Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

1.3.24

Der durchsichtige Versuch, Correctiv zu diskreditieren

Die Berichterstattung von Correctiv „Geheimplan gegen Deutschland“ zu einem Treffen von Rechtsextremen, AFD-Politikern und Unternehmern in Potsdam hat hohe Wellen geschlagen und nunmehr auch zu einem juristischen Nachspiel, in allerdings sehr bescheidenem Umfang geführt. Von zwei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde einer vollständig und ein zweiter zu 2/3 vom Landgericht Hamburg zurückgewiesen. Die Kernaussagen des Correctiv-Artikels wurden in beiden Verfahren aber erst gar nicht beanstandet.

Diesen Umstand, haben rechtspopulistische Tendenzmedien wie Cicero, NIUS und andere dazu benutzt, das Narrativ zu entwickeln, die Kernaussage der Berichterstattung würde nur aus Meinungsäußerungen bestehen, die man ganz generell aber juristisch nicht angreifen könne. Befeuert wird dies durch eine verzerrende LitigationPR der Anwaltskanzlei, die die beiden Antragsteller der Verfügungsverfahren in Hamburg vertritt. Die LitigationPR der Kanzlei Höcker wurde bereits auf Beck Online kritisch beleuchtet. Sie ist auch deshalb problematisch, weil sie nicht nur der Diskreditierung des Prozessgegners dient, sondern auch eine Irreführung der Öffentlichkeit bewirkt. Dem Prozessgegner wird etwas unterstellt, das der wörtlich gar nicht geäußert hat, um dann medienwirksam zu verkünden, Correctiv habe schriftsätzlich beim Landgericht Hamburg klargestellt, diese Äußerung nicht getätigt zu haben. Man kennt diese Technik zu Genüge. In der Pressemitteilung der Kanzlei Höcker wird folgendes behauptet:

Correctiv hatte durch überspitzt inszenierte Wertungen den falschen tatsächlichen Eindruck hervorgerufen, Thema des Potsdam-Treffens sei die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gewesen. 

Tatsächlich steht in dem Artikel von Correctiv auch weiterhin folgendes:

Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. (…)

Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.

Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. 

Es stellt sich natürlich die Frage, welchen falschen Eindruck Correctiv hier hervorgerufen haben soll.

Das Vorgehen der Kanzlei hat auch wenig mit Prozessführung zu tun, sondern zielt auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ab. Und wie man sieht, stimmen die einschlägigen rechtspopulistischen Medien auch bereitwillig ein.

Dies wirkt in Summe konzertiert und trägt Züge einer Kampagne. Die Botschaft lautet: Die Berichterstattung von Correctiv sei zwar unseriös, aber man komme ihr nur schwer bei, denn Correctiv berichte gar keine Fakten mehr, sondern äußere nur noch Meinungen, was nicht angreifbar sei.

Diese Darstellung entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als ein juristisches Märchen, das zweckgerichtet verbreitet wird und allein dem Ziel dient, die Berichterstattung von Correctiv zu diskreditieren.

Der Artikel von Correctiv unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ enthält im Kern eine ganze Reihe von Tatsachenbehauptungen und im Anschluss daran natürlich auch wertende Schlussfolgerungen, die die Autoren aus den dargestellten Fakten ziehen. Ganz normale journalistische Arbeit.

Unstreitig haben sich die in dem Artikel namentlich genannten Personen in einem Hotel in Potsdam getroffen. Unstreitig wurden dort Vorträge zum Thema „Remigration“ gehalten. Ein Hauptredner, der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, hat dabei laut Correctiv von drei Zielgruppen gesprochen die Deutschland verlassen sollten, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Insoweit habe er laut Correctiv Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“ genannt. Letztere stellten aus seiner Sicht das größte Problem dar.

Das ist der aufsehenerregende Tatsachenkern der Berichterstattung von Correctiv, der bislang ganz augenscheinlich von niemandem angegriffen worden ist. Es handelt sich hierbei um Tatsachenbehauptungen, die, wären sie tatsächlich unwahr, auch juristisch angegriffen und untersagt worden wären.

Aus diesem Tatsachenkern haben die Autoren von Correctiv dann Schlussfolgerungen gezogen, insbesondere die, dass damit nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant würde.

Hierbei handelt es sich um eine Meinungsäußerung, für die es tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt. Gäbe es diese nicht, könnte man eine solche Meinungsäußerung ebenfalls untersagen.

Die Erzählung, man könne Meinungsäußerungen nicht verbieten und deshalb könnten die Kernaussagen der Correctiv-Berichterstattung nicht untersagt werden, ist juristisch nicht zutreffend.

Das möchte ich anhand eines Beispiels verdeutlichen. Wenn man jemanden als Nazi bezeichnet, handelt es sich hierbei um eine Meinungsäußerung. Diese beinhaltet im Regelfall aber eine derart schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung, dass sie untersagt werden kann. In diesem Fall überwiegt das Persönlichkeitsrecht gegenüber der Meinungsfreiheit.

Anders ist der Fall allerdings dann gelagert, wenn man beispielsweise einen rechtsextremen Politiker wie Björn Höcke als Nazi bezeichnet. Denn jemand wie Höcke hat durch eine Vielzahl von öffentlichen Aussagen zu erkennen gegeben, dass er über ein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügt und viele seiner Positionen zumindest eine gewisse Nähe zur NS-Ideologie aufweisen. So jemanden darf man dann als Nazi bezeichnen, weil es für diese Meinungsäußerung in ausreichendem Maß tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt.

Und so ähnlich ist es bei der Berichterstattung von Correctiv auch. Wäre auf dem besagten Treffen nicht über das Thema „Remigration“ gesprochen worden und hätte Martin Sellner nicht seine Ideen und Vorstellungen hierzu – wie oben dargestellt – als Redner vorgestellt, hätte Correctiv auch nicht die Ansicht äußern dürfen, auf dem Treffen habe man die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant. Vor dem tatsächlichen Hintergrund ist die Sachlage allerdings anders. Da diese Ideen und Vorstellungen bei dem Treffen unstreitig vorgetragen und diskutiert wurden, durfte Correctiv auch die Schlussfolgerung ziehen, es wäre dort die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant worden.

Man gewinnt mittlerweile den Eindruck, dass es keiner Fakten mehr bedarf, für den Versuch die Deutungshoheit in einer gewissen Frage zu erringen. Kampagnenhafte gestreute Desinformation erscheint offenbar erfolgsversprechender. Allerdings hat die Reaktion einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, dass der Bürger meistens doch schlauer ist.

posted by Thomas Stadler at 20:05  

5.1.24

AFD-Verbotsantrag jetzt?

Die Diskussion über ein mögliches AfD-Verbot nimmt aktuell immer wieder Fahrt auf. Der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz versucht schon seit geraumer Zeit, aber bislang offenbar erfolglos, im Parlament eine ausreichende Zahl an Mitstreitern für einen Verbotsantrag zu finden. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle sieht in der AfD eine große Gefahr für die Demokratie und geht davon aus, dass die rechtsextreme Partei eine „Systemveränderung“ will.

Sollte die AfD also verboten werden? Warum gibt es nach unserer Verfassung überhaupt die Möglichkeit, Parteien zu verbieten? Ist das nicht schon deshalb undemokratisch und fragwürdig, weil man damit – was im Falle der AfD durchaus eklatant wäre – den Wählerwillen missachtet?

