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Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

23.9.11

Der Papst und seine Rede über das Naturrecht und die Vernunft

Gerade weil ich erhebliche Vorbehalte gegen eine Rede des Papstes im deutschen Bundestag hatte, habe ich mir den Inhalt nochmals genauer angeschaut. Denn es wäre zu einfach, die Rede als irrelveant abzutun, nur weil sie vom Papst stammt.

Was hat er also gesagt? Inhaltlich war seine Rede eher abstrakter, rechtsphilosophischer Natur, natürlich ergänzt um den obligatorischen christlichen Unterbau. Der Papst hat im Wesentlichen über die Natur und die Vernunft als die zentralen Quellen des Rechts gesprochen und hierzu u.a. auch die These aufgestellt, dass sich die christlichen Theologen einer philosophischen und juristischen Bewegung angeschlossen hätten, die auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verweist. Wörtlich hat der Papst ausgeführt:

Für die Entwicklung des Rechts und für die Entwicklung der Humanität war es entscheidend, daß sich die
christlichen Theologen gegen das vom Götterglauben geforderte religiöse Recht auf die Seite der Philosophie gestellt, Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle anerkannt haben.

Diese Betrachtung blendet freilich aus, dass sich speziell die katholische Kirche in nahezu der gesamten Zeit ihres Bestehens nicht nach diesen Prämissen verhalten hat. Erst als mit dem Zeitalter der Aufklärung die antiken, naturrechtlichen Ideale an politischem Einfluss gewannen und dadurch die das Mittelalter prägende Vorherrschaft der katholischen Kirche langsam beendet wurde, ist es besser geworden in Europa. Die Amtskirche steht keineswegs in der Tradition der Vernunft und des Naturrechts. Vielmehr mussten ihr diese fundamentalen Werte in einem zähen Ringen praktisch aufgezwungen werden. Und auch heute hat man leider noch den Eindruck, dass wir es mit einem hierarchischen Apparat zu tun haben, der zur Diskriminierung neigt. Meiner Vorstellung von Vernunft entspricht dies, trotz vieler schöner Reden, immer noch nicht annähernd.

Dass der Papst allerdings dann die ökologische Bewegung in der deutschen Politik seit den 70er Jahren gelobt hat und zwar explizit als in der Tradition von Natur und Vernunft stehend, war nicht nur überraschend, sondern stimmt zuversichtlich. Auch wenn dieser Papst schon des Öfteren Hoffnungen genährt hatte, die sich dann nicht erfüllt haben.

posted by Stadler at 15:09  

5 Comments

  1. „Natur und Vernunft als die zentralen Quellen des Rechts“

    1.
    Scheint es sich hier – wiedereinmal – um eine Verwechslung von „Vernunft“ und „Verstand“ (letzteres im Sinne von „Ratio“) zu handeln; wie so ziemlich immer, wenn solche Themenkreise angeschnitten werden oder über Aufklärung fabuliert wird.
    Der Unterschied: _Verstand/Ratio_ ist eine Gabe, die uns zu Überlegung und Operationalisierung befähigt, uns also sagt, was wir tun _können_
    Vernunft dagegen sagt uns, was wir tun sollten, also was – den Umständen entsprechend – als vernünftig gelten mag.

    2. Natur? Was genau ist Natur? Wie definiert man das? Vor allem wenn es doch – je nach kultureller und sozialer Rahmung – verschiedene Definitionen geben kann und gibt.
    Die Reduktion bzw. das Zurückfallen auf eine vermeintlich objektiv und unabhängig von kulturell gefärbten Definitionen „Natur“ ist immer eine leichte, aber eben nur eine vermeintliche Lösung, die gerne Vergisst, dass nicht „Natur“ – auch keine gottgeschaffene – der ultimative Referenzrahmen darstellt, sondern unsere Definitionen, Bewertungen und Ausschlüsse von „Natur“.

    Beides zusammen – Vernunft und Natur – scheint kaum zusammenzupassen. Auch nicht als Basis für Recht. Das eine verweist auf den Menschen als Quelle, das andere auf eine von ihm unabhängige Entität als Ursprung.

