Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.10.10

Darf die Polizei in sozialen Netzwerken ermitteln?

Habe gerade dem On3-Radio des Bayerischen Rundfunks ein Interview – das wohl erst nächste Woche gesendet wird – zu der Frage gegeben, ob die Strafverfolgungsbehörden in sozialen Netzwerken ermitteln dürfen.

Das dürfen Sie in einem gewissen Umfang in der Tat und praktizieren das meines Wissens auch. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung zur Onlineüberwachung u.a. auch zur Ermittlungstätigkeit im Netz Stellung genommen und dazu folgendes ausgeführt:

Eine Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher Informationen ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt. Dies gilt auch dann, wenn auf diese Weise im Einzelfall personenbezogene Informationen erhoben werden können (…). Daher liegt kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikationsinhalte erhebt, die sich an jedermann oder zumindest an einen nicht weiter abgegrenzten Personenkreis richten. So liegt es etwa, wenn die Behörde eine allgemein zugängliche Webseite im World Wide Web aufruft, eine jedem Interessierten offen stehende Mailingliste abonniert oder einen offenen Chat beobachtet.

Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann allerdings gegeben sein, wenn Informationen, die durch die Sichtung allgemein zugänglicher Inhalte gewonnen wurden, gezielt zusammengetragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden und sich daraus eine besondere Gefahrenlage für die Persönlichkeit des Betroffenen ergibt. Hierfür bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage.

Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht schon dann vor, wenn eine staatliche Stelle sich unter einer Legende in eine Kommunikationsbeziehung zu einem Grundrechtsträger begibt, wohl aber, wenn sie dabei ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners ausnutzt, um persönliche Daten zu erheben, die sie ansonsten nicht erhalten würde (…). Danach wird die reine Internetaufklärung in aller Regel keinen Grundrechtseingriff bewirken. Die Kommunikationsdienste des Internet ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen, in deren Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Überprüfungsmechanismen bereitstehen. Dies gilt selbst dann, wenn bestimmte Personen – etwa im Rahmen eines Diskussionsforums – über einen längeren Zeitraum an der Kommunikation teilnehmen und sich auf diese Weise eine Art „elektronische Gemeinschaft“ gebildet hat. Auch im Rahmen einer solchen Kommunikationsbeziehung ist jedem Teilnehmer bewusst, dass er die Identität seiner Partner nicht kennt oder deren Angaben über sich jedenfalls nicht überprüfen kann. Sein Vertrauen darauf, dass er nicht mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht schutzwürdig.

Polizeiliche Ermittlungen in sozialen Netzen wie Facebook sind somit erst dann problematisch, wenn ein Polizeibeamter unter einer Legende ermittelt, einen Kommunikationsprozess aufnimmt und sich eine gewisse Vertrauensstellung erschleicht um so an Informationen zu gelangen, die der Betroffene ansonsten nicht preisgegeben hätte.

Passend hierzu berichtet netzpolitik.org heute darüber, dass die US-Regierung eine eigene Abteilung „Social Networking Monitoring Center“ gegründet hat, die der Überwachung sozialer Netze dient.

posted by Stadler at 15:01  

5 Comments

  1. [Zitat]
    Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist, da hierfür keinerlei Überprüfungsmechanismen bereitstehen…

    …dass er die Identität seiner Partner nicht kennt oder deren Angaben über sich jedenfalls nicht überprüfen kann. Sein Vertrauen darauf, dass er nicht mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht schutzwürdig.

    [/Zitat Ende]

    Genau dafür gibts qualifizierte Signaturen.

    Ob es wohl möglich ist z.B. PGP-Signaturen in ein Forum einzubinden?

    In die PN-Funktion ganz sicher…

    Comment by stachel — 14.10, 2010 @ 18:45

  2. Ist doch vernüftig: Das was offen ist kann genutzt werden. Weiteres nicht.

    Comment by Christian — 14.10, 2010 @ 19:11

  3. Die ersten beiden Absätze (bis „Hierfür bedarf es einer Ermächtigungsgrundlage.“) erscheinen mir fair:
    – Der Staat darf Öffentliches (natürlich) grundsätzlich wahrnehmen.
    – Systematische Verdichtung, Speicherung und Verknüpfung dieses Öffentlichen mit anderen Daten brauchen eine Ermächtigungsgrundlage.

