Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.5.13

Pressefreiheit auch für Leserkommentare?

Vor gut zwei Wochen habe ich mit der Kollegin Nina Diercks auf dem For..Net-Symposium über das Thema „Pressefreiheit in Online-Foren“ diskutiert. Hintergrund war eine Beschlagnahme bei der Augsburger Allgemeinen, durch die die Staatsanwaltschaft den Namen eines anonym postenden Kommentarschreibers ermitteln wollte. Die Diskussion zwischen Nina und mir lässt sich beim Campusradio der Uni Passau nachhören.

Mittlerweile ist der Beschluss des Landgerichts Augsburg, durch den die Rechtswidrigkeit des Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Augsburg festgestellt wurde, auch offiziell veröffentlicht. Das Landgericht Augsburg hat bereits die Meinungsäußerung für zulässig gehalten, aber ausdrücklich betont, dass sich die Augsburger Allgemeine im Hinblick auf die Nutzerkommentare nicht auf das Grundrecht der Pressefreiheit berufen kann und damit auch nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach der Strafprozessordnung.

Die Entscheidung des Landgerichts (Beschluss vom 19.03.2013, Az.: x Qs 151/13) ist insoweit aber sehr oberflächlich gehalten und setzt sich auch mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreichend auseinander. Die entscheidende Passage des Beschlusses lautet:

Eine Beschlagnahmefreiheit der im Beschluss genannten Daten gem. § 97 Abs. 5 S. 1 StPO besteht nicht, da der Beschwerdeführerin kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. §§ 160 a Abs. 2, 53 Abs. 1 S.1 Nr. 5 StPO zusteht.

Zwar unterfällt die Beschwerdeführerin als Herausgeberin einer Zeitung grundsätzlich dem Schutzbereich des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO. Jedoch ist dieser Schutzbereich gemäß § 53 Abs. 1 S. 3 StPO nur dann eröffnet, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialen für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Zwar sind in einer Zeitung gedruckte Leserbriefe nach ständiger Rechtsprechung dem redaktionellen Bereich zuzuordnen (BVerfG 36, 193, 204).

Dies gilt aber nicht für Beiträge von Nutzern in einem Onlineforum. Eine redaktionelle Überarbeitung, die die Zuordnung von Leserbriefen zum redaktionellen Bereich einer Zeitung begründet, findet in den Fällen der Einstellung eines Beitrags in ein Onlineforum gerade nicht statt. Vielmehr erfolgt die Einstellung eines solchen Beitrags durch den Nutzer selbst, ohne dass eine Überarbeitung durch die Redaktion oder eine Prüfung der Einträge vor Veröffentlichung erfolgt. Eine vom Gesetz gem. § 53 Abs. 1 S. 3 StPO geforderte „Aufbereitung“ der Onlinebeiträge findet daher gerade nicht statt.

Mit dieser Auslegung verkennt das LG Augsburg Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit. Bereits die Annahme, die Leserkommentare seien nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen, ist fehlerhaft. Es ist nämlich gerade eine redaktionelle Entscheidung und Maßnahme, ob man als Zeitung im Anschluss an die Veröffentlichung von Artikeln auf der Website der Zeitung eine Kommentarfunktion eröffnet, die es den Lesern erlaubt, den Artikel unmittelbar zu kommentieren.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutzbereich der Pressefreiheit zudem über den redaktionellen Teil hinaus unter gewissen Voraussetzungen auch auf den Anzeigenteil erstreckt und hierzu ausgeführt:

Das Grundrecht der Pressefreiheit umfaßt, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, auch den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen (BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Wenn die Presse ihren Lesern Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil, ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt und die Leser auf diese Weise über die in den Anzeigen enthaltenen wirtschaftlichen Möglichkeiten oder die in ihnen zum Ausdruck gebrachten Meinungen informiert, so gehört dies zu den herkömmlichen und typischen Presseaufgaben.

