Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

22.3.10

JMStV: "Behüten, wo es nötig ist"

Unter der Überschrift „Behüten, wo es nötig ist“, verteidigt Kurt Beck in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung in einem Gastkommentar den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV).

Dass ein Ministerpräsident in einer große Tageszeitung zur Kritik an dem Konzept des Jugendmedienschutzes Stellung nimmt, zeigt, dass die Bedenken, die speziell die Netz-Community vorgetragen hat, auf der obersten landespolitischen Ebene angekommen sind.

Inhaltlich nimmt Kurt Beck vor allem zu der geplanten (freiwilligen) Einführung von Alterskennzeichnungen für Internetinhalte in einem neuen Entwurf zur Änderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (§ 5 Abs. 1 und Abs. 2 JMStV-E) Stellung. Dieses freiwillige Labeling von Websites durch den Content-Anbieter selbst, soll, so Beck, anerkannten Jugendschutzprogrammen als Filterkriterium dienen. Diese Jugendschutzprogramme sollen von den Eltern auf den Rechnern der Kinder installiert werden, um so den Zugriff der Kinder auf bestimmte Inhalte zu verhindern. So zumindest stellt Beck sich das vor.

Und an dieser Stelle zeigt sich bereits das Dilemma. Diejenigen Websites, die nicht mit einer Alterskennzeichnung versehen werden, laufen nämlich Gefahr, dass sie von Kindern und Jugendlichen, denen von den Eltern ein entsprechendes Filterprogramm vorgesetzt worden ist, überhaupt nicht mehr aufgerufen werden können. Und das gilt selbst für völlig harmlose Websites. Denn wenn die Filterprogramme alle Websites ausfiltern, die überhaupt keine Alterskennzeichnung haben (White-List-Prinzip), dann bleibt nicht mehr viel übrig und es entwickelt sich genau das „Kindernet“, das Kurt Beck nach eigenen Worten vermeiden will.

Unter anderem an diesem Punkt setzt auch die Kritik aus dem Netz an. Denn dieser Mechanismus könnte dazu führen, dass ein faktischer Zwang zur Alterskennzeichnung entsteht. Will man das Risiko vermeiden, dass die eigene Website von Minderjährigen überhaupt nicht mehr genutzt werden kann, wird man im Zweifel eine Alterskennzeichnung brauchen. Und die kann man sich nicht selbst ausdenken. Vielmehr muss man sich einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen. Und das ist für die meisten Websites, die mit ihren Inhalten kein Geld verdienen, keine realistische Option. Das skizzierte Szenario, wonach mit staatlicher Hilfe in großem Stile Internetinhalte ausgefiltert werden, ist somit keinesfalls abwegig.

Ein solches staatliches Konzept ist außerdem deshalb problematisch, weil sich auch Kinder und Jugendliche auf die Informationsfreiheit des Art. 5 GG berufen können und es auch ihnen möglich sein muss, sich grundsätzlich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Genau das ist auch ein wichtiger Baustein auf dem Weg, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu fördern. Gerade diese Aufgabe des Jugendschutzes wird durch das skizzierte Konzept des Jugendmedienschutzes gefährdet.

Was ebenfalls als problematisch betrachtet werden muss, ist die Vorstellung, dass Access-Provider ihren Kunden derartige Jugendschutzprogramme zum Download anbieten müssen. Damit wird wiederum der Zugangsprovider mit in die Pflicht genommen, obwohl es hierfür keine nachvollziehbaren Gründe gibt.

Wenn Kurt Beck außerdem von einem richtungsweisenden Modell für ganz Europa spricht, so verkennt er, dass der seit 2003 in Kraft befindliche Staatsvertrag bislang vor allen Dingen deshalb nicht besonders aufgefallen ist, weil Regelungsinstrumente wie die umstrittenen „Sendezeitbeschränkungen“ für Netzinhalte nur vereinzelt und nicht in der Breite zur Anwendung gelangt sind. Würde man dieses Vollzusgdefizit beseitigen, dann wären die Auswirkungen möglicherweise auch für Inhaltsanbieter spürbar, die gar keinen jugendgefährdenden Content am Netz haben.

