Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

21.7.14

US-Hoster nimmt Liste indizierter Websites vom Netz und wirft Bundesregierung Zensur vor

Das Jugendschutzgesetz (JuSchG) verlangt eine Indizierung jugendgefährdender Medien. In § 18 Abs. 1 JuSchG heißt es hierzu:

Träger- und Telemedien, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden, sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in eine Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen

Für Telemedien, also insbesondere Websites, regelt § 18 Abs. 2 Nr. 3 JuSchG, dass sie in die nichtöffentliche Liste aufzunehmen ist. D.h. eine Veröffentlichung dieser Liste findet nicht statt. Diese Liste soll aber Anbietern nutzerautonomer Filterprogramme zur Verfügung gestellt werden. § 24 Abs. 5 JuSchG regelt hierzu folgendes:

Wird ein Telemedium in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen und ist die Tat im Ausland begangen worden, so soll die oder der Vorsitzende dies den im Bereich der Telemedien anerkannten Einrichtungen der Selbstkontrolle zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme mitteilen. Die Mitteilung darf nur zum Zweck der Aufnahme in nutzerautonome Filterprogramme verwandt werden.

Diese Liste wird als sog. BPjM-Modul u.a. Suchmaschinen und Herstellern von Routern zur Verfügung gestellt. Bereits diese Praxis erscheint mir klar rechtswidrig, denn Suchmaschinen sind keine nutzerautonomen Filterprogramme. Für eine Weitergabe an Suchmaschinen fehlt es schlicht an einer gesetzlichen Grundlage. Ob Routerhersteller nutzerautonome Filterprogramme anbieten, hängt davon ab, ob der Router eine entsprechende Filterfunktionalität eingebaut hat, die der Nutzer selbst an- und abschalten kann.

Diese nichtöffentliche Liste jugendgefährdender Telemedien wurde kürzlich geleakt und in einem bei Neocities gehosteten Blog veröffentlicht. Das hat für einigen Wirbel gesorgt und auch dazu, dass die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) auch gegen die Berichterstattung über diesen Leak vorgegangen ist.

Die KJM hat darüber hinaus auch den Hoster angeschrieben und aufgefordert, dieses Blog vom Netz zu nehmen. Das hat der Hoster angesichts der aus seiner Sicht unklaren Rechtslage auch getan, allerdings nicht ohne, der Bundesregierung in einem Blogbeitrag Zensur vorzuwerfen. In diesem Text wird u.a. darauf hingewiesen, dass die Liste im Grunde in Deutschland behördlicherseits veröffentlicht wird und nur unzureichend verschlüsselt ist.

Außerdem weist der Hoster zu recht darauf hin, dass sich auf der Liste falsche oder veraltete URLs befinden. Es wäre in der Tat interessant einmal genau zu untersuchen, wieviele Einträge aus der aktuellen Liste die Indizierungsvoraussetzungen tatsächlich erfüllen.

Auf der aktuellen Liste befanden sich m.W. sogar freigegebene Domains. Wer sich also eine Domain registriert, die gerade erst freigeworden ist, könnte damit unverhofft auf der Liste jugendgefährdender Medien gelandet sein.

Gegen die Aufnahme in die Liste ist übrigens der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (§ 25 JuSchG).

 

posted by Stadler at 12:31  

6 Comments

  1. Genau diese Probleme wären auch zu erwarten gewesen, wenn man das Zugangserschwerungsgesetz umgesetzt hätte (was rechtswidrig bis zu seiner Abschaffung von Scharzgelb nicht umgesetzt wurde).

    Hier wird der Rechtsstaat ausgehöhlt:
    – nicht mehr ein Richter spricht Recht, sondern irgendjemand (beim Zugangserschwerungsgesetz sollte die Polizei die Rechtsprechung übernehmen),
    – die Ergbnisse sind geheim (wie bei den Spannern von NSA mit der FISA)
    – den Betroffenen wird rechtliches Gehör verweigert sogar aktiv hintertrieben,
    – die Qualität dieser Maßnahmen ist beschissen.

    Das kann nur so bleiben, wenn wir wie die US-Amerikaner auf Law and Order scheißen. Für einen demokratischen Rechtsstaat ist dieses Verfahren eine perverse Degenerierung und vollkommen inakzeptabel.

    Man fragt sich, warum so viele Politiker sich so benehmen, als wenn das Internet ein rechtsfreier Raum wäre.

    Comment by Wolfgang Ksoll — 21.07, 2014 @ 14:47

  2. Naja, das Problem mit den vielen veralteten Links liegt doch aber im entsprechenden Gesetzt, welches vorschreibt, dass die indizierten Links für eine gewisse Zeit (Ich glaube, es waren 20 oder 25 Jahre) auf der Liste sein müssen.

    Das Vorgehen von KJM und BPjM (Verbreitern / Berichterstatter über die geleakte Liste mit Anzeige wegen der Verbreitung von Kinderpornografie zu drohen) ist allerdings wirklich sehr bedenklich und hinterlässt kein gutes Gefühl bei mir. Einerseits hoffe ich, dass sich einer der Betroffenen dagegen wehrt um diesen Gremien ihre Grenzen aufzuzeigen, andererseits kann ich gut verstehen, dass man so eine Verurteilung (oder alleine die Ermittlungen davor) nicht erleben will.

    Comment by Jens — 21.07, 2014 @ 19:28

  3. Die Möglichkeit, gegen den Beschluss über eine Aufnahme auf die Liste den Verwaltungsrechtsweg beschreiten zu können, ist ja gut und schön.

    Nur wie soll ich denn, wenn ich mir so eine freie Domain registriere, davon erfahren, dass die Domain auf einer geheimen Liste steht?

