Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

20.4.12

Notwehr gegen Paparazzo

Ein Angeklagter eines Strafverfahrens wurde im Treppenhaus des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek von einem Fotografen einer großen deutschen Boulevard-Zeitung gegen seinen Willen fotografiert.

Der Angeklagte hat den Fotografen zunächst aufgefordert, das Fotografieren einzustellen. Der Fotograf reagierte darauf aber nicht. Auch die erneute lautstarke Aufforderung, das Fotografieren einzustellen, ignorierte der Fotograf und schlug dem Angeklagten vor, er möge sich doch ein Blatt Papier oder die mitgeführte Tasche vor das Gesicht halten. Der Angeklagte hielt sich stattdessen zunächst die Hand vor das Gesicht, ging dann, als der Fotograf weiter fotografierte, wütend auf ihn zu, holte mit dem rechten Arm aus und schlug mit der flachen Hand wuchtig gegen das Objektiv der Kamera, die der Fotograf gerade vor sein Gesicht hielt. Durch den Schlag wurde die Kamera in das Gesicht des Fotografen gedrückt.

Das Landgericht Hamburg hat wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt und die Annahme einer Notwehr abgelehnt. Das Fotografieren in einem öffentlichen Gerichtsgebäude anlässlich einer öffentlichen Hauptverhandlung auch gegen den erklärten Willen des Angeklagten stelle keinen rechtswidrigen, notwehrfähigen Angriff dar, der einen Schlag gegen die Kamera rechtfertige, so das Landgericht.

Das hat das OLG Hamburg anders gesehen und das Urteil mit Beschluss vom 5. April 2012 (Az.: 3-14/12) aufgehoben und zurückverwiesen. Das Oberlandesgericht geht zunächst davon aus, dass die Kamera kein gefährliches Werkzeug darstellt, weshalb eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung ausscheidet.

Anschließend erläutert das OLG, dass es das Fotografieren auf dem Gerichtsgang als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht (Recht am eigenen Bild) des Angeklagten betrachtet. Eine Berichterstattung über ein Strafverfahren rechtfertigt es nicht in jedem Fall, den Angeklagten zu fotografieren. Das OLG verweist hierzu auf die Rechtsprechung des BVerfG, wonach die dem Täter entstehenden Nachteile im rechten Verhältnis zur Schwere der Tat oder ihrer sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen muss. Da es sich vorliegend um einen Fall der Kleinkriminalität gehandelt hat an dem kein besonderes öffentliches Interesse bestand, war das Verhalten des Fotografen rechtswidrig.

War das Fotografieren aber ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff, dann durfte der Angeklagte sich dieses Angriffs grundsätzlich auch mit Gewalt erwehren. Hierzu führt das OLG aus:

Der Schlag gegen die Kamera ist grundsätzlich geeignet, ein rechtswidriges Fotografieren zu beenden. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, dass dem Angeklagten ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden haben könnte. Der Angeklagte musste sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts. Er durfte vielmehr die Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendete. Die Feststellungen ergeben auch nicht, dass der zur Tatzeit 58-jährige Angeklagte in der Lage gewesen wäre, mit weniger Gewaltanwendung, etwa durch einfaches Wegnehmen der Kamera, den Angriff zu beenden.

 

posted by Stadler at 12:16  

18 Comments

  1. Befriedigend, dass das OLG mit tragfähiger Begründung das Urteil der Vorinstanz aufhebt.
    Krasse Rechtsbeugung scheint jedoch das Landgericht Hamburg auf Betreiben der BILD-Zeitung begangen zu haben, allein die Qualifizierung bei der Kamera deutet auf leichtfüssige Rechtsunkenntnis gepaart mit unbedingtem Verurteilungswillen.

    Comment by Christiane Martens — 20.04, 2012 @ 14:22

  2. Ergibt sich die Frage, weshalb anwesende Justizvollzugsbeamte und Polizisten nicht zugunsten des Angeklagten eingegriffen haben.

    Comment by Dierk — 20.04, 2012 @ 16:27

  3. @Christiane Martens: Laut Udo Vetter kommt das bei Gerichten sehr häufig vor, dass allerlei relativ harmloses Zeug als gefährliche Waffe eingestuft wird, kannst ja mal das lawblog durchsuchen. ;-)

    Comment by Drizzt — 20.04, 2012 @ 17:48

  4. Die Begründung ist mal wieder köstlich:
    „..denn der Angriff betraf die Abbildung seiner gesamten Person, nicht nur die seines Gesichts.“

    Von einem Angriff kann man wohl nur sprechen, wenn die Person identifiziert werden kann, und das geht halt nur über die Erkennung des Gesichts. Es sei denn, die Person hat einen dritten Arm, Doppeltorso o.Ä., würde also aussehen wie ein Extraterrestrier. Daran haben die obigen Richter wohl auch gedacht, denn wer so Begründet kann nicht von der Erde sein.

