Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.9.13

In NRW kann man fristwahrende Schriftsätze nicht elektronisch bei Gericht einreichen

Ein Anwaltskollege hattte den fatalen Fehler begangen, eine Berufungsbegründung beim OLG Düsseldorf über das sog. EGVP (Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach) einzureichen, weil er aus dem Umstand, dass das OLG Düsseldorf ein solches elektronisches Postfach unterhält, geschlossen hatte, dass die fristwahrende elektronische Einreichtung von Schriftsätzen möglich sein muss. Weit gefehlt, wie ihm das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 24.07.2013 (Az.: VI-U (Kart) 48/12) nun erläutert hat. Nur weil das Gericht ein EGVP unterhält, darf man nicht annehmen, dass hierüber auch fristgebundene Schriftsätze elektronisch eingereicht werden können, denn das Land Nordrhein-Westfalen hat noch keine entsprechende Rechtsverordnung für die Einreichung elektronischer Dokumente erlassen. Der Klägerin wurde auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt, weil die Klägerin und ihr Anwalt hätten wissen müssen, dass beim OLG Düsseldorf, trotz Vorhandenseins eines entsprechenden Postfachs, keine fristwahrenden Schriftsätze elektronisch eingereicht werden können.

Das halte ich im konkreten Fall auch deshalb für problematisch, weil der fristgerechte Zugang – den das Gericht im Ausdruck des Schriftsatzes beim Gericht gesehen hätte – an einem Fehler der IT der Justiz scheiterte. In dem Urteil heißt es hierzu:

Das Schriftstück ist um 14:15:23 Uhr auf dem zentralen Eingangsserver für das EGVP (Intermediär) eingegangen. Von dort haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin umgehend eine automatisiert erstellte Eingangsbestätigung erhalten, die (u.a.) das Eingangsdatum und die Uhrzeit des Eingangs auf dem Server ausweist. (…) Die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin ist aufgrund eines technischen Fehlers im Zusammenhang mit der Verschlüsselung zunächst nicht in dem zentralen Behörden-Postfach des Oberlandesgerichts Düsseldorf eingegangen.

Das OLG Düsseldorf hat die Revision nicht zugelassen, obwohl die zugrundeliegenden Rechtsfragen keineswegs höchstrichterlich geklärt sind.

Als Anwalt muss man also nicht nur prüfen, ob ein Gericht an das EGVP angeschlossen ist, sondern auch, ob die zusätzlich erforderliche Rechtsverordnung nach Landesrecht erlassen worden ist. Da wird man im Zweifel lieber weiterhin vorab per Telefax und anschließend per Post versenden, denn damit vermeidet man Haftungsrisiken. Den elektronischen Rechtsverkehr werden derart kleinteilige Entscheidungen sicherlich nicht nach vorne bringen. Der Kollege Kuntz hat das Urteil ähnlich kommentiert.

posted by Stadler at 12:26  

15 Comments

  1. Deutschland kommt mit dem Internet nicht zurecht.

    Comment by Wolfgang Ksoll — 9.09, 2013 @ 12:34

  2. Wenn „Die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin ist aufgrund eines technischen Fehlers im Zusammenhang mit der Verschlüsselung zunächst nicht in dem zentralen Behörden-Postfach des Oberlandesgerichts Düsseldorf eingegangen.“ wirklich durchgeht, wieso nicht auch „Das Fax stand direkt über dem Aktenvernichter, leider sind die Akten deswegen nicht fristgerecht eingegangen“??? Wo ist denn da dann noch der Unterschied.

    Comment by nico — 9.09, 2013 @ 13:10

  3. Lieber Herr Stadler,

    drei Anmerkungen:

    1) Die Überschrift ist zu weit gefasst. Man kann durchaus „in NRW … fristwahrende Schriftsätze … elektronisch bei Gericht einreichen“, nur eben nicht in der (streitigen) Zivilgerichtsbarkeit. Anders ist dies bei den Registergerichten sowie beim OVG Münster und den sieben VGs, bei den drei FGs, beim LSG Essen und den acht SGs des Landes, sowie seit diesm Juli bei den drei LAGs und drei AGs.
    Das ist auf der Seite http://www.egvp.de/gerichte/ dokumentiert, die das OLG in Bezug nimmt.

