Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.3.10

Vorratsdatenspeicherung: Kein Sieg für die Bürgerrechte

Das mit Spannung erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung ist im Ergebnis nicht wirklich überraschend. Die Verfassungsbeschwerden waren erfolgreich, weil die angegriffenen Regelungen des TKG und der StPO über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind.

Das Gericht betont aber ausdrücklich, dass eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht schlechthin verfassungswidrig ist, sondern nur die derzeitige Ausgestaltung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genügt.

Das bedeutet freilich nichts anderes, als dass sich der Gesetzgeber nunmehr – vermutlich zügig – an eine Neuregelung machen wird, die erneut eine Speicherpflicht in dem bisher vorgesehenen Umfang normieren wird.

Das ist kein großartiger Sieg für die Bürgerrechte, auch wenn die Verfassungsbeschwerden formal erfolgreich waren.

Quelle:
Presemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (11/2010)
Urteil im Volltext

Update:
Die Musikindustrie begrüßt das Urteil, was auch nicht überraschend ist. Denn sobald das neue Gesetz da ist, werden auch IP-Adressen bei allen Providern sechs Monate lang gespeichert werden und stehen damit, wie das Urteil erkennen lässt, auch für Auskunftsersuchen nach dem UrhG zur Verfügung.

2. Update:
Nach der anfänglichen Euphorie gibt es mittlerweile doch einige kritische Stimmen, die sich eher auf meiner Linie bewegen:
Prantl in der SZ
Steinbeis im Verfassungsblog
Jens Ferner

posted by Stadler at 11:26  

26 Comments

  1. Aber die Hürden für die Speicherung und den Zugriff sind doch jetzt ungleich höher?

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 11:40

  2. Die Hürden für die Speicherung sind um einiges höher – zumindest für die Verpflichteten. Die müssen nämlich jetzt eine sehr sichere Umgebung schaffen, nach den Vorgaben eines zu erstellenden Gesetzes.
    Gespeichert darf immer noch alles werden. Zugriff ist ein wenig eingeschränkt worden, wobei auch anscheinend extrem aufgeweicht wurde: Selbst für stärkere Vergehen dürfte zugegriffen werden.
    Alles in Allem sehr komplizierte Sache. *weiterles*

    Comment by Lars — 2.03, 2010 @ 11:48

  3. Lieber RA Stadler,
    ich teile Ihre Meinung nicht ganz. Im Grunsatz haben Sie zwar Recht, jedoch wurden die "Hürden" für Datenspeicherung und Datenabruf sehr hoch gelegt und zum anderen ist dieses Thema wie man so schön sagt erstmal politisch verbrannt – keine Partei und auch keine Koalition wird dieses Thema insbesondere zügig angehen.

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 11:49

  4. das sehe ich auch so. Aber: eine Neuauflage der Vorschriften kommt jetzt nur noch unter strengster Beobachtung zustande. So einfach ohne Weiteres ist jetzt nicht mehr…

    Comment by sigi — 2.03, 2010 @ 11:50

  5. Hallo!
    Ich denke sehr wohl, dass das ein Sieg für die Bürgerrechte war und ist. Hier haben Bürger für Ihr Recht gekämpft – und gesiegt: DIESES Gesetz ist nichtig!
    Sicher hat das BVerfG nicht grundsätzlich solche Gesetze untersagt, aber es hat eine hohe Messlatte angelegt für künftige Versuche.
    Darüberhinaus ist es Sache der Bürger nun mit der richtigen Wahl ihrer Vertreter solche Versuche möglichst zu unterbinden.
    Das urteil zeigt den Bürgern sehr deutlich, dass es sich sehr wohl lohnt für seine rechte einzutreten. DAS müssen wir ihnen jetzt sagen.
    Gruss
    Hans-Peter

    Comment by hpweyer — 2.03, 2010 @ 11:54

  6. Es besteht eine Gefahr bei den Sprüchen der Weisen der Bundesrepublik … Der Bundestag wird sich sehr stark an ihnen orientieren. Der unbedarfte Abgeordnete liest aus dem Urteil heraus: Eine Vorratsdatenspeicherung ist grundsätzlich ethisch und politisch richtig – denn die Weisen in Karlsruhe haben's gesagt. Ich glaube, dass dieses Missverständnis einer der Gründe dafür ist, dass der Gesetzgeber nach einem BVerfG-Urteil so häufig Gesetze macht, die den Gestaltungsspielraum, den Karlsruhe sieht, maximal ausnutzen – weil man glaubt, wenn die Richter das für verfassungsgemäß halten, ist es auch politisch richtig und es kann nichts mehr schief gehen. Man denkt gewissermaßen, das Urteil ist das Sicherheitsnetz, das uns vor einem Absturz in den Überwachungsstaat bewahrt – jetzt kann kein Gesetz, das sich daran hält, mehr negative Auswirkungen haben.