Das Grundgesetz verfolgt im Prinzip den Ansatz, den Feinden der Freiheit keine unbedingte Freiheit zu gewähren. Durch die Etablierung eines Parteiverbots im GG hat der Verfassungsgeber die Lehren aus der Endphase der Weimarer Republik gezogen und wollte strukturelle Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Katastrophe des Nationalsozialismus nicht wiederholen kann. Die grundsätzliche Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG soll nicht dafür missbraucht werden dürfen, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen.

Das Grundgesetz postuliert damit aber auch einen Auftrag an die Politik, an den Bundestag, die Bundesregierung und den Bundesrat, die Verfassung vor ihren Feinden zu schützen, solange dies noch möglich ist. Und das scheint mir in der aktuellen Debatte, die stark von politischem und möglicherweise auch falschem Kalkül geprägt ist, zu wenig wahrgenommen zu werden.

Das Grundgesetz will sich, anders als die Weimarer Verfassung nicht von seinen Feinden beseitigen lassen und sieht aus diesem Grund die Möglichkeit vor, Parteien zu verbieten.

Den rechtlichen Rahmen für ein Parteiverbot bildet Art. 21 Abs. 2 GG, der folgendermaßen lautet:

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet nach Art. 21 Abs. 4 GG das Bundesverfassungsgericht.

Die Verfassung sagt also bereits sehr deutlich, dass Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig sind. Das Bundesverfassungsgericht stellt dies auf Antrag nur noch fest. Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob dieser Zustand nicht bereits erreicht ist und die AfD nach der Wertung des Grundgesetzes bereits jetzt verfassungswidrig ist.

Das Scheitern von zwei Verbotsanträgen gegen die rechtsextreme NPD wirkt politisch nach. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 18.03.2003 das erste Verbotsverfahren eingestellt und schließlich mit Urteil vom 17.01.2017 einen weiteren Verbotsantrag zurückgewiesen.

Der erste Verbotsantrag scheiterte vor allen Dingen daran, dass die NPD von V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden unterwandert war und das BVerfG unter diesen Voraussetzungen kein faires, rechtsstaatliches Verfahren und vor allem kein staatsfernes Verfahren mehr als gewährleistet ansah. Das begründete seinerzeit ein nicht behebbares Verfahrenshindernis.

In dem zweiten Verbotsverfahren, das im Jahre 2017 endete, erachtete das BVerfG die Voraussetzungen an sich für gegeben. Der NPD wurde attestiert, dass sie nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Das Bundesverfassungsgericht war zudem der Ansicht, die Partei ziele auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Dieses politische Konzept missachte, so das BVerfG ausdrücklich, die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist deshalb mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar. Das Gericht ging außerdem davon aus, dass die NPD planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hinarbeite. 

Der Verbotsantrag scheiterte letztlich daran, dass das BVerfG die NPD (bereits) für zu unbedeutend erachtete, um diese Ziele zu erreichen. Es fehlt, so das Gericht an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führen kann.

Das BVerfG führte hierzu (Rn. 897) aus:

Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen. Im parlamentarischen Bereich verfügt die Antragsgegnerin weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen (aa). Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln außerhalb des parlamentarischen Handelns besteht in absehbarer Zeit für die Antragsgegnerin keine Möglichkeit erfolgreicher Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele.

Dieser Ansatz des BVerfG ist äußerst problematisch. Solange eine Partei zu klein ist, wird sie trotz offenkundig und aktiver verfassungswidriger Zielsetzung nie verboten werden können. Wenn eine Partei dann eine gewisse Größe erreicht hat – wie die AfD – wird es politisch immer schwieriger, überhaupt noch einen Verbotsantrag zustande zu bringen.

Aus den Gründen, aus denen ein NPD-Verbot gescheitert ist, würde aber ein Verbotsverfahren gegen die AfD mit großer Sicherheit nicht scheitern. Denn die Wahlerfolge und aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass die AfD in den neuen Bundesländern sogar zu einer eigenen Mehrheit kommen und damit sogar den Ministerpräsidenten stellen könnte und im übrigen, auch auf Bundesebene – zumindest rechnerisch – die Option von Koalitionsbeteiligungen besteht.

Sofern die Politik und die Verfassungsschutzbehörden beim Thema V-Leute ihre Hausaufgaben gemacht haben, sollte ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht erneut an den Gründen scheitern, die für den Misserfolg der beiden NPD-Verbotsverfahren maßgeblich waren.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss noch nicht, dass ein Verbotsantrag gegen die AfD deshalb zwingend Erfolg verspricht.

Hierfür müssten die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Das erscheint auf den ersten Blick bei der AfD schwieriger als bei der NPD, weil die AfD versucht, sich weniger radikal und extrem zu geben, als die NPD. Andererseits ist die zunehmende Radikalisierung der AfD offen erkennbar. Der einstige „Flügel“ um Björn Höcke ist zwar offiziell aufgelöst, bildet inhaltlich aber längst die Hauptströmung der Partei und hat sich intern durchgesetzt.

Für die Frage, wann eine Partei die Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 GG erfüllt, muss man sich zunächst damit beschäftigen, was das BVerfG überhaupt unter dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung versteht. Das Bundesverfassungsgericht meint damit nicht das gesamte Grundgesetz, sondern vielmehr nur zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. 

Das ist in erster Linie die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.

Außerdem betrachtet das Gericht das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip als elementar.

Die Menschenwürde als zentraler und elementarer Wert unserer Verfassung, weist auch den Weg zur verfassungsrechtlichen Bewertung der AfD.

Lediglich exemplarisch sollen hier einige Zitate von Björn Höcke (zitiert nach dem Volksverpetzer), dem Thüringischen Landesvorsitzenden der AfD, der mittlerweile auch die Linie und Stoßrichtung der Bundespartei bestimmt, wiedergegeben werden, um zu verdeutlichen, dass die AfD der NPD in Sachen Extremismus nicht nachsteht.

„Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein.“

Ziel dieser „Remigration“ sei es, nach „der erhofften Wendephase“ „kulturfremde“ Menschen (Afrikaner und Asiaten) zu deportieren. „Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.“ Man werde, „so fürchte ich, nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘ herumkommen.“ 

„Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“

„Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt.“

„Dass nicht nur Merkel weg muss, sondern dass das Merkel-System weg muss […] und dieses Merkel-System sind sämtliche Kartellparteien, die es nicht gut mit diesem Land meinen.“

Björn Höcke ist nur einer von mehreren Spitzenpolitikern der AfD, an dessen Aussagen sich die Zielsetzung und Ausrichtung der Partei deutlich festmachen lässt.

Die AfD möchte das Parteiensystem abschaffen und damit die Möglichkeit der gleichberechtigten Teilnahme aller Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und letztlich damit die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Die Aussagen Höckes sind also erkennbar darauf gerichtet, das Demokratieprinzip des GG zu beseitigen.

Noch erschreckender sind seine Aussagen allerdings, wenn man das alles überragende Prinzip und Grundrecht der Menschenwürde zum Maßstab nimmt. Zur NPD hatte das BVerfG die Einschätzung gewonnen, dass sie eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“ hinarbeitet. Damit wird die Menschenwürde all derjenigen missachtet, die dieser ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören.

Diese Kriterien passen sogar 1:1 auf die AfD. Die Aussagen eines Höcke lassen hier nichts an Klarheit vermissen. Höcke möchte ebenso wie die NPD eine ethnische deutsche Volksgemeinschaft herstellen und die „Entwicklung „der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung“ beenden.

Der menschenverachtende Ansatz der AfD wird hierdurch überdeutlich zum Ausdruck gebracht.

