Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

29.7.10

Der uneinsichtige Polizeipräsident

Vor einigen Tagen hat ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, das der Berliner Polizei die Anfertigung von Filmaufnahmen bei friedlichen Demonstrationen untersagt, für Aufsehen gesorgt. Und dies obwohl das Gericht damit nur die ohnehin eindeutige Rechtslage bestätigt hat.

Der Berliner Polizeipräsident hat dennoch angekündigt, sich nicht an das Urteil halten zu wollen, Berufung zum Oberverwaltungsgericht einzulegen und notfalls das Berliner Abgeordnetenhaus aufzufordern, ein Versammlungsgesetz zu schaffen, das der Polizei das Filmen während friedlicher Demonstrationen erlaubt. Das berichtet der Tagesspiegel.

Die Aussagen des Polizeipräsidenten Glietsch sind in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Es steht ihm natürlich frei, gegen das Urteil Berufung einzulegen, wenngleich der Urteilsspruch nur der klaren gesetzlichen Regelung von §§ 12a, 19a VersG folgt.

Nachdem es sich beim Versammlungsgesetz um ein Bundesgesetz handelt, das die hier streitige Frage bereits abschließend regelt, verfügt das Berliner Abgeordenetenhaus überhaupt nicht über die Kompetenz eine abweichende gesetzliche Regelung zu treffen. Eine solche Regelung wäre aber, unabhängig von der Frage der Gesetzgebungskompetenz, auch nicht mit Art. 8 GG vereinbar. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verbietet anlassunabhängige Filmaufnahmen während friedlicher Versammlungen. Dass die Praxis der Polizeibehörden oft anders aussieht, ändert an dieser Rechtslage nichts.

Das Berliner Abgeordnetenhaus sollte sich daher eher Gedanken darüber machen, ob ein Polizeipräsident, der öffentlich derartig verfassungsferne Rechtsansichten äußert und seine Beamten zu rechtswidrigem Verhalten anhält, für die Hauptstadt weiterhin tragbar ist.

Update:

In meinen Text hat sich leider ein Fehler eingeschlichen. Seit der Föderalismusreform dürfen die Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen. Soweit sie das nicht machen, gilt das VersG des Bundes weiter.

Das ändert aber an meiner Schlussfolgerung insgesamt nichts. Die Wirkung des Grundrechts aus Art. 8 GG bedingt zwingend, dass bei Versammmlungen nicht anlassunabhängig gefilmt wird. Genau diesen Punkt hat das BVerfG übrigens im Zusammenhang mit dem bayerischen Versammlungsgesetz beanstandet. Nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind selbst Übersichtsaufzeichnungen, bei denen eine Speicherung des Versammlungsgeschehens erfolgt, nur dann zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen. Anlassunabhängige Filmaufnahmen sind bei Versammlungen daher mit dem Grundgesetz per se nicht vereinbar.

posted by Stadler at 14:27  

11 Comments

  1. Gesetzgebungskompetenz der Länder:
    „Nach Wegfall der Bundeszuständigkeit für das Versammlungsrecht im Zuge der Föderalismusreform vom 28. August 2006 können die Länder eigene Landesversammlungsgesetze erlassen. Solange ein Land von dieser Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat, gilt dort das Versammlungsgesetz des Bundes weiter.“
    http://www.bmi.bund.de/cln_183/SharedDocs/Standardartikel/DE/Themen/PolitikGesellschaft/VerfasVerwa/Versammlungsrecht.html

    Comment by Klammer Karl — 29.07, 2010 @ 14:40

  2. Versammlungsgesetz Bayern und die Entwürfe für BW, Sachsen und Niedersachsen haben deshalb ja auch sämtlichst weitergehende Regelungen zur Videoüberwachung.

    Comment by Hans-Werner — 29.07, 2010 @ 14:52

  3. Deshalb schreibt Thomas ja auch „unabhängig von der Frage der Gesetzgebungskonkurrenz.

    Aber wieso nicht mit Art. 8 GG vereinbar? Der Wortlaut des Grundrechts verbietet es ja nicht per se. Und wenn in Urteilen mal festgestellt wurde, dass anlass-unabhängiges Filmen nicht erlaubt ist, dann ist das doch nicht dauerhaft in die Zukunft hinein für die Gesetzgebung bindend, oder?