    2) Ob tatsächlich Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen wäre, erscheint mir fraglich. Sie wissen: „Iura novit Curia“, aber der Rechtsanwalt muss gleichwohl noch mehr wissen. (Bei einem Streitwert von 70 Mio ein interessanter Fall für die Haftpflicht!) Offenbar hat dieser die Prüfung, ob die von § 130a ZPO verlangte Rechtsverordnung gegeben ist, schlicht vergessen. Alle Erwägungen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags scheinen mir nur Krücken zu sein, dieses Versäumnis vergessen zu machen. Dass ein (zumal: nur vermuteter) „Organisationserlass“ nicht eine von Gesetzes wegen erforderliche Verordnung ersetzen kann, hätte das OLG nicht extra aussprechen müssen. Ebenso zweifelhaft ist, ob die automatisiert erstellten Empfangsschreiben, Briefumschlagssymbole und Ausrufezeichen tatsächlich schutzwürdiges Vertrauen hervorrufen konnten. Kann, wer das Gericht samt Nachtbriefkasten abgeschlossen findet, die Berufung an einen Stein binden und diesen durchs Fenster werfen, und so Zugang bewirken?

    3) Dem Gericht ist kein Vorwurf zu machen, dass es die Landesrechtslage zur Anwendung bringt. Nicht die „kleinteilige Entscheidung“, sondern die Landespolitik verhindert ein Voranbringen des elektronischen Rechtsverkehrs. Das Justizministerium wird seine Gründe haben, die finanzieller Art sein mögen oder Sicherheitsbedenken folgen.

    Comment by Ernst — 9.09, 2013 @ 13:11

  4. Lieber Herr Stadler,

    es gibt bekanntlich auch Rechtsanwälte, die von Anwalt zu Anwalt zugestellte Schriftsätze – überflüssigerweise – nur deshalb zurückweisen, weil sie per E-Mail statt – wie gesetzlich vorgesehen – per Fax zugestellt werden. Ist das nicht „kleinteilig“?

    Man kann doch als Rechtsanwalt nmK die Zusendung eines Schriftsatzes per E-Mail „heilen“ und einfach mal nicht „kleinteilig“ sein sondern den per E-Mail zugesandten Schriftsatz als zugestellt entgegenehmen. Ein Beispiel aus der Praxis, das mit den Worten „Pech gehabt“ kommentiert wurde:

    http://www.internet-law.de/2009/03/zustellung-von-anwalt-zu-anwalt-per-e-mail.html

    Warum erwartet Sie vor diesem Hintergrund von den Gerichten, dass diese die Sache nicht so kleinteilig“ sehen?

    Comment by Pressekritik — 9.09, 2013 @ 13:31

  5. Sehr geehrter Herr RA Stadler,

    sie müssen das verstehen. Das Internet ist eben noch Neuland.

    Dass z.B. deutsche Direktbroker im Jahr mehrere Millionen rechtsverbindliche Finanztransaktionen per Internet durchführen, oder Versandhändler Umsätze im mittleren einstelligen Milliardenbereich machen, heißt noch lange nicht, dass man ein Schriftstück zu stellen kann. Da könnt ja jeder kommen. Und wenn jeder käme, der kommen könnte, wäre keiner mehr da, der kommen könnte, weil ja alle schon gekommen wären.

    Aber warten Sie nur ab, wenn wir erstmal gesetzlich verpflichtet werden, alle einen DE-Mail Account zu haben, dann wird bestimmt alles gut.

    Viele Grüße,
    _Flin_

    Comment by _Flin_ — 9.09, 2013 @ 13:50

  6. @Ernst:
    Ich glaube, dass man Wiedereinsetzung hätte gewähren müssen. Denn der Schriftsatz wäre ohne den Fehler in der zentralen IT der Justiz vermutlich auch auf diesem Weg fristgerecht zugegangen. An dieser Stelle bietet sich der Vergleich zur Briefpost an. Wenn ich den Schriftsatz am vorletzten Tag der Frist per Post versende und der Brief zwei Tage braucht, bekommen ich nach ständiger Rechtsprechung Wiedereinsetzung. Warum also hier nicht? Nach dem gewöhnlichen Verlauf hätte der Schriftsatz fristgerecht eingehen müssen. Es handelt sich um eine Art Verzögerung im Postverkehr.