Es lässt sich also konstatieren, dass die AfD sich gegen das tragende Grundrecht der Menschenwürde richtet und auch das Demokratieprinzip des Grundgesetzes bekämpft.

Ob die Stellung eines Verbotsantrags politisch klug ist, kann man sicherlich diskutieren. Denn das Verfahren wird Jahre dauern und die AfD wird diese Phase nutzen, um sich noch stärker als Opfer eines Systems der „Altparteien“ zu inszenieren, die nur einen unliebsamen Kontrahenten loswerden wollen. Der Ansatz, man müsste die AfD ausschließlich politisch bekämpfen, hat daher sicherlich seine Berechtigung.

Andererseits stellt sich die Frage, ob uns die Verfassung nicht sogar den Auftrag erteilt, ihre Feinde mit denjenigen juristischen Mitteln zu bekämpfen, die sie selbst bereitstellt.

Wir sollten uns an dieser Stelle auch an die Aussage von Erich Kästner erinnern:

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.

Der rollende Schneeball muss jetzt zertreten werden.

posted by Thomas Stadler at 19:53  

6.10.23

Besonderheiten des Bayerischen Wahlrechts

Die anstehende Landtagswahl in Bayern bietet Anlass, die Unterschiede des Bayerischen Wahlrechts und des Bundestagswahlrechts zu beleuchten. In persönlichen Gesprächen bemerke ich immer wieder, dass die durchaus signifikanten Unterschiede vielfach gar nicht bekannt sind.

Bei der Bundestagswahl entscheidet über die Sitzverteilung, von der Sonderthematik der Überhangmandate mal abgesehen, allein die Zweitstimme, während man mit der Erststimme (nur) einen Direktkandidaten wählt. Die Zweitstimme ist damit die deutlich wichtigere Stimme.

Das ist in Bayern anders. Zunächst hat man auch bei der Wahl zum Bayerischen Landtag zwei Stimmen. Mit der Erststimme wählt man den sog. Stimmkreisabgeordneten und mit der Zweitstimme einen Wahlkreisabgeordneten. Hier zeigt sich bereits ein deutlicher Unterschied zur Bundestagswahl. Man wählt mit der Zweitstimme nämlich nicht die Liste einer Partei, sondern kann auch dort zwischen den verschiedenen auf der Liste vertretenen Wahlkreiskandidaten wählen und macht sein Kreuz bei einer bestimmten Person.

Wesentlicher relevanter ist aber, dass in Bayern, anders als bei der Bundestagswahl, die Erst- und die Zweitstimme das gleiche Gewicht haben und in gleicher Weise die Sitzverteilung bestimmen. Wenn ich also mit der Erststimme den Stimmkreiskandidaten der SPD wähle und mit der zweiten Stimme eine Wahlkreiskandidatin der Grünen, habe ich am Ende zu gleichen Teilen SPD und Grüne gewählt. Auch wenn der SPD-Kandidat den Stimmkreis nicht gewinnt, sondern wie in Bayern üblich der Kandidat der CSU, geht meine Erststimme nicht verloren, sondern wird ebenso wie meine Zweistimme für die Sitzverteilung gezählt. Dieses System, das manchmal auch als verbessertes Verhältniswahlrecht bezeichnet wird, hat den Charme, dass man im Grunde zwei Parteien gleichberechtigt wählen kann.

Vielen Menschen ist allerdings gar nicht bewusst, dass ihre Erststimme dasselbe Gewicht hat wie ihre Zweitstimme.

posted by Thomas Stadler at 17:34  

29.8.23

Die SZ und die Causa Aiwanger

In sozialen Medien tobt gerade ein erbitterter Streit darüber, ob die Süddeutsche Zeitung in der Affäre um das Nazipamphlet aus dem Hause Aiwanger seriös berichtet hat oder ob es sich um Kampagnenjournalismus handelt. Nach der Erstveröffentlichung unter dem Titel „Das Auschwitz-Pamphlet“ hat die SZ mit einer Reihe weiterer Veröffentlichungen zum Thema nachgelegt.

Gesichert ist mittlerweile, dass Hubert Aiwanger Exemplare dieser NS-verherrlichenden Schrift in seinem Schulranzen hatte und ihn die Schule damals dafür auch sanktioniert hat, weil sie ihn für den Urheber hielt. Hubert Aiwanger selbst hat angegeben nicht mehr zu wissen, ob er das Flugblatt auch verteilt hat.

Nach der Veröffentlichung hat sich Aiwangers Bruder zu Wort gemeldet und die Urheberschaft auf sich genommen. Da das Pamphlet allerdings auch die Wir-Form verwendet, drängt sich weiterhin die Frage auf, ob Helmut Aiwanger der alleinige Urheber ist.

Bekannt ist ebenfalls, dass die SZ Hubert Aiwanger drei Mal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat und ihn nach eigenen Angaben der Zeitung unter anderem konkret mit dem Fund in der Schultasche und der Bestrafung, basierend auf den Erinnerungen mehrerer Zeugen konfrontiert hat. Aiwanger hatte stets bestritten, mit dem Flugblatt in Verbindung zu stehen. Auf die Geschichte mit dem Bruder hat er die SZ nicht hingewiesen, obwohl er dazu also die Möglichkeit hatte.

Auch unter Juristen wird in sozialen Netzen darüber gestritten, ob die Berichterstattung der SZ rechtmäßig war.

Mehrfach wurde insoweit das Argument vorgebracht, die Berichterstattung sei allein deshalb rechtswidrig, weil die SZ den hinter der Paywall liegenden Artikel angeteasert habe, hierbei aber nicht auf das Dementi von Aiwanger hingewiesen habe. Das ist fürwahr eine medienrechtlich interessante Fragestellung, aus der man allerdings nicht den Schluss ziehen kann, dass damit die Rechtmäßigkeit der gesamten Berichterstattung in Frage stünde. Wenn man davon ausgeht, dass aus Gründen der Ausgewogenheit im Rahmen einer sog. Verdachtsberichterstattung auch bei Hinweisen auf einen Artikel, dessen Lektüre zahlenden Abonnenten vorbehalten ist, ein Hinweis auf die Stellungnahme des Betroffenen erfolgen muss, so könnte Aiwanger von der SZ konkret nur die Unterlassung dieses Verhaltens verlangen. Die Veröffentlichung des vollständigen Artikels kann auf diese Art und Weise schwerlich untersagt werden, wenn der vollständige Artikel für sich genommen die Grenzen der Verdachtsberichterstattung einhält.

Ob sich dahinter aber überhaupt ein valides Argument verbirgt, bleibt fraglich.

Ganz grundsätzlich hat die Presse die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen auch über Tatsachen und Sachverhalte zu berichten, deren Wahrheitsgehalt noch nicht abschließend feststeht. Das ist ein Privileg der Presse und bildet eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass ansonsten bei Tatsachen immer der volle Wahrheitsnachweis zu führen ist.

Die Verdachtsberichterstattung ist dann zulässig, wenn ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Was man in jedem Fall sagen kann, ist, dass Hubert Aiwanger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist und im Artikel auch auf sein Dementi verwiesen wurde. Es handelt sich zudem auch um einen Vorgang von erheblichem Gewicht, an dem ein erhebliches Informationsbedürfnis besteht. Der Umstand, dass der Vorfall 35 Jahre zurückliegt und Aiwanger damals erst 17 Jahre alt war, würde bei anderen Persönlichkeiten einer Veröffentlichung im Wege stehen, nicht aber bei einem Spitzenpolitiker, bei dem der Persönlichkeitsschutz nach der Rechtsprechung am schwächsten ausgeprägt ist.

