Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

30.11.10

Netzsperren europaweit

Während die deutsche Netzgemeinde derzeit u.a. über die Novellierung des JMStV diskutiert, wird in Brüssel weiterhin der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie (vulgo: Censilia) vorangetrieben.

Dieser Richtlinienentwurf war hierzulande vor allen Dingen deshalb im Gespräch, weil er, ähnlich wie das Zugangserschwerungsgesetz, sog. Access-Sperren als Instrument zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Netz vorsieht.

Die Richtlinie enthält aber noch andere fragwürdige Regelungen. Zunächst definiert die Richtlinie – anders als zum Beispiel das deutsche Recht – das Kind in Art. 2 a) wie folgt:

„Kind“ jede Person unter achtzehn Jahren

Damit werden der Dreijährige und der Siebzehnjährige gleichgesetzt. Das wird auch Auswirkungen auf normale Formen von Jugendsexualität haben, auch wenn dafür in Art. 8 ein Ausnahmetatbestand geschaffen worden ist.

Für den Bereich des Internets ist nach wie vor die Vorschrift des Art. 21 von besonderem Interesse, die Netzsperren vorschreibt:

Sperrung des Zugangs zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten

1. Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit der Zugang von Internet-Nutzern zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, gesperrt wird. Die Zugangssperrung erfolgt vorbehaltlich angemessener Schutzvorschriften; insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Sperrung auf das Nötige beschränkt wird, dass die Nutzer über die Gründe für die Sperrung informiert werden und dass Inhalteanbieter im Rahmen des Möglichen darüber unterrichtet werden, dass sie die Entscheidung anfechten können.

2. Unbeschadet des Vorstehenden trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, damit Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, aus dem Internet entfernt werden.

Das EU-Konzept könnte man damit als Löschen und Sperren bezeichnen.

Was leider gänzlich fehlt, sind Regelungen, die eine Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten vorsieht, die sicherstellt, dass einschlägige Inhalte zügig aus dem Netz vebannt werden. Für das, was allein effektiv wäre, um die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten einzudämmen, sieht der Richtlinienentwurf also überhaupt keine Regelung vor.

Sinnvoll wäre es insoweit, die Nr. 1 des Art. 21 komplett zu streichen und stattdessen eine Regelung aufzunehmen, die es den jeweiligen nationalen Behörden gestattet, direkt Host-Provider aus anderen Mitgliedsstaaten anzusprechen und sie auf einschlägige Inhalte hinzuweisen. Gerade die Notwendigkeit der Einhaltung eines umständlichen Dienstweges führt nämlich dazu, dass inkriminierte Inhalte im Netz verbleiben, obwohl sie längst gelöscht sein könnten.

Als gänzlich verfehlt muss man auch die (ausdrückliche) Beschränkung auf Webseiten ansehen. Die Erkenntnis, dass kinderpornografische Inhalte nicht primär über das Web, sondern vor allen Dingen über P2P-Netzwerke und geschlossene Benutzergruppen verbreitet werden, hat sich offenbar immer noch nicht durchgesetzt. Zu diesem Aspekt habe ich mich ausführlich in meiner schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung im Unterausschuss Neue Medien des Bundestags geäußert.

Man kann insgesamt nur hoffen, dass sich die Abgeordneten des EU-Parlaments mit den Fakten befassen werden.

posted by Stadler at 21:35  

8 Comments

  1. Erschreckend, was Brüssel da ausheckt. Besonders, daß Mitgliedsstaaten scheinbar nicht kooperieren…!? Dabei dachte ich, wäre der ursprüngliche Gedanke – also die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes – ohne weiteres auf weitere Gebiete übertragbar und auch der Sinn der Sache!?

    Oder ketzerisch gefragt: Wenn Brüssel die Verantwortung im Grunde den einzelnen Mitgliedern überträgt, wozu brauche ich dann überhaupt eine „Marschroute“ aus Brüssel?

    Wozu gibt es z.B. EUROPOL, deren Sinn doch gerade darin liegt die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten zu fördern.

    Man könnte ja fast meinen, daß das Sperren und Löschen im Vordergrund stünde und nicht die Verfolgung!

    Damit zu folgendem:

    Die Erkenntnis, dass kinderpornografische Inhalte nicht primär über das Web, sondern vor allen Dingen über P2P-Netzwerke und geschlossene Benutzergruppen verbreitet werden, hat sich offenbar immer noch nicht durchgesetzt.