    In Wahrheit beschreibt das Verfassungsgericht nur die Grenze des maximal Zulässigen. Dass Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich verfassungsrechtlich möglicht ist, macht sie noch nicht ethisch, moralisch, politisch richtig. Ein Abgleiten in einen Überwachungsstaat wird durch ein solches Urteil vielleicht verschoben – aber prinzipiell ist das immer noch Sache der politisch Verantwortlichen.

    Die Weisen aus Karlsruhe machen uns nicht gegen alle Verfehlungen immun. Sie ziehen eine Grenze – aber das heißt nicht, dass man auf dem Weg zu dieser Grenze nicht schon andere Grenzen überschritten hat.

    Comment by Marian Stiehler — 2.03, 2010 @ 11:54

  7. Nun, ob eine Ausweitung auf Ordnungswidrigkeiten, wie sie mit dem Urteil explizit möglich ist, wirklich als "höhere Hürde" oder "Einschränkung" begriffen werden darf? Siehe auch Artikel bei Telepolis: http://www.heise.de/tp/blogs/8/147177

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 12:04

  8. Ich bin gespannt was die FDP – welche jetzt sogar einen Sieg für sich reklamiert – damit umgehen wird.

    Das wird ein (weiterer) FDP-GAU.

    Ansonsten: Für OWIs sind Abfragen zum IP-Nutzer ohne Richtervorbehalt für zulässig erklärt worden.

    Und (Zitat BVerfG):
    Sie knüpft vielmehr in noch begrenzt bleibender Weise an die besondere Bedeutung der Telekommunikation in der modernen Welt an und reagiert auf das spezifische Gefahrenpotential, das sich mit dieser verbindet. Eine
    Rekonstruktion gerade der Telekommunikationsverbindungen ist daher für eine effektive Strafverfolgung und Gefahrenabwehr von besonderer Bedeutung.

    Das halte ich für bedenklich und eine Abkehr von der bisherigen Linie.

    Grüße
    ALOA

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 12:09

  9. Beachtenswert erscheint mE übrigens auch die zur Art. 12 GG getroffene Aussage:

    Anscheinend hält das BVerfG eine entschädigungslose Indienstnahme von Telekommunikationsunternehmen – also Privater – zur Vorratsdatenspeicherung – also Gefahrenabwehr – tatsächlich für zulässig – ohne viele Worte über die nicht ganz unumstrittene Art und Weise zu verlieren, in der sich der Staat hierdurch seiner finanziellen Verantwortung entzieht.

    Die dagegen bspw. auch vom VG Berlin geäußerten Bedenken (VG Berlin 27. Kammer, Beschluss vom 17.10.2008 – 27 A 232.08) dürften sich damit weitestgehend erledigt haben.

    Comment by Sebastian — 2.03, 2010 @ 12:14

  10. Um es deutlich zu sagen: Das wird wohl kein guter Tag für die Bürger im Internet. Denn allein die IP-Abfrage per OWi und die Speicherung von IPs bei Anonymisiserungsdiensten gibt keinen Anlaß zur Freude. Das wird ja sogar noch schlimmer als bisher….

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 12:27

  11. Nach der ersten Euphorie und dem Universaltool "Gefahrenabwehr" sieht die Sache wirklich nicht mehr so glänzend aus.

    Freue mich auf Beiträge/Diskussionen in den Jurablogs.

    #k.

    Comment by Kand.in.Sky — 2.03, 2010 @ 12:44

  12. Doch ein Sieg für die Bürgerrechte – immerhin sind die Fehler so schwerweigend, dass nicht nur nachgebessert wird, sondern da Gesetz nichtig ist.
    Außerdem werden wesentliche Bedingungen für eine erneute VDS gefordert – KONKRETE Verdachtsmomente für KONKRETE Gefahr, schwere der Straftat, richterlicher Vorbehalt, Informationspflicht, Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger – d.h. Auskünfte sind nur im Einzelfall möglich, ausserdem muss die Sanktion gegen Mißbrauch angemessen sein.

    Privacy

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 12:46

  13. gute analyse! habe gerade auch das hier zum thema gelesen: http://www.cop2cop.de/2010/03/02/vorratsdatenspeicherung-grundsatzlich-zulassig/

    Comment by lamy — 2.03, 2010 @ 13:07

  14. Ob Sieg oder Niederlage.. ich glaube wir werden abwarten müssen… In der EU gibt es mitlerweile ja auch Diskussionen um die eigentliche EU Richtlinie.. bleibt abzuwaren wie die Politik und die EU nun darauf regiert.. der Ausgang dürfte offen sein …

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 13:09

  15. Die Einschätzung, dass das Theme erst einmal politisch "verbrannt" ist, teile ich ganz und gar nicht. Allein wegen des Unmsetzungsbedarfs der Richtlinie wird es zügig ein neues Gesetz geben. Man hat jetzt wie immer in solchen Fällen den Vorteil, die Grenzen des Verfassungsgerichts zu kennen und diese ausschöpfen zu können. Es wird sicher etwas mehr Transparenz geben müssen, aber am Ende des Tages wird man auf Vorrat genau dieselben Daten speichern wie bisher.