Dadurch wird deutlich, dass auch die unveränderte Weitergabe von Meinungen zu den typischen Aufgaben der Presse gehört und eine redaktionelle Bearbeitung – die ja bei Anzeigen nie stattfindet – gerade keine Voraussetzung für die Eröffnung des Schutzbereichs der Pressefreiheit ist.

An anderer Stelle wird das BVerfG noch deutlicher und führt aus:

Eine Unterscheidung zwischen geschützten und nicht geschützten Teilen einer Zeitung läßt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erkennen. Das Grundrecht schützt den gesamten Inhalt eines Presseorgans (vgl. BVerfGE 21, 271 [278 f.]). Das folgt schon daraus, daß zur Pressefreiheit nicht nur die Bestimmung des Inhalts einer einzelnen Ausgabe oder des Themas eines einzelnen Artikels, sondern erst recht die Grundentscheidung über Ausrichtung und Gestaltung des Publikationsorgans insgesamt gehört.

Die Unterscheidung zwischen einem geschützten und nicht geschützten Teil der Onlineausgabe einer Zeitung, die das Landgericht Augsburg versucht zu treffen, ist also bereits als solche nicht statthaft. Die Eröffnung einer Kommentarfunktion gehört zu den Grundentscheidungen des Publikationsorgans über Ausrichtung und Gestaltung der Zeitung.

Das Bundesverfassungsgericht macht zudem deutlich, dass auch die Entscheidung über die anonyme Wiedergabe von Zuschriften Dritter in den Schutzbereich der Pressefreiheit fällt:

Darin ist auch die Entscheidung eingeschlossen, ob Zuschriften von Dritten in die Publikation aufgenommen werden. Geschützt sind daher nicht nur eigene Beiträge der Herausgeber oder redaktionellen Mitarbeiter. Der Schutz der Pressefreiheit umfaßt auch die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, die sich nicht beruflich im Pressewesen betätigen.

e) Das Grundrecht der Pressefreiheit schützt schließlich auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen, daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl. BVerfGE 60, 234 [239 f.]). Zur Form gehört es auch, ob die Veröffentlichung eines Beitrags mit oder ohne Autorenangabe erfolgt. Soweit die Anonymität den Zweck hat, Autoren vor Nachteilen zu bewahren und der Zeitung den Informationsfluß zu erhalten, fällt ins Gewicht, daß sich die Pressefreiheit auch auf das Redaktionsgeheimnis sowie das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und Informant erstreckt (vgl. BVerfGE 20, 162 [176]).

Das Landgericht Augsburg setzt sich mit der zitierten Rechtsprechung des BVerfG nicht ansatzweise auseinander und kann allein deshalb nicht überzeugen.

posted by Stadler at 14:28  

11 Comments

  1. Es gibt da noch einen weiteren Fall, gleiche Begründung. Da muss der Redakteur jetzt in Beugehaft: http://heise.de/-1856799

    Comment by Drizzt — 6.05, 2013 @ 16:03

  2. Der Fall treibt mich schon lange um und sorgt für blanke Wut in der Onlinegemeinde. Man kann dem guten Jungen nur Respekt zollen für seine Standhaftigkeit. Seine Klage hat leider keine aufschiebende Wirkung. Es ist also nur zu hoffen, daß er die Beugehaft in Kauf nimmt, auch wenn dieser Wunsch über das Maß des Erträglichen und Zumutbaren weit hinaus geht.

    Ich kann nur immer wieder raten, sich im Netz eher auf Anons zu verlassen, als auf die Seitenbetreiber, die nicht alle dieses Rückrat beweisen.

    Und wählt im September bitte Parteien, die das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft etc. nicht durchgewunken haben.

