Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

28.5.10

Urteil im Fall Tauss

Jörg Tauss wurde heute vom Landgericht Karlsruhe wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischer Bilder zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt. Nachdem das die meisten Leser dieses Blogs vermutlich schon wissen, beschränke ich mich auf einen Ausblick in Richtung der von Tauss angekündigten Revision.

Diese Revision wird es schwer haben, eine Aufhebung des Urteils zu erreichen. Denn das Gericht hat sich nicht auf die Rechtsauffassung beschränkt, dass sich Abgeordnete nicht auf die Privilegierung des § 184b Abs. 5 StGB berufen können. Denn diese Rechtsansicht kann man mit guten Gründen in Zweifel ziehen. Das Gericht hat vielmehr auch dargelegt, dass es aufgrund der Gesamtumstände zu der Überzeugung gelangt ist, dass Tauss das kinderpornografische Material nicht in Zusammenhang mit seinem Mandat als Bundestagsabgeordneter recherchiert hat, sondern aus privaten Gründen. Dieser Aspekt wird sicherlich in der schriftlichen Urteilsbegründung einen breiteren Raum einnehmen. Und gerade diese Würdigung der tatsächlichen Umstände wird der BGH wegen des eingeschränkten Prüfungsumfangs der Revision möglicherweise nicht in Zweifel ziehen.

Allerdings habe ich zudem den Eindruck, dass das Gericht bei der Strafzumessung recht hoch gegriffen hat, nachdem Tauss zumindest den äußeren Sachverhalt eingeräumt hat und es sich außerdem auch in quantitativer Hinsicht wohl eher um einen unterdurchschnittlichen Fall gehandelt hat. Insoweit überrascht eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr schon etwas.

Einige Stimmen zum Urteil:

Heise

Rainer Kaufmann

Rechtsanwalt Andreas Fischer

posted by Stadler at 18:46  

10 Comments

  1. Tauss Unterstützer seien kurz an Ockhs Rasiermesser erinnert, bevor hier wieder die Verschwöringstheorien sprießen.

    Comment by Chruller — 28.05, 2010 @ 19:22

  2. Womit also wirklich entscheidend war, was der Mann gedacht und gefühlt haben soll, und nicht was er getan hat. Bin kein Jurist, finde das aber entsetzlich.

    Comment by sPa — 28.05, 2010 @ 19:31

  3. Was mich etwas beschäftigt (Laiensicht):

    Die Anklage belief sich auf Besitz und Verbreitung, die Staatsanwältin berief Zeugen, welche einerseits diesen Vorwurf untermauern sollten und andererseits – so entnehme ich das jedenfalls den Fragestellungen – auch auf die Motivation abzielten.

    Die Entkräftigungsstrategie der Verteidigung zielte u.a. auf unzureichende Unterrichtung bzw. Täuschung des Parlaments ab, dazu sollten Zeugen (AK Vorrat?, Carechild und andere?) geladen werden, die damit u.a. auch Hinweise zur Motivlage hätten geben können – wurde vom Gericht abgelehnt.

    Urteilsbegründung u.a.: Keine Weitergabe der Erkenntnisse ans Parlament, keine Dokumentation.
    Zu ersterer Begründung wohl auch keine vorangegangenen Zeugen? (unterstellt, daß Abgeordnete nicht nach Belieben Reden im Bundestag halten können)

    Was ich nun nicht verstehe: Wie kann die Motivlage vom Tatbestand abgekoppelt werden bzw. sofern sie das nicht wurde, warum wurden zur Erörterung keine weiteren Zeugen herangezogen bzw. dies unterbunden? Das mag nun meine naive Sicht sein, aber sollte die Motivlage nicht innerhalb des Verfahrens soweit wie möglich untersucht werden? Ich glaube, die Verteidigung führte auch an, daß Tauss anderen Abgeordneten Informationen und Einblicke gab – auch dazu keine weiteren Informationseinholungen.
    Dienstliche Beschaffung zu verneinen, während angeführt wird (ob belegt oder nicht weiß man nun ja nicht), daß andere Parlamentarierer mit Informationen versorgt wurden, erscheint mir irgendwie skurril.

    Meine obigen Überlegungen beruhen auf dem, was durch Prozeßbeobachter und Medien wiedergegeben wurde.

    Comment by Miles — 28.05, 2010 @ 20:24

  4. @Chruller
    Wenn ich Ockhs Rasiermesser bemühe, hat er entweder recherchiert oder es war sexuelles Interesse. Beim Urteil ist das Motiv allerdings keins vom beiden. Es scheint, das dass Gericht die Beweislast umdreht. Tauss hat seine Recherche nicht hinreichend belegt, also war es keine.

    Comment by Werner Maier — 29.05, 2010 @ 00:31

  5. Der Fall ist eigentlich gar nicht so schwierig. Nach geltendem Recht hat Tauss sich schuldig gemacht, die Frage nach seinem Motiv stellt sich erst einmal nicht. Nur wenige Berufsgruppen sind explizit von einer Bestrafung ausgenommen und auch die nur unter bestimmten Voraussetzungen. Mich würde wundern, wenn irgendein Gericht unterhalb des BVerfG anders entscheidet als die jetzige Instanz.