    Comment by Hoffmann aus Stuttgart — 29.07, 2010 @ 15:09

  4. Mal ganz abgesehen von der Tatsache ob die Videoaufnahmen zulässig sind:

    Das Interessante an §12a VersG ist, das es (zumindest für mich als Nichtjurist) erklären könnte warum in Fällen von Polizeigewalt plötzlich keine offiziellen Polizeivideos mehr existieren, da es explizit vorschreibt das die Videos „nach Beendigung der öffentlichen Versammlung oder zeitlich und sachlich damit unmittelbar im Zusammenhang stehender Ereignisse unverzüglich zu vernichten“ sind.
    Stellt sich natürlich die Frage ob ein Polizist ein „Teilnehmer“ im Sinne von Satz 1 Nr 1 ist…

    Wobei sich natürlich auch ganz praktisch der Fall ergeben würde das eine Anzeige eines Demonstranten ggn Unbekannt (bei der Polizei) erst NACH der Versammlung eingeht und von daher das Video eh schon gelöst wäre (zumindest in der Theorie).

    Comment by Pat — 29.07, 2010 @ 15:24

  5. Dass die Länder seit der Föderalismusreform eigene Versammlungsgesetze erlassen dürfen, hatte ich in der Tat übersehen. Bayern hat sich da ja in Karlsruhe schon eine blutige Nase geholt.

    Das ändert aber an meiner Schlussfolgerung insgesamt nichts. Die Wirkung des Grundrechts bedingt es zwingend, dass bei Versammmlungen nicht anlassunabhängig gefilmt wird. Das hat das BVerfG übrigens im Zusammenhang mit der bayerischen Regelung ebenfalls klargestellt. Danach sind selbst Übersichtsaufzeichnungen, bei denen eine Speicherung des Versammlungsgeschehens erfolgt, nur dann zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von der Versammlung erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Anlassunabhängige Filmaufnahmen sind daher mit dem Grundgesetz per se nicht vereinbar.

    @Hoffmann: Das bindet auch den Gesetzgeber, denn er ist an die Verfassung gebunden.

    Comment by Stadler — 29.07, 2010 @ 15:29

  6. Ach Du liebe Güte – mal eben die Föderalismusreform übersehen (samt der anschließenden Diskussion über die Landesversammlungsgesetze), aber anderen Leuten Inkompetenz vorwerfen!

    Das BVerfG hat in seiner einstw. AnO zum bayVersG auch keineswegs „klargestellt“, dass Art. 8 GG es „zwingend bedingt, dass bei Versammmlungen nicht anlassunabhängig gefilmt wird“. Das BVerfG hat lediglich die bei einstweiligen Anordnungen übliche Folgenabwägung getroffen und die Videoaufnahmen deshalb vorläufig nur eingeschränkt zugelassen.

    Solche kenntnislosen Schnellschüsse sind in der gerade aktuellen Diskussion (http://www.kriegs-recht.de/5-grunde-warum-juristische-blogs-chancen-in-deutschland-haben-%e2%80%93-eine-replik/) ein Argument dafür, warum juristischen Blogs auch in Zukunft und mit Recht eine größere Aufmerksamkeit verwehrt bleiben wird.

    Comment by Gast — 29.07, 2010 @ 16:04

  7. Dass der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden ist, ist klar. Allerdings verbietet der Art. 8 GG nicht, dass anlasslos gefilmt wird. Art. 8 formuliert sozusagen positiv, was der Bürger darf, nicht aber, was der Staat darf, wenn der Bürger sein GR wahrnimmt.

    Und auch das von dir zitierte Urteil gründet seine Aussage doch auf dem Argument: „Wenn der Bürger weiß, dass er gefilmt wird, nimmt er sein GR nicht wahr und das wäre schlecht für die Demokratie.“ Auf dieser Annahme gründet das BVerfG die Aussage, dass anlassloses Filmen und vor allem SPEICHERN nicht verfassungsmäßig ist.

    Denkbar wäre dennoch, und das meine ich mit „nicht für den Gesetzgeber bindend (was das BVerfG in diesem konkreten Fall feststellt)“, dass der Gesetzgeber der Polizei auch anlassloses Filmen z.B. zum Zweck der ÜbersichtsAUFNAHME erlaubt und daran dann noch strenge, datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Ansprüche stellt (keine Individualisierung, keine Strafverfolgung, keine Speicherung).