    Das sich kinderpornographische Inhalte primär dezentral über „p2p-Netzwerke“ verbreiten soll, halte ich persönlich zunächst einmal für ein Gerücht.

    Daß gewisse Interessensgemeinschaften diverse einschlägige Seiten am liebsten löschen möchten, wie beispielsweise kino.to ist dagegen kein Geheimnis – da macht die Content-Mafia ja auch keinen Hehl draus. Bisher wurde ich persönlich auch nur auf diesen vermeintlichen Zusammenhang aufmerksam, da er desöfteren von dieser Seite ins Spiel gebracht wird.

    @Thomas Stadler:

    Daß die perversen Drecksschweine (sorry, aber das ist schon sehr nett ausgedrückt) ihre Daten über geschlossene Benutzergruppen verbreiten, glaube ich auch – das klingt zumindest plausibel. Daß es eine „primäre“ dezentrale Verbreitung geben soll, bezweifel ich persönlich aber ein Stück weit – habe aber keine diesbzgl. Fakten parat. Mag durchaus sein, daß Einzelne evtl. Daten dezentral verbreiten (?), aber „primär“…?
    Von daher folgende Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort:
    Wie kommst du zu dieser Erkenntnis?
    Hast du da evtl. „hard facts“ zur Hand? Wenn „JA“, würdest du freundlicherweise bitte einen Hinweis auf etwaige Quellen geben!? Danke!

    Hintergrund: Ich persönlich habe seit jeher das Gefühl, daß es bei dieser wichtigen Diskussion (Verfolgung von Kinderpornographie) leider viel zu viele „Trittbrettfahrer“ gibt, die das Thema quasi auf schäbige Art und Weise mißbrauchen, um ihre eigenen Interessen im Windschatten mit durchzusetzen. Mit dem Resultat, daß das eigentliche Problem nicht adequat gelöst wird. Das kann man jetzt m.M.n. wieder sehr gut beobachten, denn nationalstaatliche Regelungen werden ins Leere laufen…

    Für ACTA können „die“ sich interntional an einen Tisch setzen! Um unsere Zukunft, sprich unsere Kinder, zu schützen sehen „die“ es scheinbar nicht ein, sich international an einen Tisch zu setzen! Für mich persönlich unverständlich! Zitat Helge Schneider:

    Die Welt ist krank und der Arzt hat frei

    In diesem Sinne, Baxter

    Comment by Baxter — 30.11, 2010 @ 23:01

  2. Es ging nie um Kinderpornographie, dass sollte man sich vielleicht in einem solchen Moment nochmals in Erinnerung rufen.

    http://ak-zensur.de/2010/04/kinderpornos-grossartig.html#more

    Wenn es um Kinderpornographie gehen würde, wäre eine der logischsten Schritte im Europäischen Sinne die sofortige Verbesserung der zwischen staatlichen Kommunikation, zwischen Behörden und im direkten Kontakt mit schuldlos involvierten Providern und anderen Parteien.

    Das ist immer mein Einstieg, wenn ich kinder-besorgte Personen zu diesem Thema spreche und ich bin mir sicher, dass es auch eine gute Methode ist tendenziell nicht-lobby-verseuchte EU-Politiker anzusprechen: Der Kinderschutz wird instrumentalisiert, um alte Geschäftsmodelle und alte Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Anders lassen sich das Ignorieren von wirklich effizienten On- und Offline-Massnahmen garnicht mehr erklären.

    Und wenn dann einer fragt, ja was um Himmelswillen den diese Massnahmen wären…..dann haben wir ja unsere Antworten mittlerweile parat.