    Der Beschluss der BPjM wird nur an den Urheber bzw. den Anbieter zugestellt, nicht an die Registrierungsstelle. Auch eine Veröffentlichung der Aufnahme im Bundesanzeiger kann unter bestimmten Umständen unterbleiben. Und dass die Domain bei Google nicht gefunden wird, kann andere Gründe haben (schließlich ist die Domain, wenn sie frei ist, nicht zwingend konnektiert…).

    Effektiver Rechtsschutz sieht anders aus.

    Comment by Kalle — 22.07, 2014 @ 13:46

  4. a) die Sperrung ausländischer Seiten (über Jahre hinweg) ist vergleichbar mit einem Störsender und dem Feindsendeverbot – nur schlimmer. Denn es sind Seiten in befreundeten Staaten, die gesperrt werden. Niemand erzählt mir, dass deren Rechtssystem so schlecht ist, dass hier vollkommen illegale Inhalte dort geduldet werden. Die Statistik von Löschen statt Sperren mit >95% Erfolgsquote belegt eindeutig, dass deren Rechtssysteme oder wenigstens die Menschen dort vernünftig sind. Die Sperrliste belegt, dass wir die Souveränität dieser Staaten trotzdem nicht akzeptieren. Sonst gäbe es keinen Grund in deren Kommunikation restriktiv einzugreifen und zu sperren.

    Ich finde nicht, dass die Niederländer z.B. alle unverantwortliche Kinderschänder sind, vor denen man „Deutsche“ mit Stoppschildern schützen muss. Das ist wirklich nicht mehr lächerlich.

    b) Wenn die Hashes der Torrents von the Pirate Bay bedeuten, dass dort illegal Inhalte verbreiten werden, so hat die KJM mit den Filterlisten ebenfalls illegale Inhalte verbreitet. Die Codes sind identisch, das Suchverfahren liegt in beiden Fällen beim Nutzer der Codes und führt in beiden Fällen zum unerwünschtem Inhalt, so der Nutzer das will.

    Wenn the Pirate Bay verantwortlich ist, dann ist es die KJM ganz klar auch. Selbst wenn man diesem Vergleich nicht zustimmt, so ist es Tatsache, dass jede bisherige Sperrliste „geleakt“ wurde und dass der Leak ausschließlich positive Effekte – >95% Löschung! – hatte.

    Um es deutlich zu sagen: Die KJM hat die Liste indizierter Webseiten entgegen dem ausdrücklichem Verbot veröffentlicht.

    Comment by Joachim — 22.07, 2014 @ 16:22

  5. Das Juschprg, ein Proxy auf dem Rechner von meinem junior würde ihn auf Redtube drauf lassen, dies ist das offizielle Schutzprogramm von der BPjM.

    Man fragt sich da schon(und ich habe mir erlaubt einige Links selbst zu testen aus der Liste) wieso dort Porno-Linksammlungen welche auf nicht gefilterte Hoster verweisen gesperrt wurden. Mindestens 2 dieser Sammlungen verweisen auf Xhamster und Redtube Pornos, beim Klicken landet man auch auf dieser Domain. Es wird nicht in der Linksammlung geframed.

    Ich habe dieses Programm auf dem PC meines 6 jährigen Sohnes um genau solche URLs zu filtern. Noch mag ihn die aktuelle Presse zu redtube nicht interessieren bzw er kann sie noch nicht lesen. Aber es soll ja auch ältere schützen heist es. Das tut es definitiv aber nicht.

    Ich bin mit Computer und Netzwerken groß geworden, Porno gehört nunmal dazu wie Sex zum Leben. Xhamster ist aber in manchen Rubriken absolut hardcore und kann selbst erfahrene Menschen verunsichern. Das sollte wohl in jedem Fall in der Jugendschutzliste sein.

    Den es ist ja keine grundsätzliche Zensurliste, sondern eine Jugendschutzfunktion gegen die ich nichts habe. Es hilft mir, meinem Sohn die Freiheit zu geben das Internet selbst zu lernen ohne sich weh zu tun. Später soll er ja selbst erkennen können, was gefährlich oder harmlos ist. Nur kann ich nicht alle Links kennen und schon garnicht vorher wissen was kommt. Also Dauerkontrolle ohne Lerneffekt oder möglichst effektive Hilfsprogramm. Und genau da patzen sie noch schlimmer als mit der ohnehin schon sehr fragwürdigen Liste.

    Comment by chefin — 23.07, 2014 @ 10:52

  6. @chefin (danke für den Bericht)

    Was soll das denn anders sein, als eine grundsätzliche Zensurliste? Schon mal angesehen? Die „Qualität“ ist unterirdisch. Wollte man Nutzer schützen, so würde man sowas tun: http://hosts-file.net/

    Man würde an adblock-Listen mitarbeiten und man würde Seiten für Kinder unterstützen. Man würde die Listen öffentlich machen, um den Druck zu erhöhen, den Jugendschutz einzuhalten.

    Alleine die Tatsache, dass die Liste von hosts-file knapp 100000 Seiten umfasst und die Liste der KJM nur 3000 Zeilen (!nicht Seiten sondern Zeilen!) belegt, dass die KJM Nutzer vollkommen ungeschützt im Netz lässt. Es gibt Dinge, die weit gefährlicher als Porn sind.

    Will man wirklich eine Filterlösung, so kann das nur mit der Community gelingen. Daran ist die KJM jedoch nicht interessiert. Denn

    siehe etwa: http://ak-zensur.de/2010/11/telekom-satansweiber.html

    Fazit: Wer mit Juschprg seine Kinder für „sicher“ hält, der ist Verantwortungslos. Es bleibt nichts, als sich um seine Kinder zu kümmern.

    Comment by Joachim — 23.07, 2014 @ 13:27

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