Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

13.11.12

Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaften im rechtsfreien Raum

In dem Strafprozess wegen der NSU-Morde hat die Bundesanwaltschaft die Medien über den Inhalt der Anklageschrift unterrichtet, bevor die Anklageschrift den Angeklagten bzw. ihren Verteidigern überhaupt zur Kenntnis gegeben wurde. Im Falle des Wettermoderators Jörg Kachelmann wurde die Öffentlichkeit umgehend über die Festnahme informiert und auch im Laufe des Verfahrens waren immer wieder Verfahrensdetails in der Presse zu lesen, die z.T. nur von den Ermittlungsbehörden lanciert worden sein konnten. In der hiesigen Regionalpresse wurde vor einigen Tagen über einen „Justizstreit“ zwischen der Staatsanwaltschaft Landshut und dem Amtsgericht Freising berichtet. Hintergrund ist die Weigerung des Amtsgerichts, den Termin einer – nichtöffentlichen – Verhandlung vor dem Jugendstrafrichter wegen versuchter Strafvereitelung der Presse mitzuteilen. Das habe, so die Pressberichterstattung, bei der Staatsanwaltschaft für Unverständnis gesorgt, weil man dort der Ansicht ist, dass die versuchte Strafvereitelung im Zusammenhang mit einem spektakulären Mordprozess steht und deshalb ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit gegeben sei. Das Amtsgericht sieht demgegenüber ein überwiegendes Schutzbedürfnis der im Tatzeitpunkt minderjährigen Angeklagten.

Alle diese Fälle zeigen, dass die Staatsanwaltschaften und z.T. auch Polizeibehörden die Medien ganz offiziell und gelegentlich auch weniger offiziell mit Informationen versorgen, um damit das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, oder in vielen Fällen eher die Sensationslust, zu befriedigen.

Man kann sich deshalb schon mal die Frage stellen, auf welcher rechtlichen Grundlage die Staatsanwaltschaften hier eigentlich agieren. Und die knappe Antwort lautet: Es gibt keine. Die Pressearbeit der Staatsanwaltschaften ist gesetzlich überhaupt nicht geregelt. Wenn man das Handeln der Staatsanwaltschaften danach schulmäßig prüft, ist man mit der Rechtsprüfung an sich schnell zu Ende. Denn einer der wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätze lautet: Kein Eingriff ohne gesetzliche Grundlage. Soweit also in Grundrechte des Beschuldigten eingegriffen wird – und das ist bei einer personenidentifizierenden Pressearbeit regelmäßig der Fall – ist diese Öffentlichkeitsarbeit schlicht rechtswidrig.

Henning-Ernst Müller hat im Beck-Blog bereits vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass das Ermittlungsverfahren nach dem derzeitigen gesetzlichen Konzept nicht öffentlich ist und gleichzeitig die staatsanwaltliche Öffentlichkeitsarbeit im Ermittlungsverfahren über keine bzw. nur ganz unzureichende Rechtsgrundlagen verfügt. Auch der Umstand, dass die öffentliche Mitteilung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schriftstücke eines Strafverfahrens nach § 353d StGB sogar strafbar ist, solange sie nicht in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind, kann in diesem Kontext ebenfalls nicht unbeachtet bleiben. Unabhängig davon, ob im Einzelfall sogar eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift in Betracht kommt, bringt die Regelung nämlich den Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Öffentlichkeit grundsätzlich nicht über Ermittlungsverfahren und auch nicht über Anklageerhebungen zu informieren ist. In diese Richtung hat sich auch der frühere Verfassungsrichter Winfried Hassemer geäußert.

Die juristische Bewertung ergibt meines Erachtens daher recht eindeutig, dass die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften in Teilen schlicht rechtswidrig ist. Die Staatsanwaltschaften agieren bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit vielfach im rechtsfreien Raum und ohne jegliche rechtliche Grundlage. Nur der Gesetzgeber kann in diesem Bereich klare Befugnisse schaffen. Das erscheint mehr denn je auch notwendig, denn der Trend zu einer immer forscheren Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften ist ungebrochen.

posted by Stadler at 21:26  

8 Comments

  1. § 353d StGB: „… ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut (!) öffentlich mitteilt … “ – soweit es die causa Zschäpe betrifft, ist es also schlichter Unfug, was Sie schreiben.

    Im Übrigen ist es, gemessen am mittlerweile erreichten Vertiefungsniveau in der juristischen Diskussion (vgl. z.B. Gounalakis, NJW 2012, 1473 m. zahlr. Nachw.), ganz einfach zu platt – da bietet jede Übungsarbeit von Jurastudenten Besseres.

    Comment by Gast — 13.11, 2012 @ 22:41

  2. Der „rechtsfreie Raum“ ist in den Landespressegesetzen mit dem dortigen Auskunftsanspruch durchaus geregelt. Jedenfalls wenn die Presse nachfragt, nicht bei (pro)aktiver Öffentlichkeitsarbeit. Und vielleicht sollten Sie auch mal überlegen, dass Vertreter der selbst ernannten, aber demokratisch in keiner Weise legitimierten „Vierten Gewalt“ in durchaus offensiver Weise (Drohen mit Dienstaufsichtsbeschwerden u.a.) versuchen, diese Ansprüche durchzusetzen.
    Ansonsten: mir wäre es durchaus lieber, wenn Staatsanwaltschaften nichts berichten, wenn die Presse dann aber nicht nur abschreibt, was ihr die redseligen und (auch) zum Zweck der Mandantengewinnung bei ihren Äußerungen manchmal recht forschen Verteidiger diktieren. Dann kommen auch keine Presseartikel heraus, die überschrieben sind mit „Ein Mord, der keiner war“ , bevor die Hauptverhandlung zum zweiten Mal mit Urteil lebenslänglich wegen Mordes beendet ist (Süddeutsche Zeitung).