Die Öffentlichkeit hat ein Interesse daran, zu erfahren, ob der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident in seiner Jugend nationalsozialistischen Gedankengut anhing und ob er sich hiervon gelöst hat. Dies dient auch der Beurteilung der Frage, ob sein aktuelles politisches Handeln davon noch beeinflusst wird. Der Zeitablauf und auch der Umstand, dass eine Straftat der Volksverhetzung verjährt wäre, greift demgegenüber nicht durch. Gerade bei so essentiellen Themen wie einer Nähe zum NS, kann sich ein Politiker keinesfalls auf ein „Recht auf Vergessen“ berufen.

Die Erstberichterstattung war auch entsprechend zurückhaltend, es wurde davon gesprochen, dass Aiwanger das Pamphlet geschrieben haben soll und davon, dass er als Urheber von der Schule zur Verantwortung gezogen worden sein soll. Die SZ hat also nicht den Eindruck erweckt, als sei Aiwanger bereits überführt.

Bleibt insbesondere die Frage, ob ausreichende Beweistatsachen vorlagen, die die Veröffentlichung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung rechtfertigen. Gesichert ist jedenfalls, dass Hubert Aiwanger das Pamphlet in seiner Schultasche hatte und von der Schule sanktioniert wurde, weil er als Urheber angesehen worden war. Wir wissen nicht abschließend, was die Informanten der SZ im Einzelnen berichtet haben, ob sie eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben und ob die SZ noch weitere Beweismittel auf dem Tisch hat. Aber auch das was bereits bekannt ist, dürfte ausreichend sein. Denn die Aussage, dass er von der Schule zur Verantwortung gezogen worden ist, ist ebenso wahr, wie die Aussage, er habe Exemplare der Schmähschrift in seiner Schultasche gehabt. Daraus ergibt sich – jedenfalls im Zeitpunkt der Veröffentlichung – der dringende und naheliegende erhebliche Verdacht, dass Hubert Aiwanger Urheber oder Miturheber dieser Schmähschrift ist.


posted by Thomas Stadler at 16:14  

4.2.22

Ist Hass keine Meinung? Eine Anmerkung zum Künast-Beschluss des BVerfG

Der Fall hatte große mediale Aufmerksamkeit erregt. Die Grünen-Politikerin Renate Künast ist via Facebook massiv beschimpft worden, die 22 Einzeläußerungen, die die Politikerin beanstandet, sind im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Dezember 2021 (Az.: 1 BvR 1073/20) unter Randziffer 7 – unter Auslassung der derbsten Beleidigungen – wörtlich wiedergegeben. Renate Künast hat im Anschluss versucht, gestützt auf § 14 Abs. 3 TMG (alte Fassung), beim Landgericht Berlin zu erwirken, dass Facebook Auskunft über die Verfasser der Postings erteilen muss. Das Landgericht Berlin hat den Antrag zunächst vollständig zurückgewiesen, weil es bei sämtlichen 22 Äußerungen der Ansicht war, dass die Meinungsfreiheit überwiegt. Auf die Beschwerde Künasts hin, hat das Landgericht seine Entscheidung selbst abgeändert und eine Auskunft im Hinblick auf sechs Postings verfügt. Diese Entscheidung hat das Kammergericht teilweise aufgehoben und eine Beauskunftung im Bezug auf weitere fünf Äußerungen angeordnet. Aber auch das Kammergericht hielt noch insgesamt elf Postings für äußerungsrechtlich zulässig.

Auf die Verfassungsbeschwerde von Künast hat das BVerfG jetzt die Entscheidung des Kammgerichts vollständig aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das KG zurückverwiesen.

Im Kern beanstandet das Bundesverfassungsgericht, dass sich das Kammgericht auf die Frage beschränkt, ob eine sog. Schmähkritik vorliegt und anschließend, nachdem die Schmähkritik verneint wurde, keinerlei Abwägung zwischen Meinungsfreiheit einerseits und Persönlichkeitsrecht andererseits mehr vornimmt.

Das BVerfG führt dazu u.a. aus:

Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Kammergericht, dass es sich bei den noch verfahrensgegenständlichen Bezeichnungen der Beschwerdeführerin um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen handelt. Der von ihm formulierte Obersatz, es liege kein Fall der abwägungsfreien Diffamierung (Angriff auf die Menschenwürde, Formalbeleidigung bzw. Schmähkritik) vor und die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin erreiche nicht ein solches Gewicht, dass die Äußerungen unter Einbeziehung des konkret zu berücksichtigenden Kontextes lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung der Antragstellerin erscheinen, belegt indes, dass das Kammergericht unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts davon ausgeht, eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB liege aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann vor, wenn die streitgegenständliche Äußerung „lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung“ zu verstehen sei. 4

aa) Dieses Fehlverständnis hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Beleidigungstatbestands setzt sich bei den Ausführungen des Fachgerichts zur Äußerung „Pädophilen-Trulla“ fort. 4

(1) Zwar deutet das Kammergericht die Notwendigkeit einer Abwägung an, wenn es feststellt, dass wegen der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen die persönlichkeitsrechtlichen Belange der Nutzer gegeneinander abzuwägen seien. Verfassungsrechtlich fehlerhaft knüpft es die Voraussetzungen der Beleidigung sodann aber an die Sonderform der Schmähkritik an. Es stellt entscheidend darauf ab, die strengen Voraussetzungen, die nach dem oben Gesagten an eine Schmähkritik und einen Wertungsexzess zu stellen seien, lägen nicht vor, weil die auf die Einstellung und geistige Verfassung der Beschwerdeführerin bezogenen Kommentare noch einen hinreichenden Bezug zur Sachdebatte aufwiesen, im Rahmen derer die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer damaligen Äußerung in den Fokus geraten sei. Die angekündigte Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin nimmt das Kammergericht in der Folge aber nicht vor.


Der Beschluss des BVerfG bedeutet allerdings nicht, dass damit die Entscheidung des Kammergerichts zwingend vorgezeichnet ist.

Denn im Ausgangspunkt muss man sehen, dass die jetzt noch in Rede stehenden Äußerungen allesamt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen und das Kammergericht nun etwas sauberer für jede einzelne Äußerung abwägen muss, ob das Persönlichkeitsrecht von Künast in jedem einzelnen Fall überwiegt.

In diese Abwägung wird einzustellen sein, dass es sich bei Frau Künast um eine Politikerin handelt und sich Politiker nach der Rechtsprechung von EGMR und BVerfG im öffentlichen Meinungskampf verbal mehr als andere auch sehr scharfe Äußerungen gefallen lassen müssen. Diesen Punkt erörtert das BVerfG in seinem Beschluss unter dem Schlagwort „Machtkritik“. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Frau Künast letztlich nur in ihrer Sozialsphäre betroffen ist. Denn Hintergrund war die wiederaufkommende Debatte über die Haltung der Grünen zu Pädophile in den 80’er Jahren und ein Zwischenruf von Renate Künast im Berliner Abgeordnetenhaus und damit ihre politische Tätigkeit und ihr öffentliches Wirken. Allerdings wird dennoch zu fragen sein, inwieweit für die Äußerungen ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand. Auch die Eingriffsintensität der einzelnen Äußerungen, die maßgeblich von der konkreten Wortwahl abhängt und die hier durchaus unterschiedlich hoch ist, ist von Bedeutung.

