Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.2.12

Ist die ACTA-Hysterie berechtigt?

Wer versucht, sich über die Inhalte des sog. Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) zu informieren, hat es nicht leicht. Im Netz finden sich zwar jede Menge aufgeregter Aufrufe, die sich aber fast durchgehend durch eine starke Faktenarmut auszeichnen. Es betrübt mich richtiggehend, dass auch viele Falschinformationen verbreitet werden. Die aktuelle Diskussion ist leider in weiten Teilen äußerst unsachlich. Es gibt gute Gründe sich gegen ACTA auszusprechen, aber man sollte seriös argumentieren.

Wenn man sich den ACTA-Text anschaut, dann findet man dort fast nichts, was nicht in Deutschland ohnehin schon geltendes Recht wäre. ACTA geht allerdings punktuell über die bisherigen Regelungen des europäischen Rechts hinaus, was von Rechtswissenschaftlern kritisiert wird. Diese Feststellung ist einerseits erschreckend, weil sie belegt, dass Deutschland gerade in den letzten 10 Jahren das Urheberrecht und den gewerblichen Rechtsschutz fortlaufend zugunsten der Rechteinhaber verändert hat und praktisch alles was ACTA verlangt, längst umgesetzt hat.

Andererseits sind damit aber Thesen, wie man sie im Piratenpad lesen kann, wonach ACTA ähnlich wie SOPA eine Internetzensur einführen, eine Strafbarkeit der Privatkopie begründen und neue Grenz- bzw. Zollbefugnisse schaffen würde, fast durchgehend falsch.

Die spezifisch das Internet betreffenden Regelungen finden sich in Art. 27 des Abkommens. Die dortigen Forderungen nach einem wirksamen strafrechtlichen und zvilrechtlichen Vorgehen gegen Rechtsverletzungen (siehe z.B. §§ 97 ff. UrhG und §§ 106 ff. UrhG), nach Auskunftsansprüchen gegen Provider (siehe: § 101 UrhG, § 19 MarkenG) und nach Rechtsvorschriften zum Schutz technischer Maßnahmen, also Kopierschutz (siehe: §§ 95 a ff. UrhG), sind im deutschen Recht allesamt bereits vorhanden. Auch Netzsperren oder ein Three-Strikes-Modell sieht ACTA, entgegen anderslautender Behauptungen, nicht vor. Auch die des öfteren aufgestellte Behauptung, ACTA würde Internet-Provider dazu verpflichten Online-Inhalte zu überwachen, findet im Vertragtext keine Stütze.

Die vorsätzliche Verletzung von Urheberrechten (§§ 106 ff. UrhG) und gewerblichen Schutzrechten (siehe z.B. §§ 143 ff. MarkenG) ist in Deutschland längst strafbar, auch wenn teilweise etwas anderes behauptet wird. Die Strafbarkeit der Verletzung von Urheberrechten ist nach deutschem Recht auch nicht auf eine gewerbsmäßige Rechtsverletzung beschränkt, diese ist vielmehr „nur“ ein Strafschärfungsgrund.

Ein Recht auf Privatkopie im Wege des Filesharing gibt es nach deutschem Recht ohnehin nicht, was der Gesetzgeber in § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG noch ergänzend dadurch klargestellt hat, dass eine privilegierte Privatkopie ausscheidet, wenn eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Kopiervorlage verwendet wird.

Auch die Beschlagnahmebefugnisse des Zoll sind als sog. Grenzbeschlagnahme im deutschen Recht bereits umfassend geregelt. Hierzu empfehle ich die Lektüre der §§ 146 ff. MarkenG, 142a PatG oder 111b UrhG. Auch insoweit bingt ACTA nicht viel Neues.

Wer sich gegen ACTA ausspricht, der muss sich also in einem ersten Schritt bewusst machen, dass ACTA im Vergleich zur geltenden deutschen Rechtslage keine Verschärfung mehr mit sich bringt, weil entsprechende Regelungen in Deutschland – anders als in manchen anderen Ländern – längst vorhanden sind.

Weshalb es aus meiner Sicht dennoch gute Gründe gibt, gegen ACTA zu sein, habe ich in einem anderen Beitrag erläutert. ACTA zememtiert eine urheberrechtliche Richtungsentscheidung, die einseitig die Rechteinhaber begünstig und wenig Rücksicht auf das Gemeinwohl nimmt. Wir brauchen m.E. eine andere Weichenstellung im Urheberrecht, weil das jetzige System weder funktioniert noch einen fairen Ausgleich schafft und u.a. im Bereich von Wissenschaft und Bildung – aber nicht nur dort – zu schädlichen Einschränkungen führt.

Wenn man ACTA kritisiert, dann sollte man sich dennoch an die sachlich zutreffenden Argumente halten.

Update:
Noch eine kurze Ergänzung, die sich mir aufgrund der aktuellen Twitter-Diskussion aufdrängt. ACTA ist ein völkerrechtlicher Vertrag und kein Gesetz. Gebunden werden damit also nur die Mitgliedsstaaten – in unserem Fall die EU – und nicht der Nutzer oder Provider. Die Mitgliedsstaaten müssen ACTA dann in innerstaatliches Recht umsetzen. Die EU wird diese Regelungen vermutlich in Form einer Richtlinie bzw. einer Ergänzung der sog. Enforcement-Richtlinie umsetzen. Für das deutsche Recht sehe ich auf den ersten Blick keinen nennenswerten Änderungsbedarf, weshalb ich mir vorstellen kann, dass man unsere nationalen Gesetze wie das UrhG, MarkenG oder PatG aufgrund des ACTA-Abkommens überhaupt nicht ergänzen wird.

posted by Stadler at 17:01  

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