Der grundlegende Fehler des JMStV besteht letztlich darin, dass Instrumentarien aus dem Jugendschutzgesetz (Sendezeitbeschränkungen, Kennzeichnung nach Altersstufen) eins zu eins auf den Jugendschutz im Internet übertragen werden. Die geistigen Väter dieser Konzepte halten das Internet immer noch für eine moderne Variante des Rundfunks und verstehen deshalb auch nicht, dass diese Konzepte erstens nicht effektiv funktionieren können und zweitens die Gefahr beinhalten, dass Inhalte beeinträchtigt werden, die nicht im Ansatz jugendgefährdend sind.

Kurt Beck sagt in seinem Beitrag für die SZ: „Wer diesen Entwurf als Einschränkung der Freiheit im Netz sieht, der will sich seiner Verantwortung nicht stellen„. Vielleicht kennt Kurt Beck ja das Brecht-Zitat „Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.„. Im Gegensatz zu Kurt Beck glaube ich, dass, wer Kinder und Jugendliche zu eigenverantwortlichen und mündigen Bürgern erziehen will, nicht daran vorbei kommt, diesen Staatsvertrag insgesamt auf den Prüftstand zu stellen. Beim Jugendmedienschutz ist ein vollständiges Umdenken erforderlich und nicht nur eine Korrektur des aktuellen Änderungsentwurfs.

posted by Stadler at 11:50  

13 Comments

  1. Jenseits von allen Fragen der Grundrechtsmündigkeit von Kindern im Hinblick auf Art. 5 GG ist es aber doch so, dass die Eltern – ebenfalls mit Verfassungsrang – mit einem Erziehungsrecht und einer Erziehungspflicht ausgestattet sind. Wenn Eltern die Accounts ihrer Kinder auf dem Familienrechner per Whitelist so einrichten, dass die Kinder überhaupt nur auf die Seite der Sendung mit der Maus und des Sandmännchens zugreifen können, dann ist das je nach Alter des Kindes vielleicht pädagogisch nicht sehr sinnvoll, aber deswegen noch kein Eingriff in die Informationsfreiheit. Gleiches gilt, wenn eben seitens der Eltern nur Websites mit Alterskennzeichen "erlaubt" sind.

    Comment by Felix — 22.03, 2010 @ 12:24

  2. naja aber diese nutzerautonome Filterung wird ja (ausser vielleicht ein paar Pädagogen) kein Mensch nutzen

    die Kennzeichnung wird nicht annähernd zeitnah möglich sein, von ausländischen Seiten mal ganz zu schweigen

    Sendezeitbegrenzungen gehen vielleicht noch bei den online Angeboten der ÖR aber sonst…

    niemand ausserhalb Deutschlands wird Passkontrollen vor porn Seiten stellen

    dieser Ansatz ist sowieso zum scheitern verurteilt

    dann kommt als nächster Schritt eben so was wie "um einen effektiven Jugendschutz durchzusetzen sehen wir uns gezwungen die Leute zu ihrem Glück zu zwingen und ISP seitige Filter einzubauen"

    Comment by Anonymous — 22.03, 2010 @ 12:38

  3. Wie schwer sich Politik und Gesellschaft mit all diesen Fragen tun zeigt sich übrigens auch an der immer noch ungelößten Debatte über das Zugangserschwerungsgesetz.Mit allen rechtspolitischen und juristischen Aspekten der digitalen Revolution wird sich auch das 5. Internationale ReH..Mo-Symposium am 29. / 30. April in Passau beschäftigen. http://www.rehmo.uni-passau.de/
    Für alle die sich mit Fragen des IT-Rechts beruflich oder auch privat auseinandersetzen eine tolle Möglichkeit eine Diskussion aktueller Fragen von einer Vielzahl hochkarätiger Experten auf diesem Gebiet mitzuerleben. Es wird auch die Möglichkeit gegeben, sich über Twitter (rehmo_passau) selbst an einer Podiumsdiskussion zu beteiligen und live Fragen zu stellen!

