Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

1.12.11

Deutscher Polizeigewahrsam verstößt gegen Menschenrechtskonvention

Mit Urteil vom 01.12.2011 (Az.: 8080/08 und 8577/08) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Festnahme mehrerer Personen im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm zum Zwecke des sog. Polizeigewahrsams als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention beanstandet.

Der Polizeigewahrsam ist eine präventive Maßnahme nach den Polizeigesetzen der Länder. Im konkreten Fall wurden mehrere Personen auf Grundlage von § 55 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes von Mecklenburg-Vorpommern (SOG M-V) in Gewahrsam genommen, vermeintlich um zu verhindern, dass diese Personen an gewalttätigen Demonstrationen teilnehmen und Straftaten begehen. Im konkreten Fall bestand der einzige Grund für die Festnahme wohl darin, dass man bei den Betroffenen in einem Fahrzeug Transparente mit den Aufschriften „freedom for all prisoners” and “free all now“ – laut dem englischsprachigen Urteilstext – gefunden hatte.

Der EGMR hat in der Festnahme und Freiheitsentziehung einen Verstoß gegen Art. 5 § 1 (Freiheit der Person) und Art. 11 (Versammlungsfreiheit) der Menschenrechtskonvention gesehen. Der Gerichtshof war der Ansicht, dass keine ausreichenden Hinweise dafür vorlagen, dass die Betroffenen gewaltsame Auseinandersetzungen unterstützen wollten. Die Transparente sah der EGMR als legitime Meinungsäußerung im Rahmen einer von der MRK geschützten Versammlung an.

Die Frage, ob bereits das deutsche Polizeirecht gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, hat der EGMR ausdrücklich offen gelassen.

Entgegen der Ansicht des Verfassungsblogs glaube ic nicht unbedingt, dass der EGMR damit den deutschen Polizeigewahrsam generell in Frage stellt. Denn auch mit einer weniger großzügigen Auslegung von § 55 SOG M-V hätte man hier ohne weiteres zu einem anderen Ergebnis gelangen können. Dass das Mitführen von Transparenten in dem die Freilassung von Gefangenen gefordert wird, bereits den Aufruf zu einer Straftat beinhaltet, ist nämlich eine sicherlich diskutable These. Allerdings könnte das Urteil durchaus Anlass zu der Fragestellung geben, ob die Vorschriften in den Polizeigesetzen der Länder nicht enger gefasst werden müssen.

Das Urteil ist aber auch eine (erneute) Ohrfeige für das BVerfG, das Verfassungsbeschwerden der Betroffenen offenbar nicht zur Entscheidung angenommen hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sendet erneut ein starkes Signal zur Stärkung der Freiheitsrechte aus.

posted by Stadler at 17:19  

Ein Kommentar

  1. Ich glaube nicht, dass es die Richter am Verfassungsgericht auch nur jucken wird.

    Diese haben sich ja bereits mehrfach über Urteile aus Straßburg hinweggesetzt – man denke nur an das Beispiel mit der Sicherungsverwahrung. Obwohl eindeutige Urteile gesprochen wurden, hat das BVerfG trotzdem Eilanträge von anderen mit fast identischem Sachverhalt, ohne Begründung abgeschmettert.

    Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich das ganze noch entwickeln wird.

    Comment by Thomas B. — 1.12, 2011 @ 19:44

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.