Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

27.3.13

BayVGH: „Hygienepranger“ im Internet ist unzulässig

Die Stadt München hat bis vor kurzem die bei amtlichen Betriebskontrollen festgestellten lebensmittel- bzw. hygienerechtlichen Mängel u.a. in Gastronomiebetrieben im Internet auf einer hierfür eingerichteten Plattform (www.lgl.bayern.de) veröffentlicht.

Das ist ihr jetzt vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorläufig untersagt worden. In der Pressemitteilung des VGH heißt es hierzu:

Der BayVGH hat erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung. Zum Schutz der Rechte der Antragsteller erscheint es nach Auffassung des Senats deshalb geboten, die geplante Internet-Veröffentlichung vorläufig zu untersagen. Nach einer Vorschrift aus dem deutschen Lebensmittelrecht informiert die Behörde die Öffentlichkeit u.a. dann, wenn der hinreichende Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften verstoßen wurde, die dem Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 EUR zu erwarten ist. Nach Auffassung des BayVGH bestehen Zweifel an der Europarechtskonformität dieser Vorschrift. Denn nach Europarecht sei eine Information der Öffentlichkeit nur bei einem hinreichenden Verdacht eines Gesundheitsrisikos zulässig, die nationale Vorschrift habe hingegen eine deutlich über die Warnung vor Gesundheitsgefahren hinausgehende, generalpräventive Zielsetzung. Zudem hat der Senat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift, u.a. weil angesichts der zu erwartenden wirtschaftlichen Folgen für die Betroffenen der gesetzlich vorgesehene Schwellenwert von nur 350 Euro für das prognostizierte Bußgeld unverhältnismäßig gering erscheine. Bedenken bestünden auch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Veröffentlichung im Internet, denn die Mängel seien zum Veröffentlichungszeitpunkt häufig bereits behoben. Schließlich sei zweifelhaft, ob die Norm ausreichend bestimmt sei. Denn die Eingriffsschwelle werde lediglich mit der Prognose eines zu erwartenden Bußgelds in Höhe von 350 Euro beschrieben. Die Verwaltungspraxis sei insoweit unvorhersehbar.

Das Gericht hat die einstweilige Untersagung allerdings mit einem „Verfallsdatum“ versehen. Die Untersagung wird unwirksam, sofern die Antragstellerin nicht bis zum 30. April 2013 ein Hauptsacheverfahren einleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens ist eine Vorlage an den EuGH und an das BVerfG denkbar, um die vom VGH bezweifelte Vereinbarkeit des deutschen Lebensmittelrechts mit dem europäischen Recht und dem Grundgesetz zu klären. Nachdem ein erhebliches Verbraucherinteresse an derartigen Informationen besteht, wäre eine eindeutige europarechtliche Regelung in jedem Falle wünschenswert. Aber das ist eine Aufgabe der Politik.

posted by Stadler at 16:48  

9 Comments

  1. Natürlich, was dem Verbraucher nützt, wie Lebensmittelampel, Black/White-Listen von Medikamenten, hygienerechtlichen Mängel kennzeichnen ist per Se erstmal schlecht und wird untersagt. Und da wo nationales Recht das EU-Recht übertrifft wird nicht daran gearbeitet, das EU-Recht verbraucherfreundlicher zu machen. Und oh, ein wirtschaftlicher Schaden könnte entstehen, weil in dem Betrieb Mängel sind…Warum nicht umgekehrt: Bis zu einer endgültigen Festlegung ist das erstmal erlaubt

    Comment by Christian — 28.03, 2013 @ 07:03

  2. „Nachdem ein erhebliches Verbraucherinteresse an derartigen Informationen besteht, wäre eine eindeutige europarechtliche Regelung in jedem Falle wünschenswert.“

    Also kommt sie: Nicht.

    Parlamente sind inzwischen ausschließlich (!) lobbygesteuert, die wenigen Ausnahmen (Gauweiler, Ron Paul) werden als Spinner dargestellt. Schlimm steht es um die Demokratie.

    Comment by Hardy — 28.03, 2013 @ 08:39

  3. Es geht um Kneipen. Wenn sie unhygienisch ist, wird sie amtlich dichtgemacht. Das sollte dem Interesse des Verbrauchers reichen — falls nicht, bitte begründen.

    Ein „Hygiene-Pranger“ schießt übers Ziel hinaus. Das finde ich (obwohl „nur“ Verbraucher) reichlich bescheuert.

    Mit allem Respekt.

    Comment by Wolf-Dieter — 28.03, 2013 @ 10:29

  4. @3

    Es ist von „Gastronomiebetrieben“ die Rede, das sind nicht nur Kneipen. Es gibt allerdings Abstufungen zwischen aufgetretenen Mängeln bis hin zur sofortigen Schließung. Warum nun der Verbraucher sich nicht selber ein Bild von der Lage machen darf und anhand des Protokolls der letzten kontrolle beispielsweise selbst entscheiden darf, erschließt sich nicht. „reichlich bescheuert“ ist eine weniger zielführende Argumentation

    Comment by Christian — 28.03, 2013 @ 13:01

  5. @Christian

    Gastronomiebetriebe — danke für die Präzisierung. Meine Vereinfachung geschah nicht unwissentlich, sondern colorandis causa.

    Abstufung der Mängel — trifft den Kern: das sind für den Kneipier (Pardon, ich bleib dabei) Unannehmlichkeiten per se, weil regelmäßig mit Nachkontrolle und Termindruck verbunden. Es ist sein http://www.internet-law.de/labels/jmstvureigenstes Interesse, das abzustellen. Der braucht keinen zusätzlichen Druck. Damit sehe ich mein Verbraucher-Interesse hinreichend gewahrt.

    Reichlich bescheuert — bitte halten Sie mir zugute, dass es immerhin von Herzen kommt und nicht respektlos gemeint ist.

    Comment by Wolf-Dieter — 28.03, 2013 @ 22:20

  6. Würden Politiker einen Politiker-Pranger auch supporten?

    Nur mal so gefragt.

    Comment by Strafverteidiger — 31.03, 2013 @ 13:01

  7. Erwischt, bestraft und Schluss.
    Wer dann daraus nicht lernt gehört geschlossen.

    Menschen und/oder Betriebe an einem öffentlichen Pranger zu denunzieren halte ich auch für übertrieben. Aber vielleicht driften wir schneller wieder Richtung Mittelalter als gedacht.

    Comment by Andreas — 1.04, 2013 @ 12:02

  8. @Wolf-Dieter:

    „Es ist sein ureigenstes Interesse, das abzustellen. Der braucht keinen zusätzlichen Druck.“

    Kurz und bündig: Unfug. Ein Freund vertreibt für eine der ganz großen weltweiten Brauer Getränke in Düsseldorf. Der geht in der Altstadt nur in sehr wenige, ausgewählte Kneipen. Der Markt regelt alles, mit 2 Prüfern auf 1000 Lokale? Reichlich naiv.

    Comment by Hardy — 2.04, 2013 @ 09:25

  9. Porno-Pranger: Unter diesem Stichwort machte im letzten Sommer Urmann + Collegen, eine berühmt-berüchtigte Regensburger Abmahn-Kanzlei, bundesweit Schlagzeilen. Jetzt ermittelt die Regensburger Staatsanwaltschaft wegen versuchten Betrugs gegen den Rechtsanwalt Thomas Urmann. Gegen die Kanzlei läuft eine Regressklage.

    http://www.regensburg-digital.de/ermittlungen-gegen-porno-pranger-anwalt/02042013/

    Comment by Franzy — 2.04, 2013 @ 18:50

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