    Soweit, so gut. Aber jetzt kommt das, was mich sehr nachdenklich macht:

    Zitat 1:
    „Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung liegt nicht schon dann vor, wenn eine staatliche Stelle sich unter einer Legende in eine Kommunikationsbeziehung zu einem Grundrechtsträger begibt, wohl aber, wenn sie dabei ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen in die Identität und die Motivation seines Kommunikationspartners ausnutzt, um persönliche Daten zu erheben, die sie ansonsten nicht erhalten würde (…).“
    (Zitat 1 Ende)

    Zitat 2:
    „Die Kommunikationsdienste des Internet ermöglichen in weitem Umfang den Aufbau von Kommunikationsbeziehungen, in deren Rahmen das Vertrauen eines Kommunikationsteilnehmers in die Identität und Wahrhaftigkeit seiner Kommunikationspartner nicht schutzwürdig ist […] Sein Vertrauen darauf, dass er nicht mit einer staatlichen Stelle kommuniziert, ist in der Folge nicht schutzwürdig.“
    (Zitat 2 Ende)

    Ich lese hier heraus: (Vertrauen in) Online-Kommunikation ist effektiv *nie* schutzwürdig. (Oder jedenfalls dann nicht, wenn auch der Erstkontakt online stattgefunden hat und keine Offline-Bekanntschaft vorausgeht.)

    Aus meiner Sicht hat das sehr weitreichende Implikationen und gibt der Exekutive doch sehr viel Freiraum für allerlei Charaden.

    2 konkrete Fragen dazu:

    1. Bedeutet das z.B., dass man nun nie darauf vertrauen darf, dass sich nicht gerade eine staatliche Stelle als RA Stadler ausgibt — jedenfalls, sofern man RA Stadler nicht als Erstes im „real life“ (oder besser: offline life, denn online ist auch real) kennengelernt hat? (Das führt uns zu der Sprachsünde „als erstes kennengelernt“, die ich hasse. War jetzt das erste Mal, dass ich sie selbst benutze – quasi gezwungenermaßen.)

    2. Enthält obiges Zitat 2 nicht eben genau die entgegengesetzte „Meinung“ zu der folgenden Auffassung des RA Stadler:
    (Zitat Stadler)
    „Polizeiliche Ermittlungen in sozialen Netzen wie Facebook sind somit erst dann problematisch, wenn ein Polizeibeamter unter einer Legende ermittelt, einen Kommunikationsprozess aufnimmt und sich eine gewisse Vertrauensstellung erschleicht um so an Informationen zu gelangen, die der Betroffene ansonsten nicht preisgegeben hätte.“
    (Zitat Stadler Ende)
    Ich meine diese Frage ganz im Ernst! Denn Zitat 2 sagt (nach meinem Leseverständnis) gerade, dass Online-Kommunikation (zumindest solche, der kein Offline-Kontakt vorausging, aus dem sich ein Vertrauen ableiten könnte) eben generell keinen Vertrauensschutz (z.B. gegen Legenden) genießt. Dann wären Ermittlungen durch Kommunikation mit einem Grundrechtsträger ja nicht „erst dann problematisch, wenn…“ (wie RA Stadler schreibt), sondern sie wären nie problematisch, da generell zulässig.

    Oder steckt da noch irgendeine winzige Differenzierung im teuflischen Detail, die ich übersehen habe?

    Ich könnte mir nur die folgende vorstellen: Der Ermittler müsste sich eben nicht eine „Vertrauensstellung erschleichen“ (mein Verständnis dieses Stadler-Zitats: aufbauen — und das dürfte er gemäß meines Verständnisses von Zitat 2), sondern eine *bereits vorhandene* Vertrauensstellung zu einer Person dadurch ausnutzen, dass er sich als diese ausgibt. Das wiederum dürfte ja ohnehin bereits aus persönlichkeitsrechtlichen Erwägungen (Identitätsdiebstahl) heraus unzulässig sein – hoffe ich doch jedenfalls.

    Ganz klar ist natürlich: Ich rede hier ausschließlich über den rechtlichen Aspekt.

    Dass es
    – aus technischer Sicht „wirklich“ vertrauensvolle Kommunikation nur mit Signatur etc. gibt
    – aus pragmatischer Sicht schon der gesunde Menschenverstand einem zur Vorsicht bei der Annahme neuer „Kontakte“, „Freunde“ (oder wie die je nach Netzwerk heißen mögen) raten sollte (nicht anders als im Offline-Leben)

    ist klar und hier nicht die Frage.

    Comment by C. — 15.10, 2010 @ 02:01

  4. Sollte also ein ePA von Ermittlungsbeamten (bzw. die darin enthaltene Signatur) ein öffentlich sichtbares Bit enthalten, dass diese/n als solche/n ausweist?

    Comment by Ein Mensch — 15.10, 2010 @ 11:01

  5. bzw. sollte es in Telemedien auch ohne ePA eine Uniformpflicht geben bzw. analog zu den Versammlungsgesetzen eine Pflicht, dass die Ermittlungsbeamten sich zumindest der Versammlungsleitung zu erkennen geben.

    Comment by Ein Mensch — 15.10, 2010 @ 11:18

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