Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.2.10

Was ist dran am „Kindernet“?

Ein neuer Entwurf des Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) schlägt derzeit hohe Wellen. Die einen sprechen vom „Kindernet“, andere davon, dass dieses Regelwerk und die mit der Ausführung betraute Kommission für Jugendmedienschutz gefährlicher sei als Zensursula. Die gemeinsame Forderung lautet: Der Entwurf muss vom Tisch.

Die Aufregung ist schon insofern etwas überraschend, als der Großteil dessen, was jetzt kritisiert wird, bereits seit Jahren im Gesetz steht. Der JMStV existiert seit 2003 und wurde 2007 und 2009 geändert. Allein der Umstand, dass die bisherigen Fassungen des Staatsvertrags vielfach gar nicht wahrgenommen worden sind, belegt, dass die Auswirkungen auf das Netz bislang eher marginal waren. Was natürlich nicht zwingend heißt, dass es auch so bleibt.

Die derzeit häufig artikulierte Forderung, wonach der neue Entwurf vom Tisch müsse, geht aber in jedem Fall an der Sache vorbei, weil fast alle relevanten Regelungen ohnehin längst Gesetz sind.

Die aktuellen Diskussion könnte eine deutliche Entspannung gebrauchen und die Einsicht, dass die große Masse der Websites und Blogs vom JMStV nicht betroffen ist und auch in Zukunft nicht sein wird. Soweit in der Diskussion z.T. der Eindruck entsteht, es sei nunmehr eine allgemeine Kennzeichnungspflicht, ein Zwangs-Labeling, für alle Internetinhalte vorgesehen, so gibt der Entwurf das schlicht nicht her. § 5 JMStV-E besagt nur, dass Anbieter von entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten ihr Angebot entsprechend einer Altersstufe kennzeichnen können, sofern eine anerkannte Altersbewertung existiert.

Diese Differenzierung nach Altersstufen oder anhand der Uhrzeit („Sendezeiten“) ist für Onlineangebote allerdings wirkungslos und deshalb nicht sinnvoll. Es wäre im Grunde ausreichend zu regeln, dass Anbieter jugendgefährdender Inhalte dafür Sorge zu tragen haben, dass Jugendliche sie nicht wahrnehmen.

Was das Thema Netzsperren angeht, sieht der JMStV unverändert die Möglichkeit von Sperrungsanordnungen gegen Access- und Host-Provider vor. Dieses Instrumentarium kennt das deutsche Recht seit weit mehr als 10 Jahren. Das ist zwar sachlich ebenfalls bedenklich, aber inhaltlich nicht mit dem Zugangserschwerungsgesetz vergleichbar, weil keine automatisierte Blockade anhand von Sperrlisten erfolgen kann, sondern vielmehr „nur“ die Möglichkeit besteht, durch behördliche Bescheide die „Sperrung“ bestimmter Websites anzuordnen.

Der JMStV ist aus diesen Gründen ein insgesamt fragwürdiges und diskussionswürdiges Regelwerk. Aber nicht jede gesetzgeberische Eselei erschüttert das Internet in seinen Grundfesten.

Das ändert freilich nichts daran, dass das derzeitige Konzept des deutschen Jugendmedienschutzes in rechtspolitischer Hinsicht verfehlt ist. In sieben Jahren JMStV hätte man eigentlich irgendwann zu der Erkenntnis gelangen müssen, dass diese Regelungen, die stark von der Vorstellung der Rundfunkregulierung geprägt sind, den Praxistest nicht ansatzweise bestanden haben. Diese Einsicht fehlt nach wie vor, was das Festhalten am bestehenden Konzept belegt.

posted by Stadler at 08:30  

Keine Kommentare

  1. ist es denn nicht so, dass ich als Jugendlicher iA. gar keinen Internet-Anschluss bekommen kann?
    Warum sollen dann Menschen, die sich dort nur mitErlaubnis von Erwachsenen rumtreiben dürfen, extern geschützt werden?
    Das ist ja wie Pornokinos verbieten, nur weil ab und zu Eltern ihre Kids das reingehenl lassen…

    Comment by Anonymous — 23.02, 2010 @ 08:59

  2. Dass sie die bestehenden Regelungen bisher kaum angewendet haben ist richtig. Die Frage ist nur: was passiert wenn sie die alten und die neuen Regelungen so durchsetzen, wie sie es beschreiben?

