Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

21.11.10

Wer verdient an der Neuregelung des JMStV?

Die taz berichtet in einem aktuellen Artikel darüber, dass der Countdown für die umstrittene Neufassung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) läuft und noch 11 Landesparlamente der Neuregelung bis zum Jahresende zustimmen müssen. Das bedeutet allerdings auch, dass prinzipiell jede der etablierten Parteien (Union, SPD, Grüne und Linke) in der Lage ist, das Inkrafttreten der verfehlten Novelle zu stoppen, denn alle Parteien sind in einzelnen Bundesländern an der Regierung beteiligt.

Die Frage, wer ein wirtschaftliches Interesse am Inkrafttreten der Neufassung hat, ist bislang kaum gestellt worden. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil die geplante Alterskennzeichnung von Inhalten im Zusammenhang mit der Etablierung von Jugendschutzfiltern zu sehen ist, mit denen schließlich Unternehmen auch Geld verdienen wollen. Insoweit sollte man auch die Frage stellen, welche Mitglieder von Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle von der Neuregelung profitieren.

Die Neufassung des JMStV enthält in § 11 Abs. 3 folgende Regelung:

Ein Jugendschutzprogramm gilt als anerkannt, wenn eine anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle ein Jugendschutzprogramm positiv beurteilt und die KJM das Jugendschutzprogramm nicht innerhalb von vier Monaten nach Mitteilung der Beurteilung durch die Freiwillige Selbstkontrolle beanstandet hat

Eine Einrichtung wie die FSM, deren Mitglieder selbst Jugendschutzsoftware herstellen und anbieten werden, kann einem solchen Jugendschutzprogramm also durch positive Beurteilung zur Anerkennung verhelfen. Das ist zumindest dann, wenn Mitglieder der FSM, die vielleicht sogar im Vorstand vertreten sind, selbst entsprechende Jugendschutzprogramme anbieten, eher merkwürdig. Denn der Hersteller eines Jugendschutzprogramms wird seine eigene Software natürlich positiv beurteilen. Diese vorprogrammierte Interessenkollision regelt der Gesetzgeber aber nicht.

posted by Stadler at 21:03  

12 Comments

  1. Ein schöner Beleg für meine alte These: „Die ultimative Form der Selbstregulierung ist das Kartell“

    Comment by hp lehofer — 21.11, 2010 @ 21:13

  2. Gäbe es ernsthaftes Interesse an Jugendschutz, wären einige Zeitschriften und Sender, meist mit 3-4 Buchstaben, manchmal auch angehängten Ziffern, längst auf dem Index.

    Wenn ich erwachsene Menschen, die noch in Arbeit sind, an der Supermarktkasse über Schmarotzer rafaseln höre, die unser schönes Land ausbluten, nämlich die Arbeitslosen, diese Asozialen, die man jeden Tag auf RTL sieht, dann plädiere ich ganz energisch für die Anpassung der Zurechnungsfähigkeitsgrenze von 18 auf 180.

    Und die zur Verantwortung zu ziehen, die für die altersunabhängige Durchverblödung dieses für seine Dichter und Denker einstmals berühmten Volkes verantwortlich sind. Einschliesslich der Wegseher.

    Ach Moment! Die sehen ja garnicht weg. Die sehen Tatort Internet.

    Comment by Ingo — 21.11, 2010 @ 23:24

  3. Ach ja, die Frage nach dem ‚cui bono’zu beantworten, ist doch immer wieder aufschlussreich.

    Comment by vera — 22.11, 2010 @ 09:19

  4. Eigentlich habe ich überhaupt keine Lust, diesen albernen JMStV ständig zu verteidigen. Deshalb nur kurz: Aufgrund der hier beschriebenen Gefahr von Interessenskonflikten wird die Entscheidung der FSM (oder theoretisch anderer zertifizierter Einrichtungen) ja auch von der KJM kontrolliert – ein Mechanismus zur Ausbalancierung einer strukturellen Schwäche von Selbstregulierung, deren Erkenntnis also nicht erst Herr Stadler in diesem Blog, sondern auch dem Gesetzgeber schon früher untergekommen ist.

    Comment by ElGraf — 22.11, 2010 @ 09:47

  5. @ElGraf: Dann machen Sie es halt nicht.
    Die Kontrolle durch die KJM hätte man auch anders ausgestalten können, nämlich dahingend, dass Kinderschutzprogramme von der KJM zugelassen werden müssen. Gerade das sieht das Gesetz aber nicht vor. Faktisch entscheiden deshalb die Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, weil die KJM gar nicht über die notwendigen personellen/fachlichen Kapazitäten verfügt, um das vernünftig zu prüfen.

    Dass das nicht die erste Konstellation dieser Art ist und ich nicht der erste bin, der auf die ihr innewohnende Problematik hinweist, mag sein. So what?

    Comment by Stadler — 22.11, 2010 @ 11:19

  6. Sie fordern mit Halbwahrheiten und (teilweise) irrationaler Stimmungsmache mich ständig heraus, es doch zu tun. Und nun können wir uns streiten, wer als erstes aufhören sollte.

