Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.3.13

Warum Sarkozy als armer Idiot bezeichnet werden durfte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 14.03.2013 (Az.:  26118/10) entschieden, dass eine strafrechtliche Verurteilung in Frankreich wegen Beleidigung des Präsidenten aufgrund eines Transparents mit der Aufschrift „casse toi pov’con“ Art. 10 der Menschenrechtskonvention verletzt. Die interessante und für die Urteilsfindung nicht ganz unerhebliche Vorgeschichte dieses Schildes bestand darin, dass der damalige französische Staatspräsident Sarkozy einen Landwirt, der sich geweigert hatte ihm die Hand zu geben, genau mit diesen Worten beschimpft hatte. Das beanstandete Transparent stellte also eine gezielte Anspielung auf diesen Vorfall dar.

Der EGMR betont zunächst, dass der Gesamtkontext des Falles zu würdigen ist. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 5 GG.

Anschließend führt der Gerichtshof aus, dass sich Politiker, jedenfalls im Rahmen politisch motivierter Auseinandersetzungen bzw. Diskussionen von öffentlichem Interesse, gerade wegen ihrer Funktion verbal deutlich mehr bieten lassen müssen als andere Menschen. In der Pressemitteilung des EGMR liest sich das so:

The Court reiterated that politicians inevitably and knowingly laid themselves open to close public scrutiny of their words and deeds and consequently had to display a greater degree of tolerance towards criticism directed at them.

Hinzu kommt die Besonderheit, dass der EGMR in der beanstandeten Aussage eine humorvolle Wiederholung der eigenen Worte des damaligen Präsidenten sieht, die das Gericht als satirischen Ansatz begreift und deshalb für besonders schützenswert erachtet. Die Pressemitteilung des EGMR führt dazu aus:

Since satire was a form of expression and comment that naturally aimed to provoke and agitate, any interference with the right to such expression had to be examined with particular care.

Wie immer ausführlich und kompetent erläutert Hans Peter Lehofer die Entscheidung des EGMR, die im Volltext derzeit nur in französischer, als Pressemitteilung auch in englischer Sprache vorliegt.

Zusammenfassend bringt es Maximilian Steinbeis auf den Punkt:

Das französische Pressestrafrecht gibt dem Präsidenten mehr Ehrenschutz als gewöhnlichen Leuten, aber die EMRK verlangt eigentlich, dass er weniger Ehrenschutz genießt.

So ist es, zumindest, wenn es um den politischen Meinungskampf und das öffentliche Handeln eines Politikers geht.

posted by Stadler at 16:13  

3 Comments

  1. Jemanden zu bestrafen, weil der den Präsidenten zitiert ist doch auch Satire. Realsatire.

    Comment by Mirco — 18.03, 2013 @ 16:41

  2. Zitieren ohne Quellenangabe ist aber auch böse.

    Comment by foo — 19.03, 2013 @ 16:12

  3. Das wirft ja interessante Fragen zur Vereinbarkeit des StGB mit der EMRK auf. Ich denke da etwa an die §§ 103 ff StGB und die Maßnahmen gegen Papstkritiker. Oder den Ehrenschutz des Damalsnochpräsidenten Wulff.

    Comment by ThorstenV — 20.03, 2013 @ 12:29

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