    Das Bußgeld bzgl. fehlendes Labeling ist im aktuellsten mir vorliegenden Entwurf vom 18. Februar wieder draußen, dafür gibt es eine Protokollnotiz, in der die Anbieter zum „freiwilligen“ Labeling gedrängt werden. Dass dies mehrheitlich nicht passiert ist klar, in ein paar Jahren kann man dann also wieder mit einer Pflicht drohen …

    Im Gegensatz zum Zugangserschwerungsgesetz geht es hier um Sachen, die uns potentiell alle selbst betreffen: Kommentare in Foren/Blogs, soziale Netzwerke, Youtube und so weiter.

    Flickr hat ja jetzt schon passende Einschränkungen. Dass der eine oder andere nachziehen wird ist nicht so unwahrscheinlich.

    Comment by Alvar Freude — 23.02, 2010 @ 11:48

  3. Danke für die Analyse!

    Ich hab da nochmal ne Nachfrage, da wir da lange dran gesessen und gerätselt haben, was denn nun was genau heisst.

    Ein Beispiel erwähnst Du selbst:

    "§ 5 JMStV-E besagt nur, dass Anbieter von entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten ihr Angebot entsprechend einer Altersstufe kennzeichnen können, sofern eine anerkannte Altersbewertung existiert. "

    Wie genau ergibt sich das aus §5 würde mich interessieren.

    Und dann steht ja auch in §24 3b:

    3b.entgegen § 5 Abs. 2 sein Angebot nicht oder mit einer offenbar zu niedrigen Altersstufe bewertet oder kennzeichnet,“

    Ich als Laie lese daraus, dass ich labeln muss und damit eigentlich auch die Sendezeitbegrenzung keinen Sinn mehr macht, wenn ich dies eh tun muss.

    Und mal generell die Frage: Kann man Gesetze auch klar verständlich schreiben? ;-)
    (wenn man die ganzen Schachtelsätze aufdröseln würde, wäre ja auch schon viel gewonnen).

    Aber Details hin oder her, das Hauptproblem hier ist sicher, dass man hier Jugendschutz mit untauglichen Mitteln versucht.

    Es sollte doch eh stutzig machen, wenn man einfach ne Software installieren muss und schon hat man alles für seinen Nachwuchs an Schutz getan. Wann genau ist das Leben so einfach? ;-)

    Comment by Christian Scholz — 23.02, 2010 @ 12:59

  4. Es ist schon richtig, schon viele der Regelungen im alten JMStV sind aus netzregulatorischer Sicht bedenklich sind. Es gab damals vergleichsweise verhaltenen Protest, wil erst durch Zensursula viele aufgewacht sind.

    Vieles, was möglich wäre, wurde bisher noch nicht durchgesetzt. Die KJM sagt dazu, dass man sich bisher auf die jugendgefährdenden Angebote konzentriert hat (und das dürfte überwiegend die Pornoindustrie betreffen) aber wohl jetzt allmählich Resourcen freibekommt, um sich auch um die entwicklungebeeintreächtigen Angebote kümmern zu können. Währendes auch für einen Privatnutzer relativ einfach ist, Pornografie oder Gewaltverherrlichung zu erkennen, wird es bei "ab 12"- oder "ab 16"-Themen schon wesentlich schwerer. Wann darf ein Blogger z.B. eine Rezension über einen FSK16-Film schreiben? Darf ein Blogger den Namen eines ausländischen Computerspieleversenders erwähnen, obwohl dieser auf seiner Homepage in Deutschland indizierte oder gar beschlagnahmte Titel bewirbt? Was ist, wenn der Blogger sich vorher vergewissert, dass der Händler keine indizierten Titel bewirbt, dieser solche Titel aber einige Tage später dort einstellt?

