @ 14:15

  13. @Lucomo: Ich für meinen Teil kritisiere nicht Kruses Forschungsmethodik, sondern seine populärwissenschaftliche Rhetorik, die auch gänzlich ohne Studium zugänglich ist.

    Wenn Kruse besipielsweise sagt, dass klassische Hierarchien nicht überlebensfähig seien – warum eigentlich nicht? -, dann frage ich mich schon, was er damit meint. Meint er Hierarchien an sich? Seltsam nur, dass Hierarchien ein Ergebnis von Vergesellschaftung sind, die im Übrigen ganz ohne Internet stattgefunden hat. Oder meint er mit klassischen Hierarchien nur deren Begründungszusammenhang? Dann würde ich ihm Recht geben, aber nur insoweit, als dass ich erwarte, dass es auch in Zukunft noch Hierarchien (als Entscheidungssysteme, Luhman und so´n heißer Scheiß) geben wird, diese sich aber wegen der Veränderungen des Kommunikationssystems anders begründen.

    Was bei seinem Publikum gut ankommt ist m.E., dass viele hören (wollen) „Oh, toll, keine Hierarchien mehr. Keiner der mir was sagen kann. Wir sind alle Individuen. Und Unternehmen sind zukünftig ganz doll menschlich.“

    Das kommt auch bei den Unternehmen an, denen Kruse dann erklärt, wie sie das machen können. Wissenschaftlich ist das aber Mumpitz, und es sind eher die Methoden der großen Illusionisten, derer er sich bei seinen Performances bedient. Ist ja alles erlaubt, aber halt doch etwas banal.

    Comment by Sascha Stoltenow — 4.08, 2011 @ 16:02

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