Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

29.12.11

Vorratsdatenspeicherung: Bayerns Innenminister gibt erneut den Populisten

Der bayerische Innenminister, der als vehementer Verfechter einer Vorratsdatenspeicherung bekannt ist, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gestern folgendes gesagt:

Man muss den Normalbürgern auch sagen: Es geht um nichts anderes bei dieser Vorratsdatenspeicherung als Daten, die früher von der Bundespost oder der Telekom ganz selbstverständlich allein wegen der Rechnungslegung für ihre Kunden gespeichert wurden, und die inzwischen nicht mehr gespeichert wurden, weil es Flatrate gibt, und deshalb es nicht mehr von Belang ist, wie oft jemand telefoniert hat, dass genau diese Daten wieder so wie früher gespeichert werden.

Diese Aussage Herrmanns kann man auch bei wohlwollender Betrachtung nicht einmal mehr als Halbwahrheit bezeichnen.

Die Telekom hat Telefonverbindungsdaten (Festnetz) vor dem Internet- und Mobilfunkzeitalter 80 Tage lang zu Abrechnungszwecken gespeichert. Durch die Vorratsdatenspeicherung sollen u.a. Telefonverbindungsdaten (Festnetz und Mobilfunk), Standortdaten im Mobilfunkbereich und IP-Adressen verbindlich für die Dauer von sechs Monaten gespeichert werden. Das geht quantitativ und qualitativ erheblich über die frühere Speicherpraxis hinaus.

Auch die Aussage, die Verbindungsdaten würden wegen der vielen Flatrates anders als früher von den Telekommuniaktionsunternehmen nicht mehr gespeichert ist, ist zumindest in Teilen falsch. Wie eine Aufstellung der Generalstaatsanwaltschaft München belegt, ist die tatsächliche Speicherpraxis der TK-Unternehmen doch deutlich anders, als Minister Herrmann behauptet. Einige Provider speichern auch ohne Vorratsdatenspeicherung sogar noch länger als früher die Telekom.

In diesem Zusammenhang scheint mir auch immer eine Gesamtbetrachtung relevant, die der Bundesdatenschutzbeauftragte einmal als „Überwachungsgesamtrechnung“ bezeichnet hat. Den meisten Bürgern ist überhaupt nicht bewusst, über welche Fülle an Möglichkeiten die Polizeibehörden im Bereich der Telekommunikationsüberwachung verfügen und in welchem Umfang Telekommuniaktionsdaten von Bürgern auch ohne Vorratsdatenspeicherung erfasst werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu zynisch, wenn man dem Bürger immer wieder vorgaukelt, der Staat würde sich ohnehin maßvoll verhalten und der Normalbürger hätte eh nichts zu befürchten. Dass sich der Staat gerade nicht maßvoll verhält, sondern in zahlreichen Fällen jedwede Verhältnismäßigkeitsbetrachtung vermissen lässt, belegen Fälle wie die der Funkzellenüberwachung in Dresden Anfang des Jahres.

Der Staat verfügt insgesamt in mehr als ausreichemdem Maße über Befugnisse, um terroristische Vereinigungen und Mörder zu verfolgen. Darum geht es bei der Vorratsdatenspeicherung aber, entgegen anderslautender Behauptungen, auch gar nicht. Mit diesem Instrument kann man allenfalls im Bereich der Massenkriminalität einen geringfügigen zusätzlichen Effekt erzielen. Und genau das sollte man dem Normalbürger sagen.

Dass die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle über 10 Jahre hinweg derart desaströs verlaufen sind, liegt nicht an fehlenden gesetzlichen Möglichkeiten, sondern an einem Versagen der Ermittlungs- und Verfassungsschutzbehörden bundesweit. Vor der zentralen Rolle, die bayerische Behörden in dieser Frage spielen, verschließt Innenminister Herrmann übrigens weiterhin die Augen, obwohl fünf der Morde auf bayerischem Boden stattgefunden haben.