Das Problem der Entscheidung des Kammergerichts ist vor allem die fehlende Differenzierung. Die Berliner Richter haben überhaupt nur zwei Aussagen konkret bewertet, ohne die vom BVerfG geforderte Abwägung vorzunehmen und in Bezug auf die restlichen Äußerungen nur ergänzt, dass für sie dasselbe gelten soll.

Es ist also nicht auszuschließen, dass einige der Aussagen vom Kammgericht auch weiterhin nicht als strafrechtliche Beleidigung bewertet werden. Dies dürfte insbesondere die Aussagen betreffen, die aufgrund ihrer Wortwahl schon eine eher geringe Eingriffsintensität aufweisen, wie beispielsweise „Die sind alle so krank im Kopf“

„Hass ist keine Meinung“ schrieb Renate Künast als Reaktion auf ihre erfolgreiche Verfassungsbeschwerde auf Twitter. Das klingt griffig, ist es aber in rechtlicher Hinsicht nicht. Alle Einzeläußerungen, die Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren, fallen in den Schutzbereich von Art. 5 GG und müssen gegen das Persönlichkeitsrecht von Frau Künast abgewogen werden. Das Ergebnis dieser Abwägung hat das BVerfG aber nicht vorgegeben, eine klare „Segelanweisung“, wie das Kammergericht im Ergebnis zu entscheiden hat, enthält der Beschluss nicht.

Man darf also durchaus gespannt sein, wie das KG mit der Vorgabe aus Karlsruhe umgehen wird.

posted by Thomas Stadler at 16:57  

16.4.20

Leben mit dem Virus

Die äußerst restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus wurden jetzt mindestens bis zum 03.05.2020, in Bayern weitgehend gar bis zum 10.05.2020 verlängert.

Der Journalist Falk Steiner bringt es gut auf den Punkt. Der Staat agiert nach dem Motto „viel hilft viel“, weil wir im Grunde bislang nichts darüber wissen, welche Maßnahmen effektiv sind und welche nicht. Es wäre natürlich schön, wenn man nicht die Gießkanne nehmen müsste, sondern den Gartenschlauch benutzen könnte. 

Ob wir die Risiken von Corona richtig einschätzen, weiß ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass wir die Folgen für den Einzelnen, die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Kultur noch deutlich unterschätzen, weil wir das volle Ausmaß dessen, was auf uns zukommen wird, noch nicht erkennen können.

Wir haben aber ein ganzes Bündel drohender und zum Teil bereits eingetretener Folgen, die der Shutdown nach sich zieht. Eine unvollständige Aufzählung soll das verdeutlichen: Drohende Massenarbeitslosigkeit, die Zunahme häuslicher Gewalt, die Zunahme psychischer Erkrankungen, alte Menschen, die vereinsamt im Pflegeheim sterben, weil die Angehörigen sie nicht mehr besuchen dürfen, die Situation in Flüchtlingsunterkünften, die fehlende Beschulung der Kinder und der damit einhergehende Anstieg der Bildungsungerechtigkeit, Unternehmensinsolvenzen in erheblichem Ausmaß, massive Einschränkung mehrerer Grundrechte über Monate hinweg, keine ausreichende ärztliche Behandlung anderer Patienten, weil notwendige OP’s wegen Covid-19 verschoben werden, Situation für Obdachlose, weil Unterkünfte und Tafeln geschlossen bleiben, Kultureinrichtungen und Kulturschaffende, die vor dem Aus stehen.

Wir haben noch nicht erkannt, wie drastisch es vermutlich werden wird. Und die Frage wird irgendwann auch die sein, ob diese Gesellschaft die massiven Konsequenzen, die ein langer Shutdown mit sich bringt, ertragen will und ertragen kann.

Trotzdem möchte ich die Entscheidungen, die Spitzenpolitiker aktuell treffen, nicht treffen müssen. Die erhebliche Einschränkung von Bürgerrechten verursacht bei mir dennoch ein beträchtliches Störgefühl. Ebenso wie die Perspektive, dass viele Schüler, gerade in Bayern, vermutlich nicht vor Juni in ihre Klassenzimmer zurückkehren werden. Nach einer ersten Welle der Kurzarbeit werden wir einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen erleben und Unternehmensinsolvenzen in einem bisher nie dagewesenen Umfang.

Je länger die Maßnahmen andauern und je häufiger sie verlängert werden, umso mehr stellt sich die Frage der Recht- und Verhältnismäßigkeit. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit existiert im Moment faktisch nicht mehr, die Grundrechte auf Freizügigkeit, Berufs- und Religionsfreiheit sind erheblich eingeschränkt. Bereits jetzt gibt es kontroverse Diskussionen darüber, ob und in welchem Umfang die getroffenen Maßnahmen rechts- und verfassungskonform sind. Aber nur weil man die getroffenen, sehr grundrechtsintensiven Maßnahmen, die zunächst bis 19.4. befristet waren, noch für rechtskonform halten konnte, heißt das nicht, dass das für weitere Verlängerungen ohne weiteres ebenfalls gilt.

Das BVerfG hat gerade heute ein Versammlungsverbot in Hessen gekippt (Beschluss vom 16.04.2020, Az.: 1 BvR 828/20). Das Gericht nimmt an, dass jedenfalls die hessische Corona-Verordnung nicht auch Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz verbieten würde, weshalb die Behörde, die von einem generellen Versammlungsverbot ausging, ihr Ermessen nicht ausgeübt hat. Ob ein vollständiges Versammlungsverbot durch Rechtsverordnung regelbar wäre, lässt das BVerfG zwar offen, aber explizit wird das m.W. auch in keinem Bundesland so geregelt. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichtsentscheidungen zunehmen werden, die einzelne Corona-Maßnahmen beanstanden.

Ob wir die Risiken von Corona für Deutschland überschätzen, weiß ich nicht, halte das aber für möglich. Was mir jedenfalls fehlt, ist eine klar kommunizierte politische Strategie. Geht es (nur) darum, den Kliniknotstand zu verhindern, sind vielleicht andere Maßnahmen notwendig bzw. ausreichend, als für den Versuch, die Pandemie vollständig einzudämmen. Letzteres erscheint mir allerdings sowohl illusorisch, weil das bedeuten würde, dass man die sehr restriktiven Maßnahmen mindestens das ganze Jahr über beibehalten müsste, als auch rechtlich bedenklich. Denn dieser Staat verfolgt gerade, wenn es um das Thema Mobilität geht, einen risikobasierten Ansatz und nicht den Ansatz eines absoluten Lebensschutzes. Ginge es tatsächlich um Leben oder Tod, müssten zunächst alle Kraftfahrzeuge verboten werden, wie Oliver Lepsius im Verfassungsblag schon so treffend angemerkt hat. Gerade wenn es um Bewegungsfreiheit geht, nehmen wir Unfalltote als Preis der Mobilität in Kauf. Es wäre daher inkonsequent, bei der Bekämpfung von Corona nunmehr das Konzept eines absoluten Lebensschutzes zu propagieren. Das aus meiner Sicht einzig legitime Ziel, kann daher nur darin bestehen, die Verbreitung des Virus so stark einzudämmen, dass ein Kollaps des Kliniksystems vermieden wird und sich keine italienischen Verhältnisse einstellen, in denen Menschen deshalb sterben, weil sie in den Krankenhäusern nicht mehr behandelt werden können.

Was ist also die derzeitige Strategie der Regierungen von Bund und Ländern? Es gibt dazu zumindest ein geleaktes Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, in dem Konturen sichtbar werden. Allerdings ist dieses Papier bereits mehrere Wochen alt und erscheint überholt, zumal das dort skizzierte optimistischste Szenario einer schnellen Kontrolle davon ausging, dass es nach Ostern keine weiteren Beschränkungen geben wird. Über dieses Stadium sind wird also bereits hinaus.