    Comment by Anonymous — 22.03, 2010 @ 15:08

  4. "Ein solches staatliches Konzept ist außerdem deshalb problematisch, weil sich auch Kinder und Jugendliche auf die Informationsfreiheit des Art. 5 GG berufen können und es auch ihnen möglich sein muss, sich grundsätzlich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten."

    Wichtigster Satz des Artikels!

    Comment by Sascha — 23.03, 2010 @ 10:41

  5. @Anonym Nr.1
    Sendezeitbegrenzungen gehen vielleicht noch bei den online Angeboten der ÖR aber sonst…

    Auf verschiedenen Seiten zu Computer- und Videospielen ist dies bereits umgesetzt. Bei http://www.gameone.de z.B. kann man sich einige Artikel zu Spielen, welche ab 18 sind erst zwischen 22 und 6 Uhr anschauen.

    Comment by Sascha — 23.03, 2010 @ 10:50

  6. Wehret dem Nannystaat ("Behüten") in all seinen Spielarten…

    Comment by Andreas Spengler — 23.03, 2010 @ 12:55

  7. […] Replik von Thomas Stadler (Internet-Law) […]

    Pingback by Forderungskatalog des AK Zensur zum JMStV | Computerspielberatung.de — 26.05, 2010 @ 11:57

  8. […] verabschieden Jugendmedienschutzstaatsvertrag taz: FSK 18 für Tweets? Internet-Law.de: JMStV: „Behüten, wo es nötig ist“ Zeit.de: Hilfloser Versuch das Netz […]

    Pingback by Das Narrennetz- Der Jugendmedienschutz- Staatsvertrag ist unterschrieben « Ti_Leo meint: — 11.06, 2010 @ 19:25

  9. Wer wäre denn bei Verstoß zur Abmahnung berechtigt? Ich befürchte Abmahnwellen bisher ungeahnten Ausmaßes.

    Comment by Sanníe — 12.06, 2010 @ 11:32

  10. Vielleicht sollte man sich mal eine Schule suchen, die diese schönen Filter einsetzt (die Idee mit dem Filter ist ja nicht neu, die stand schon immer im JMStV) und dann ein paar netzaffine Eltern, die gegen die Schule klagen, weil ihre Kids in der Schule nicht mehr auf Angebote der BBC oder irgendwelche anderen legalen ausländischen Angebote zugreifen können. Die werden sich wohl kaum um deutsche Irrwege im Jugendschutzrecht kümmern.
    Das klingt für mich nach einem Verfahren, das man gar nicht verlieren kann (schade, dass ich keine Zulassung habe…) und das es bequem zum BVerfG schafft.

    Comment by bernhard — 16.06, 2010 @ 14:27

  11. […] folgen werden und dieses Machwerk, das niemanden im Netz besser schützt, aber dafür schweren Schaden anrichten kann, in letzter Minute doch noch verhindert werden kann. Liebe NRW-SPD, jetzt ist es an […]

    Pingback by Jugendmedienschutzstaatsvertrag: Nun liegt der Ball bei der SPD! | Meine grüne Welt — 30.11, 2010 @ 20:36

  12. […] Replik von Thomas Stadler (Internet-Law) […]

    Pingback by Forderungskatalog des AK Zensur zum JMStV | JMStV-Jugendschutz — 4.12, 2010 @ 21:47

  13. […] freundlichen Herrn haben wir den JMStV zu verdanken, aus diesem Grund soll hier eine kurze Einführung in seine Gedankenwelt nicht […]

    Pingback by Wer hat’s erfunden? « … Kaffee bei mir? — 8.12, 2010 @ 16:53

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