    Comment by Pavement — 2.03, 2010 @ 13:13

  16. Das Witzige ist, dass der CCC erst durch das Aufzeigen der technischen Maßnahmen die Voraussetzungen für die Speicherung im einzelnen möglich gemacht hat, wie die Urteilsgründe zeigen. Tja, Ehre wem Ehre gebührt.

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 13:17

  17. Der politische Tanz geht jetzt erst wichtig los.

    Die FDP ist eigentlich voll gegen die Speicherung als solches. Auch Goll (BW) hat sich eben so geäußert und natürlich auch Schnarrenberger. Und sogar Westerwelle hat etwas dazu gesagt obwohl es gar nicht um HartzIV geht.

    Popcorn
    FDP die Umfaller
    Behält Schnarrenberger das Ministerium?

    Grüße
    ALOA

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 13:25

  18. @ Pavement

    Dass das Thema "politisch verbrannt" ist denke ich auch nicht…
    Aber es muss nicht wieder in dieser Form kommen wie es mal war ..
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/EU-will-Pflicht-zur-Vorratsdatenspeicherung-neu-pruefen-942207.html
    Es wird also durchaus auch in der EU über Sinn und Unsinn der VDS diskutiert.. mal schauen was wirklich kommt.. Denke dieser Tag ist weder zum Schwarzsehen noch zur Freude gedacht … jetzt heißt es .. Arbeiten.. überzeugen.. beim Bund der EU ..

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 13:42

  19. Schweden hat sich der VDS ja verwehrt und ich glaube Rumänien ebenfalls.

    Das sind die "Angriffspunkte" welche ich sehe.

    Die FDP könnte diese nutzen. Sie kann – wenn sie wirklich will. Ob Baum, Hirsch und Schnarrenberger dort aber noch etwas zu melden haben ist die Frage. Ansonsten gebe ich keinen ct. für weitere Genossen dort. Womöglich sogar eine Bühne für CDU/SPD außer der Reihe.

    Grüße
    ALOA

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 14:22

  20. Bitkom Kommentar für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

    http://www.blogspan.net/6753-bitkom-begrust-entscheidung-des-verfassungsgerichts.html

    Comment by Blogspan Alex — 2.03, 2010 @ 14:30

  21. Naja, bis zur NRW-Wahl haben wir ja jetzt auf jeden Fall Ruhe…

    Comment by Pascal — 2.03, 2010 @ 14:52

  22. Naja, bis zur NRW-Wahl haben wir ja jetzt auf jeden Fall Ruhe…

    Comment by Pascal — 2.03, 2010 @ 14:52

  23. Das Urteil hat mich auf der ganzen Linie enttäuscht. Im Grunde wird nur die technische und materielle Ausgestaltung gerügt, wenn auch deutlich. Damit hat der Senat nicht das Recht des Bürgers gestärkt, sondern das Recht des Staates auf Aufklärung von Taten. Also Staat über den Souverän=den Bürger.
    Allerdings zeigt das Urteil auch die Obergrenze des Machbaren. Der Politik steht somit auch ein Spielraum nach unten zur Verfügung. Insofern kommt der Haltung der FDP eine entscheidene Bedeutung zu. Von daher muss man massiv auf die Entscheidungsträger dieser Partei einwirken, ihr auch die negativen Konsequenzen bei einer Richtung via CDU/CSU. Vielleicht lässt sich ja auch eine konzertierte Aktion arrangieren.

    Comment by GustavMahler — 2.03, 2010 @ 15:08

  24. Das Verfassungsgericht hat aber auch klar gesagt, das alle gespeicherten Daten unverzüglich zu löschen sind.

    Die FDP hat nun eine echte Chance verlorene Punkte wieder gut zu machen. Man dartf auch gespannt sein, wie die Umfaller der SPD sich bei der Abstimmung über ein neues Gesetz verhalten.

    Gab es da eigentlich schon oft, dass das Verfassungsgericht ein Gesetz für nichtig erklärt hat?

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 16:01

  25. Btw:
    http://www.n-tv.de/politik/Wirtschaft-will-Millionen-zurueck-article755747.html

    Klar, das Gericht hat gesagt "Pech liebe Anbieter" .. Aber durch die geforderten Sicherungsmaßnahmen werden die kosten erheblich steigern.. und die Provider werden wohl nicht mehr so ruhig wie damals bleiben.. und Druck aus der Wirtschaft überzeugt durchaus auch die Politik…

    Comment by Anonymous — 2.03, 2010 @ 17:22

  26. […] wieder los geht. Money quote: Der letzte Absatz. Nachdem die Karlsruher 2010 schamhaft gekniffen haben, fände ich es gut, wenn die ganze Chose grundsätzlich vor dem Europäischen Gerichtshof […]

    Pingback by Splitter 20.03.2012 « … Kaffee bei mir? — 20.03, 2012 @ 20:44

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