Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

29.9.10

BVerfG verbietet Kritik an Geschichtsverfälschung

Ein gestern veröffentlichter Beschluss des BVerfG vom 17.08.2010 (Az.: 1 BvR 2585/06) hat heftige Reaktionen und deutliche Kritik hervorgerufen. Die Bundeszentrale für politische Bildung hatte sich von einem Aufsatz eines Politikwissenschaftlers, der in einer von der Bundeszentrale herausgegebenen Schriftenreihe erschienen ist, aufs Schärfste distanziert und sich bei denjenigen entschuldigt, die sich von dem Beitrag verunglimpft fühlten.

Diese Reaktion der Bundeszentrale kann ich sachlich nachvollziehen, nachdem ich den beanstandeten Beitrag von Konrad Löw gelesen habe.

Nun zum juristischen Teil der Argumentation. Das Gericht geht davon aus, dass sich die Bundeszentrale als Teil der öffentlichen Verwaltung nicht auf die Meinungsfreiheit berufen kann, sondern vielmehr im Gegenteil Grundrechtsverpflichteter ist und durch ihr Verhalten die Grundrechte anderer, hier des Autors Konrad Löw, verletzen kann. Und die Aussagen der Bundeszentrale sollen, nach Ansicht des ersten Senats, das Persönlichkeitsrecht des Herrn Löw verletzen. Klar ist damit in jedem Fall, dass sich die Bundeszentrale wesentlich weniger erlauben darf, als ein Bürger der sich auf die Meinungsfreiheit berufen kann.

Wenn man die geringfügige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Autors Konrad Löw tatsächlich als Grundrechtseingriff qualifizieren will, muss man sich darüber im Klaren sein, welche Auswirkungen diese Sichtweise auf die Erfüllung der Aufgaben der Bundeszentrale hat. Denn diese Entscheidung führt dazu, dass die Bundeszentrale auch geschichtsverfälschende „wissenschaftliche“ Beiträge dulden muss und kaum mehr die Möglichkeit hat, sich deutlich zu distanzieren. Die Bundeszentrale wäre damit gehalten, Geschichtsverfälschungen von Verfassungs wegen zu tolerieren, mit den entsprechenden Konsequenzen für den Bereich der politischen Bildung.

Man stellt sich unweigerlich auch die Frage, ob dieser Maßstab eigentlich auch für andere Personen oder Institutionen, die den Staat repräsentieren, gelten. Wenn sich also ein Minister über eine bestimmte Person öffentlich äußert, ist das schließlich ebenfalls ein Verhalten, das nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann und sehr schnell in eine Persönlichkeitsrechtsverletzung mündet, wenn man die Grenzen so zieht wie das Verfassungsgericht. Dann wäre für Politiker allerdings in den Talk-Shows Vorsicht geboten. ;-)

Diese logische Konsequenz wird man in Karlsruhe freilich kaum ziehen. Es handelt sich hoffentlich um eine Einzelfallentscheidung, die, mit Verlaub, falsch ist.

posted by Stadler at 11:32  

3 Comments

  1. Ohne Ihrer Bewertung zum Inhalt des Aufsatzes des Herrn Löw in Zweifel ziehen zu wollen (ich teile diese ausdrücklich) habe ich jedoch den Eindruck, als ob Sie die Pressemitteilung des BVerfG nicht gelesen hätten.

    Ihre Aussage:
    „Denn diese Entscheidung führt dazu, dass die Bundeszentrale auch geschichtsverfälschende “wissenschaftliche” Beiträge dulden muss und kaum mehr die Möglichkeit hat, sich deutlich zu distanzieren. Die Bundeszentrale wäre damit gehalten, Geschichtsverfälschungen von Verfassungs wegen zu tolerieren, mit den entsprechenden Konsequenzen für den Bereich der politischen Bildung.“