    Comment by Martin — 21.04, 2012 @ 08:19

  5. Ich dachte immer, Notwehr gegen AUFNAHMEN sei per se unzulässig, weil nicht schon die AUFNAHME rechtswidrig erfolgt, sondern die Verbreitung.

    Comment by fernetpunker — 22.04, 2012 @ 23:14

  6. @Martin: Eine Person gilt schon als identifizierbar, wenn Bekannte und Freunde ihn auf dem Foto identifizieren können, sie muss nicht für die Allgemeinheit erkennbar sein. Daher kann auch schon ein auffälliges Kleidungsstück, gepaart mit der Statur, Frisur etc. ausreichen, um ein Foto als nicht ausreichend anonymisiert zu klassifizieren.

    @fernetpunker: Es gibt unterschiedliche Gesetze, die das Thema behandeln. Das Urheberrecht beschäftigt sich im wesentlichen mit der Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken (Bildnisse von Personen sind davon aber nicht abgedeckt). Das Recht am eigenen Bild (Kunsturheberrechtsgesetz) bestimmt, unter welchen Umständen bereits die Anfertigung von Bildnissen von Personen legal / illegal ist.

    Comment by David — 23.04, 2012 @ 09:53

  7. Hallo fernetpunker

    Das ist so nicht richtig.
    Wenn du eine Person fotografieren willst, brauchst du erst deren Zustimmung. Wenn die Person durch ihr Verhalten anzeigt, dass sie nichts dagegen hat, kann man von einer Zustimmung ausgehen.
    Eine schriftliche Bestätigung ist auf alle Fälle besser.
    (Es gibt auch Ausnahmen, wenn die Person nur Beiwerk ist oder aktiv an einer öffentlichen Veranstaltung teilnimmt, aber das würde jetzt den Rahmen sprengen.)
    Und nur weil du die Erlaubnis bekommen hast, die Person zu fotografieren, bedeutet das nicht automatisch, dass du das Bild veröffentlicht darfst. Dazu benötigst du eine weitere Zustimmung.

    Gruß
    Der Tom

    Comment by Der Tom — 23.04, 2012 @ 10:15

  8. Sehr schön ja auch unter IV. das „Kochrezept“ für die neue Verhandlung :-).

    Comment by Tim Landscheidt — 23.04, 2012 @ 12:44

  9. Ich will hoffen das es sich um Satire handelt. Es kann doch nicht gueltiges Recht in Deutschland werden, dass Fotografieren einer Person als „rechtswiedrigen Angriff“ zu werten!

    Der Schlaeger ist hier doch eindeutig der ohne Kamera. Ohne wenn und aber. Die Aufhebung des Urteils ist vielleicht unter berueksichtigung der schwere des Vorwurfes (Gefaehrliche! Koerperverletzung) fragwuerdig aendert aber nichts daran das der Fotografierte hier der Angreifer ist. Das verletzen der Persoehnlichkeitsrechte ist doch keine Notwehr Grund. Das ist doch irre, solche Aussagen. Der naechste schiesst dann mal Kurzerhand auf den google Streetview Wagen und sollte dann wohl das Bundesverdienstkreuz bekommen. UNFASSBAR

    Comment by Maro — 23.04, 2012 @ 13:09

  10. Das Fotografieren zum Zweck des „An-den-Pranger-stellen“ als wesentlicher Bestandteil des Springerschen Hinrichtungsjournalismus sollte unter Strafe stehen. Handelt es sich hierbei nicht sowieso um Unterstüzung einer kriminellen Vereinigung? Ist Prügelstrafe da vergleichsweise nachrangig?

    Comment by klaus — 23.04, 2012 @ 14:03

  11. Wenn sich jemand von einem rechtswidrigen Handeln nicht durch Worte abbringen läßt, ist es durchaus statthaft eine Stufe härter vorzugehen.

    Was also sollte der Typ sonst machen? Der Fotograph hat rechtswidrig gehandelt und wollte damit weitermachen. Er wurde ermahnt sein Handeln zu unterlassen. Offensichtlich mehrfach, vermutlich in nicht sehr freundlichen Worten, also eindeutig ernst gemeint.

    Jeder Eingriff in die eigene Rechte ist ein Angriff. Wenn jemand mein Auto demoliert ist das ein Angriff auf mein Eigentumsrecht. Wenn jemand in mein Haus eindringt ist das auch ein Angriff. Und wenn jemand in andere Rechte von mir eingreift ebenso.

    Von daher: Yup, Wenn das Fotographieren in der Situation zu Unrecht erfolgte, ist es erlaubt sich dagegen zu wehren.

    Wenn der Typ gleich zugeschlagen hätte, dann wäre es nicht richtig. Er musste erst versuchen, den Angriff anders abzuwehren. Aber das hat ja nicht geholfen.