    Es gibt außerdem eine klare Tendenz in der Rechtsprechung, die Kausalität des Partei- bzw. Anwaltsverschuldens bei Fehlern des Gerichts zu verneinen. Auch das ist hier ein Ansatzpunkt für eine Wiedereinsetzung.

    Vielleicht sind auch die Anforderungen an das fehlende Verschulden ansonsten überzogen?

    Ich meine, man hätte in jedem Fall die Revision zulassen müssen.

    Natürlich ist es unverständlich, dass das Landesrecht die notwendigen Voraussetzungen noch nicht geschaffen hat. Da sind wir uns einig.

    Comment by Stadler — 9.09, 2013 @ 13:56

  7. Da war doch was, da war doch was …

    http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20130141
    AG Hünfeld
    Beschluss vom 04.07.2013
    34 Js – OWi 4447/13
    Zur Fristwahrung durch ein nicht zum Ausdruck vorgesehenes Telefax

    »Ist das Verfahren beim Empfang von Telefaxsendungen so gestaltet, dass die empfangenen Übermittlungen nicht in jedem Fall ausgedruckt werden, so wahrt die Übermittlung per Telefax die Schriftform nicht, es gelten vielmehr die Bestimmungen für die Einreichung elektronischer Dokumente. Bei der gegenwärtig vom Regierungspräsidium Kassel praktizierten Verfahrensweise („Digitalfax“) kann dort ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid nicht formwirksam per Telefax eingelegt werden. Gegebenenfalls kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.«

    »Diese Übermittlungsart ist erst nach Maßgabe einer entsprechenden Rechtsverordnung nach § 110a Abs. 2 OWiG zulässig. Eine solche Rechtsverordnung des Landes Hessen ist hinsichtlich der Einreichung elektronischer Dokumente bei dem Regierungspräsidium Kassel bislang nicht ergangen.«

    Comment by Ano Nym — 9.09, 2013 @ 21:49

  8. @Ernst:
    „Kann, wer das Gericht samt Nachtbriefkasten abgeschlossen findet, die Berufung an einen Stein binden und diesen durchs Fenster werfen, und so Zugang bewirken?“

    Wenn er einen Zeugen hat, der darlegen kann, dass der Stein vor Mitternacht zugegangen ist, vielleicht.

    Comment by Steineschmeißer — 9.09, 2013 @ 22:55

  9. Wiedereinsetzung war zu gewähren und deren Zurückweisung „kleinkariert“. Wer die Möglichkeit einräumt, Schriftsätze mittels EGVP zu übermitteln, muss an diesem Rechtsschein festhalten lassen.

    Stellt die Post AG Briefkästen auf, muss sich auch daran festhalten lassen, diese Briefe zuzustellen, Rechtsverordnung hin oder her.

    Was mich dazu bringt, meine Serverfaxkarte noch lange nicht abzuschaffen und die Wiederholungszahl auf „20“ hochzustellen, mangels Rechtsverordnung……

    Comment by OR — 9.09, 2013 @ 23:24

  10. @Ernst und Ano Nym:

    mal aus Sicht eines juristischen Laien gesehen, läuft das doch darauf hinaus, mit keinem Gericht in Deutschland in irgendeiner Art elektronisch zu kommunizieren – viel zu viel Aufwand…

    Gut, dass NRW ein bisschen hinter dem Rest der Welt zurückhängt, damit kann man gut leben… War früher auch nicht anders… ;-)

    Aber Fax wäre mir – als juristischem Laien – dann doch zu gefährlich – woher soll ich die verbindliche Information bekommen, ob da ein Fax steht, dass „sofort“ ausdruckt, oder eins mit Zwischenspeicher? Mal davon abgesehen, dass ich seit mindestens zehn Jahren kein Fax mehr auf dem Markt gesehen habe, das nicht unter „Digitalfax“ fallen muss… Und alle bestätigen die Übertragung bei Speicherempfang, nicht nach erfolgreichem Druck…

    Auch bei den Gerichten ist also die elektronische Kommunikation „#Neuland“… ;-)

    Wie machen die Gerichte eigentlich ihre Ersatzbeschaffung, wenn es keine rechtlich akzeptablen Geräte mehr gibt?