    Meiner Ansicht nach läßt das GG also schon zu, dass man anlasslos filmt – aber eben in sehr strengen Grenzen.

    Comment by Hoffmann aus Stuttgart — 29.07, 2010 @ 16:08

  8. Naja, wenn aber die „Einschüchterung“ durch die Übersichtsaufnahmen den Effekt hat, die Demonstrationsteilnahme zu – sagen wir mal – „verungenehmern“, dann wäre sicher schon eine gewisse Eingriffsschwelle erreicht. Mir fällt dazu gerade noch das Schlagwort „chilling effects“ ein – dazu promovierte doch auch irgendjemand in der deutschen Blawgosphäre, wenn ich mich recht erinnere?

    Ich glaube auch, dass vorliegend das Versammlungsrecht im Vordergrund steht. Darüberhinausgehende datenschutzrechtliche Bedenken grundsätzlicher Art müssen aber natürlich außerdem angestellt werden und sind wegen gewisser vorhandener Rechtsprechung zu Videoüberwachung im Allgemeinen wohl auch besser, konkreter und weniger akademisch zu diskutieren.

    Comment by Hans-Werner — 29.07, 2010 @ 16:48

  9. @Gast: Blogbeiträge sind im Vergleich zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen immer Schnellschüsse, mit denen man sich leicht angreifbar macht.

    Meine Schlussfolgerung, dass Art. 8 GG anlassunabhängige Filmaufnahmen nicht zulässt, steht in Einklang mit der praktisch einhellligen Auffassung in der juristischen Literatur und Rechtsprechung. Das BVerfG ist im Rahmen der angesprochenen Eilentscheidung durchaus deutlich geworden und hat sicher keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass das anders gesehen werden könnte.

    Die Frage ist daher auch eher in der politischen Diskussion umstritten als in der juristischen. Wenn Sie meinen, ich hätte dem Berliner Polizeipräsidenten Inkompetenz vorgeworfen, so ist das ein Missverständnis. Ich wollte vielmehr auf eine m.E. bedenkliche Geisteshaltung hinweisen, die ich als verfassungsfern betrachte. Und das ist für einen Spitzenbeamten, der auf die Verfassung vereidigt ist, ein Problem.

    Anonyme Kritik wie die von Ihnen, schalte ich zwar frei, was aber nicht bedeutet, dass ich sie für besonders mutig halte.

    Comment by Stadler — 30.07, 2010 @ 10:52

  10. Was ich, als juristischer Laie, mich im Zusammenhang mit Herrn Glietschs Aussage allerdings frage ist, ob er sich mit diesem öffentlichen Bekenntnis zum Rechtsbruch nicht womöglich des § 111 StGB, „öffentliche Aufforderung zu einer Straftat“ schuldig gemacht hat.
    Unabhängig von der Frage, ob das Urteil des Gerichts nun Rechtskräftig ist/wird, oder ob zur nächst höheren Instanz gegangen wird, so hat der PP dennoch öffentlich über die Medien verlautbaren lassen, dass er sich einer juristischen Schlappe keinesfalls beugen wird und die Praktik des abfilmens von friedlichen Demonstrationen weiter betreiben wird.

    Wie wird denn diese Tatsache von Juristen eingeschätzt? Wäre eine Anzeige wegen Verstoßes gegen oben genannten Paragraphen nicht eine Möglichkeit, bzw müsste nicht die StA von sich aus bereits ermitteln?

    Comment by Berlina — 30.07, 2010 @ 19:12

  11. @Berlina: Nein, weil es sich nicht um einen Straftatbestand handelt, sondern lediglich um die richterliche Auslegung eines Grundrechts.

    Würde der Gesetzgeber jetzt handeln und sagen: „Wer als Polizist eine Versammlung anlasslos filmt, wird mit 5 Jahren Gefängnis bestraft.“, dann hätten wir einen Straftatbestand und dann könnte man über § 111 StGB auch mal nachdenken.

    Oder wie das die Juristen, die ihr StEx schon haben :) ?

    Comment by Hoffmann aus Stuttgart — 31.07, 2010 @ 19:00

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