    Comment by Icke — 23.04, 2012 @ 19:01

  12. Hier liegt ein tiefgreifendes nicht verstehen des deutschen Notwehr/Nothilfe Gesetzen vor.
    Das demolieren eines Auto, dass eindringen in ein fremdes Haus und auch das verletzen von perseohnlichkeitsrechten ist eine Tat gegen BESITZ! Damit ist es kein rechtswiedriger Angriff auf eine PERSON! Dieses fuehrt dazu das hier nur die Nothilfe Paragraphen des BGB gelten und die sagen klar aus: Zuerst Staatliche Hilfe anfordern (in einem Gerichtsgebaeude soll diese nicht vorhanden sein? nicht glaubhaft) Damit ist der Angreifer im Unrecht den er begeht eine Straftat nach StGB. Es ist doch offensichtlich das der Glauben vorherscht in Deutschland exestiert Faustrecht, dabei ist ein Einbruch/SAchbeschaedigung oder weiss der Teufel keinerlei Gruende Gewalttaetig zu reagieren!
    Erstaunlich seit Jahren beschwehren sich die Deutschen, dass Eigentumsdelikte immer schwerer bestraft werden denn Gewaltdelikte aber dann kommt so ein seltsames Gericht und entscheidet fuer Faustrecht, ooh Joy.

    Comment by Maro — 23.04, 2012 @ 20:37

  13. @Maro: was hast du denn genommen? klingt ja recht komisch, was du so schreibst. und es liest sich auch komisch, aber das nur nebenbei.
    wenn du dir so sicher bist, daß das urteil falsch ist – wieso bist du kein jurist? ich gehe jedenfalls davon aus, daß du keiner bist, sonst würdest du anders schreiben – es sei denn, es liegt an dem, was du genommen hast …
    und nothilfe ist es schon gar nicht, da der beschuldigte nicht einem dritten zur seite sprang; du meintest also notwehr. diese wiederum gilt als verteidigung gegen einen gegenwärtigen und rechtswidrigen angriff gegen die eigenen rechtsgüter („individualrechtsgüter“), worunter gerade NICHT NUR materielle güter verstanden werden sondern auch immaterielle.
    aber nimm weiter das, was du bisher genommen hast, und die welt ist für dich in ordnung.

    Comment by ente — 23.04, 2012 @ 22:28

  14. @Maro: Wenn man nur ein Semester Jura studiert hat oder überhaupt nicht oder im Gegenteil mehrere Semester Jura studiert hat und immer noch nichts versteht, dann gilt vereinfachend gesagt Folgendes: Wer keine Ahnung hat sollte einfach mal die Klappe halten!

    Comment by Dirk — 23.04, 2012 @ 22:39

  15. Was mich an der Sache wundert: So wie ich die Rechtslage auch nach mehrmaligem Recherchieren verstehe, schränkt das Kunsturhebergesetz nur die Veröffentlichung (Verbreitung, Zurschaustellung) von Bildern ein, nicht schon deren Anfertigung. Die einzige Einschränkung hinsichtlich der Aufnahme von Bildern ist nach meiner Kenntnis § 201a StGB, und der dürfte hier wohl nicht einschlägig sein. Woher kommt also die Auffassung, das Fotografieren sei hier bereits rechtswidrig gewesen?

    Comment by Mathias Leenders — 24.04, 2012 @ 09:23

  16. @David:
    Nicht das ich ein Freund davon wäre, dass Personen überall fotografiert werden dürfen, ich bleibe dabei, dass man von einem Angriff nur sprechen kann, wenn die Person identifizierbar ist. Das geht halt grundsätzlich über die Erkennung des Gesichts. Natürlich kann man auch durch andere Merkmale oder Merkmalskombinationen eine Erkennbarkeit erzeugen. Dies ist aber dann meist alles andere als eindeutig. Der Notwehrübende trägt hierfür auch das Risiko, denn die Bedrohung durch die fragliche Handlung, muss sich im Nachhinein als real erweisen. Offensichtlich ist das Gericht aber auf diese Frage gar nicht eingegangen.
    Grüße

    Comment by Martin — 24.04, 2012 @ 11:47

  17. @ Ente & @Dirk: Euer Rechtsverstaendniss moechte ich haben. Da speziell @Ente die immateriellen Gueter so betont muss ich fragen ob ich @ente jetzt die Nase brechen darf? Er hat mich (wie @Dirk) hier persoehnlich angegriffen und meine Rechte verletzt, nach seinen lustigen Ansichten ist es mir jetzt mit allen Mittln gestattet dieses zu unterbinden. Wuerden die beiden mir bitte Ihre Adresse geben?
    Faustrecht ist Faustrecht und wenn man das nicht kapiert ist es eben so. Apropos, Gerichte haben sich auch in der Vergangeheit heftig vergaloppiert, niemand ist unfehlbar. Ausser man will jeder Art von Rechtsverletzung gewaltaetig begegnen. Ohh Joy

    Comment by Maro — 24.04, 2012 @ 15:35

  18. Irgendwie verstehe ich die Diskussion über den Angriff des Fotografen nicht. Ist im Urteil doch ausdrücklich erklärt.
    Außerdem wundere ich mich immer, dass Laien es soviel besser wissen als die OLG-Richter…

    Comment by NR — 24.04, 2012 @ 19:02

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