    Und die Gefahr in der Augenwischerei, die sich Naturrecht nennt, liegt eben darin begründet, dass „Natur“ einerseits objektiv und unumstößlich daherkommt, andererseits eben doch von Menschen bzw. durch Kulturen definiert ist. So werden Ansichten naturalisiert, sind nicht mehr hinterfragbar und schon gar nicht dem gesellschaftlichen Diskurs zugänglich (zum Beispiel: Geschlecht). Aber wie kann man davon ausgehen, oder es gar belegen, dass irgendetwas „von Natur aus“ so ist, wie wir es benennen? Ein „Ding an sich“ gab es schon für Kant nicht mehr. Und wenn es sich bei der diskutierten Sache um etwas derart abstraktes handelt wie Recht oder andere immaterielle Güter, wird vermeintliche „Natur“ als Medium der Ideologie sichtbar.

    Sowohl Naturrecht und auch mit Rationalismus lässt sich letztendlich alles rechtfertigen; gerade in Deutschland sollte man das wissen. Also entspringt auch dieser „Objektivität“ eine gewisse Beliebigkeit und offenbart dadurch den Menschen bzw. die Gesellschaft als Quelle des Rechts.

    Dementsprechend ist Vernunft (und nicht: Ratio/Verstand im Sinne einer verkürzten Auffassung von Aufklärung!) die einzige reelle Quelle für ein Miteinander, denn sie versucht nicht, sich als Effekt von „Natur“, Objektivität oder als Gebot eines entrückten, transzendentalen höheren Wesen auszugeben. Sie verschleiert nicht ihren Ursprung und ihre Herkunft, sondern ist als menschengemachtes Konstrukt (vor allem im interkulturellen Vergleich) als solches erkennbar und transparent. Und ist somit – ohne in (Rechts)Positivismus zu verfallen – ethischer als blanke, kalte und über- bzw. unmenmschliche Objektivität.

    Aber wie will das jemand erkennen, der Demokratie als „Diktatur des Relativismus“ bezeichnet? Warum darf jemand mit einer solchen Demokratie- und Rechtsauffassung im Herzen unserer Demokratie sprechen?

    Comment by Xiemeon — 23.09, 2011 @ 15:43

  2. Die rechtsphilosophischen Betrachtungen des Professor Ratzingers sind bedeutungslos. Und auch wesentlicher schlechter in der Kunst als die Gedanken des ehemaligen Juristen Niklas Luhman, der zum Soziologen konvertiert ist und dessen Systemtheorie auf der Differenzierung zischen System und Umewlt fußt und nicht auf der unwissenschaftlichen zwischen Vernunft und Natur. Ein Mensch ist weder unnatürlich noch widernatürlich (außer vielleicht die zölibatären Eheverweigerer und Intensivtäter bei sexuellen Missbrauch von Kindern).

    Prof. Ratzinger hat sich auch im Ort vertan. Beck sagte ja richtig, für das Gerede wäre ein Seminar an der Humboldt besser geeignet gewesen. Ratzinger war Gast bei einem Gesetzgeber gewesen, da wäre es angemessener zur Gesetzgebung zu reden.

    In Anbetracht der vielen katholischen Priester, die als Intensivtäter viele Kinder geschändet haben, wäre es wünschenswert gewesen, wenn Ratzinger begründet hätte, warum er persönlich 2001 die Exkommunikation von Kinderfickern in der katholischen Priesterschaft aufgehoben hat und sie durch eine schnelle Verjährung ersetzt hat und noch eine Verlagerung der Verfahrungen von den lokalen Bischöfen zur Kurie nach Rom angeordnet hat.

    Noch bis 2001 galt im kanonischen Recht die Crimen sollicitationis. Danach mussten Kinderficker exkommuniziert werden.

    Raatzinger hat diese dann 2001 abgeschwächt und eine brutale Verjährung von nur 10 Jahren eingeführt, die Exkommunikation für Kinderficker abgeschafft und die Verfahren zum Verschleppen nach Rom gezogen. Wie wir aus vielen tausenden Fällen wissen, war die Strafbefreiung durch Rom von Kinderfickern sehr erfolgreich. Wie mir erst letztes Jahr bekannt wurde, war auch in meiner Familie ein Kinderficker, der in den 50er Jahren in Schwaben seine Perversionen auslebte und dann von der katholischen Kirche in Österreich vor der deutschen Strafverfolgung versteckt wurde.