    CDU/CSU, FDP und SPD sind Feinde des Webs, des Grundgesetzes und der Freiheit aller Menschen in diesem Land. Grüne (trotz ekelerregendem Gesundheitsfaschismus und oberlehrerhaftem/ungefragtem Eingriff in persönliche Entscheidungen der Bürger/innen) und Linke sind die einzige Alternative. Und hört bitte auf mit PP. Die ist nicht Piratenpartei, sondern ein Pongopopel, den man besser nicht aus der Nase gezogen hätte.

    Das Schlimmste wäre eine große Koalition, wenn zwei Verbrecher zusammen in die Kiste steigen.

    Dann gute Nacht, Deutschland und Freiheit!

    Comment by Wilms — 6.05, 2013 @ 17:29

  3. Die Grünen sind auch Feinde der Technik und damit des Webs, haben sie doch das neue Bestandsdatenauskunftsgesetz mit durchgewunken..

    Comment by T. Junker — 6.05, 2013 @ 17:56

  4. Auch kein Wunder, wenn man an Schily denkt, der erst ein RAF-Anwalt war, dann bei den Grünen, dann in der SPD und danach in neckischen Fotos mit Bullen und Schlagstock auftauchte, den BPA mit Fingerabdrücken durchsetzen wollte. Gesockse eben, ein echter Saulus. Doch ich habe mir den Parteitag der Grünen vorletzte Woche angeschaut und bin ganz zufrieden. Ich werde die Linken wählen, das dazu.

    Gegen das jüngste Gesetz, welches am 01.07. in Kraft tritt, ist eine Verfassungsklage anhängig. Es wird selbstverständlich im Netz darüber informiert.

    Gleichzeitig bitte ich dieses Board, die Bankverbindung der Klägergemeinschaft, sobald bekannt, hier auch zu veröffentlichen, damit gesammelt und unterstützt werden kann.

    Im dem Fall von User Drizzt verlinkten Sachverhalt werden ebenfalls 5000 Euro für den Anfang an den tapferen Freigeist überwiesen, damit er seine Unkosten halbwegs decken kann.

    Ich spende gerne und genau für diese Leute.

    Vielen Dank.

    Comment by Wilms — 6.05, 2013 @ 18:31

  5. „Nach Ansicht des schleswig-holsteinischen Piraten-Fraktionschefs Patrick Breyer, der bereits die erste erfolgreiche Klage eingereicht hatte, ist auch das neue Gesetz in mindestens sechs Punkten verfassungswidrig.“ No further comment.

    Comment by Ein Mensch — 6.05, 2013 @ 23:23

  6. Das ist schon ignorant, wenn man Onlineauftritte nicht der Pressefreiheit zuordnet, nur weil sie nicht auf Papier gedruckt sind.
    Ob wohl für die ganzen Internetausdrucker ist doch beides auf Papier, das Internet und die Zeitung.

    Zu den Parteien, ist echt schwierig eine Wahl zu treffen.
    Aber wenn man den anderen Parteien wirksam Prozentpunkte klauen möchte, kann man das quasi nur mit den Linken erreichen.
    Sinnvoll wählen geht doch gar nicht mehr, man kann nur Portestwählen.
    Traurig

    Comment by Troll — 6.05, 2013 @ 23:27

  7. Ich verstehe ehrlich gesagt die Vehemenz nicht, mit der Sie die Verteidigung der Pressefreiheit ausgerechnet in einem so eindeutigen Fall betreiben wollen.

    Wir hatten hier bereits ausführlich dazu Stellung genommen: http://www.lhr-law.de/magazin/kurioses-und-interessantes/polizei-beschlagnahmt-daten-eines-foren-nutzers-der-augsburger-allgemeinen-zu-recht

    Grundsätzlich umfasst die Pressefreiheit die gesamte Publikationsbreite eines Presseorgans – egal ob online oder offline. Das ist selbstverständlich und wird durch das LG Augsburg auch nicht in Frage gestellt.