    Das BVerfG ist hier letztendlich gefordert, da es um zwei Verfassungsgrundsätze geht:

    – die Unabhängigkeit des einzelnen Abgeordneten [damit verbunden die Möglichkeit, sich mit einem Thema selbst bekannt zu machen]
    – die gegenseitige Kontrolle der drei Gewalten

    Wenn von der Legislative gefordert wird – wie es die Staatsanwaltschaft bei Tauss getan hat -, dass sie den Organen der Exekutive gefälligst zu glauben haben, dann unterminiert das die Gewaltenteilung. Eigentlich bleibt Tauss und seinen Anwälten gar nichts übrig, als durch alle Instanzen zu gehen. Es wäre natürlich hilfreich gewesen, hätte Tauss irgendjemanden vorher ins Vertrauen gezogen, denn selbst das urteilende Gericht scheint nach Urteilsbegründung ja geneigt gewesen zu sein, zu seinen Gunsten auszulegen.

    Comment by Dierk — 29.05, 2010 @ 09:59

  6. @ Dierk
    Sehe ich weitgehend genauso.
    Wir haben offenbar gelernt, dass für die Executive die Möglichkeit besteht, von der Legeslative erlassene Gesetze so auszulegen, dass sie sich auch gegen die Legeslative selbst wendet.
    Im Grunde haben wir ja die gleiche Situation beim Zugangserschwerungsgesetz. Hier hat die Executive beschlossen, das Gesetz nicht zur Anwendung zu bringen.

    Comment by GustavMahler — 29.05, 2010 @ 11:06

  7. @Miles: Sollte die Verteidigung tatsächlich weitere Zeugen angeboten – oder gar Beweisanträge gestellt – haben, die bestätigen können, dass Tauss mit anderen Abgeordneten über seine „Recherchen“ gesprochen hat, dann wäre das in der Tat ein Ansatz für eine Revision. ich habe davon allerdings nichts gehört.

    Comment by admin — 29.05, 2010 @ 17:03

  8. @Dierk
    In der Ausnahmeklausel §184b (5) StGB ist nicht von Berufsgruppen, sondern von „Handlungen“ die Rede.

    Das sind zwei paar Schuhe. Daher kann ich der Logik des Richters über die Nichtzugehörigkeit zu einem „privilegiertem Personenkreis“ nicht ganz folgen.

    Abgesehen davon, dass der Fall von Anfang an medial und politisch mit Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten aufgeladen ist, wird hoffentlich die Revision Klarheit und Rechtssicherheit bringen.

    Comment by res — 2.06, 2010 @ 12:35

  9. @Stadler

    Ich denke, das BGH hat es überhaupt nicht schwer, das Urteil zu kippen. Wenn er es denn so will.

    Zur Passage
    „Denn das Gericht hat sich nicht auf die Rechtsauffassung beschränkt, dass sich Abgeordnete nicht auf die Privilegierung des § 184b Abs. 5 StGB berufen können.“

    Nein, so simpel und pauschal hat Richter Scholz in der Tat nicht allen Abgeordneten die Ausnahmeklausel verweigert.

    „Denn diese Rechtsansicht kann man mit guten Gründen in Zweifel ziehen.“

    Das sah Richter Scholz wohl auch so.

    Der Pressemitteilung zufolge hat er aber speziell den Abgeordneten Tauss Ausnahmeklausel verweigert.

    Er hat dazu einen simplen wie falschen Zirkelschluss gezogen, indem er Tauss von einem ominösen „privilegierten Personenkreis“ ausgeschlossen hat.

    Nach seiner (sich im Kreis drehenden) Logik fällt nämlich der Bundestagsabgeordnete Tauss deshalb nicht unter die Außnahme, „weil
    ein Bundestagsabgeordneter nicht zu dem durch die Vorschrift privilegierten Personenkreis zu zählen“ sei.

    Wobei, das kann man gar nicht oft genug wiederholen, im Gesetz weder von Berufsgruppen noch von einem „privilegierten Personenkreis“ die Rede ist.

    Meines Erachtens hat er diese logische Verrenkung eigens zu dem Zweck eingeführt, um Tauss trotz der gesetzlichen Ausnahmeklausel irgendwie dennoch dran zu kriegen. Er hat damit sein (für ihn schon vorher feststehendes) Urteil, wie es in Juristenkreisen so schön heißt, „auf Ziel gezogen“.

    Nach diesem Zirkelschluss konnte er freilich nicht anders, als ihm private Motive zu unterstellen.

    Aber warten wir die schriftliche Urteilsbegründung ab, die wohl ausführlicher und hoffentlich ohne logische Zirkelschlüsse auskommt.

    Der BGH sollte eigentlich keine Probleme damit haben.

    Das Problem ist m.E. weniger juristischer, sondern, wie so oft, politischer Natur. Der Fall Tauss war von Anfang an politisch motiviert, dessen tiefere Ursache in der Kampagne von Zensursula und Ziercke zwecks Einführung von Internet-Sperren zu suchen sind.

    Und ob der BGH hier politisch völlig frei entscheiden wird, na ja, hoffen wir es.

    Trotzdem bin ich gespannt.

    Comment by res — 11.06, 2010 @ 16:00

  10. @Stadler
    schön wäre auch sowas wie eine Vorschau oder eine zeitlich begrenzte Editiermöglichkeit für die Autoren der Kommentare, um Typos, falsche/fehlende Adjektive/Adverbe/Artikel/links etc. zu korrigieren.

    Comment by res — 11.06, 2010 @ 16:08

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