    Ratzinger hätte erklären können, warum er persönlich mit der Sacramentorum sanctitatis tutela sich schützend vor Kinderficker warf. Siehe auch: href=“http://de.wikipedia.org/wiki/De_delictis_gravioribus“>De delictis gravioribus dem Bekennerbrief von Ratzinger und Woytila dazu.

    Rom ist mit diesem kriminellem Schutz von Kinderfickern aus dem moralischen Werteverbund des christlichen Abendlandes ausgetreten. Mich hätte nicht gewundert, wenn Ratzinger gestern als Mitglied eine ausländischen kriminellen Vereinigung nach §129b StGB verhaftet worden wäre.

    Bewiesen hat er, dass er am falschen Ort das falsche Thema angesprochen hat, Religion, Politik und Rechtsetzung durcheinander wirft und als Manager einer Ansammlung von vielen Intensiv-Sexualstraftäter völlig ungeeignet sind. Entsprechend verfehlt sind seine Maßnahmen, die dem Schutz der Täter sind und die Opfer von der katholischen Kirche verraten zurück lässt.

    Ich will nicht verhehlen, dass er auch als Entertainer nicht geeignet ist. Fussballspiele machen manchmal das Olympiastadion ausverkauft, Ratzinger nicht. In Berlin sind die Katholiken auf 10% kaputt gepredigt worden von Meißner, in Deutschland sind nur noch 25% der Bevölkerung katholisch. Tendenz sinkend. Hexenverbrennungen, Inquisition, Kreuzzüge, Glaubenskriege und Spaltungen haben ihre dezimierenden Spuren hinterlassen. Und Kinderficken ist das falsche Rezept für nachlassende Fertilität.

    Schade, dass Ratzinger zu seinen Änderungen im knanoischen Recht geschwiegen hat. Die Gelegenheit wäre günstig gewesen.

    Comment by Jan Dark — 23.09, 2011 @ 16:27

  3. Danke für die Infos. Hatte nicht so viel vom Papstbesuch mitbekommen, daher gut zu wissen.

    Comment by Stephan — 23.09, 2011 @ 18:46

  4. @Stephan ich denke man sollte „Vernunft“ nicht mit „vernünftig“ verwechseln. In der Philosophie wird der Begriff u.a. als „unterscheidende Vernunft“ gebraucht. Der Begriff bezeichnet die Fähigkeit aus Beobachtungen Schlüsse zu ziehen über die universellen Zusammenhänge der Welt.

    Das ist eine sehr umstrittene Darstellung und extrem wichtig für die Unterscheidung versch. philosophischer Schulen.

    Es gibt einerseits die Schule, welche die Möglichkeit mit der Vernunft die wahre Natur der Dinge zu erfassen ablehnt, weil Vernunft etwas ist das sich stets auf Erfahrungen berufen muss. Diese Schule fragt: woher wissen wir was wir wissen? Die Wahrheit ist, wir wissen gar nichts. Alles was wir zu wissen glauben beruht auf Erfahrung und Interpretation.
    Diese Schule sagt, wir nutzen die „unterscheidende Vernunft“ um Dinge über Bezeichnungen voneinander zu trennen.

    Die katholische Kirche lehnt diese Schule bis heute kategorisch ab und hat entsprechende Philosophen als Ketzer verbrannt wo sie sie fand. Denn aus dieser Schule würde man schließen, dass auch die Kirche kein Wissen über Gott haben kann. Der Papst wäre dann kein Vertreter Gottes auf Erden, sondern genauso wenig heilig wie irgendein anderer Fürst.

    Es gibt eine zweite Schule. Kant ist einer der wichtigsten Vertreter. Diese meint, man kann sich sehr wohl dem Mittel der Vernunft bedienen, wenn man sie auf einem Fundament auf Fakten aufbaut, die keiner Erfahrung bedürfen. Wie beispielsweise die Mathematik. Wenn die Grundlagen unabhängig von Wahrnehmung als wahr gelten dann sind auch alle Fakten, die sich daraus ableiten zwangsweise wahr.
    Auf dieser philosophischen Lehre basiert unsere gesamte moderne Zivilisation.