Angela Merkel hat gestern den sog. Reproduktionsfaktor zur maßgeblichen Kennzahl erhoben. Diese Zahl gibt an, wieviele andere Menschen ein Infizierter ansteckt. Bei einem Reproduktionsfaktor von 1,2 sieht Merkel das Gesundheitssystems im Juli an seiner Belastungsgrenze. Dieser Ansatz geht offensichtlich auf Berechnungen von Forschern des Helmholtz Instituts zurück, die fordern, den Reproduktionsfaktor dauerhaft unter 1 zu drücken, was erfordern würde die jetzigen Maßnahmen noch mehrere Wochen aufrecht zu erhalten, um dann noch ausgiebiger zu testen und bei jeder Neuinfektion die Infektionskette nachvollziehen zu können. Ob der Ansatz in dieser Form erfolgversprechend ist oder am Ende doch dazu führt, dass die jetzigen Maßnahmen mehr oder minder unverändert viele Monate aufrecht erhalten werden sollen, bleibt abzuwarten. Das Ziel ist vorläufig erreicht, nachdem der Reproduktionsfaktor Stand heute laut Robert Koch Institut sogar auf 0,7 gesunken ist. Es bleibt allerdings unklar, welche Maßnahmen tatsächlich notwendig sind, um ihn dauerhaft unter 1 zu halten.

Man kann also festhalten, dass die Politik derzeit keine ganz klar erkennbare Strategie verfolgt und vor allem keinen konkreten Zeitplan hat. Spannend wird auch der Blick nach Schweden bleiben, praktisch das einzige europäische Land ohne Shutdown. Die Zahl der Todesfälle ist dort zwar pro Kopf deutlich höher als in Deutschland, andererseits sind dort aber bislang (noch) keine Verhältnisse, wie in Italien, Spanien oder New York zu beklagen. Gibt es evtl. also doch einen Mittelweg, der es ermöglicht einen Kliniknotstand zu verhindern, ohne das öffentliche Leben komplett runterzufahren?

Update vom 22.04.2020 (Von der Brechstange zum Florett)

Der Blick auf die Zahlen des RKI scheint insgesamt vor allem einen Beleg dafür zu bieten, dass diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Die sog. Reproduktionszahl (R) war interessanterweise um den 10./11.3. mit über 3 am höchsten und ist anschließend stark gefallen. Bereits am 20.03. also ca. zu Beginn des landesweiten Shutdowns war der Wert schon auf ca. 1 gesunken und verharrt seither mit gewissen Schwankungen immer um die Marke von 1 herum. Das ist insofern erstaunlich, als der Shutdown danach keinen deutlich erkennbaren Effekt gezeigt hätte. Was allerdings nicht zum starken Anstieg der Verdoppelungszeit und auch zum Rückgang der offiziellen Zahl der Neuinfizierten passt, zumal die Zahl der Genesenen mittlerweile höher ist, als die der Neuninfizierten.

Wer sich jetzt fragt, wie man die Reproduktionszahl überhaupt ermittelt, wenn man aktuell keine systematische Nachverfolgung der Infektionsketten praktiziert, wird überrascht sein. Das RKI schätzt diesen Wert. Wie nahe diese Schätzung an der Wirklichkeit ist, bleibt unklar. Und jetzt kommt noch das Helmholtz-Institut ins Spiel, das diejenigen Modellrechnungen erstellt hat, auf die Angela Merkel sich aktuell so stark stützt. Nur diese Modelle basieren eben auch auf dem vom RKI geschätzten Wert R. Wenn diese Schätzung falsch ist, können natürlich auch die Modellrechnungen des Helmholtz-Instituts im Ergebnis nicht richtig sein. Am Ende scheint alles was derzeit passiert, also eher Kaffeesatzleserei mit wissenschaftlichem Anstrich zu sein.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass man keine Vorsicht mehr walten lassen kann.

Nachdem der deutsche Staat gezeigt hat, dass er Eingriffsverwaltung immer noch gut kann, muss jetzt die Stunde der Leistungsverwaltung schlagen.

Die Gesundheitsämter müssten unverzüglich wieder damit anfangen, bei jeder Neuinfektionen die Infektionsketten nachzuvollziehen. Das scheint grundsätzlich auch das Vorhaben der Bundesregierung zu sein. Dieser Staat muss jetzt Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit dies gelingt und möglichst sofort diese Nachverfolgung wieder lückenlos möglich ist. Und es soll mir niemand erzählen, dass es nicht möglich ist, dass über 400 Gesundheitsämter pro Tag bei 2000 Neuinfektionen die Kontaktpersonen ermitteln. Dass das nicht absolut lückenlos gelingen wird, ist klar. Aber dieser Schritt wäre der Übergang von der Brechstange zum Florett.

Ob und in welchem Umfang das gelingt, wird evtl. auch darüber entscheiden, ob wir in ein paar Wochen den zweiten Shutdown erleben oder nicht. Wer milliardenschwere Konjunkturprogramme auflegt, muss auch in der Lage sein, kurzfristig ein paar hundert Millionen in die Gesundheitsämter zu pumpen, zumal das besser investiert ist.

posted by Thomas Stadler at 22:50  

16.10.18

Lehrer am Pranger der AfD

Die AfD-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft hat unter dem Titel „Neutrale Schule Hamburg“ vor ein paar Wochen ein Online-Portal gestartet, auf dem Schüler oder Eltern „mutmaßliche Neutralitätsverstöße“ von Lehrern melden sollen. Eine Veröffentlichung sei hier nicht angedacht. In Baden-Württemberg gibt es eine vergleichbare Website, betrieben von einem AfD-Abgeordneten, die aber derzeit nicht mehr erreichbar ist. Anders als in Hamburg sollen hier auch die Namen der Lehrer veröffentlicht werden. Noch deutlich weiter geht die sächsische Variante, bei der sogar Meldungen mit vordefinierten Kriterien wie „Werbung für kulturfremde Weltanschauungen“ vorgesehen sind und auch Fotos des denunzierten Lehrers hochgeladen werden können, wie die Leipziger Volkszeitung berichtet.

Wenn die Daten nur erfasst, aber nicht veröffentlicht werden, stehen vor allem datenschutzrechtliche Fragen im Vordergrund, während in den Fällen der Veröffentlichung persönlichkeitsrechtliche Fragen hinzutreten, im Falle von Bildveröffentlichungen ist zudem das Recht am eigenen Bild betroffen.

1. Datenschutz

Datenschutzrechtlich ist davon auszugehen, dass die AfD personenbezogene Daten von Lehrern erhebt und verarbeitet, die die politische und weltanschauliche Haltung des Lehrers betreffen. Solche Informationen sind nach Art. 9 der DSGVO als besondere Kategorien personenbezogener Daten geschützt, ihre Verarbeitung ist grundsätzlich untersagt. Die engen Ausnahmen, die Art. 9 Abs. 2 DSGVO vorsieht, sind nicht einschlägig. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verarbeitung nach Art. 9 Abs. 2 g) DSGVO aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. Bereits die Bejahung eines allgemeinen öffentlichen Interesses – außerhalb der Schulöffentlichkeit – erscheint mir fragwürdig. Ein erhebliches öffentliches Interesse der AfD daran, solche Daten zu erheben und zu sammeln, besteht nicht. Es ist vielmehr so, und hierauf hat der Kollege Simon Assion auf Twitter zu Recht hingewiesen, dass man annehmen muss, dass die AfD damit eine systematische Sammlung über politische Gegner in der Lehrerschaft anlegen will. Der primäre Zweck dürfte die Einschüchterung sein. Und letztlich ist diese Sammlung auch geeignet, den Schulbetrieb zu stören. Insoweit besteht wohl eher ein öffentliches Interesse daran, diesen Praktiken entgegenzuwirken.