    Comment by Jens Best — 1.12, 2010 @ 02:18

  3. Zudem nicht vergessen:

    a) Die Ausnahmen für „Scheinminderjährige“ sind weg
    b) Fiktives Material wird realem Material gleichgestellt
    c) Der Begriff pornographisch fällt weg und wird gegen „für primär sexuelle Zwecke“ ersetzt.
    d) In Artikel 15 findet sich die Meldepflicht wieder
    e) Kind ist alles was unter 18 Jahre ist
    f) Der Kinderpornographie-begriff wird ziemlich erweitert z.B. auf die Darstellung von Geschlechtsorganen völlig unabhängig ob da ein
    sex. Missbrauch vorliegt oder nicht und egal ob fiktiv (Zeichnung) oder die Person real über 18 Jahre und nur für unter 18 Jahre gehalten werden kann.

    http://www.pornoanwalt.de/?p=5170

    bombjack

    Comment by bombjack — 1.12, 2010 @ 09:34

  4. Moin,

    kann es sein dass Sie Art. 21 und 23 einmal durcheinander Schmeißen? ;) Wunder mich grade…

    Grüße,

    @RastaN3rd

    Comment by RastaN3rd — 2.12, 2010 @ 11:05

  5. Einen Punkt in der Diskussion verstehe ich nun wirklich nicht.
    Angeblich ist es ineffektiv, die Provider von KiPo-Inhalten zu informieren, weil der Dienstweg zu lang sei, weil immer ausländische Behörden eingeschaltet werden müssen, die dann ihrerseits die Provider informieren.
    Ich weiss nicht, wo diese Meinung herkommt (BKA? Wäre verständlich, die wollen ja alles verhindern, was Löschen effektiv machen könnte), sie ist aber Unsinn, der durch Wiederholung nicht wahrer wird.
    Eine gesetzliche Ermächtigung, sei es ein Landes- oder Bundesgesetz oder eine Richtlinie/VO der EU braucht es nur, wenn aus der Information der Provider irgendwelche Rechtspflichten für die Provider erwachsen sollen. Das ist bei einer reinen Information offenkundig nicht der Fall. Und nach den Versuchen von Alvar Freude reagieren Provider in aller Regel auch sehr fix auf solche Informationen, unabhängig davon, ob sie verpflichtet sind zu reagieren oder nicht. KiPo findet international nämlich niemand schützenswert. Die behaupteten Verbotslücken gibt es auch nicht.

    Das einzige Hindernis, das dem BKA (oder wem auch immer) im Weg stehen könnte, selbst ausländische Provider zu informieren, können behördeninterne Regelungen, entweder im BKA oder durch das BMI als Fachaufsicht, sein. Um die zu beseitigen braucht es aber keine gesetzliche Regelung. Es könnte so einfach sein:
    Die Provider geben Kontaktadressen europaweit bekannt, kriegen eine englische Standardmail mit der URL (englisch sollten Provider eigentlich verstehen, der BKA-Beamte muss sowieso nur die URL in die Mail kopieren, dafür brauchts keine Englischkenntnisse) und ein paar Stunden später taucht nur noch ein Error 404 auf… Das hat das BKA aber anscheinend noch nicht versucht.

    Comment by Bernhard — 2.12, 2010 @ 11:35

  6. Die Löschaufforderung direkt an die Provider im Ausland zu schicken kann eine Strafvereitelung im Amt sein, wenn die ausländische Polizei gerade ihrerseits ermittelt und der Täter durch die Aufforderung an den Provider gewarnt, und so die ausländische Ermittlung beeinträchtigt wird.

    Comment by Ein Mensch — 3.12, 2010 @ 03:09

  7. @ Ein Mensch
    Strafvereitelung braucht wie jede Straftat Vorsatz. Und der setzt Kenntnis hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale voraus.
    Entweder weiss der BKA-Beamte nicht, dass die ausländische Polizei ermittelt, dann fehlt der Vorsatz, oder er weiss es, dann schreibt er die Mail nicht. Im Übrigen dürfte der BKA-Beamte nicht das Ziel haben, die Ermittlungen im Ausland zu sabotieren, also fehlt auch hier der Vorsatz. Wo ist das Problem?
    Im Übrigen kann man sich überlegen, ob man als Deutscher einen Straftatbestand nach deutschem Recht begehen kann, wenn es sich um ausländische Ermittlungen handelt. Wenn es sich um das ausländische „StGB“ handelt, ist der BKA-Mensch jedenfalls kein Beamter, kann also auch keine Straftat im Amt begehen. Auch hier ein Scheinproblem…

    Comment by Bernhard — 3.12, 2010 @ 13:24

  8. Wer sperrt/löscht denn eigentlich die katholische Kirche?

    http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/vermischtes/untersuchungsbericht-kirche-vertuschte-missbrauch-systematisch-1.1031896

    Comment by Baxter — 3.12, 2010 @ 19:53

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