    Auch diese Schule lehnt die katholische Kirche ab, denn diese als „positivistisch“ bezeichnete Schule kann die Schöpfungsgeschichte wissenschaftlich widerlegen.

    Das meint der Papst also auch nicht. Er bezieht sich auf eine dritte Schule. Diese meint in der Tat eine „moralische Vernunft“. Diese Vernunft bedarf keiner Fakten sondern entscheidet auf der Basis moralischer Maßstäbe. Diese Vernunft zieht Schlüsse, welche von beiden anderen Schulen grundsätzlich abgelehnt werden.
    So können sie schließen, dass weil ein Wesen die Fähigkeit zur Vernunft hat, dieses komplexe Gebilde nur aus einer Quelle gekommen sein kann welche bereits Vernunft besitzt.

    Und jetzt ergibt sich auch wieder, was der Papst unter Natur und Naturrecht versteht. Er meint eine Moral, welche sich aus der Natur selbst ergibt. Mit dieser Begründung können sie ableiten, weil der Mensch Geschlechtsorgane hat und diese ihrer Natur gemäß zur Fortpflanzung „geschaffen wurden“ (dieser Punkt ist umstritten), ist dies der naturgemäße, moralische Gebrauch und jeder andere Gebrauch entspricht nicht der Natur.
    Diese Philosophie ist dann auch in der Lage zu behaupten, dass die Frau nun einmal der Natur gemäß schwächer sei und von Natur aus die Bürde der Schwangerschaft trägt. Ihr gleiche Rechte und Pflichten zu geben würde folglich der Natur der Frau nicht gerecht, denn Mann und Frau wären eben nun mal nicht gleich.

    Zusammen mit der moralischen Vernunft und der Ableitung eines Rechtsbegriffes aus dem was diese moralische Vernunft als Natur begreift kommen wir in eine sehr düstere Ecke der menschlichen Vergangenheit. Und wir sollten uns sehr genau überlegen, ob wir dem Papst in diese Abgründe folgen wollen.

    Comment by Tom — 26.09, 2011 @ 22:32

  5. Wie nicht anders zu erwarten, teilen die, die sich mit den Papstworten inhaltlich auseinandersetzen nicht unbedingt die Medienmeinung vom überragenden Intellektuellen, man sollte über der Papstkritik aber nicht vergessen, was der de facto Zustand der Rechtsfindung ist. Man kann nämlich bezweifeln, dass hier die Abwendung von Autoritätsgläubigkeit hin zur Vernunft bereits der Standard ist.

    Der Papst kann zu recht darauf verweisen, dass viele Philosophen in der Philosophie Stütze für den Gottesglauben und einzelne moralisch-rechtliche Forderungen der Kirche gefunden haben. Wir mögen da zwar heute bei Analyse der Schlussfolgerungen darauf hinweisen, dass die nicht wirklich schlüssig sind oder dass eine Beeinflussung der Objektivität durch die religiöse Sozialisierung bis hin zum Wink mit den Instrumenten gegeben scheint, nur unterscheidet sich dass vom heutigen Zustand oft nur graduell. Die Drohung mit dem Verlust des Lebens auf dem Scheiterhaufen ist sicher in der Intensität nicht vergleichbar der mit dem Nichtbestehen von Examina, Ausschluss von Beförderungen und der dergleichen, erfüllt aber qualitativ denselben Zweck.

    So wie sich früher die Kirche auf Unterstützung durch die objektive Philosophie berief, die in Wirklichkeit nur Interpretation von Naturtatsachen anhand des schon vorgegebenen christlichen Weltbilds war, stützt sich heute das Rechtssystem auf die angeblich objektive Schlussfolgerungen aus Gesetzen, die in Wirklichkeit nur die eigene Interpretation vor dem politisch-gesellschaftlichen Hintergrund derselben sind und zwar auch da, wo objektive Klärungen möglich wären. Eine Bindung der Rechtsprechung an das Gesetz ist eben ineffektiv, wenn das Gericht in völliger Freiheit zunächst selbst darüber bestimmt, was denn die zutreffende Interpretation des Gesetzes sei.

    Comment by Thorsten — 28.09, 2011 @ 15:47

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