Diese Portale zur Meldung von Lehrern erfüllen die Voraussetzungen von Art. 9 DSGVO nicht und sind daher datenschutzwidrig. Die Aufsichtsbehörden tun sich allerdings offenbar schwer mit einer Verfolgung. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte verwies zum Beispiel darauf, dass er für die Kontrolle von Fraktionen nicht zuständig sei. Das erscheint allerdings fraglich, denn der Betrieb einer Onlinemeldeplattform ist schwerlich der parlamentarischen Arbeit einer Fraktion zuzuordnen. Demzufolge versucht der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte zu klären, ob es sich um eine mandatsbezogene oder parteipolitische Tätigkeit handelt. In letzterem Fall sind die Aufsichtsbehörden zuständig.

2. Persönlichkeitsrecht

Wenn die Informationen veröffentlicht werden, steht zudem eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeistrechts im Raum. Im Fall des Lehrerbewertungsportal „spickmich“ war zumindest eine Registrierung der Nutzer erforderlich. Die Daten waren damit nicht allgemein zugänglich, der Abruf war auf registrierte Personen beschränkt, die ein typisiertes berechtigtes Informationsinteresse an den zur Verfügung gestellten Daten geltend gemacht hatten. Diesen Aspekt betont der BGH auch ausdrücklich in seiner Spickmich-Entscheidung (Rn. 37). Die Zulässigkeit einer Veröffentlichung lässt sich also nicht auf diese Entscheidung stützten.

Ungeachtet dessen, können einzelne Einträge natürlich auch immer unrichtig und deshalb zu löschen sein. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH unterliegt der Betreiber einer Bewertungsplattform zudem, sobald ein Betroffener den Eintrag beanstandet, einer Pflicht zur gewissenhaften Prüfung der Beanstandung. Dies gilt in vertärktem Maße, wenn Einträge anonym vorgenommen werden können.

Sollte außerdem die Möglichkeit bestehen, wie dies in Sachsen der Fall zu sein scheint, ein Foto des betroffenen Lehrers zu posten, wäre dies zusätzlich ein Verstoß gegen das Recht des Lehrers am eigenen Bild.

3. Fazit

Die verschiedenen Meldeportale der AfD, mittels derer „Neutralitätsverstöße“ von Lehrern gemeldet werden sollen, verstoßen gegen das Datenschutzrecht und wegen der erzeugten Prangerwirkung auch gegen die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Lehrer.

Die Frage ist auch, ob nicht zudem ordnungsrechtlich gegen diese Portale vorgegangen werden kann, was Josef Franz Lindner im Verfassungsblog diskutiert.

posted by Stadler at 18:28  

13.10.18

Die Debatte über § 219a StGB muss weitergehen

Die vieldiskutierte Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen strafbarer Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB) wurde in zweiter Instanz vom Landgericht Gießen bestätigt. Die Ärztin informiert auf ihrer Website darüber, dass sie solche ärztlichen Eingriffe vornimmt.

Die öffentliche Diskussion darüber, ob das Werbung ist, geht allerdings an der Sache vorbei. Der juristische Werbebegriff, nicht nur der des Strafrechts, ist sehr weit und umfasst deutlich mehr als die typische reklamehafte Anpreisung. Es genügt völlig, wenn der Anbieter sachlich über den Inhalt seiner Leistung informiert.

Wenn man § 219a StGB schematisch anwendet, ist die Verurteilung von Kristina Händel juristisch korrekt. Eine solche Betrachtung blendet aber einige relevante Aspekte aus.

Der Umstand, dass § 219a StGB aus der NS-Zeit stammt, bietet noch kein hinreichendes Argument dafür, ihn nicht anzuwenden. Wesentlich schwerer wiegt allerdings der Umstand, dass der normative Zusammenhang, der seinerzeit bestanden hat, schon vor Jahrzehnten beseitigt wurde. Solange der Schwangerschaftsabbruch ausnahmslos strafbar war, war es zumindest folgerichtig, auch jedwede ärztliche Information über einen solchen strafbaren Eingriff unter Strafe zu stellen. Das Strafgesetzbuch der Gegenwart normiert allerdings bekanntlich kein absolutes Abtreibungsverbot mehr. Der Schwangerschaftsabbruch ist unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Das bedeutet zunächst, dass Ärzte eine entsprechende ärztliche Leistung, anders als im NS-Staat und der frühen Bundesrepublik, legal anbieten dürfen. Vor diesem Hintergrund wäre es auch folgerichtig gewesen, das Werbeverbot an die neue Rechtslage anzupassen, was der Gesetzgeber aber (bewusst) unterlassen hat. Das uneingeschränkte Werbeverbot, das § 219 a StGB normiert, stellt einen Anachronismus dar, für den es keine sachlogische Rechtfertigung gibt.

An dieser Stelle fragt Kristina Hänel zu Recht, ob das Verbot des § 219a StGB und ihre strafrechtliche Verurteilung nicht in ihre grundrechtlich nach Art. 12 i.Vm. Art. 5 GG geschützte Werbefreiheit eingreift. Zusätzlich liegt auch ein Eingriff in die Informationsfreiheit schwangerer Frauen vor. Wenn man die Frage nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dieses Grundrechtseingriffs stellt, kommt meist nicht mehr als, dass der Gesetzgeber es eben nicht wolle, dass öffentlich für Abtreibungen geworben werde. Das erscheint mir allerdings äußerst dünn. Welche Gründe des Gemeinwohls mögen das wohl sein? Zumindest in der heutigen Zeit fällt es schwer, überhaupt noch einen sachlichen Grund für die Existenz des § 219a StGB in seiner jetzigen Form zu finden. Die Gründe, die politisch oder ideologisch gegen § 218a StGB ins Feld geführt werden, können dafür jedenfalls nicht herangezogen werden. Denn damit würde die gesetzgeberische Wertung, den Abbruch unter bestimmten Voraussetzungen straffrei zu stellen, unterlaufen.

Es spricht also einiges dafür, dass § 219a StGB nicht verfassungskonform ist. Man hätte dem Landgericht Gießen zumindest den Mut gewünscht, die Strafsache Hänel dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Aber dafür geht die Debatte jetzt zumindest weiter. Der Gesetzgeber scheint offenbar wieder warten zu wollen, bis ihn das Bundesverfassungsgericht zum Handeln zwingt.

posted by Stadler at 23:30  

1.10.18

OLG Köln bestätigt Entscheidung zur Domain „wir-sind-afd.de“

Das OLG Köln hat die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Köln, das einem Blogger die Benutzung der Domain „wir-sind-afd.de“ für den Betrieb einer AfD-kritischen Website untersagt hatte, bestätigt (Beschluss des OLG Köln vom 27.09.2018, Az.: 7 U 85/18).

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist ebenso wie das erstinstanzliche Urteil schon namensrechtlich zweifelhaft, was ich hier bereits erläutert hatte. Allein die bloße Registrierung einer Domain kann zwar schutzwürdige Belange des Namensinhabers verletzen. Dies setzt allerdings einen (objektiven) Benutzungswillen voraus (BGH GRUR 2004, 619 Rn. 23 – kurt-biedenkopf.de). Dass die AfD diese Domain selbst benutzen möchte, erscheint allerdings eher fernliegend und hätte vom OLG zumindest erörtert werden müssen.

