Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

22.6.09

Die Krise der parlamentarischen Demokratie

Die deutliche Zustimmung des Bundestages zum Zugangserschwerungsgesetz hat mich, obwohl nichts anderes zu erwarten war, erschreckt.

Erneut hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz, das vielleicht noch deutlicher als andere verfassungswidrig ist, auf den Weg gebracht. Sehr viele grundrechtsbeeinträchtigende Gesetze wurden in den letzten Jahren erst nachträglich vom Bundesverfassungsgericht gestoppt, weil das Parlament augenscheinlich nicht mehr dazu in der Lage ist, den Grundrechtsschutz der Bürger ausreichend zu gewährleisten und verfassungswidrige Gesetze bedenkenlos durchgewunken werden.

Was die Zustimmung einer breiten Mehrheit des Bundestags zum sog. Zugangserschwerungsgesetz offenbart, ist nichts weniger als eine Krise der parlamentarischen Demokratie. Sie ist die Folge einer politischen Unkultur, die sich über Jahrzehnte hinweg etabliert hat und die man Fraktionsdisziplin nennt. Gewählte Abgeordnete werden zu bloßen Abnickern degradiert und müssen dies offenbar sogar noch verteidigen.

Von einem Fraktionszwang steht freilich nichts im Grundgesetz, wohl aber davon, dass der Abgeordnete dem Wohl des ganzen Volkes zu dienen hat und nur seinem Gewissen verpflichtet ist. Trotzdem tut das politische Establishment so, als würde ohne Fraktionsdisziplin unser Staat zusammenbrechen.

Es wird Zeit, dass sich die Bürger gegen diese Arroganz der Macht stellen, denn sie gefährdet unsere parlamentarische Demokratie. Wir brauchen in diesem Punkt einen Paradigmenwechsel. Dies erfordert ein neues Selbstverständnis der gewählten Parlamentarier, eine Neudefinition ihrer Tätigkeit, die stärker an Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ausgerichtet ist. Danach sind Abgeordeneten an keine Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen verpflichtet. Im Widerspruch zur Verfassung hat sich ein Weisungsrecht von Parteien und Fraktionen etabliert, das man gerne als Fraktionsdisziplin bezeichnet. Es mag gute Gründe geben- vor allem wenn man Wahlen gewinnen will – den Eindruck der Geschlossenheit zu vermitteln. Die Grenze ist aber dort erreicht, wo der Gesetzgeber spürbar in Grundrechte eingreift.

Das Parlament wird einen solchen Sinneswandel nicht von selbst vollziehen, dafür ist das etablierte System zu verkrustet. Der Bürger wird es dazu zwingen müssen. Und hier war der Widerstand gegen das Zugangserschwerungsgesetz aus dem Netz heraus und die Petition, die mehr als 130.000 Menschen unterstützt haben, ein deutliches Zeichen. Ohne jeden organisatorischen Unterbau ist es gelungen zu zeigen, dass sich eine gut informierte Gegenöffentlichkeit nicht ohne weiteres durch eine Placebo-Politik die Wahlkampfzwecken folgt, hinters Licht führen lässt.

Der vor wenigen Tagen verstorbene große liberale Geist Ralf Dahrendorf hat vor einigen Jahren gesagt: „Jetzt sind wir in einer Phase der Unsicherheit. Ein neues Profil sehe ich noch bei keiner Partei. Aber ich sehe neue Fragen, bei denen es alle Parteien mit der Angst kriegen.“

posted by Stadler at 11:50  

Keine Kommentare

No comments yet.

RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.