    Mit der zuletzt vorgetragenen Argumentation könnte man – was ja auch Prof. Lehofer oben andeutet – jede Form der Selbstregulierung wunderbar diskreditieren. Die damit verbundenen Vorteile – um nur einen zu nennen: dass nämlich gerade nicht ausufernde personelle/fachliche Kapazitäten auf staatlicher Seite aufgebaut werden müssen – bleiben dann eben wieder auf der Strecke.

    Comment by ElGraf — 22.11, 2010 @ 15:16

  7. Wo jetzt genau die Halbwahrheiten sind, habe ich nach wie vor nicht verstanden. Nachdem meine Texte z.T. durchaus auch rechtspolitischer Natur sind, kann man das natürlich immer als Stimmungsmache abtun.

    Comment by Stadler — 22.11, 2010 @ 16:36

  8. Das überbetonende Herausstellen der einen Seite einer Medaille ohne auch nur die Erwähnung der anderen subsumiere ich unter Halbwahrheit passiert . Und genau das passiert hier so gut wie immer, sobald Jugendschutz auf die Agenda gesetzt wird (noch gar nicht lange her in Sachen Einschränkbarkeit der Kunstfreiheit, hier jetzt wieder …). Rechtspolitik hin oder her, kritikwürdig finde ich das persönlich schon.

    Und schließlich müsste man sich dann vielleicht auch mal fragen: Cui bono? Wer bezahlt SIE eigentlich? Schon länger keine Mandate von FSM-Mitgliedern mehr gehabt? Solche Fragen würden sich dann in etwa auf einem vergleichbaren Niveau bewegen wie der hiesige Blogeintrag.

    Comment by ElGraf — 22.11, 2010 @ 18:24

  9. Das System heisst SELBSTkontrolle, da sich die betreffenden Unternehmen selbst kontrollieren – ein übliches Verfahren, das viele Vorteile (und auch einige Nachteile) hat und nicht als böswilliger heimlicher Trick, sondern ganz offen und gesetzlich gedeckt angewandt wird.

    Wichtigster Grund für den Selbstkontroll-Ansatz: In hochdynamischen Medien wie den Telemedien kommt der Gesetzgeber mit seinem relativ langsamen Instrumentarium nicht jedem Winkelzug hinterher, da ist die Selbstkontrolle der Unternehmen effektiver.

    Damit diese den Spielraum nutzen, jedoch nicht ausnutzen, gibt es im Bereich Jugendschutz die sogenannte „regulierte Selstkontrolle“ (oder weil es schöner klingt: regulierte Selbstregulierung). Sprich: Die Selbstkontrolle hat Grenzen. Und genau so ist der neue JMStV in Sachen Anerkennung der Jugendschutzprogramme gestrickt: Es darf die fsm bzw. dürfen die anderen Selbstkontrollen entscheiden. Sollten sie den Handlungsspielraum „ausnutzen“, kann die KJM dies kassieren. Ist doch gut!

    P.S. Was glauben Sie eigentlich, wie reich man mit Jugendschutzprogrammen werden kann? Ich kann Ihnen versichern – es gibt kommerziell wahrhaft interessantere Geschäftsfelder. Und das „Jugendschutzprogramm“ von JusProg e.V. gibt es gar umsonst, da ist gar nix mit Dagoberts Glück im prallen JMStV-Geldspeicher.

    Comment by ssb — 22.11, 2010 @ 20:48

  10. @ElGraf: Geht mir ja mit Ihren Kommentaren ähnlich, die auch oft eher einseitig finde. Subjektivität ist das Wesen der Meinungsäußerung.

    Comment by Stadler — 22.11, 2010 @ 21:14

  11. Der JMStV lässt sich recht gut erklären als Summe, bzw. kleinster gemeinsamer Nenner der Interessen der Gruppen, die ihn ausgehandelt haben:

    – Sämtliche Berufsjugendschützer möchten ihre Jobs erhalten (-> Bürokratie wird nicht abgebaut, es bleibt beim unsinnigen föderalen Aufsichtssystem und dem Durcheinander von unterschiedlichsten Gremien und Selbstkontrollsystemen)

    – Die beteiligten Politiker möchten ihr politisches Ansehen steigern (-> Ausrichtung des Systems an überkommenen, aber mehrheitsfähigen politisch-moralischen Werten), dabei aber niemandem auf die Füße treten (-> Vollzugsdefizit)

    – Die betroffenen Inhalteanbieter möchten ihr Programm machen, ohne sich dabei mit ordnungsrechtlicher Aufsicht rumärgern zu müssen (-> System der „regulierten Selbstregulierung“), möchten sich aber Konkurrenz vom Leib halten (-> hohe Markteintrittsschwellen)

    Was dabei auf der Strecke bleibt, sind die Gruppen, die keine Lobby haben, bzw. hatten:

    – Der Jugendschutz selbst

    – Kleine Inhalteanbieter ohne Anbindung an FSK, FSF oder FSM.

    Comment by Leser — 22.11, 2010 @ 23:25

  12. @ssb: Danke.

    @Stadler: Wenn meine Kommentare einseitig sind, liegt das daran, dass ich ja nur noch die andere Seite darstellen muss.

    Comment by ElGraf — 23.11, 2010 @ 22:20

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