Wenn man bei derartigen Ermittlungen nachhaltige Verbesserungen erreichen will, dann muss man an die Strukturen ran. Das V-Mann-Wesen muss vollständig umgestaltet werden, die Verfassungsschutzbehörden müssen abgeschafft oder komplett umgebaut werden. Wesentlich ist es sicherzustellen, dass alle behördlichen Erkenntnisse auch tatsächlich zu den gerade ermittelnden Polizeibehörden durchdringen. Und vor allen Dingen müssen die Polizeibehörden sachlich und personell besser ausgestattet werden. Diejenigen Maßnahmen, die tatsächlich sinnvoll sind, kosten allerdings entweder Geld oder werden auf erheblichen Widerstand in Teilen der Verwaltung stoßen. Da ist es natürlich allemal einfacher, den Populisten zu geben und nach einer Vorratsdatenspeicherung zu rufen. Dass er das kann, hat Joachim Herrmann bereits bewiesen. Ob er allerdings auch in der Lage ist, notwendige und sinnvolle Reformen bei den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden anzustoßen und auf den Weg zu bringen, darf man bezweifeln. Denn damit hätte Herrmann schließlich längst beginnen können.

posted by Stadler at 11:49  

13 Comments

  1. Dresden ist ein schlechtes Beispiel, da in Sachsen im Gegensatz zum Rest der Republik keine (Pseudo-) Demokratie sondern eine Art moderner Feudalherrscharf existiert ;-)

    Comment by Heiko — 29.12, 2011 @ 11:54

  2. Es gibt keine rationalen Argumente, dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit durch eine generelle Präventivüberwachung der Bürger gäbe. Gäbe es sie, müssten die Sicherheitspolitiker mit gleicher Verve fordern, dass die Post bei jedem Brief aufschreibt, wer an wen schriebt und die Daten 6 Monate oder länger EU-kompatibel speichert. Bei der Briefpost traut sich aber keiner so zu erblöden wie der Rechte Rand beim angeblichen „rechtsfreien Internet“.

    Im Gegenteil: wir sehen ja, dass alle Kompromisse, die man dem rechten Rand gemacht hat, für die Katz waren: trotz großen Lauschangriffes im ehelichen Schlafzimmer angeordnet durch Polizisten, Terrorgesetze von Schily, militärischer(sinnloser) Bekämpfung des angeblichen Terrors seit 10 Jahren in Afghanistan mit 5,5 Mrd. € Aufwand für Massentötungen wie in Kunduz (unter Abschaffung des rechtlichen Gehörs bei Terroristen) und vielen andern Überwachungsmaßnahmen, shen wir, dass der rechte Rand den Nazi-Terror nicht bekämpft sondern bundesweit unterstützt. Personelle und finanziell werden Massenmörder vom Staat unterstützt und mitnichten bekämpft. Da passt auch die Hetzkampagane der Frau Köhler, CDU, gegen Marxisten und Sozialisten als linke Extremisten ohne dass die Nazi-Banden am rechten Rand von Frau Köhler mit gleichem Eifer bekämpft würden.

    An den Nazi-Müördern sieht man also, dass es dem rechten Rand bei der VDS nicht um Terrorbekämpfung geht. Es geht dieser Tage nur um Herumprollen gegen die FDP. Ohne Sinn und Verstand. Schweden wird die EU-VDS nicht umsetzen, zwei weitere Länder auch nicht. Die EU selber weiss auch, dass sie mit der Richtlinie Mist gemacht hat und lässt sie gerade evaluieren. Das bedeutet, dass diese Richtlinie so nicht umgesetzt werden wird (wie die EU-DLR im ersten Wurf auch um 180 Grad anders aufgesetzt war). Weil die Bevölkerung gerade umkippt. Die Piraten gelangen schneller in die Parlamente als man mit Angst vor angeblichen Terroristen die Bürger unterdrücken kann. Das Gesülze des rechten Randes dieser Tage um die VDS hat also keinen Verbrechensbekämpfungshintergrund, sondern ist nur politische Reaktion auf den Machtverlust des rechten Randes (siehe Bayern, NRW usw.).

    Bei der EU-DLR-Richtlinie hat der rechte Rand auf eine Umsetzung auch geschissen und die nationale Gesetzgebung verhindert die Umsetzung des Artikels 8 der EU-DLR. Der rechte Rand bei uns ist nicht Europa-freundlich. Er will nur den Bürger unterdrücken.

    Das Theater geht vorbei. Die VDS wird nicht kommen, so wie das Zugangserschwerungsgesetz wieder weg ist. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht heute gesagt hat, dass Beweise, die mit dem großen Lauschangriff im ehelichen Schlafzimmer erhoben werden, natürlich nicht nur bei schwersten Straftaten verwendet werden dürfen, sondern auch bei Versicherungsbetrug. Also sozusagen als Bestätigung, dass der SPD-Versuch, die VDS mit Einschränkungen auf schwerste Straftaten gegen die Bürger durchzupeitschen, ein brutaler Täuschungsversuch ist des rechten Randes.

    Diese Menschen versuchen die Demokratie zu zerstören.