    Comment by klabauter — 13.11, 2012 @ 22:56

  3. “Rechtsfrei“ ist der “Raum“ sicher nicht. Sie schreiben ja selbst, dass es klare Grenzen gibt, in diesem Fall das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf ein faires Verfahren. Wenn es keine Rechtsgrundlage gibt, darf die StA nicht in Grundrechte eingreifen.
    Somit könnte (und er wird dies tun, wenn er sein Handwerk versteht) der Verteidiger von Frau Z. dies im Verfahren rügen.
    Ich will nicht spitzfindig sein, aber die Formulierung “rechtsfreier Raum“ bietet immer Angriffsfläche und sie trifft praktisch nie zu.

    Comment by Duke — 14.11, 2012 @ 09:12

  4. „Das erscheint mehr denn je auch notwendig, denn der Trend zu einer immer forscheren Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften ist ungebrochen.“

    Och, als Unbeteiligter sehe ich aber eher eine forschere Vorgehensweise bei den jeweiligen Rechtsanwälten, Prozessbeteiligten (Kachelmann, Magnus Gäfgen) oder Verurteilten (Sedlmayr-Mörder). Insofern: Waffengleicheit.
    Schade, dass es keinen Staatsanwalts-Blog gibt (oder doch?). Einfach nur, um auch die andere Seite zu hören.

    Comment by Hardy — 14.11, 2012 @ 11:50

  5. Auf ein Staatsanwalts-Blog würde ich mich auch freuen. Audiatur et altera pars.

    Ruhig auch Richterblogs. Das letzte interessante, von Burschel, ist ja leider – wegen Verbeißens in das Vetter-Blog – geschlossen werden.

    Comment by OG — 14.11, 2012 @ 11:56

  6. Das ist eins ehr guter Beitrag, der m.E. immer mehr an Bedeutung gewinnt, da Prozesse immer mehr aufgrund von Skandalisierungswut und Voyeurismus von den Medien begleitet werden anstatt aufgrund eines Aufklärungswillens. Allerdings stimmt der Beitrag nicht so ganz, denn die StAs agieren nicht im völlig rechtsfreien Raum. Da es sich bei ihnen um Behörden handelt, ergibt sich die Auskunftsverpflichtung aus den Landespressegesetzen, in NRW etwa aus §4 Landespressegestz NRW: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“ Dort ist sogar für schwebende Verfahren (egal, ob Zivil-, Straf-, Verwaltungs- oder was auch immer für ein Verfahren, die von Behörden betrieben werden oder bei Gerichten anhängig sind): „§4 (2) Ein Anspruch auf Auskunft besteht nicht, soweit 1. durch sie die sachgemäße Durchführung eines schwebenden Verfahrens vereitelt, erschwert, verzögert oder gefährdet werden könnte oder 2. Vorschriften über die Geheimhaltung entgegenstehen oder 3. ein überwiegendes öffentliches oder ein schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde oder 4. deren Umfang das zumutbare Maß überschreitet.“ Die StA hat hier also, wie jede Behörde bei jedem x-beliebigen Auskunftsersuchen der Presse auch, lediglich das verfassungsmäßige Recht der Presse gegen das ebenfalls verfassungsmäßige Schutzinteresse des Indivisuums abzuwägen und daraufhin eine Entscheidung über freizugebende Informationen zu treffen. Träfe die Aussage, die StA agiere bei Presseauskünften im rechtsfreien Raum, vollumfänglich zu, dann wäre auch jede andere Behörde von dieser Grauzone betroffen, weil es für Umweltämter, Sozialministerien, Poliziebehörden usw. ebenfalls neben den entsprechenden Pressegesetzen und ggf. internenen Erlassen und Dienstanweisungen keine weiteren gesetzlichen Regelungen gibt, die die Landespressegesetze präzisieren würden.

    Comment by Bertold L. Wepertow — 16.11, 2012 @ 08:05

  7. „Auch der Umstand, dass die öffentliche Mitteilung der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schriftstücke eines Strafverfahrens nach § 353d StGB sogar strafbar ist, solange sie nicht in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind, … “ Auch diese Aussage aus dem Text stimmt nicht ganz: Verboten ist die Veröffentlichung von Informationen nach § 353d (1) nur dann, wenn ihr ein (selbstverständlich dem Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 GG u. § 1 StGB entsprechendes) gesetzliches Verbot ausdrücklich [sic!] entgegensteht, oder nach § 353d (3) StGB „die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist“ – wichtig ist hier vor allem, dass tatbestandlich die wortwörtliche (!) Wiedergabe „ganz oder in wesentlichen Teilen“ (!) erfolgt sein muss. Ein grundsätzliches Verbot der Veröffentlichung von Informationen aus Schriftstücken aus dem Strafverfahren vor der öffentlichen Verhandlung oder dem Abschluss ist hiernach also aus § 353d StGB nicht abzuleiten.

    Comment by Bertold L. Wepertow — 16.11, 2012 @ 08:21

  8. Wenn die Staatsanwaltschaft in prominenten Fällen Verdächtige in den schwarzen Benz bittet, dann ist die Presse stets dabei. Man fragt sich, ob die Staatsanwaltschaften in diesen Fällen eine Mitfahrgelegenheit anbieten und sich für die Infos bezahlen lassen. Da wird man die Krawall-Presse mal auspressen müssen, welcher Rubel da rollt. Früher oder später wird immer ausgepackt.

    Allgemein ein unterirdisches Verhalten der Staatsanwaltschaften, welches sich übrigens schon bei manchem Urteil als strafmildernd herausgestellt hat.

    Gruß

    Comment by Roland — 16.11, 2012 @ 14:37

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