    Dies alles führt zu einer großen Verunsicherung, die letztendlich dazu führt, dass weniger gebloggt wird. Deshalb geht eigentlich schon der alte JMStV zu weit.

    Comment by Stefan Fricke — 23.02, 2010 @ 17:01

  5. Ein Labeling kommt doch sowieso nur dann in Frage, wenn es um entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte geht.

    Außerdem gibt es in § 5 Abs. 7 noch ein Privleg für Nachrichten und Berichterstattung zum Zeitgeschehen.

    Die Befürchtung, dass davon auch Kommentare in normalen Blogs betroffen sein sollen, kann ich nicht ganz nachvollziehen

    Comment by Pavement — 23.02, 2010 @ 18:03

  6. Die Frage ist dann doch, wer festlegt was unter dem arg interpretationsoffenen "entwicklungsbeeinträchtigend" zu verstehen ist, und nach welchen Kriterien.

    Es ist ja heute nicht nur mit den üblichen Sitten- und Moralwächtern zu rechnen, sondern auch mit Wächtern der "richtigen" politischen Gesinnung.

    Comment by Anonymous — 24.02, 2010 @ 11:45

  7. Welchen Sinn macht es denn differenziertere Alterstufen einzuführen, wenn Labeling eh nur freiwillig ist und bleiben soll? Und ab wann muß ich nun kennzeichen? Frivole Witze und Bilder können für Kinder unter 6 entwicklungsbeeinträchtigend sein, für Kinder zwischen 6 und 12 jedoch nicht mehr (Veralberungen des Weihnachtsmannes etc.)!
    Und wenn das eigentlich eh alles mehr oder weniger so drin stand, warum dann eine Novellierung?

    Fragen über Fragen!

    Comment by taddi — 24.02, 2010 @ 12:51

  8. Die Diskussion darüber, was jugendgefährdend oder entwicklungsbeeinträchtigend ist, gibt es im Jugendschutzrecht seit Jahrzehnten.

    Comment by Pavement — 26.02, 2010 @ 08:06

  9. Hallo,

    ich kann mich bzgl. Jugendschutzgesetz nur anschließen. Für mein empfingen wird beim "Kindernet" nicht der Fokus auf Jugend/Kinderschutz im Internet gelegt, sondern ausschließlich "Fishing for Compliments" betrieben.
    Jede auch nur im Ansatz jugendgefährdende Tätigkeit, Gewerbe, Spiele, Filme etc muss geprüft und entsprechend freigegeben werden. Aus welchem Grund sollten nicht auch Internetplattformen dieser "Schutzzensur" unterliegen und die Verantwortung beim Betreiber liegen ? Ein Gastronom hat mit emfindlichen Folgen zu rechnen wenn er Alkohol an Kinder ausschenkt, warum nicht auch Internetdienstleister ? Dass versucht wird, eine allgemeine Zensur des Internets über zweifelhafte Schutzmechanismen (DNS Sperren, etc) halte ich nur für die Spitze des Eisberges der Überwachung, und Kinderschutz wird vorgeschoben und die Informationsfreiheit mündiger Bürger untergraben.

    IT&TK; Specialist

    Comment by Anonymous — 26.02, 2010 @ 10:27

  10. Man könnte sich auch mal fragen, ob eine Konstruktion wie die KJM mit ihrer hoheitlichen Tätigkeit, die aber leider nicht aus Beamten zusammengesetzt ist, überhaupt verfassungsgemäß ist.
    Denn um zu befinden, ob etwas pornographisch bzw. sonst jugendgefährdend ist, muss man kein Fachmann sein. Im Strafrecht (die Dunkelparaphen um § 184) reicht es jedenfalls, Richter zu sein, um darüber entscheiden zu können.
    Überdies wird da jemand auch noch sowohl präventiv als auch repressiv tätig.

    Comment by Anonymous — 4.03, 2010 @ 13:40

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