    Comment by isi — 10.09, 2013 @ 00:10

  11. Haben wir nicht gerade neulich gelernt, dass man sich auch nicht darauf verlassen kann, dass Fax genügt, da es möglich ist, dass das Fax rein elektronisch weitergeleitet wird, ohne zwischenzeitlich in Papierform zu existieren?

    Comment by Carsten S — 10.09, 2013 @ 00:44

  12. also irgendwie verstehe ich hier was nicht…der Text ist doch eindeutig:
    Übermittlung von Post an die Justizeinrichtungen – zugelassener elektronischer Rechtsverkehr

    Bitte nehmen Sie folgende wichtige Hinweise zur Kenntnis:

    Der Übermittlungsweg per E-Mail dient ausschließlich dazu, informelle Mitteilungen außerhalb von anhängigen Verfahren zu übersenden. In Rechtssachen können daher auf diesem Wege insbesondere keine Schriftsätze, Mitteilungen oder sonstige Einsendungen zu Verfahren übersandt werden, da die Identität des Absenders nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann.

    Aus diesem Grund erfolgt eine Bearbeitung solcher elektronischer Post nicht.

    Bitte benutzen Sie deshalb in diesen Angelegenheiten in Ihrem eigenen Interesse die üblichen Übermittlungswege, insbesondere auch dann, wenn durch eine Mitteilung eine Frist gewahrt werden soll.

    zu finden auf dieser Seite:http://www.olg-duesseldorf.nrw.de/kontakt/email_hinweis/index.php

    Comment by Burkhard Masanneck — 10.09, 2013 @ 11:09

  13. Alles schön und gut.

    Man sollte sich als Anwalt lieber mal fragen, warum man aus Gründen des eigenen Verschuldens und Bequemlichkeit diese Dinge auf dem „letzten Drücker“ erledigt.

    Rechtsanwälte neigen dazu. Das bezeichne ich als sträfliche Vernachlässigung ihrer Pflichten.

    Warum immer bis zur letzten Stunde warten? Aufgrund dieses Fehlverhaltens sind schon Leute im Knast gelandet, sind Verträge nicht zustande gekommen, wurden ungültig, Vertragskündigungen wurden unwirksam etc.. Anwaltsversagen! Ganz klarer Fall von Nulpen!

    Der frühe Vogel fängt den Wurm!

    Wenn es um wichtige Dinge geht, für die Klienten viel davon abhängt, dann hat man seinen faulen Hintern zu bewegen! Dann geht es mit Boten und Eingangsstempel, dann geht es mit FAX, Mail und Post und zwar gefälligst frühzeitig, gleichzeitig und rechtzeitig.

    Verlässt man sich auf Anwälte, ist man verlassen.

    Comment by Marlies — 13.09, 2013 @ 18:30

  14. 70 Millionen Euro und dazu noch die Kosten. In der Haut der Kollegen möchte ich nicht stecken. Das OLG hat gut reden, denen kann die Haftung ja egal sein. Das wird mit Sicherheit noch vor dem BVerfG landen.

    Comment by ako — 14.09, 2013 @ 11:19

  15. „Als Anwalt muss man also nicht nur prüfen, ob ein Gericht an das EGVP angeschlossen ist, sondern auch, ob die zusätzlich erforderliche Rechtsverordnung nach Landesrecht erlassen worden ist.“

    Richtig! Ist das zuviel verlangt? Ihr Jungs meint doch sonst immer, alles zu wissen.

    Versagen sollte man sich eingestehen.

    Comment by Marlies — 15.09, 2013 @ 16:57

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