    Hierzu ist in der Pressemitteilung des BVerfG zu lesen:
    „Im Rahmen ihres Bildungsauftrags ist sie zwar nicht gehalten, alle grundrechtlich geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende
    Unterscheidungen treffen, wobei es ihr grundsätzlich nicht verwehrt ist, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums nicht zu berücksichtigen und sie als solche zu bezeichnen. Da zu den Grundlagen ihrer eigenen Tätigkeit auch das öffentliche Vertrauen in die eigene
    Glaubwürdigkeit und Integrität gehört, kann es ein legitimes Interesse darstellen, sich von ihr zuzurechnenden Beiträgen, die von dem Anspruch einer ausgewogenen Informationstätigkeit auffällig abweichen, weil sie etwa extreme oder extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren, um so die eigene Reputation wiederherzustellen.“

    Insofern ist auch Ihre These, „dass die Bundeszentrale auch geschichtsverfälschende “wissenschaftliche” Beiträge dulden muss und kaum mehr die Möglichkeit hat, sich deutlich zu distanzieren“ nicht richtig. Distanzieren darf sie sich durchaus.

    Das BVerfG stört sich insoweit vor allem an der Ankündigung der Makulierung im Zusammenhang mit der Entschuldigung für eine etwaige Verunglimpfung. Denn wenn wir ehrlich sind, besteht der Unterschied zwischen der öffentlichen Ankündigung der Makulierung (also des Einstampfens) eines Druckwerks und dessen Verbrennung (um ein historisches Beispiel heranzuziehen) nur in der Form der Vernichtung. Meiner Meinung nach liegt es deshalb auf der Hand, warum das BVerfG nicht mit Begeisterung auf das Handeln der Bundeszentrale in der konkreten Form reagiert hat.

    So sehr uns eine Meinung auch missfallen will, sollten wir nicht vergessen, dass die Meinungsfreiheit gerade die Freiheit schützt, unliebsame und nicht massenkonforme Meinungen vertreten zu dürfen.

    Comment by Rob S. — 29.09, 2010 @ 14:23

  2. Die steile These

    „Denn diese Entscheidung führt dazu, dass die Bundeszentrale auch geschichtsverfälschende “wissenschaftliche” Beiträge dulden muss…“

    stimmt im Übrigen schon deswegen nicht, weil die bpb keineswegs gezwungen ist, ihr missfallende wissenschaftliche Aufsätze in ihren Schriftenreihen zu publizieren. Und die bpb ist auch nicht dazu berufen, sich zu jedem sonstwo publizierten Aufsatz zu äußern, sie ist schließlich weder Zensurbehörde noch zuständiges Organ für die Ausstellung von Meinungs-Unbedenklichkeitsbescheinigungen.

    Comment by fiat iustitia — 29.09, 2010 @ 15:57

  3. Ich versteh nicht, warum das so verkompliziert wird, selbst auf diesem juristischen blog.
    Ich bin nicht juristisch geschult, aber eine internet-recherche zeigt mir, dass löw recht bekam, weil die bpb eine mitteilung verschickte, in der sie durchblicken liess, dass löw in dem zurückgezogenen text unsägliches behauptet. Damit habe sie ihn als eine art paria gebrandmarkt (meine formulierung), was gerade beim thema antisem. fatal sein könne.
    Das ist eine schlimme argumentation, da sie wieder einmal ein beispiel abgibt für den relativismus, der unserer rechtsordnung oft zu grunde liegt (so viel hab ich schon geblickt). Und vor allem: Das Gericht geht der frage aus dem weg, ob diese implizite öffentliche schmähung löws inhaltlich berechtigt war, analysiert also nicht etwa seine sonstigen schriften zu dem thema (die es ja gibt; siehe etwa die diskussion um sein 2006 erschienenes buch „das volk ist ein trost“). Oder hab ich das was verpasst?
    Dass die einstampfung einer verbrennung gleichkomme, und deshalb kritisiert worden sei, möchte ich übrigens auch erst mal nachgewiesen sehen!

    Comment by Ralf — 13.10, 2010 @ 16:10

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