Die Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Domainhabers und den namensrechtlichen Interessen der AfD nimmt das OLG sehr schemenhaft und schon im Ansatz fehlerhaft vor. Wenn es sich bei der beanstandeten Äußerung wie hier um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung handelt, so spricht nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede. Abweichungen davon bedürfen einer Begründung, die der konstitutiven Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie Rechnung trägt. Eine derartige Begründung liefert die Entscheidung des OLG Köln nicht. Es ist auch nicht ersichtlich, wie eine solche Begründung aussehen könnte.

Die Entscheidung des OLG Köln beschränkt sich insoweit vielmehr im Wesentlichen auf folgende, apodiktische Aussage:

Die Interessen des Beklagten, die von ihm vertretene kritische Meinung gegenüber der Klägerin unter der konkreten, von ihm gewählten, streitgegenständlichen Domain zu veröffentlichen, überragen indes nicht das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fließende namensmäßige Identitätsinteresse der Klägerin.

Bereits die Annahme, die äußerungsrechtlichen Interessen müssten die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausfließenden namensmäßigen Interessen der Partei AfD überragen, ist angesichts der vorliegend greifenden Vermutung zugunsten der freien Rede, vollständig verfehlt. Der gegenteilige Ansatz wäre korrekt gewesen. Es sind aber überhaupt keine erheblichen, das allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffende Interessen der AfD daran, nicht unter einer Domain wie „wir-sind-afd.de“ kritisiert zu werden, erkennbar. Hierzu führt der Beschluss des Oberlandesgerichts auch nichts aus. Das OLG trägt auch dem Umstand keinerlei Rechnung, dass es um eine Auseinandersetzung im politischen Meinungskampf geht, die zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt. In solchen Fällen ist das Gewicht der Meinungsfreiheit nämlich besonders hoch. Vorrangige persönlichkeitsrechtliche Aspekte gerade einer politischen Partei sind demgegenüber in derartigen Fällen schon kaum denkbar.

Die Entscheidung des OLG Köln ist ersichtlich rechtsfehlerhaft.

posted by Stadler at 20:39  

2.9.18

Desintegriert Euch!

Über eine kurze Besprechung in der aktuellen Ausgabe der guten alten Spex bin ich über ein aktuelles Buch gestolpert, bei dem bereits der Titel andeutet, dass sich ein Autor vorgenommen hat, einer Haltung entgegenzutreten, die derzeit den gesellschaftlichen und politischen Konsens in diesem Land definiert. Und das ist ein ziemliches Brett.

Die heilige Kuh Integration wird von Max Czollek in seinem Essay „Desintegriert Euch“ vielleicht nicht geschlachtet, aber in seiner aktuellen Ausprägung in Frage gestellt. Nicht, weil sich der Autor gegen einen liberalen Staat wenden wollte, sondern weil er in einer Zeit, in der selbst Grüne von einem positiv besetzten Heimatbegriff schwadronieren, nach neuen Allianzen Ausschau halten möchte, die sich von der Idee verabschieden, etwas Ganzes verteidigen zu müssen. Sein Konzept heißt Fragmentierung anstatt identitärer Gruppenzugehörigkeit.

Die Anlehnung an Stefan Hessel im Titel ist wohl eher kein Zufall und Czollek liefert eine Streitschrift im besten Sinne ab, die nicht nur zum Widerspruch anregt, sondern sich vor allem eignet, eigene Positionen und Denkmuster zu hinterfragen. Seinen gegenkulturellen Ansatz empfinde ich vermutlich allein deshalb als erfrischend, weil er Dinge in Frage stellt, die sonst kaum hinterfragt werden.

Czollek schreibt aus einer jüdischen Perspektive und thematisiert vordergründig das deutsch-jüdische Verhältnis, wobei er sich zu jeder Zeit bewusst ist, dass seine eigene Haltung nicht widerspruchsfrei sein kann und gerade die Gegenüberstellung von Deutschen und Juden natürlich wiederum den Mechanismen von Zugehörigkeit und Ausgrenzung folgt, die er im Grunde kritisiert.

Czollek geht zunächst mit der deutschen Erinnerungskultur an die Shoah hart ins Gericht, bezeichnet sie als Gedächtnistheater und kritisiert die jüdische Gemeinde in Deutschland dafür, dass sie in dieser Inszenierung die ihr zugedachte Rolle einnimmt. Das Begehren der deutschen Politik und Mehrheitsgesellschaft sei auf Entlastung, Läuterung und Wiedergutwerdung ausgelegt und die meisten deutschen Juden würden in diesem Theaterstück, das rein von der deutschen Sichtweise bestimmt werde, mitwirken.

Vom Gedächtnistheater schwenkt Czollek sodann zum Integrationstheater, wendet sich gegen die konservative Vorstellung einer deutschen Leitkultur und bezeichnet die Figur einer christlich-jüdischen Kultur als maximal verlogenen Versuch, speziell Muslime auszugrenzen. Czollek kritisiert eine neue politische Heimatliebe, die mittlerweile bei politischen Akteuren jedweder Couleur anzutreffen ist und sieht in dieser Entwicklung einen politischen Sieg der neuen Rechten.

Czollek widerspricht auch der Vorstellung, bei den Wählern der AfD würde es sich vornehmlich um politisch Frustrierte und Abgehängte handeln, mit denen man eben reden müsse. Seine Streitschrift liest sich stellenweise wie der Gegenentwurf zu „Mit rechten Reden“ von Leo/Steinbeis/Zorn, ein Werk bei dessen Lektüre er wohl ein ähnliches Unbehagen empfunden hat wie ich. Czollek weist zurecht darauf hin, dass die Empfehlungen der drei Autoren die Wirklichkeit der neuen Rechten verfehlt.

Das Pamphlet von Czollek werden Viele als Provokation empfinden und seine Thesen schon allein reflexhaft ablehnen. Wer sich die Mühe macht zu Ende zu lesen, wird bemerken, dass Czollek keine Anarchie predigt und sich seine Aufforderung zur Desintegration nicht gegen die Teilhabe von Minderheiten am gesellschaftlichen Leben richtet. Ganz im Gegenteil. Es geht ihm um eine selbstbestimmte Position, die nicht den Vorstellungen eines deutschen politischen und gesellschaftlichen Mainstreams folgt, den er in seiner jetzigen Ausprägung ablehnt.

Czolleks Polemik ist wuchtig und regt dazu an, eigene Denkmuster zu hinterfragen. Sein Ansatz ist anders als praktisch alles, was ich zum Thema gelesen habe. Es ist gut, wenn jemand mal in eine andere Kerbe haut.

Gerade für jemanden wie mich, der sich zugegebenermaßen eher wenig mit jüdischem Leben in Deutschland beschäftigt hat, ist die Lektüre äußerst instruktiv. Und Czollek streitet mit Leidenschaft und auch etwas Wut für eine bunte und freiheitliche Gesellschaft ohne jegliche kulturelle Dominanz sowie gegen die Verharmlosung der aktuellen rechten Strömungen. Das richtige Pamphlet zur richtigen Zeit. Lest Es!

 

Max Czollek: „Desintegriert euch!“ Hanser Verlag, München 2018, 208 Seiten.

posted by Stadler at 16:06  
Nächste Seite »