    Wo aber die „Presse“ die Zügel völlig loslässt und einen Artikel zum Anlass nimmt, die Veröffentlichung anonymer und ungeprüfter Kommentare zu gestatten, ist sie nicht schutzwürdig. Warum auch? Sie trifft ja insoweit gerade keinerlei redaktionelle Entscheidung, sondern begibt sich jeder Kontrolle und Einflussmöglichkeit.

    Ihr Satz:

    „Es ist nämlich gerade eine redaktionelle Entscheidung und Maßnahme, ob man als Zeitung im Anschluss an die Veröffentlichung von Artikeln auf der Website der Zeitung eine Kommentarfunktion eröffnet, die es den Lesern erlaubt, den Artikel unmittelbar zu kommentieren.“

    stimmt dementsprechend auch. Aber so einfach war es im Fall der Augsburger Allgemeinen nun einmal nicht.

    Spätestens der Hinweis der Kollegin Diercks hebt Ihre Argumentation vollständig aus den Angeln:

    „In den Nutzungsbedingungen der Augsburger Allgemeinen Zeitung heißt es dazu in Ziffer 7 wörtlich:

    Der Nutzer ist für die von ihm eingestellten Beiträge allein verantwortlich. Die Betreiberin vermittelt lediglich den Zugang dazu.”

    http://socialmediarecht.wordpress.com/2013/03/21/lg-augsburg-grundsatzlich-kein-quellenschutz-fur-user-in-foren-von-redaktionellen-angeboten-fall-augsburger-allgemein-zeitung/

    Wenn man die Verantwortung, die mit „Presse“ einhergeht, explizit nicht wahrnehmen möchte, kann man sich eben auch nicht auf die entsprechenden Rechte berufen.

    Comment by Arno Lampmann — 7.05, 2013 @ 07:08

  8. RA Lampmann hat Recht. Sinn der Pressefreiheit ist es nicht, Dritten ein von jeder Verantwortlichkeit freies Mäntelchen zu verschaffen, unter dessen Schutz sie dann auch ihre von der Meinungsfreiheit an sich nicht mehr gedeckten Äußerungen tätigen könnten.

    Comment by Gast — 9.05, 2013 @ 23:34

  9. @Gast. Sie schreiben: „Dritten von der Verantwortlichkeit jeder Verantwortlichkeit freies Mäntelchen zu verschaffen“

    Mit der heutigen Äußerungsrechtsprechung kann Ihre diese Äußerung wegen den falschen „inneren Tatsache“ verboten werden. Sie erwecken den falschen Eindruck, dass RA Stadler und die Redakteure der Augsburger Allgemeinen die Haltung besitzen, jeder Verantwortlichkeit von sich zu weisen.

    Sie unterstellen, beleidigen, verleumden. Sie sind kriminelle, weil Sie die Persönlichkeitsrechte und das Recht auf Selbstbestimmung anderer mit Füßen treten. Wie gefällt Ihnen das?

    Sehr geehrter Herr Lampmann, ein so eindeutiger Fall ist es leider nicht. Sie irren sich, wie so oft.

    Comment by Rolf Schälike — 10.05, 2013 @ 06:27

  10. Sehr interessant, Herr Schälike! Das Urteil des LG Augsburg räumt Ihnen das Recht ein, so abfällig den Kommentator Gast zu kritisieren: Denn im Gesamtzusammenhang betrachtet „geht es primär darum, die von ihm als zu restriktiv empfundene Haltung des“ Kommentators „zu kritisieren. Bei Äußerungen zu politischen Themen in der Öffentlichkeit ist der straffreie Bereich weiter zu fassen als bei Angriffen in der Privatsphäre, so dass in diesem auch scharfe und übersteigerte Äußerungen als Ausdruck der Meinungsfreiheit geschützt werden“.

    Comment by Erbloggtes — 5.06, 2013 @ 01:31

  11. T-Online zensiert Kommentare nach eigenem Gutdünken
    und verletzt m. Erachtens den Art. 5 des GG.
    „eine Zensur findet nicht statt“!

    Comment by Piepka — 28.08, 2013 @ 11:55

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