    Comment by Jan Dark — 29.12, 2011 @ 12:17

  3. Anna Sauerbrey zu den 0,006 % Tatten, die angeblich mit der Vorratsdatenspeicherung mehr aufgeklärt werden sollen:
    http://www.tagesspiegel.de/meinung/0-006-prozent/6002196.html

    Comment by Jan Dark — 29.12, 2011 @ 12:18

  4. Bundesverfassungsgericht zur Rechtmässigkeit des großen Lauschangriffes auf das Ehebett zur Beweiserhebung in Betrugsstrafverfahren:
    http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-088.html

    Comment by Jan Dark — 29.12, 2011 @ 12:20

  5. Die Parallelen zur VDS in der „analogen Welt“ gehen weiter als nur Protokollierung von Postsendungen (wobei das bei Einschreiben sogar ein leichtes wäre, wundere mich, warum es noch nicht gefordert wurde):
    – Spaziergänge: jeder Fußweg müsste mit Ausgangspunkt, Datum, Uhrzeit und Kleidung protokolliert werden (entspricht etwa Internetzugangs-VDS mit IP)
    – Gespräche: wer hat mit wem wo von wann bis wann gesprochen? (Inhalte werden „natürlich nicht“ aufgezeichnet – entspricht Mobiltelefon-VDS)

    Comment by suchenwi — 29.12, 2011 @ 12:52

  6. Der Rechtsstaat ist kaputt, und niemand unternimmt etwas dagegen.

    Comment by Zeitungsleser — 29.12, 2011 @ 13:22

  7. Nach meinem dafürhalten betreibt der
     bayerische Innenminister, vgl. gem § 270 StGB Täuschung im Rechtsverkehr bei Datenverarbeitung

    Comment by norbert huth — 29.12, 2011 @ 13:28

  8. @Zeitungsleser: Mit dem vorliegenden Artikel wurde doch etwas dagegen unternommen.
    Solange man den Staat (und die Politiker) noch kritisieren kann/darf, ist er nicht (völlig) kaputt. Wir müssen aufpassen, dass es nicht dazu kommt.

    Comment by Tim — 29.12, 2011 @ 14:02

  9. Eine Email entspricht deutlich eher einem Brief als einem Anruf.

    Und da soll die Bundespost „wegen der Rechnungslegung“ für jeden einzelnen Brief jedes einzelnen Bürgers Absender und Empfänger registriert haben? Ich hab da immer diese kleinen, gezackten Dinger drauf geklebt und gut wars.

    Dazu wüsst ich vom obigen Christsozialdemokraten doch gerne mal mehr!

    Wäre doch mal eine schöne Frage für Abgeordnetenwatch!

    Dazu dürfte rein personell nicht mal das MfS in der Lage gewesen sein…

    Comment by FranKee — 29.12, 2011 @ 14:30

  10. Solange es keine kritischen Massenmedien und keine kritischen Bürgermassen gibt, können paranoide Repressions- und Überwachungspolitiker weiterhin ihre manipulative Propaganda unter das Volk bringen.

    Die Medien begnügen sich ohnehin meist mit ihrer Rolle als willfährige Marionetten.

    Sollen die Schnüffelpolitiker und die Schnüffelbehörden uns doch einfach sagen, dass sie uns, die unbescholtenen bürger, komplett und total überwachen und kontrollieren wollen.

    Dann haben wir wenigstens Klarheit und können uns darauf einstellen; ohne weiter im Glauben zu leben, uns in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat zu befinden.

    Comment by emilia — 29.12, 2011 @ 15:26

  11. Was ist mit der Richtlinie, die angeblich umgesetzt werden muss? #vds

    Comment by fernetpunker — 29.12, 2011 @ 17:20

  12. @Frankee, der meint die Bundespost als Fernmeldebehörde, als die Telekom noch ein Amt war.

    Wobei man da auch nicht zu weit in die Vergangenheit gehen darf. Ursprünglich wurden einfach Telefoneinheiten gezählt und garnichts gespeichert.

    Comment by maxbe — 30.12, 2011 @ 11:27

  13. Eigentlich habe ich keine Lust mehr in einem Staat zu leben, der seinen Bürgern so mißtraut und sie somit zum Freiwild von „Abmahnern“ und anderen Ganoven macht. Aber welche Möglichkeiten hat man aber schon wenn man das 62. Lebensjahr
    erreicht. Es wird höchste Zeit, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört!

    Comment by Wagner, H. — 14.03, 2013 @ 10:29

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